Stellungnahme des VID zum RefE eines Gesetzes zur weiteren Verkürzung des RSB-Verfahrens

 

A. Vorbemerkung

Der Entwurf dient der Umsetzung der Richtlinie über „Restrukturierung und Insolvenz“ (EU) 2019/1023 vom 20.06.2019[1] (nachfolgend Richtlinie (RL)) ins nationale Recht. Als erster Teil der angekündigten Umsetzungsgesetzgebung beschränkt er sich auf den Bereich der Entschuldung (Art. 20 ff. der RL)[2] und verfolgt das Ziel, allen natürlichen Personen ohne Erfüllung besonderer Voraussetzungen binnen drei Jahren eine Restschuldbefreiung und damit einen wirtschaftlichen Neustart zu ermöglichen[3]. Dieser Neustart wird in jüngerer Zeit durch Rechtsprechung belastet, die etwa eine Aufrechnung nach erteilter Restschuldbefreiung zulässt und damit fiskalischen Interessen den Vorrang vor der entlastenden Wirkung geben möchte. Mit dieser bedenklichen Entwicklung droht nicht nur eine zusätzliche Belastung der betroffenen Schuldner, sondern auch eine schleichende Entwertung der wirtschaftlichen und sozialen Effekte von Restschuldbefreiungen.

 

B. Im Einzelnen

 

I. Änderungen InsO und EGInsO

 

1. Einbeziehung von Verbrauchern

Der VID begrüßt die im Entwurf vorgesehene einheitliche Handhabung der weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens für Unternehmer und Verbraucher.[4]

Die Richtlinie sieht in Art. 1 Abs. 4 vor, dass die Mitgliedstaaten insolvente natürliche Personen, die keine Unternehmer sind, in die Anwendung der in Absatz 1 Buchstabe b genannten Verfahren einbeziehen können.[5] Der Entwurf hat diese Möglichkeit erfreulicherweise genutzt. Er führt dazu in seiner Begründung[6] zutreffend aus: „Gegen die isolierte Umsetzung der auf unternehmerisch tätige natürliche Personen zugeschnittenen Richtlinienvorgaben spricht, dass das deutsche Restschuldbefreiungsrecht seit jeher keinen Unterschied zwischen unternehmerisch tätigen und sonstigen natürlichen Personen gemacht hat. Eine unterschiedliche Behandlung von unternehmerisch tätigen und sonstigen Personen würde nicht nur mit Abgrenzungsschwierigkeiten einhergehen, sondern unweigerlich auch Umgehungsstrategien provozieren, welche für Rechtsunsicherheit sorgen würden. Überdies muss es ein Desiderat überzeugender und praktisch handhabbarer Rechtsetzung sein, nicht nur unnötig komplexe Regelungen, sondern auch Differenzierungen zu vermeiden, die in der Anschauung der betroffenen Kreise nicht nachvollziehbar erscheinen.“ Hier ist ergänzend auch auf die notwendige Harmonisierung der Rechtslage in Europa hinzuweisen, die zur Vermeidung eines grenzüberschreitenden „Insolvenztourismus“ nicht nur eine Angleichung der verschiedenen Regelungen in den einzelnen Mitgliedstaaten sondern auch – wie von der Richtlinie empfohlen – eine Synchronisation der Privatinsolvenz insgesamt und damit die Aufgabe der Trennung in Unternehmer und Verbraucher zumindest an dieser Stelle nahelegt.

 

2. Änderung der Abtretungsfrist von sechs auf drei Jahre (§ 287 Abs. 2 i.V.m. § 300 InsO-E)[7]

Der Entwurf sieht vor, die Dauer des Verfahrens zur Erlangung der Restschuldbefreiung von sechs auf drei Jahre ab Insolvenzeröffnung zu reduzieren, ohne dies an die Erfüllung von prozentualen Mindestquoten zu knüpfen.

Auch dieser Vorschlag steht im Einklang mit den Vorschlägen des VID, der sich bereits seit 2012 für einen barrierefreien und vereinfachten Weg in die Restschuldbefreiung ohne Mindestquoten einsetzt.[8]

Dass mit der Verkürzung der Dauer des Restschuldbefreiungsverfahrens keine weitere gesetzliche Stärkung der Gläubigerrechte verbunden wird, spricht nicht gegen einen solchen Schritt. Eine weitere Stärkung der Gläubigerrechte ist derzeit nicht geboten[9]. Für die von Teilen der Wirtschaft befürchteten negativen Auswirkungen auf die Zahlungsmoral sieht der VID keine Anzeichen. Neben der in den letzten Jahren rückläufigen Zahl der Verbraucherinsolvenzverfahren (106. 290 in 2010 / 60 .832 in 2019)[10] hat sich auch das Konsumverhalten der Verbraucher, trotz günstiger Kredite am Markt, nicht erheblich verändert. Der Gesetzgeber hat im Hinblick auf die Kreditvergabe an Verbraucher bereits 2016[11] (präventiv) reagiert und eine Pflicht zur Kreditwürdigkeitsprüfung bei Verbraucherdarlehensverträgen (§ 505a BGB) eingeführt.[12]

Dem Argument, dass den Gläubigern durch die Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens von sechs auf drei Jahre Befriedigungsbeträge aus den Jahren vier bis sechs verloren gehen[13], begegnet der Entwurf zu Recht mit dem Verweis auf das Regel-Ausnahme-Verhältnis. Das Verbraucherinsolvenzgeschehen wird von masselosen Verfahren dominiert, bei denen die Insolvenzforderungen in der Regel uneinbringlich und die Verfahrenskosten gestundet sind. „Ausnahmefälle sollten den Gesetzgeber nicht daran hindern, eine für die große Masse der Fälle angemessene Regelung zu treffen.“, so zu Recht die Begründung des Entwurfs.[14]

 

3. Übergangsfristen (§ 287 Abs. 2 Satz 2 InsO-E i.V.m. Art. 103k EGInsO-E)

Mit den in § 287 Abs. 2 Satz 2 InsO-E[15] i.V.m. Art. 103k EGInsO-E[16] geregelten Übergangsfristenregelung soll vermieden werden, „dass insolvente Schuldner und Schuldnerinnen dazu übergehen, die Einleitung des Verfahrens zu verzögern, um sich mit Inkrafttreten der künftigen Regelungen in den Genuss einer wesentlich kürzeren, namentlich nur halb so langen Verfahrensdauer bringen zu können und auf diese Weise zu einer schnelleren Restschuldbefreiung zu kommen.“[17] Der Entwurf will damit einen durch Mitnahmeeffekte ausgelösten Verfahrensstau und eine dann in Folge des Inkrafttretens auftretende Verfahrensschwemme verhindern, die zu außergewöhnlichen Schwankungen der Auslastung der Gerichte, Schuldnerberatungsstellen und Verwalter führen würde.

Der in der Literatur[18] im Nachgang zur Pressemitteilung[19] des BMJV vom 07.11.2019 bereits geäußerten Befürchtung, wonach dann im Juli 2025 alle Verfahren ab Dezember 2019 bis Juli 2022 auf einmal enden würden und nicht – wie derzeit – beendete RSB-Phasen sich über das ganze Jahr verteilen“, begegnet der Entwurf in seiner Begründung[20]. Nach ausführlicher Abwägung der Vor- und Nachteile der Fristenregelung nimmt er bewusst in Kauf, dass vor allem die betroffenen Gerichte vor besondere Herausforderungen gestellt werden und geht davon aus, dass bis zum 17.07.2025 „ein hinreichender Zeitraum verbleibt, um bei den betroffenen Insolvenzgerichten zur Bewältigung des einmaligen Sonderaufwandes organisatorische und personelle Vorkehrungen zu treffen“. Zu diesen Vorkehrungen sollte auch eine gesetzlich erweiterte Digitalisierung von Insolvenzverfahren gehören, zu der bereits Absichtserklärungen und Vorschläge vorliegen. Verwalter mit hoher Professionalisierung der Abwicklung von Restschuldbefreiungsverfahren werden diesen temporären Mehraufwand ebenfalls meistern.

 

4. Sperrfristen (§ 287a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO-E[21])

 

a) Notwendige Erweiterung der gerichtlichen Informationsmöglichkeiten

Die Sperrfrist nach bereits erteilter Restschuldbefreiung soll von zehn auf dreizehn Jahre verlängert werden. Damit bleibt die Frequenz gleich, mit der Schuldner das Restschuldbefreiungsverfahren erfolgreich ansteuern können.[22] Der Gefahr eines Missbrauchs des Insolvenzverfahrens als ein Mittel zur wiederholten Reduzierung der Schuldenlast[23] kann damit weiterhin begegnet werden.

Dies setzt jedoch auch voraus, dass es den Gerichten im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung des Antrages möglich ist, ausreichende Informationen zu einer etwaig bereits erteilten Restschuldbefreiung des Schuldners zu erlangen. Bislang erhält das Gericht diese Information entweder aus der Erklärung des Schuldners zum Restschuldbefreiungsantrag oder ihm ist aus der Vergangenheit eine Restschuldbefreiung bekannt.

Eine wirksame Kontrolle der Angaben des Schuldners ist kaum möglich. Der unredliche Schuldner, der falsche oder unvollständige Angaben macht und nicht von der Wohltat der Restschuldbefreiung profitieren soll, kann mithin durch Stellung eines erneuten Restschuldbefreiungsantrages an einem anderen Gericht (nach Wohnsitzwechsel), bzw. unter anderem Namen (nach Eheschließung oder Scheidung), die Zulässigkeitsanforderungen des Antrages ungeprüft behaupten.

Eine wirksame Nachprüfung der Angaben des Schuldners durch die Gerichte wäre nur durch die Einführung eines einheitlichen bundesweiten Registers mit entsprechenden Speicherungsfristen möglich. Derzeit fehlt diese Möglichkeit eines bundesweiten gerichtlichen Zugriffs auf die notwendigen Informationen. Die im Verfahren vorzunehmenden öffentlichen Bekanntmachungen im Internet werden nur über einen relativ kurzen Zeitraum gespeichert. Nach § 3 der Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet vom 12. Februar 2002 (BGBl. I S. 677) in der ab dem 01.07.2007 geltenden Fassung (BGBl. I S. 509) werden die Veröffentlichungen zu einem Verfahren spätestens sechs Monate nach der Aufhebung oder der Rechtskraft der Einstellung des Insolvenzverfahrens gelöscht. Die Entscheidungen im Restschuldbefreiungsverfahren werden spätestens sechs Monate nach der Erteilung oder der Versagung der Restschuldbefreiung gelöscht. Eine Eintragung im Schuldnerverzeichnis kommt bislang nur dann in Betracht, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Verfahrens mangels Masse abgewiesen wird oder wenn die Erteilung der Restschuldbefreiung versagt oder widerrufen wird.

Auch die Möglichkeit von Hinweisen durch Gläubiger vermag das Problem nicht zu lösen, da die steuerlichen Aufbewahrungsfristen regelmäßig nicht über den Zeitraum von 10 Jahren hinausgehen (vgl. §§ 147 AO, 257 HGB).

 

b) Keine Sperrfrist bei der Insolvenz nach Freigabe gem. § 35 Abs. 2 InsO

Die RL formuliert in Erwägungsgrund 84 Satz 4 folgenden Hinweis: „Die Mitgliedstaaten, in denen Unternehmer ihre Geschäfte während des Insolvenzverfahrens auf eigene Rechnung fortsetzen dürfen, sollten nicht daran gehindert werden vorzusehen, dass diese Unternehmer Gegenstand eines neuen Insolvenzverfahrens werden können, wenn diese fortgesetzten Geschäfte insolvent werden.“

Nach Freigabe einer selbstständigen Tätigkeit durch Erklärung des Insolvenzverwalters gem. § 35 Abs. 2 InsO kann der Schuldner seine Geschäfte auf eigene Rechnung während des laufenden Insolvenzverfahrens über sein Vermögen fortsetzen. Mit Beschluss vom 09.06.2011 (IX ZB 175/10) hat der BGH klargestellt, dass im Sonderfall des § 35 Abs. 2 InsO ein zweites, auf das Vermögen aus der freigegebenen selbstständigen Tätigkeit beschränktes, Insolvenzverfahren eröffnet werden kann.

In einer weiteren Entscheidung vom 18.12.2014 (IX ZB 22 /13) hat er die Zulässigkeit einer erneuten Restschuldbefreiung in diesem beschränkten Insolvenzverfahren unter den Vorbehalt einer vorherigen Entscheidung über den Antrag auf Restschuldbefreiung im Ausgangsverfahren gestellt. Zur planwidrigen Regelungslücke im damaligen § 290 Abs. 1 Nr. 2 – heute § 287a Abs. 2 InsO – führt er dort unter Rz. 10 aus: „Das Gesetz enthält für den Fall, dass bei noch laufendem erstem Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren aufgrund neuer Verbindlichkeiten in einem ausnahmsweise zulässigen zweiten Insolvenzverfahren ein zweiter Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt wird, eine Regelungslücke. § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO bestimmt, dass die Restschuldbefreiung zu versagen ist, wenn in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag dem Schuldner die Restschuldbefreiung erteilt oder nach § 296 InsO oder § 297 InsO versagt worden ist. Wie über einen Zweitantrag zu entscheiden ist, wenn über den im ersten Insolvenzverfahren gestellten Antrag auf Restschuldbefreiung noch nicht entschieden ist, regelt die Norm nicht.“

Nachdem mit dieser Rechtsprechung parallele Restschuldbefreiungen desselben Schuldners ausgeschlossen werden, bleibt die – vom BGH hier nicht entschiedene – Frage nach einer seriellen Abfolge von Restschuldbefreiungen desselben Schuldners im Fall der Freigabe. Sie wird durch die nun geplante Verfahrensverkürzung deutlich aktueller, weil hierdurch der Fall einer bereits erteilten Restschuldbefreiung im Ausgangsverfahren häufiger auftreten wird.

In diesem Fall sollte nach dem o.g. Hinweis der RL eine erneute Restschuldbefreiung nicht durch die Sperrfrist des § 287a InsO ausgeschlossen werden. Ansonsten könnte die fehlende Möglichkeit dieser Befreiung die betroffenen Schuldner von weiteren Insolvenzanträgen abhalten und zu einem langjährigen Weiterwirtschaften in der sog. Schattenwirtschaft anreizen.

 

5. Volle Entschuldung & zweite Chance

Im Hinblick auf einen solchen effektiven wirtschaftlichen Neuanfang des Schuldners, der nicht nur der Intention der Richtlinie[24], sondern auch dem Normzweck der §§ 287 Abs. 2[25] und 301 InsO[26] zugrunde liegt, soll an dieser Stelle auf eine Entwicklung in der Rechtsprechung hingewiesen werden, die dieser Intention entgegenstehen kann und schon heute zu Rechtsunsicherheit führt:

 

a) Aktuelle Rechtsprechung

Mit Urteil vom 28.11.2017[27] entschied der BFH einen Fall, zu dem er folgende Pressemitteilung veröffentlichte:

„In dem Streitfall war über das Vermögen des Klägers das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Aufgrund der Verwertung von Insolvenzmasse durch den Insolvenzverwalter war Einkommensteuer als sog. Masseverbindlichkeit entstanden, die von dem Insolvenzverwalter nicht beglichen wurde. Nachdem das Insolvenzverfahren wegen Masseunzulänglichkeit eingestellt und dem Kläger Restschuldbefreiung gemäß § 301 der Insolvenzordnung (InsO) erteilt worden war, machte das FA die unbezahlt gebliebenen Steuerschulden geltend und verrechnete diese mit später entstandenen Erstattungsansprüchen des Klägers. Das Finanzgericht hob den Abrechnungsbescheid auf und entschied, dass der Kläger für Steuerschulden, die durch Verwertungshandlungen des Insolvenzverwalters entstanden seien, nicht einstehen müsse.

Dieser Rechtsauffassung ist der BFH nicht gefolgt. Masseverbindlichkeiten werden nach seinem Urteil weder von einer Restschuldbefreiung erfasst – dies hatte der Bundesgerichtshof (BGH) bislang offengelassen – noch steht der Verrechnung eine sich aus dem Insolvenzverfahren ergebende Haftungsbeschränkung entgegen.

 Zwar sei Ziel eines Insolvenzverfahrens, dem redlichen Schuldner Gelegenheit zu geben, sich von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu befreien. Die Restschuldbefreiung nach § 301 InsO sei aber ausdrücklich auf Insolvenzgläubiger beschränkt. Hätte der Gesetzgeber die Restschuldbefreiung auch auf Masseverbindlichkeiten erstrecken wollen, so hätte er dies entsprechend regeln müssen. Soweit die BGH-Rechtsprechung von einer sog. Haftungsbeschränkung für Masseverbindlichkeiten ausgehe, die nach Verfahrenseröffnung durch Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters begründet worden sind, lasse sich dies auf Steuerschulden nicht übertragen, so dass insoweit keine „Einrede der beschränkten Haftung des Insolvenzschuldners“ besteht.“[28]

In einem anderen Fall entschied das Bayerische[29] Landessozialgericht[30] unter Berufung auf das BSG[31], dass die Verrechnung offener, vor Insolvenzeröffnung entstandener Beitragsforderungen mit aktuellen Rentenansprüchen des Schuldners auch nach Erteilung der Restschuldbefreiung zulässig ist.[32]

Beide Entscheidungen wurden in der Literatur zu Recht kritisiert.[33]

 

b) „volle Entschuldung“

Nach Art. 20 Abs. 1 der RL stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass insolvente Unternehmer Zugang zu mindestens einem Verfahren haben, das zu einer vollen Entschuldung gemäß dieser Richtlinie führen kann. Für die Zwecke der Richtlinie bezeichnet der Ausdruck „volle Entschuldung, dass die Eintreibung der ausstehenden für eine Entschuldung infrage kommenden Schulden ausgeschlossen ist, oder dass die ausstehenden einer Entschuldung zugänglichen Schulden als solche erlassen sind, als Teil eines Verfahrens, das eine Verwertung von Vermögenswerten oder einen Tilgungsplan oder beides umfassen könnte“ (vgl. Art. 2 Abs. 1 Ziff. 10 der RL). Die Richtlinie sieht jedoch auch Ausnahmen vor. So regelt Art. 23 Abs. 4e) der RL:

„Die Mitgliedstaaten können bestimmte Schuldenkategorien von der Entschuldung ausschließen, den Zugang zur Entschuldung beschränken oder eine längere Entschuldungsfrist festlegen, wenn solche Ausschlüsse, Beschränkungen oder längeren Fristen ausreichend gerechtfertigt sind, etwa im Falle von Schulden, die nach dem Antrag auf ein zu einer Entschuldung führendes Verfahren oder nach dessen Eröffnung entstanden sind.“ Art. 23 Abs. 4e) ist mithin als sog. „Kann-Bestimmung“ ausgestaltet.

Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte im weiteren Gesetzgebungsverfahren daher die in der Literatur bereits diskutierte Regelung aufgenommen werden, wonach auch Steuerschulden im Rang einer Masseverbindlichkeit oder ein Anspruch gegen das insolvenzfreie Vermögen, der aus der Freigabe eines belasteten Vermögensgegenstandes resultiert, in die Restschuldbefreiung einbezogen werden.[34] Auch sollte hinsichtlich einer Steuerverbindlichkeit im Rang einer Masseverbindlichkeit, die wegen einer Masseunzulänglichkeit nicht getilgt wird, § 69 AO keine Anwendung finden.

 

6. Tätigkeitsverbote (§ 301 Abs. 4 InsO-E)

Der Entwurf sieht ferner eine Ergänzung des § 301 InsO durch einen neuen Abs. 4 vor: „Ein allein aufgrund der Insolvenz des Schuldners erlassenes Verbot, eine gewerbliche, geschäftliche, handwerkliche oder freiberufliche Tätigkeit aufzunehmen oder auszuüben, tritt mit Rechtskraft der Erteilung der Restschuldbefreiung außer Kraft. Satz 1 gilt nicht für die Versagung und die Aufhebung einer Zulassung zu einer erlaubnispflichtigen Tätigkeit.“

Um das Ziel eines wirklichen Neustartes zu verwirklichen, ist darauf zu achten, dass die bloße Insolvenz der weiteren Berufsausübung des redlichen Schuldners nicht entgegenstehen sollte. Spätestens nach Ablauf der dreijährigen Entschuldungsfrist ist ein uneingeschränkter Zugang gemäß Art. 22 Abs. 1 RL sicherzustellen. Zu überlegen ist zudem, ob auch schon vor Ablauf der Entschuldungsfrist ein Widerruf der Berufszulassung für den redlichen Schuldner angesichts der Ordnungswirkung der Insolvenzeröffnung zumindest im Einzelfall entfallen kann. Dies betrifft insbesondere freie Berufe wie Apotheker, Ärzte oder Rechtsanwälte, bei denen die Insolvenzeröffnung bislang in der Regel automatisch zum Widerruf der Zulassung und damit zu einem Berufsverbot führt, unabhängig davon, ob dem betroffenen Schuldner ein Fehlverhalten gegenüber Patienten oder Mandanten vorzuwerfen ist.

 

II. Änderungen InsVV und GKG

Der Entwurf sieht eine Ergänzung des § 1 Abs. 2 Nr. 5 InsVV vor: „Ein Vorschuß, der von einer anderen Personen als dem Schuldner zur Durchführung des Verfahrens geleistet worden ist, und ein Zuschuß, den ein Dritter zur Erfüllung eines Insolvenzplans oder zum Zwecke der Erteilung der Restschuldbefreiung vor Ablauf der Abtretungsfrist geleistet hat, bleiben außer Betracht.“

Die vorgeschlagene Ergänzung, wonach Zuschüsse von dritter Seite, die eine vorzeitige Restschuldbefreiung ermöglichen sollen, nicht in die Berechnungsgrundlage für die Vergütung einfließen, ist zu begrüßen. Ihr steht bislang jedoch kein korrespondierender Vorschlag zum Gerichtskostengesetz (GKG) gegenüber. Hier sollte eine entsprechende Ergänzung in das GKG aufgenommen werden, damit es nicht zwei unterschiedliche Berechnungsgrundlagen gibt.

Im Hinblick auf die notwendige Änderung auch im GKG regen wir ergänzend an, auch eine § 1 Abs. 2 Nr. 4 b InsVV[35] entsprechende Regelung ins GKG aufnehmen. Einige Gerichte (darunter das OLG München[36]) vertreten die Auffassung, dass die Ausgaben einer Betriebsfortführung die Berechnungsgrundlage für die Gerichtskosten nicht reduzieren, weil es an einer § 1 Abs. 2 Nr. 4 b InsVV entsprechenden Regelung im GKG fehlt. Dass die Gerichtskosten damit in umsatzreichen Verfahren die Verfahrenskosten unkalkulierbar machen und die Kostendeckung akut gefährden können, entbehrt eines sachlichen Grundes.

Sinnvoll wäre des Weiteren eine Möglichkeit für Schuldner, freiwillige Ratenzahlungen auf die Verfahrenskosten schon während des Verfahrens direkt an die Landesjustizkassen zu leisten. Vor dem Hintergrund aktueller Ankündigungen der Banken, auf die in Sonderkonten geführten Guthaben Negativzinsen zu erheben, sollten bei diesen freiwilligen, oftmals sogar aus dem unpfändbaren Einkommen geleisteten Zahlungen keine negativen Anreize gesetzt werden.

  

III. Fazit

 

  1. Die vorgeschlagene Umsetzung der Verkürzung von Restschuldbefreiungsverfahren entspricht den europäischen Vorgaben und verzichtet zutreffend auf eine Differenzierung zwischen Unternehmern und Verbrauchern oder sonstigen Privatpersonen. 
  1. Die Fristenlösung zu ihrer Umsetzung ist vor dem Hintergrund der notwendigen Vermeidung von Mitnahmeeffekten trotz der zu erwartenden Arbeitsbelastung von Gerichten und Insolvenzverwaltern sachgerecht. Insolvenzgerichte sollten allerdings zur zeitlich angemessenen Bewältigung der Arbeitslast personell und technisch verstärkt werden. 
  1. Die Digitalisierung von Insolvenzverfahren sollte ohne Verzögerung gesetzlich umgesetzt werden, um den Verfahrenszugang zu erleichtern, Gerichte, Insolvenzverwalter und Treuhänder von unnötiger Mehrarbeit zu entlasten und die Verfahren zu beschleunigen. 
  1. Eine Erweiterung der Sperrfrist des § 287a InsO sollte durch verbesserte gerichtliche Informationsmöglichkeiten und eine gesetzliche Regelung für mögliche Restschuldbefreiungen bei Insolvenzverfahren nach Freigabe gem. § 35 Abs.2 InsO ergänzt werden. 
  1. Die vorliegenden Reformvorschläge sollten durch Regelungen ergänzt werden, die ein Unterlaufen der vollen Entschuldung i. S. d. Art. 2 Abs. 1 Ziffer 10 der RL insbesondere durch Aufrechnung nach Erteilung der Restschuldbefreiung verhindern und einen echten „fresh start“ ermöglichen.

 

 

Berlin, 01.04.2020

 

Kontakt:
Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e.V. (VID)
Französische Straße 13/14
10117 Berlin

Tel.: 030/ 20 45 55 25
E-Mail: info@vid.de
Web: www.vid.de

 

[1] Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz).

[2] Der VID hatte sich bereits im europäischen Gesetzgebungsverfahren mit umfangreichen Stellungnahmen zur Richtlinie geäußert (abrufbar unter https://www.vid.de/gesetzgebung/stellungnahmen/).

[3] Vgl. Referentenentwurf eines Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens (Ref-E), Begründung S.9.

[4] Bereits im Thesenpapier zur Umsetzung der Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz vom 06.11.2019 hatte sich der VID dafür ausgesprochen, insolvente natürliche Personen, die keine Unternehmer sind, gem. Art. 1 Abs. 4 in die Anwendung der in Art. 1 Abs. 1b) der RL genannten Verfahren einzubeziehen (abrufbar unter https://www.vid.de/initiativen/thesenpapier-zur-umsetzung-der-richtlinie-ueber-restrukturierung-und-insolvenz/).

[5] Vgl. jedoch Erwägungsgrund 21 der RL, wonach die Richtlinie zwar keine verbindlichen Vorschriften über die Überschuldung von Verbrauchern enthält, es aber den Mitgliedstaaten aus den genannten Gründen zu empfehlen wäre, so früh wie möglich die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Entschuldung auch auf Verbraucher anzuwenden.

[6] Ref-E, Begründung S. 12.

[7] Vgl. Art.5 Ref-E.

[8] Vgl. VID-Stellungnahme vom 07.01.2013 (abbrufbar unter: https://www.vid.de/wp-content/uploads/2016/09/stellungnahme-dr-niering-07012013.pdf); zuletzt auch PM des VID vom 13.02.2020 (abrufbar unter https://www.vid.de/pressemitteilung/insolvenzverwalter-begruessen-reformvorschlag-zur-verbraucherinsolvenz/).

[9] Bereits im Thesenpapier zur Umsetzung der Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz vom 06.11.2019 hatte sich der VID dafür ausgesprochen, dass von den Ausnahmeregelungen des Art. 23 Abs. 2, 4 und 5 nur dort und nur so weit Gebrauch gemacht werden sollte, wo eine entsprechende Regelung im deutschen Recht bereits existiert.

[10] destatis, abrufbar unter https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Einkommen-Konsum-Lebensbedingungen/Vermoegen-Schulden/Tabellen/verbraucherinsolvenzen-jahren.html?view=main[Print].

[11] Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie und zur Änderung handelsrechtlicher Vorschriften, abrufbar unter https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav#__bgbl__
%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl116s0396.pdf%27%5D__1582116969654
.

[12] Vgl. auch Lauer in ZIP 2019, 2448.

[13] Vgl. Ref-E, Begründung S. 12 m.w.N.

[14] Vgl. Referentenentwurf eines Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens (Ref-E), Begründung S. 12.

[15] Vgl. Art. 1 Ref-E.

[16] Vgl. Art. 2 Ref-E.

[17] Vgl. Ref-E, Begründung S. 16.

[18] InsbürO 2020, 54 ff. (Ausgabe 2 v. 29.01.2020): „In dem Fall müssten die Insolvenzbüros – je nach vorhandener Anzahl der Verfahren natürlich – Hunderte von Abschlussberichten schreiben und die Gerichte Hunderte von Berichten lesen und Beschlüsse über die RSB-Erteilung fassen. Das wäre ein enormer Arbeitsaufwand.“

[19] https://www.bmjv.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2019/110719_
Restschuldbefreiung.html
.

[20] Vgl. Ref-E, Begründung S. 17.

[21] Vgl. Art. 5, Nr. 2 Ref-E.

[22] Vgl. auch Ref-E, Begründung S. 20.

[23] Vgl. Sternal in Uhlenbruck, InsO-KO, § 287a, Rz. 3 zur Einführung des § 287 a InsO mit Verweis auf BT-Drs. 17/11268, S. 24.

[24] Vgl. Erwägungsgrund 1 Satz 2 der RL:“ Ohne dass die Grundrechte und Grundfreiheiten der Arbeitnehmer beeinträchtigt werden, zielt diese Richtlinie darauf ab, solche Hindernisse zu beseitigen, indem sichergestellt wird, dass bestandsfähige Unternehmen und Unternehmer, die in finanziellen Schwierigkeiten sind, Zugang zu wirksamen nationalen präventiven Restrukturierungsrahmen haben, die es ihnen ermöglichen, ihren Betrieb fortzusetzen, dass redliche insolvente oder überschuldete Unternehmer nach einer angemessenen Frist in den Genuss einer vollen Entschuldung kommen und dadurch eine zweite Chance erhalten können, und dass die Wirksamkeit von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren, insbesondere durch Verkürzung ihrer Dauer, erhöht wird.“

[25] Vgl. BGH IX ZB 23/13, Rz.7 m.w.N. zu § 287 Abs. 2: Die Vorschrift verfolgt auch den Zweck, dem redlichen Schuldner -auch dem selbstständig tätigen- sechs Jahre nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen“.

[26] Sternal, a.a.O., § 301, Rz. 1.

[27] VII R 1/16, ZIP 2018, 593 ff.

[28] BFH-Pressemitteilung Nr. 13 vom 07. März 2018 „Keine Restschuldbefreiung für Masseverbindlichkeiten“, abrufbar unter https://juris.bundesfinanzhof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bfh&Art=en&Datum=Aktuell&nr=35745

[29] Anders aber Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, 15.03.2018 – L 19 AS 1286/17.

[30] Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 21. März 2018 – L 13 R 25/17 –, juris 

[31] BSG,Urteil vom 10.Dezember 2003 – B 5 RJ18703 R BSGE 92,1-10, SozR 4-1200 3 52 Nr.2.

[32] Kritisch dazu Henning in ZVI 2019, 443 ff. (449): „ Die Frage der Zulässigkeit einer Auf- oder Verrechnung nach Erteilung der Restschuldbefreiung, die den Wert der Restschuldbefreiung für den Schuldner und damit auch den gesamten Verfahrenszweck in Frage stellt, muss demnach in weiteren Verfahren oder durch den Gesetzgeber geklärt werden.“

[33] Vgl. auch Anzinger in EWiR 2018, 309f.; Kahlert in DB 2018, 980; Sämisch in ZinsO 2018, 1946 ff., zur „Restschuldbefreiung des Unternehmers von Steuerschulden nach der Richtlinie betreffend die zweite Chance“ Kahlert in DStR 2019, 719 ff.

[34] Vgl. auch Anzinger in EWiR 2018, 309f. (310) und Kahlert in DStR 2019, 719 ff. (725).

[35] So regelt § 1 Abs. 2 Nr. 4b) InsVV: Die Kosten des Insolvenzverfahrens und die sonstigen Masseverbindlichkeiten werden nicht abgesetzt. Es gelten jedoch folgende Ausnahmen: Wird das Unternehmen des Schuldners fortgeführt, so ist nur der Überschuß zu berücksichtigen, der sich nach Abzug der Ausgaben von den Einnahmen ergibt.“

[36] A.A. OLG Bamberg v. 5.1.2017 – 8 W 87/16 m. w. N.; ebenso Keller in Vergütung und Kosten im Insolvenzverfahren, 4. Aufl., Teil B § 15 Rz. 10 – immerhin mit der Obergrenze 30 Mio. €, vgl. Rz. 13.

Gemeinsame Erklärung zum Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- u. Strafverfahrensrecht

 
Die Coronakrise entwickelt sich in diesen Tagen zu einer Bedrohung für viele Unternehmen in Deutschland. Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht versucht die Bundesregierung dieser Bedrohung mit rechtlichen Notmaßnahmen zu begegnen.

Die hier unterzeichnenden Verbände und Vereinigungen, die eine große Mehrzahl der in Deutschland mit Insolvenzen und Restrukturierungen befassten Praktiker (Richter, Rechtspfleger und Freiberufler) vertreten, unterstützen eine schnelle Reaktion in Anbetracht der Krisenentwicklung. Sie sehen im dem nun vorgelegten Gesetzentwurf aber eine ganze Reihe von Weichenstellungen, die im weiteren Krisenverlauf zu einer massiven Fehlallokation der umfangreichen staatlichen Unterstützungsleistungen und damit zu einer Verfehlung der eigentlichen Rettungsziele führen können.

Das Vertrauen in die Steuerungswirkung von Kreditbedingungen und die Rechtstreue vieler ordentlicher Kaufleute kann nicht eine Aufgabe jeglicher Kontroll- und Korrekturmöglichkeiten zu Lasten des Staates rechtfertigen. Die Maßnahmen sollten dem ehrlichen, unverschuldet in Not geratenen Unternehmer dienen, nicht aber kollusives, fraudulöses Verhalten straf- bzw. haftungsfrei stellen.

Wir appellieren deshalb gemeinsam an die im Deutschen Bundestag vertretenen Abgeordneten aus Koalition und Opposition, dahingehend fehlleitende Weichenstellungen zu verhindern. In den weiteren Beratungen des Gesetzentwurfs sollten aus Sicht der Insolvenz,- und Sanierungspraxis unbedingt folgende Gestaltungskriterien beachtet werden, die wir im Detail in unseren über das Wochenende jeweils übersandten Stellungnahmen in den Gesetzestext jeweils eingearbeitet hatten; auf diese nehmen wir ergänzend Bezug:

 

  1. Eine Fehlverwendung staatlicher Mittel zu sanierungsfremden Zwecken muss ausgeschlossen sein. Dazu muss ein Mittelabfluss z. B. an Gesellschafter für vor der Corona-Pandemie gewährte Mittel weiterhin dem Insolvenzanfechtungsrecht unterworfen bleiben, insbesondere dann, wenn die Mittel erkennbar nicht sanierungs- und/oder fortführungsgeeignet waren und nicht zu entsprechendem Zweck bereitgestellt wurden. Zudem muss das vorgesehene Moratorium umgehend beendet werden, wenn und soweit staatliche Hilfen fließen.
  1. Eine Aussetzung der Antragspflichten wie auch der Antragsrechte von Gläubigern muss zunächst auf 3 Monate begrenzt werden. In der Zwischenzeit müssen differenzierte und passgenaue gesetzliche Regelungen diskutiert und erarbeitet werden, die den individuellen Sanierungsperspektiven betroffener Unternehmen entscheidende Bedeutung geben.
  1. Mit Blick auf die Aussetzung von Antragspflichten und sonstigen gesetzlichen oder vertraglichen Verpflichtungen müssen für eine transparente Anwendungspraxis einheitliche Fristenlösungen gefunden werden.
  1. Die von Sachwaltern und Insolvenzverwaltern bereits vor dem Stichtag fortgeführten Unternehmen müssen grundsätzlich staatliche Finanzhilfen erhalten können. Beihilferechtliche Barrieren müssen überwunden werden. Andernfalls drohen die Insolvenz in der Insolvenz und der dauerhafte Verlust zehntausender Arbeitsplätze.

 
In knappen Stellungnahmen haben die beteiligten Verbände in den vergangenen Tagen weitere relevante Änderungsvorschläge u. a. an das BMJV und die Bundestagsabgeordneten übersandt. Auf ihren Internetseiten wurden diese auch der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

 

Berlin, den 23.03.2020

 

Kontakt:

BAKinso – Bundesarbeitskreis Insolvenzgerichte e.V.
Markgrafenstraße 33
10117 Berlin
https://www.bak-inso.de/

Deutscher Anwaltsverein
– Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung –
Littenstraße 11
10179 Berlin
https://arge-insolvenzrecht.de/de/

GRAVENBRUCHER KREIS
c/o Flöther & Wissing Rechtsanwälte
Franzosenweg 20
06112 Halle
https://www.gravenbrucher-kreis.de/

Neue Insolvenzverwaltervereinigung Deutschlands e.V. (NIVD)
Kurfürstendamm 67
10707 Berlin
https://www.nivd.de/

Verband Insolvenzverwalter Deutschlands (VID)
Französische Straße 13/14
10117 Berlin
https://www.vid.de/

Ergänzende Stellungnahme des VID zum Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht

Die vorliegende Stellungnahme bezieht sich auf die Art. 1 und 5 des Entwurfs eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht. Sie basiert auf dem Stand vom 21.03.2020 18:14 Uhr

Vorbemerkungen:

 

  1. Ein einheitlicher Stichtag für alle gesetzlichen Schutzmechanismen ist erforderlich und dient nicht nur der Vermeidung von Konfliktfällen, sondern vermeidet auch Trittbrettfahrer, die zu erwarten wären, wenn etwa auf die Zahlungsunfähigkeit am 31.12.2019 abgestellt wird.
  1. Die Laufzeit sollte zunächst bis zum 30.06.2020 begrenzt werden und nur durch den Bundestag verlängert werden können. Zu lange Laufzeiten und Verordnungsermächtigungen erwecken den Eindruck, dass sich die Situation nach Einschätzung der Politik ggfls. über den Jahreswechsel hinaus nicht ändert. Zudem muss ein verfassungsrechtlich bedenklicher Eingriff in die Eigentumsrechte auch zeitlich auf das zwingend notwendige Minimum beschränkt werden.
  1. Die Regelungen eines Moratoriums sind zwingend mit Finanzierungshilfen von Bund, Ländern und Gemeinden zu verknüpfen: Soweit Finanzierungshilfen den Liquiditätsmangel ausgleichen, entfällt der Bedarf für ein Moratorium. In diesem Kontext ist auch sicherzustellen, dass staatliche Gelder weder unmittelbar noch mittelbar an Gesellschafter fließen. Die Gesellschafter sollten nicht per se aus ihrer Finanzierungsverantwortung entlassen werden. Entsprechendes gilt für Erleichterung durch das Moratorium in Art. 240 EGBGB.
  1. Das Moratorium sollte nicht nur Verbrauchern, sondern allen Unternehmen – unabhängig von deren Größe – zugutekommen. Dabei ist auch hier Zurückhaltung geboten und der Anwendungszeitraum bis zum 30.06.2020 zu begrenzen.

 

Im Einzelnen schlagen wir folgende Änderungen vor:

 

1) Art. 1 des Entwurfs eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht sieht in § 1 eines neu zu schaffenden COVID-19-Insolvenz-Aussetzungsgesetzes (im Folgenden : COVInsAG-E) die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO und nach § 42 Absatz 2 BGB bis zum 30.09.2020 vor, schränkt dies aber ein, wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruht oder wenn keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.

Dies ist insoweit zu begrüßen, als antragspflichtige Organe i.S.v. 15a InsO keiner Privilegierung bedürfen, wenn die Insolvenzreife aus anderen Gründen bereits eingetreten ist, und zwar unabhängig davon, dass diese Gründe nicht monokausal bleiben, sondern in vielen Fällen Folgen der COVID-19-Pandemie hinzutreten und die Insolvenzreife vertiefen.

Allerdings besteht keine Veranlassung zu einer generellen Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, wenn Aussichten auf Beseitigung der Insolvenzreife bestehen. Das Abgrenzungskriterium für die Aussetzung der Antragspflicht kann nur eine Insolvenzreife aufgrund der Folgen der COVID-19-Pandemie sein, nicht aber fehlende Sanierungsaussichten oder fehlende Aussichten zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit im Allgemeinen.

Eine Erleichterung der Darlegungslast enthält § 1 Satz 3 COVInsAG-E mit der Vermutung (= widerleglichen Umkehr der Beweislast) des Bestehens einer Zahlungsunfähigkeit am 31.12.2019 aufgrund der Folgen der COVID-19-Pandemie. Zu diesem Zeitpunkt war eine die Wirtschaft treffende Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus jedenfalls außerhalb von China weder eingetreten noch in dem jetzigen Umfang absehbar. Eine frühere Fassung des COVInsAG-E des BMJV stellte bei der Vermutungsregelung daher zutreffend auf den 13.03.2020 ab. Dementsprechend sollte die Privilegierung des Anwendungsbereichs von § 290 Absatz 1 Nr. 4 InsO auch nicht auf einen wesentlich früheren Stichtag abstellen.

Wegen der praktisch vorzugswürdigen Abgrenzung auf einen vollen Monat regt der VID an, den Stichtag nun einheitlich auf den 29.02.2020 festzulegen.

 

Der Text von § 1 COVInsAG-E sollte daher wie folgt geändert werden:

Die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a der Insolvenzordnung und nach § 42 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist bis zum 30. Juni 2020 ausgesetzt. Dies gilt nicht, wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) beruht. War der Schuldner am 29.02.2020 nicht zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Ist der Schuldner eine natürliche Person, so ist § 290 Absatz 1 Nummer 4 der Insolvenzordnung mit der Maßgabe anzuwenden, dass auf die Verzögerung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Zeitraum zwischen dem 1. März 2020 und dem 30. Juni 2020 keine Versagung der Restschuldbefreiung gestützt werden kann. Die Sätze 2 und 3 gelten entsprechend.

 

Die Privilegierung von „Krisenkrediten“ durch § 2 Abs. 1 Ziff. 2 COVInsAG-E in einer etwaigen Folgeinsolvenz ist im Grundsatz ein sinnvoller Anreiz zur Kreditgewährung. Die vorgeschlagene Regelung schießt aber über das Ziel hinaus:

In der vorgeschlagenen Fassung würde die Privilegierung nicht nur reine Neukredite erfassen, sondern auch Umschuldungen, so dass ein Anreiz bestünde, aus Altkrediten durch „Umwandlung“ privilegierte Neukredite zu machen. Dies entspräche nicht dem Sinn der Regelung. Der Neukredit muss durch die Corona-Krise veranlasst sein.

Besicherungen sollten das üblicherweise zulässige Maß einer Übersicherung nicht übersteigen, weshalb wir vorschlagen, das Tatbestandsmerkmal der Angemessenheit aufzunehmen.

Für einen Ausschluss von § 44a InsO besteht keine Notwendigkeit. Die bloße Aussicht, bei der Quote in einem Insolvenzverfahren nicht auf die Ausfallforderung beschränkt zu sein, dürfte keinen maßgeblichen Anreiz für die Kreditgewährung darstellen, und der besichernde Gesellschafter hätte von einem Ausschluss von § 44a InsO keine Vorteile.

 

Der Text von § 2 Abs.1 Ziff. 2 COVInsAG-E sollte daher wie folgt geändert werden:

2. gilt die bis zum 30. Juni 2023 erfolgende Rückgewähr eines im Aussetzungszeitraum gewährten, durch die COVID-19-Pandemie bedingten neuen Kredits sowie die im Aussetzungszeitraum erfolgte Bestellung angemessener Sicherheiten zur Absicherung solcher Kredite als nicht gläubigerbenachteiligend; Halbsatz 1 gilt auch für die Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen und Zahlungen auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, nicht aber deren Besicherung; § 39 Absatz 1 Nummer 5 und § 44a der Insolvenzordnung findent insoweit in Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners, die bis zum 30. Juni 2023 beantragt wurden, keine Anwendung;

 

Die in § 2 Abs. 1 Ziff. 4 COVInsAG-E nunmehr angelegte Regelung stellt einen dramatischen Verzicht auf jegliche staatliche Steuerung der Allokation von ausgereichten Finanzierungshilfen dar. Schuldner wären in der Lage, die umfangreich und ohne verschärfte Prüfung von Sanierungskonzepten oder Erfolgsaussichten ausgereichten Mittel zur direkten oder indirekten Befriedigung eigener Forderungen (z. B. durch Rückführung von Gesellschafterdarlehen) zu verwenden, ohne hierbei in einer anschließenden Insolvenz um diese private Rettungsaktion auf Kosten des Staates fürchten zu müssen. Der hier gebotene Anreiz dürfte gerade wegen der derzeit unabsehbaren Dauer und den Folgen der Coronakrise für die Betroffenen unwiderstehlich sein. Es wäre mit einer massenhaften Fehlallokation der Finanzhilfen zu rechnen. Es würden nicht Unternehmen gerettet, sondern Unternehmer begünstigt – mit allen erwartbaren Folgen für die Gesamtwirtschaft und insbesondere den Arbeitsmarkt. Es sollte deshalb in Anlehnung an § 2 Absatz 1 Ziffer 1 COVInsAG-E unbedingt ein entsprechender Vorbehalt in den Entwurfstext eingefügt werden.

 

Der Text von § 2 Abs.1 Ziff. 4 COVInsAG-E sollte daher wie folgt geändert werden:

4. sind Rechtshandlungen, die dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht haben, die dieser in der Art und zu der Zeit beanspruchen konnte, in einem späteren Insolvenzverfahren nicht anfechtbar; dies gilt nicht, wenn dem anderen Teil bekannt war, dass die Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen des Schuldners nicht zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit geeignet gewesen sind oder die Rechtshandlungen nicht der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen. Satz 1 gilt entsprechend für

a) Leistungen an Erfüllungs statt oder erfüllungshalber;
b) Zahlungen durch einen Dritten auf Anweisung des Schuldners;
c) die Bestellung einer anderen als der ursprünglich vereinbarten Sicherheit, wenn diese nicht werthaltiger ist;
d) die Verkürzung von Zahlungszielen und
e) die Gewährung von Zahlungserleichterungen.

 

Richtigerweise werden durch § 2 Abs. 2 COVInsAG-E die Regelungen des Absatz 1, Nr.1.-4 auch auf natürliche Personen angewendet, für die keine Antragsverpflichtung nach § 15a InsO besteht. Dies muss aber zur Vermeidung von Fehlinterpretationen auch sprachlich deutlich gemacht werden. Nicht nachvollziehbar ist jedoch die Einbeziehung aller Unternehmen in diese Privilegierung unabhängig vom Vorliegen eines Insolvenzgrundes. Daher ist der letzte Halbsatz ersatzlos zu streichen.

 

Der Text von § 2 Abs. 2 COVInsAG-E sollte daher wie folgt geändert werden:

Absatz 1 Nummer 2, 3 und 4 gilt auch für Unternehmen, die aufgrund ihrer Rechtsform keiner Antragspflicht unterliegen sowie für Schuldner, die weder zahlungsunfähig noch überschuldet sind.

 

§ 4 COVInsAG-E sollte ersatzlos entfallen. Eine verfassungsrechtlich und wirtschaftlich so bedeutsame Entscheidung sollte ausschließlich dem Parlament vorbehalten bleiben. Schon die Schutzfunktion der Antragspflicht für die Rechte der Gläubiger verbietet hier eine Übertragung auf den Verordnungsgeber.

 

Der Text von § 4 COVInsAG-E sollte daher wie folgt geändert werden:

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 1 und die Regelung zum Eröffnungsgrund bei Gläubigerinsolvenzanträgen nach § 3 bis höchstens 31. März 2021 zu verlängern, wenn dies aufgrund fortbestehender Nachfrage nach verfügbaren öffentlichen Hilfen, andauernder Finanzierungsschwierigkeiten oder sonstiger Umstände geboten erscheint.

 

2) In Art. 5 soll durch die Einfügung eines neuen 240 § 1 EGBGB ein umfangreicher Eingriff in alle Dauerschuldverhältnisse stattfinden, also z.B. Dienstverträge, Heimverträge, Telefonverträge, Versicherungsverträge, Schulverträge etc. Angewendet werden soll die Regelung auf Verbraucher, Kleinstunternehmen und kleine sowie mittlere Unternehmen (Abl. L 124 vom 20.5.2003, S. 36).

Nicht zuletzt verfassungsrechtlich geboten ist es, dass Regelungen eines Moratoriums nicht nur für Verbraucher und Unternehmen einer bestimmten Größenordnung, sondern für alle Unternehmen gelten. Wenn ein Moratorium erforderlich ist, dann trifft es alle Unternehmen.

Unabhängig von dem Geltungsbereich ist es erforderlich, Regelungen eines Moratoriums mit der Gewährung von Finanzierungshilfen zu verknüpfen, die nach den jüngsten Verlautbarungen jedenfalls von Bund und Ländern in großem Umfang angekündigt sind. Für ein Moratorium besteht kein Bedarf (mehr), wenn Unternehmen und Verbraucher Finanzierungshilfen erhalten haben, die sie wieder in die Lage versetzen sollen, ihren Zahlungsverpflichten nachzukommen. Geschieht dies nicht, besteht der Anreiz, Finanzierungshilfen für andere Zwecke als die Beseitigung der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie, also zweckwidrig zu verwenden. Moratorien sollten daher generell enden, wenn dem Schuldner Finanzierunghilfen zur Verfügung gestellt werden, um damit suspendierten Zahlungsverpflichtungen wieder nachzukommen.

 Im Kern soll ein Moratorium möglich sein, wenn bei Verbrauchern der angemessene Lebensunterhalt sonst nicht mehr gedeckt ist oder Unternehmen die Leistung nicht erbringen können bzw. bei Erbringung der Leistung wirtschaftlich selbst existenziell gefährdet wären. Korrektiv soll die Unzumutbarkeit beim Gläubiger sein. Im Ergebnis hat der Gläubiger seine Leistung weiter zur Verfügung zu stellen und wird aber ggfl. nicht bezahlt.

Das Risiko der wirtschaftlichen Folgen der Zahlungsaussetzung zum Schutz des Verbrauchers und Unternehmens wird so weitergegeben an andere Unternehmen. Bei diesen steigt dann das Insolvenzrisiko, so das ein Schneeballeffekt entsteht. Irgendjemanden werden die wirtschaftlichen Folgen treffen. Risiken werden nur verschoben, nicht gelöst, und im Gerichtswege langwierig als Abgrenzungsfragen zu den unbestimmten Begriffen Unzumutbarkeit und Gefährdung zu diskutieren sein. Ein einzelner Zahlungsausfall eines Schuldners mag für den Gläubiger zumutbar sein, erst das Zusammenspiel vieler Zahlungsausfälle führt zur Unzumutbarkeit. Das kann jedoch nicht gerichtlich effektiv geklärt werden, weil je nach Unternehmensgröße unzählige Geschäfte betroffen sind. Bis jedoch Rechtsstreite darüber geführt sind, ist keine Zahlung erfolgt und der Gläubiger selbst zahlungsunfähig. Mindestens muss deshalb klar geregelt werden, wer was zu beweisen hat und auch die Anwendungszeit dieses Moratoriums ist eng zu begrenzen (siehe Vorbemerkung).

 

Der Text von Art. 240 § 1 EGBGB – E sollte daher wie folgt geändert werden:

(1) Ein Verbraucher hat das Recht, Leistungen zur Erfüllung eines Anspruchs, der im Zusammenhang mit einem Verbrauchervertrag, der ein Dauerschuldverhältnis ist, steht, der vor dem 29. Februar 2020 geschlossen wurde, bis zum 30. Juni 2020 zu verweigern, wenn dem Verbraucher infolge von Umständen, die auf die Ausbreitung der Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) zurückzuführen sind, die Erbringung der Leistung ohne Gefährdung seines angemessenen Lebensunterhalts oder des angemessenen Lebensunterhalts seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht möglich wäre. Die Gefährdung des angemessenen Lebensunterhalts hat der Verbraucher zu beweisen.

(2) Ein Kleinstunternehmen im Sinne der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (ABl. L 124 vom 20.5.2003, S. 36) Ein Unternehmen hat das Recht, Leistungen zur Erfüllung eines Anspruchs, der im Zusammenhang mit einem Vertrag, der ein Dauerschuldverhältnis ist, steht, der vor dem 29. Februar 2020 geschlossen wurde, bis zum 30. Juni 2020 zu verweigern, wenn infolge von Umständen, die auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen sind,

  1. das Unternehmen die Leistung nicht erbringen kann oder
  2. dem Unternehmen die Erbringung der Leistung ohne Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlagen seines Erwerbsbetriebs nicht möglich wäre.

Die Unmöglichkeit der Leistungserbringung bzw. die Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlagen seines Erwerbsbetriebs bei Erbringung der Leistung hat das Unternehmen zu beweisen.

(3) Absatz 1 gilt nicht, wenn die Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts für den Gläubiger seinerseits unzumutbar ist, da die Nichterbringung der Leistung die wirtschaftliche Grundlage seines Gewerbebetriebs gefährden würde. Absatz 2 gilt nicht, wenn die Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts für den Gläubiger unzumutbar ist, da die Nichterbringung der Leistung zu einer Gefährdung seines angemessenen Lebensunterhalts oder des angemessenen Lebensunterhalts seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen oder der wirtschaftlichen Grundlagen seines Gewerbebetriebs führen würde. Wenn das Leistungsverweigerungsrecht nach Satz 1 oder 2 ausgeschlossen ist, kann der Schuldner vom Vertrag zurücktreten. An die Stelle des Rücktrittsrechts tritt bei Dauerschuldverhältnissen das Recht zur Kündigung.

Der Gläubiger hat die Unzumutbarkeit zu beweisen.

(4) Die Absätze 1 und 2 gelten ferner nicht

  1. im Zusammenhang mit Verträgen nach den §§ 2 und 3,
  2. im Zusammenhang mit Arbeitsverträgen,
  3. im Zusammenhang mit Pauschalreiseverträgen,
  4. für die Luft- oder Eisenbahnbeförderung von Personen,
  5. soweit im Einzelfall anwendbare Bestimmungen völkerrechtlicher Übereinkommen über die Beförderung von Gütern entgegenstehende Regelungen enthalten.
  6. wenn und soweit der Schuldner Mittel erhalten hat, die von Bund, Ländern oder Gemeinden zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie unmittelbar oder mittelbar über die Kreditwirtschaft bereitgestellt werden.

(5) Von den Absätzen 1 und 2 kann nicht zum Nachteil des Schuldners abgewichen werden.

 

Art. 240 § 2 EGBGB-E soll den Sonderfall der Beschränkung der Kündigung von Mietverhältnissen regeln.

Der Anwendungszeitraum ist, wie in der Vorbemerkung dargestellt, zu lang. Er ist zunächst auf 3 Monate zu begrenzen. Die Vermutungsregelung kann der Vermieter nicht widerlegen. Daher könnte § 2 massiv missbraucht werden. Ein Mieter kann 6 Monate lang keine Miete mehr zahlen allein gestützt auf die Vermutung, dass das im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie geschieht. Der Vermieter kann sich bei der Formulierung des § 2 nicht dagegen wehren, weil er keine Anhaltspunkte dagegen vorbringen kann; er kennt nicht die finanzielle Situation des Mieters und die Gründe. Wenn man einen Kündigungsschutz einführen möchte, dann muss wenigstens der Mieter belegen, dass die Nichtzahlung auf Folgen der COVID-19-Pandemie beruht.

Der allgemeine Grundsatz, dass derjenige der en Recht geltend macht, das Vorliegen der Voraussetzungen belegen muss, sollte beibehalten werden. Nur so kann ein Missbrauch verhindert werden und dennoch ein Kündigungsschutz gewährt werden. Andernfalls wird einseitig nur der Vermieter belastet. Auch hier wird nur das Risiko der finanziellen Belastung vom Mieter auf den Vermieter verlagert. Am Ende ist nicht der Mieter finanziell ruiniert, sondern der Vermieter. Im Bereich der Gewerbe, deren Geschäfte aufgrund behördlicher Anordnung nicht mehr geöffnet werden dürfen (Einzelhandel, Gastronomie etc.) ist dieser Beweis einfach zu führen. Auf der anderen Seite gibt es noch viele Unternehmen, die in Branchen tätig sind, deren Geschäfte geöffnet bleiben, aber dennoch erhebliche finanzielle Einbußen haben; hier erfordert die Risikoabwägung zwischen den Vertragspartnern einen Beweis von demjenigen, der sich auf den Kündigungsschutz beruft.

 

Der Text von Art. 240 § 2 EGBGB-E sollte daher wie folgt geändert werden:

(1) Der Vermieter kann ein Mietverhältnis über Grundstücke oder über Räume nicht allein aus dem Grund kündigen, dass der Mieter im Zeitraum vom 1. April 2020 bis 30. Juni 2020 trotz Fälligkeit die Miete nicht leistet, sofern die Nichtleistung auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht Der Zusammenhang zwischen COVID-19-Pandemie und Nichtleistung wird vermutet. und der Mieter das beweist. Sonstige Kündigungsrechte bleiben unberührt.

(2) Von Absatz 1 kann nicht zum Nachteil des Mieters abgewichen werden.
(3) Die Absätze 1 und 2 sind auf Pachtverhältnisse entsprechend anzuwenden.
(4) Die Absätze 1 bis 3 sind nur bis zum 30. September 2022 anzuwenden.

 

Anmerkung:

Diese Stellungnahme erweitert eine frühere Stellungnahme zu einem Vorentwurf.

 

Berlin, den 22.3.2020

 

Kontakt:

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Stellungnahme des VID zum Entwurf eines Gesetzes zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Hemmung der Unterbrechung strafgerichtlicher Hauptverhandlungen aufgrund des Coronavirus SARS- CoV-2

 

Vorbemerkung

Die Coronakrise stellt viele Unternehmen aktuell vor eine dramatische Belastung. Unser Berufsverband hat bereits mit einem Eckpunktepapier Vorschläge zur Abfederung der wirtschaftlichen und rechtlichen Folgen der Corona-Krise vorgelegt. Der Entwurf eines Corona-Insolvenzaussetzungsgesetzes – CorInSAG (im weiteren VorInSAG-E) versucht den Teilaspekt der Entschärfung der Insolvenzantragspflicht zu lösen. Mit diesem Gesetzesentwurf wird nur die Antragsverpflichtung der betroffenen Unternehmen, nicht aber das Antragsrecht der Gläubiger, suspendiert. Auch Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen privater und öffentlicher Gläubiger sind weiterhin möglich. Daher kann die Aussetzung der Insolvenzantragspflichten nur im Zusammenspiel mit weiteren und unter anderem in dem Eckpunktepapier unseres Berufsverbandes genannten Maßnahmen wirken.

 

Individuelle Betroffenheit

Die Definition der individuellen Betroffenheit – Eintritt eines Insolvenzgrunds aufgrund der Auswirkungen der Ausbreitung der Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus – stellt eine sachgerechte Abgrenzung gegenüber denjenigen Fällen dar, in denen die Insolvenzreife schon vor Einsetzen dieser Auswirkungen vorlag. Schwierig wird die Feststellung der individuellen Betroffenheit jedoch, sofern die Insolvenzreife nicht monokausal auf den Pandemiefolgen beruht.

Hier soll die gesetzliche Vermutung der Kausalität Abhilfe schaffen. Sie wird besondere Bedeutung erlangen, weil erfahrungsgemäß eine Insolvenzreife selten auf einen einzigen Faktor zurückzuführen ist. Kommt es nach suspendierter Insolvenzantragspflicht doch zu einer Insolvenz des betroffenen Unternehmens, wird deshalb die Frage einer Erschütterung der gesetzlichen Vermutung (vgl. § 292 ZPO) durch entsprechende Tatsachen bedeutsam werden. Kann der Beweis angetreten werden, dass die Insolvenzreife auch ohne die Pandemiefolgen eingetreten wäre oder bereits eingetreten war bevor sich diese Folgen auswirken konnten, dann entfällt die Schutzwirkung der suspendierten Antragspflicht. Dieser Nachweis wird durch die Rechtsprechung des BGH (vgl. zuletzt Urteil vom 31. Oktober 2019 -IX ZR 170/18, Rz.13 m. w. N.) begünstigt, wonach bei gesetzlichen Zahlungspflichten bereits die Nichtzahlung trotz Fälligkeit den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit indiziert.

Erfahrungsgemäß werden Insolvenzanträge in vielen Fällen um Monate zu spät gestellt. Eine möglichst präzise Bestimmung des genauen Zeitpunktes der Insolvenzreife wird mit Blick auf die hier gewählte Stichtagslösung deshalb in späteren Insolvenzverfahren schon wegen der damit verbundenen Haftungsfragen größere Bedeutung erlangen. Gleichzeitig würde die Inanspruchnahme staatlicher Finanzierungshilfen im (erst nachträglich festgestellten) Zustand der bereits vor dem Stichtag eingetretenen Insolvenzreife ein erhebliches zusätzliches Haftungsrisiko der Antragstellenden begründen.

 

Enthaftung vormals Antragspflichtiger

Vor dem geschilderten Hintergrund ist es richtig, dass der Entwurf eine Enthaftung vormals Antragspflichtiger in § 1 Abs. 2 CorInsAG-E gem. § 64 Satz 2 GmbHG, § 92 Absatz 2 Satz 2 AktG, § 130a Absatz 1 Satz 2, auch in Verbindung mit § 177a Satz 1 HGB und § 99 Satz 2 GenG vorsieht, soweit Zahlungen geleistet werden, die der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes dienen. Da der Entwurf zu Recht keine Aussetzung der Einzelzwangsvollstreckung durch Gläubiger vorsieht und auch eine Umstellung von Zahlungsbedingungen (Vorkasse) durch Lieferanten und Dienstleister zulässt (da anderes verfassungsrechtlich nicht zulässig sein dürfte und Folgeprobleme nach sich ziehen würde), könnte es vermehrt dazu kommen, dass Gläubiger von diesen Möglichkeiten Gebrauch machen, um die eigene Liquidität nicht zu gefährden. Werden daraufhin Zahlungen geleistet, um den Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten, dann sollte den Verantwortlichen hieraus kein persönliches Haftungsrisiko entstehen.

Die nachträgliche Feststellung einer von den Pandemiefolgen unabhängigen Insolvenzreife lässt demgegenüber das Haftungsrisiko konsequenterweise unberührt. Im Übrigen wird die auf einschlägige Rechtsprechung des BGH (deutlich restriktiver zuletzt im Urteil vom 4. Juli 2017 – II ZR 319/15) abzielende weite Zweckdefinition (Aufrechterhaltung des allgemeinen Geschäftsbetriebes) eine Einzelfallprüfung jeder Zahlung notwendig machen.

 

Kein Änderungsbedarf bei Insolvenzgründen und Insolvenzanfechtung

Mit der Suspendierung der Insolvenzantragspflicht geht der Entwurf einen systemkonformen Weg und verzichtet auf Änderungen oder Modifikationen der Insolvenzgründe. Damit wird gleichzeitig die verhaltenssteuernde Wirkung des an die Existenz von Insolvenzgründen anknüpfenden Insolvenzanfechtungsrechts bewahrt. Es verhindert die Fehlallokation der mit staatlicher Unterstützung ausgereichten Finanzhilfen und kann im weiteren Verlauf der Krise eine Bedeutung im Rahmen von möglicherweise nicht zu vermeidenden Insolvenzverfahren erlangen.

 

Kriterium für eine Suspendierung

Mit dem Tatbestandsmerkmal der begründeten Aussichten auf eine Sanierung aufgrund ernsthafter Finanzierungs- oder Sanierungsbemühungen des Antragspflichtigen führt § 1 Abs. 1 Satz 1 CorInSAG-E ein Kriterium ein, dass ebenfalls an die Rechtsprechung des BGH (vgl. Urteil vom 12.5.2016 – IX ZR 65/14) angelehnt ist. Dort beschränkt es das Insolvenzanfechtungsrisiko von Gläubigern, die sich an ernsthaften Sanierungsversuchen beteiligen und trägt so dazu bei, dass solche Sanierungsversuche die notwendige Unterstützung bekommen.

 

Dauer der Suspendierung

Anders als im Entwurf vorgeschlagen, sollte zunächst die Suspendierung auf einen Zeitraum von drei Monaten begrenzt werden. Sodann könnte aufgrund der Verordnungsermächtigung eine Verlängerung um weitere drei Monate erfolgen. Eine jetzt bereits in Aussicht gestellte Suspendierung von bis zu zwölf Monaten würde insbesondere für nicht unmittelbar durch die Coronakrise betroffenen Unternehmen falsche Signale setzen.

 

Nachbesserungsbedarf

Der VID versteht den Gesetzesentwurf als einen ersten Schritt, um die Folgen der Corona-Krise auch auf insolvenzrechtlicher Ebene zu lösen. Bereits die erste Phase der Suspendierung sollte genutzt werden, um weitere Detailfragen zu klären und Verwerfungen bei der Anwendung des über die Jahrzehnte hinweg sehr ausdifferenzierten Sanierungs- und Insolvenzrechts zu vermeiden. Wir sprechen hier ausdrücklich die Fragen der Gläubigeranträge, der Einzelzwangsvollstreckung, Kündigungssperren nach § 112 InsO bereits im Vorfeld sowie strafrechtliche (§266a StGB) und steuerrechtliche Fragen (Privilegierung von Sanierungskrediten etc.) an.

 

Fazit und weitere Vorschläge

Mit dem vorgelegten Entwurf ergreift die Bundesregierung richtigerweise rechtliche Notmaßnahmen zur Bewältigung der Coronakrise. Die temporäre Aussetzuung der Insolvenzantragspflicht und die damit verbundene Enthaftung ist aber nur ein begrentzter Baustein zur Krisenbewältigung. Aufgrund der gebotenen Eile und der Zahl betroffener Unternehmen dürften die geschilderten Risiken noch vertretbar sein. Sie sollten jedoch in kürzerer Frist nach einer Evaluation durch differenziertere Regelungen abgelöst werden, die das mit den Folgen der Krise verbundene Insolvenzrisiko angemessen verteilen und größere Verwerfungen vermeiden. Damit wird auch verhindert, dass in einzelnen Fällen langwierige aber voraussichtlich erfolglose Sanierungsversuche zu einer entsprechend längeren Suspendierung von Antragsfristen führen können.

 

Die Ergänzende Stellungnahme des VID zum Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht finden Sie hier.

 

Berlin, den 21.3.2020

 

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VID-Stellungnahme zum RefE des JVEG-Änderungsgesetzes 2020

Stellungnahme des Verbandes Insolvenzverwalter Deutschlands e.V. (VID)
zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes[1]
(JVEG-Änderungsgesetz 2020 – JVEG-ÄndG 2020)

 

Die mit dem vorliegenden Referentenentwurf (nachfolgend Ref-E) geplante Anpassung der gesetzlichen Vergütung dient dazu, die vergütungsrechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass den Gerichten und Staatsanwaltschaften weiterhin qualifizierte Sachverständige in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen.

Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich auf die vorgeschlagenen Änderungen zum insolvenzrechtlichen Sachverständigen. Der VID hatte bereits im Vorfeld des Ref-E ausführlich im Rahmen der Verfahren zur Überprüfung der Vergütungsregelungen des JVEG für Sachverständige Stellung genommen.[2]

 

A. Vorbemerkung

Der VID begrüßt ausdrücklich, dass sich der Verordnungsgeber des überfälligen Themas der Besonderheiten und der Anpassung der Vergütung des insolvenzrechtlichen Sachverständigen angenommen hat.

So sieht § 9 Abs. 4 JVEG des Ref-E vor: „Das Honorar des Sachverständigen für die Prüfung, ob ein Grund für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vorliegt und welche Aussichten für eine Fortführung des Unternehmens des Schuldners bestehen (§ 22 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3, auch in Verbindung mit Absatz 2 der Insolvenzordnung) beträgt 120 Euro je Stunde. Ist der Sachverständige zugleich der vorläufige Insolvenzverwalter, so beträgt sein Honorar 95 Euro je Stunde.“

 

B. Im Einzelnen

I. Vergütung des sog. isolierten Sachverständigen

Die Kritik[3] daran, dass es bislang an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung zur Vergütung des isolierten Sachverständigen, d.h. des insolvenzrechtlichen Sachverständigen, der in einem Insolvenzantragsverfahren nicht zugleich zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt ist, fehlt, wurde aufgegriffen. Die geplante Neuregelung reduziert die Rechtsunsicherheiten, die bislang aufgrund der unterschiedlichen regionalen Handhabung durch die Gerichte bestehen.

Im Hinblick auf die Höhe des Vergütungsanspruches führt die Begründung des Entwurfs[4] aus, dass sich der Stundensatz (120,00 €) an den Stundensätzen für die betriebswirtschaftlichen Sachgebiete der Anlage 1 orientiere und zudem berücksichtige, dass der isolierte insolvenzrechtliche Sachverständige, anders als der Sachverständige, der zugleich vorläufiger Insolvenzverwalter sei, neben der Sachverständigenvergütung nicht noch einen weiteren Vergütungsanspruch habe.

Ausweislich der vorgeschlagenen Stundensätze für die betriebswirtschaftlichen Sachgebiete (Nr. 6) der Anlage 1 (Teil 1), die von 140,00 € (Nr. 6.1 Unternehmensbewertung, Betriebsunterbrechungs- und -verlagerungsschäden), über 115,00 € (Nr. 6.2 Besteuerung) bis zu 110,00 € (Nr. 6.3 Rechnungswesen sowie Nr. 6.4 Honorarabrechnung von Steuerberatern) reichen, ist der vorgeschlagene Stundensatz (120,00 €) damit jedoch lediglich im unteren Mittel dieses Sachgebietes angesiedelt.

Der Entwurf berücksichtigt damit nicht in ausreichendem Maße, dass der Schwerpunkt der Tätigkeit[5] des insolvenzrechtlichen Sachverständigen gerade im betriebswirtschaftlichen Sachgebiet Nr. 6.1 (Unternehmensbewertung, Betriebsunterbrechungs- und –verlagerungs-schäden) liegt.

Ferner fehlt es an der Berücksichtigung des Umstandes, dass die Tätigkeit des insolvenzrechtlichen Sachverständigen neben insolvenzrechtlichen Kenntnissen ohnehin auch vertiefte Kenntnisse im Steuer-, Arbeits-, Handels-, Gesellschafts- und Immobilienrecht erfordert.

Eine Orientierung an den betriebswirtschaftlichen Sachgebieten der Anlage 1 würde selbst im Mittel bereits einen Mindeststundensatz von 125,00 € bedeuten.

 

II. Vergütung des zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellten Sachverständigen

Der Entwurf sieht zudem vor, das Stundenhonorar des Sachverständigen, der zugleich zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt wurde, von derzeit 80,00 € auf künftig 95,00 € zu erhöhen. In der Begründung wird dazu ausgeführt, dass § 9 Abs. 4 Satz 2 Ref-E die Regelung des bisherigen § 9 Abs. 2 JVEG übernimmt und die Erhöhung des Honorarstundensatzes unter Berücksichtigung der Entwicklung der tariflichen Verdienste im produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich erfolgt.[6]

Ausweislich der Gesetzesbegründung[7] des bisherigen § 9 Abs. 2 JVEG orientierte sich die Höhe des Honorars (80,00 €/h) bislang – wie schon im zuvor geltenden Recht – an der Honorargruppe 4 der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 JVEG, mithin den Honorarstundensätzen für folgende Sachgebiete: Nr. 2 (Akustik/Lärmschutz), Nr. 3 (Altlasten und Bodenschutz), Nr. 4.1 (Planung (Bauwesen)), Nr. 8 (Brandursachenermittlung), Nr. 11 (Elektrotechnische Anlagen und Geräte), Nr. 13.3 (Schadenfeststellung, -ursachenermittlung und -bewertung (bzgl. Garten- und Landschaftsbau einschl. Sportanlagenbau)), Nr. 29 (Schiffe/Wassersportfahrzeuge).

Für diese Sachgebiete sieht der Ref-E unterschiedliche Erhöhungen auf Stundensätze von 90,00 € – 120,00 € vor. Der Mittelwert der Erhöhungen für die genannten Sachgebiete (der bisherigen Honorargruppe 4) beträgt 105,00 €/h.

Für den insolvenzrechtlichen Sachverständigen soll die Erhöhung des Honorarstundensatzes jedoch unter Berücksichtigung der Entwicklung der tariflichen Verdienste im produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich erfolgen.

Eine Erläuterung zum Anpassungsmaßstab der Entwicklung der Tarifverdienste im produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich findet sich in der Begründung des Ref-E lediglich bei der Anpassung der Vergütung für medizinische und psychologische Sachverständigenleistungen: „Seit der letzten Anpassung der JVEG-Sätze im III. Quartal 2013 bis zum II. Quartal 2019 sind die vorbezeichneten Tarifverdienste um 15,7 Prozent gestiegen. Bei Fortschreibung dieser Entwicklung ergibt sich bis zum angenommenen Inkrafttreten der nunmehr vorgeschlagenen Änderungen im Januar 2021 insgesamt ein Erhöhungsvolumen von rund 20%.“[8] Dies vor dem Hintergrund, dass die Vergütungen für medizinische und psychologische Sachverständigenleistungen mangels eines als Referenzgröße geeigneten freien Marktes nicht in die Marktanalyse einbezogen wurden.

Die Orientierung an der Erhöhung der Entwicklung der tariflichen Verdienste im produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich führt mithin dazu, dass die Erhöhung (von 80,00 €/h auf 95,00  €/h) bereits deutlich unter der durchschnittlichen Erhöhung der bisherigen Sachgebiete der Honorargruppe 4 der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 JVEG (105,00 €/h) liegt.

Soweit die Begründung des Ref-E[9] zudem darauf abstellt, dass der Sachverständige, der zugleich vorläufiger Insolvenzverwalter ist, neben der Sachverständigenvergütung noch einen weiteren Vergütungsanspruch habe, sind die Fälle nicht berücksichtigt, in denen eine Kompensation des überdurchschnittlichen Aufwandes des Sachverständigen durch Zuschläge auf die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters nicht stattfindet.[10] Die vom VID dazu bereits im Vorfeld angeregte Klarstellung nimmt der Ref-E bislang nicht auf.

 

III. Vergütung des zum vorläufigen Sachwalter bestellten Sachverständigen

Ferner sieht der Ref-E keine explizite Regelung für den Sachverständigen vor, der zugleich zum vorläufigen Sachwalter bestellt wurde. Auch hier hatte sich der VID bereits im Vorfeld des Ref-E für eine solche explizite Regelung ausgesprochen.[11]

Zur Höhe der Vergütung des vorläufigen Sachwalter-Sachverständigen regte der VID bereits an, den vorläufigen Sachwalter bei seiner gutachterlichen Tätigkeit deutlich höher einzuordnen als den Sachverständigen, der zugleich als vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt ist, weil sein Aufgabenkreis gegenüber dem vorläufigen Insolvenzverwalter reduziert ist und er deshalb nicht die gleichen Paralleleffekte erzielen kann, die eine Bestellung zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit sich bringen. Der VID hatte dazu vorgeschlagen, dass das Stundenhonorar des vorläufigen Sachwalter-Sachverständigen 15,00 €/h mehr als das des vorläufigen Insolvenzverwalter-Sachverständigen betragen sollte.[12]

 

IV. Fazit 

  1. Mit den vorgeschlagenen Änderungen korrigiert der Entwurf einige Lücken im Bereich der Vergütung des insolvenzrechtlichen Sachverständigen.
  1. Die Korrektur der Vergütungssätze ist angesichts der in anderen Bereichen konzipierten Erhöhungen im Wertungsvergleich zu niedrig angesetzt.
  1. Die dringend gebotene eigenständige Regelung für den zum vorläufigen Sachwalter bestellten Sachverständigen sollte im weiteren Gesetzgebungsverfahren ergänzt werden.

 

 Berlin, 26.02.2020

 

[1] Bearbeitungsstand 17.12.2019, 14:08 Uhr.

[2] Vgl. VID-Stellungnahme zur Überprüfung der Vergütungsregelungen des JVEG für Sachverständige vom 28.03.2017 abrufbar unter https://www.vid.de/wp-content/uploads/2017/03/vid-stellungnahme-zur-ueberpruefung-der-verguetungsregelungen-des-jveg-fuer-sachverstaendige.pdf sowie VID-Stellungnahme zur Überprüfung der Vergütungsregelungen des Justizvergütungs-und -entschädigungsgesetzes(JVEG) für Sachverständige (hier: §§ -Teil des JVEG) vom 11.01.2019 abrufbar unter https://www.vid.de/wp-content/uploads/2019/01/vid-stn-%C2%A7%C2%A7-teil-d.-jveg.pdf

[3] Vgl. Fn. 2.

[4] Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Justizvergütungs- und entschädigungsgesetzes, Begründung S. 19.

[5] Ausführlich zur Beschreibung und Einordnung der Tätigkeit des insolvenzrechtlichen Sachverständigen bereits VID-Stellungnahme vom 28.03.2017, S. 4-5.

[6] Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Justizvergütungs- und entschädigungsgesetzes, Begründung S. 19.

[7] Begründung des Gesetzesentwurfes zum 2. KostRMoG (BT-Drs. 17/11471 (neu) vom 14.11.2012), dort S. 260.

[8] Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Justizvergütungs- und entschädigungsgesetzes, Begründung S. 15 (und 27).

[9] Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Justizvergütungs- und entschädigungsgesetzes, Begründung S. 19.

 [10] Dazu ausführlich VID-Stellungnahme zur Überprüfung der Vergütungsregelungen des Justizvergütungs- und
-entschädigungsgesetzes (JVEG) für Sachverständige (hier: §§-Teil des JVEG) vom 11.01.2019, dort S. 9.

[11] Vgl. VID-Stellungnahme zur Überprüfung der Vergütungsregelungen des Justizvergütungs-und -entschädigungsgesetzes (JVEG) für Sachverständige (hier: §§-Teil des JVEG) vom 11.01.2019, dort S. 10.

[12] Vgl. VID-Stellungnahme vom 11.01.2019, S. 10: „Mit Blick auf eine  evtl. künftige gesetzliche Regelung der Vergütung des vorläufigen Sachwalters sollte durch eine Ergänzung des § 9 Abs. 2 JVEG ausdrücklich eine Einordnung wie bisher durch die Rechtsprechung für den sog. isolierten Sachverständigen in der Honorargruppe 7 erfolgen, denn es erscheint nach den praktischen Erfahrungen mit der aktuellen Rechtslage fraglich, ob dies im Rahmen des § 9 Abs. 1 S. 3 JVEG allein durch einen entsprechenden Hinweis in der Gesetzesbegründung geschehen kann.“

Pfändungsschutzkonto-Fortentwicklungsgesetz – PKoFoG

 

A. Vorbemerkung

Der vorliegende Referentenentwurf[1] (nachfolgend RefE) soll neben der Lösung der im Schlussbericht der Evaluierung zur Reform des Kontopfändungsschutzes[2] angesprochenen Praxisprobleme und einer transparenteren Gestaltung des Kontopfändungsschutzes auch dazu dienen, vollstreckungsrechtliche Themen aufzugreifen.[3] Im Hinblick auf eine etwaige Insolvenz des Schuldners beschränkt sich der RefE auf eine Änderung des § 36 Abs. 1 InsO.

Der Vorschlag ist grundsätzlich zu begrüßen, reicht jedoch nicht aus, um die praktischen Probleme des Pfändungsschutzkontos in der Insolvenz des Schuldners einer ausreichenden Lösung zuzuführen.

 

B. Im Einzelnen

I. Änderung der Insolvenzordnung (Art. 2 RefE)
§ 36 Abs. 1 Satz 3 (neu) RefE

Der RefE sieht vor § 36 Abs. 1 InsO folgenden Satz 3 anzufügen: „Verfügungen des Schuldners über ein Kontoguthaben, das nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Wirkungen des Pfändungsschutzkontos nicht von der Pfändung erfasst wird, bedürfen zu ihrer Wirksamkeit nicht der Freigabe dieses Kontoguthabens durch den Insolvenzverwalter.“[4]

Die Begründung des RefE führt dazu u.a. aus, dass es sich (lediglich) um eine Klarstellung handele, wonach es (….) zur Wirksamkeit von Verfügungen des Schuldners hinsichtlich der nach den Vorschriften über das P-Konto nicht von der Pfändung erfassten Teile des Kontoguthabens keiner Freigabe durch den Insolvenzverwalter bedarf, der in diesem Sinne ohnehin nicht tätig werden darf; wie im Verfahren der Einzelzwangsvollstreckung treten die Wirkungen des P-Kontos vielmehr kraft Gesetzes ein.“[5]

a)

Auch wenn die Klarstellung, dass eine Freigabe des Kontoguthabens durch den Insolvenzverwalter nicht notwendig ist, implizit unterstellt, dass das Pfändungsschutzkonto auch bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens fortbesteht, fehlt es dazu – wie bisher – an einer ausdrücklichen gesetzlichen Klarstellung.

Eine gesetzliche Klarstellung zum Fortbestand des Pfändungsschutzkontos auch bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wäre jedoch hilfreich:

Grundlage des Pfändungsschutzkontos ist ein Girokonto. Durch eine vertragliche Abrede zwischen kontoführendem Kreditinstitut und Kontoinhaber tritt die im Gesetz (§ 850k ZPO) vorgesehene vollstreckungsschützende Wirkung für dieses Konto ein.

Zum Girokonto hatte der BGH zuletzt in seiner Entscheidung vom 21. Februar 2019 (IX ZR 246/17) ausgeführt: „Ein Girokonto wird aufgrund eines Girovertrags geführt. Bei diesem handelt es sich um einen Zahlungsdiensterahmenvertrag gemäß § 675f Abs. 2 BGB (…) und damit um einen Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 Abs. 1, § 675c Abs. 1 BGB). Als solcher erlischt der Girovertrag gemäß §§ 115, 116 InsO durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2006 – XI ZR 21/06, BGHZ 170, 121 Rn.11; vom 5. März 2015-IX ZR 164/14, WM 2015, 733 Rn.9). Eine Weiterführung des Kontos nach Insolvenzeröffnung ist nur im Rahmen eines neuen Girovertrags möglich; dieser kann auch konkludent geschlossen werden durch beiderseitige Fortführung der Geschäftsbeziehung (…)“ [6]

Vielfach wird vertreten, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Bestand des dem Pfändungsschutzkonto zugrunde liegenden Girokontovertrages nicht berührt und die §§ 115, 116 InsO nach ihrem Sinn und Zweck nicht anwendbar seien.[7] Herzuleiten ist diese Auslegung nur inzident aus dem nach §  115 Abs. 1 InsO für dessen Anwendbarkeit erforderlichen Massebezug. Auch bei einem Pfändungsschutzkonto ist aber ein Massebezug nicht per se ausgeschlossen, weil Guthaben oberhalb des Freibetrages dem Insolvenzbeschlag unterliegt.

Die Ausnahmen zu den § 115, 116 InsO finden sich bislang in § 108 InsO.

Als Ausnahmeregelung ist diese Vorschrift eng auszulegen, so dass eine gesetzliche Klarstellung zum Fortbestand des Pfändungsschutzkontos bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens an dieser Stelle dringend angezeigt wäre, um die notwendige Rechtssicherheit herzustellen.

b)

Die Begründung des RefE führt weiter aus, dass nach § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht der Zwangsvollstreckung unterliegende Vermögensgegenstände des Schuldners, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, nicht zur Insolvenzmasse gehören und „Soweit somit nach den Regelungen zum P-Konto bestimmte Teile von Guthaben auf dem als P-Konto geführten Zahlungskonto des Schuldners nicht von der Pfändung im Wege der Einzelzwangsvollstreckung erfasst werden, wird klargestellt, dass der Schuldner auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens hierüber verfügen kann. Dies gilt unabhängig davon, ob die Pfändungsfreiheit auf dem Grundfreibetrag, dem Nachweis weiterer pfändungsfreier Beträge oder einer Entscheidung des Vollstreckungsgerichts beruht. (…) Die Abgrenzung zwischen von der Pfändung nicht erfassten Bestandteilen des Guthabens und solchen, die der Masse zugehörig sind, hat das Kreditinstitut nach denselben Kriterien wie bei der Kontenpfändung im Wege der Einzelzwangsvollstreckung vorzunehmen. Diejenigen Teile des Kontoguthabens, für die Pfändungsschutz nach Maßgabe der Vorschriften über die Wirkungen des P-Kontos nicht besteht oder später entfällt, werden somit vom Insolvenzbeschlag erfasst und sind grundsätzlich an den Insolvenzverwalter auszukehren.“ [8]

Das in der Praxis häufig geschilderte Problem der Verstrickung im Insolvenzverfahren aufgrund einer Kontopfändung aus der Zeit vor Eröffnung des Verfahrens spricht der RefE nicht an. Soweit aus der Praxis der nachvollziehbare Wunsch geäußert wird, die Verstrickung mit Insolvenzeröffnung (automatisch) zu lösen, ist jedoch auf die Entscheidung des BGH[9] vom 21.09.2017 hinzuweisen, wonach die Wirkungen der Verstrickung im Insolvenzverfahren fortdauern, bis sie auf einem dafür vorgesehenen Weg beseitigt worden sind.

In seiner Begründung führte der BGH dazu aus: Weiter ist zum Schutz des pfändenden Gläubigers vor unzumutbaren Eingriffen erforderlich, die durch die Pfändung bewirkte öffentlich-rechtliche Verstrickung nicht weiter als erforderlich zu begrenzen. Der Gesetzgeber darf den durch Art. 14 Abs. 1 GG erfassten Rechtsschutzanspruch des Vollstreckungsgläubigers und seine durch die Zwangsvollstreckung erlangte Rechtsposition nur beschränken, so weit und so lange überwiegende Gründe dies zwingend erfordern (…). Daher wird die öffentlich-rechtliche Verstrickung nicht bereits durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unwirksam. Dies bedarf vielmehr einer entsprechenden Handlung, damit einerseits geklärt ist, ob der entsprechende Vermögenswert tatsächlich für die Zwecke des Insolvenzverfahrens benötigt wird und andererseits für den pfändenden Gläubiger Klarheit herrscht, ob ein Wiederaufleben des Pfändungspfandrechts nach Beendigung des Insolvenzverfahrens noch möglich ist oder es hierzu weiterer Handlungen bedarf. Dies gilt umso mehr, als die Rückschlagsperre unabhängig von der Rechtskraft des Eröffnungsbeschlusses eintritt (…). Zum Schutz des Gläubigers erfasst dies nicht die öffentlich-rechtliche Verstrickung. Diese muss durch einen gesonderten Akt beseitigt werden, weil andernfalls die Sicherheit auch bereits bei einem auf Rechtsmittel aufgehobenen Eröffnungsbeschluss unwiederbringlich mit Rangverlust verloren wäre. Solange die öffentlich-rechtliche Verstrickung nicht gerichtlich aufgehoben worden ist, kann das Pfändungspfandrecht nach Beendigung des Insolvenzverfahrens wieder wirksam werden (…). Erst wenn und soweit die Pfändung zwischenzeitlich aufgehoben worden ist und damit die öffentlich-rechtliche Verstrickung beseitigt wurde, bedarf es einer erneuten Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses (…).[10]

Fällt die Verstrickung nicht automatisch mit Insolvenzeröffnung weg, stellt sich beim Pfändungsschutzkonto auch die Frage, ob zur Durchsetzung ihrer Beseitigung der Insolvenzverwalter verpflichtet und aktivlegitimiert sein soll, obwohl die Insolvenzmasse nur bezüglich Guthaben über dem Freibetrag betroffen ist und ein gerichtliches Vorgehen möglicherweise nicht finanzieren kann, oder ob die Zuständigkeit dem Schuldner zukommt, der ohne entsprechende Beratung hiervon überfordert sein dürfte.

 

II. Weiterer Regulierungsbedarf

Im Hinblick auf die Bestimmung der Pfändungsfreibeträge auf dem Pfändungsschutzkonto des Schuldners wird angeregt, die Zuständigkeit während des Insolvenzverfahrens künftig dem Insolvenzgericht zu übertragen.

 

Berlin, den 15.11.2019

[1] Referentenentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Rechts des Pfändungsschutzkontos und zur Änderung von Vorschriften des Pfändungsschutzes, Bearbeitungsstand 27.09.2019, 14:16 Uhr.

[2] Evaluationsbericht abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Artikel/DE/2016/02162016_Evaluierung_PKonto.html.

[3] Vgl. RefE S. 1 (unter A. Problem und Ziel).

[4] RefE, S. 20.

[5] RefE, S. 67.

[6] BGH IX ZR 246/17, Rz. 11.

[7] Hirte/Praß in Uhlenbruck, InsO-KO, 15. Aufl. 2019, § 36, Rz. 39 mit Verweis auf LG Verden (NZI 2014, 36) und AG München (VuR 2015. 68), Ahrendt in Hamb-KO zum InsR, 7. Aufl. 2019, § 116, Rz. 9.

[8] RefE, S. 67.

[9] BGH IX ZR 40/17, LS b).

[10] BGH IX ZR 40/17, Rz. 18-20.

 

RefE 7. SGB IV-ÄndG: geplante Änderungen der §§ 314 ff. SGB III (Insolvenzgeldbescheinigungen)

A. Vorbemerkung

Der vorliegende Referentenentwurf (RefE[1]) sieht neben Änderungen des SGB IV auch Änderungen des SGB III vor. Die nachfolgende Stellungnahme beschränkt sich ausschließlich auf die geplanten Änderungen der §§ 314 ff. des SGB III, die für den Sachwalter u.a. neue Pflichten zur Erstellung von Insolvenzgeldbescheinigungen sowie der Berechnung und Auszahlung von Insolvenzgeld analog zu den bestehenden Pflichten von Insolvenzverwaltern vorsehen.

B. Im Einzelnen

 I. zu § 314 Abs. 2 SGB III-RefE (Insolvenzgeldbescheinigung)

§ 314 Abs. 2 SGB III-RefE sieht vor, dass in den Fällen der Anordnung der Eigenverwaltung und der Bestellung einer Sachwalterin oder eines Sachwalters (§ 270 c Satz 1 InsO) die Pflichten der Insolvenzverwalterin, bzw. des Insolvenzverwalters von der Sachwalterin, bzw. dem Sachwalter zu erfüllen sind. In der Begründung des Entwurfes heißt es dazu:

„Für die Rechtsstellung der Sachwalterin oder des Sachwalters gelten die für die Insolvenzverwalterin oder den Insolvenzverwalter getroffenen Regelungen (§  274 der Insolvenzordnung). Auf Grund seiner Überwachungsaufgaben und umfassenden Informationsrechte ist die Sachwalterin oder der Sachwalter auch in der Lage die Insolvenzgeldbescheinigung zu erstellen.“[2]

Der Entwurf unterstellt damit, dass die Rechtsstellung des Sachwalters mit der des Insolvenzverwalters hinreichend vergleichbar sei. Dies entspricht nicht der aktuellen Rechtslage. Die Rechtsstellung des Sachwalters (§ 274 InsO) ist wie folgt geregelt:

(1) Für die Bestellung des Sachwalters, für die Aufsicht des Insolvenzgerichts sowie für die Haftung und die Vergütung des Sachwalters gelten § 27 Absatz 2 Nummer 4, § 54 Nummer 2 und die §§ 56 bis 60, 62 bis 65 entsprechend.

(2) Der Sachwalter hat die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu prüfen und die Geschäftsführung sowie die Ausgaben für die Lebensführung zu überwachen. § 22 Abs. 3 gilt entsprechend.

(3) Stellt der Sachwalter Umstände fest, die erwarten lassen, dass die Fortsetzung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, so hat er dies unverzüglich dem Gläubigerausschuss und dem Insolvenzgericht anzuzeigen. Ist ein Gläubigerausschuss nicht bestellt, so hat der Sachwalter an dessen Stelle die Insolvenzgläubiger, die Forderungen angemeldet haben, und die absonderungsberechtigten Gläubiger zu unterrichten.

Der in § 274 Abs. 2 Satz 2 InsO in Bezug genommene § 22 Abs. 3 InsO führt zu den Rechten des Sachwalters aus:

Der vorläufige Insolvenzverwalter ist berechtigt, die Geschäftsräume des Schuldners zu betreten und dort Nachforschungen anzustellen. Der Schuldner hat dem vorläufigen Insolvenzverwalter Einsicht in seine Bücher und Geschäftspapiere zu gestatten. Er hat ihm alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen und ihn bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen; die §§ 97, 98, 101 Abs. 1 Satz 1, 2, Abs. 2 gelten entsprechend.

Diese Rechte des Sachwalters werden ergänzt durch die ebenfalls mit dem Verweis auf §§ 97, 98, 101 Abs. 1 Satz 1, 2, Abs. 2 angesprochenen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners.

Auch wenn für die Bestellung, Aufsicht, Haftung und Vergütung des Sachwalters (vgl. § 274 Abs. 1 InsO) gesetzliche Regelungen zum Insolvenzverwalter entsprechend gelten[3], zeigt sich anhand des § 274 Abs. 2 und 3 InsO deutlich, worin sich die Aufgaben der beiden unterscheiden. Der Sachwalter hat lediglich Prüfungs-, Aufsichts-, Überwachungs-, Anzeige- und Unterrichtungspflichten. Seine Rechtsstellung ist wegen der nach wie vor weiter bestehenden Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners von der des Insolvenzverwalters abzugrenzen.[4] 

Auch der BGH hat 2016, bzw. 2017[5] festgehalten, dass sich die Tätigkeit des (vorläufigen) Sachwalters im Wesentlichen auf Kontroll- und Überwachungsfunktionen, die durch eine Beratungsfunktion ergänzt werden können, beschränkt.[6]

Weitergehende Vorschläge, die auch eine Erweiterung der Aufgaben des Sachwalters im Hinblick auf das Insolvenzgeld beinhalten, werden zwar derzeit im Rahmen der sog. ESUG-Evaluation diskutiert.[7] Die Befunde dieser Evaluation stehen hier jedoch im Zusammenhang mit festgestellten Defiziten bei der Befähigung eigenverwaltender Schuldner.

Die Anordnung der Eigenverwaltung (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO) setzt voraus, dass keine Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Dies wird allgemein so verstanden, dass der Schuldner – ggf. unter Einsatz geeigneter Berater – über die notwendige Geschäftskunde und Erfahrung verfügen muss, um u.a. die insolvenzrechtlichen Anforderungen der Verfahrensabwicklung selbst zu bewältigen.[8]Die Eigenverwaltung setzt selbstverständlich eine insolvenzrechtliche Expertise des Schuldners voraus. Ob der Schuldner oder seine Geschäftsführung sich diese Expertise selbst verschaffen oder zu diesem Zweck einen Berater anstellen, dem sie Generalvollmacht erteilen, ist unerheblich (…)“, so auch der BGH[9].

Zur insolvenzrechtlichen Expertise gehören auch die Organisation der Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes und die Erstellung der Insolvenzgeldbescheinigungen. Ist der Schuldner hierzu nicht eigenverantwortlich – ggf. mit Beratern – in der Lage, spricht dies gegen seine Befähigung zur Verfahrensabwicklung in Eigenverwaltung.

Die Einführung einer gesetzlich vorgesehenen Einbindung des Sachwalters für die Erstellung der Insolvenzgeldbescheinigungen würde diese grundlegende Voraussetzung für eine Eigenverwaltung in Frage stellen.

Gleichzeitig würde sie auch die weitere Frage aufwerfen, ob die in Fällen der Betriebsfortführung unabweisbare Insolvenzgeldvorfinanzierung bei einem Kreditinstitut künftig ebenfalls durch den Sachwalter durchgeführt werden müsste. Die in solchen Fällen durch Insolvenzverwalter üblicherweise geschlossenen Finanzierungsvereinbarungen setzen regelmäßig eine Mithaftung des kontrahierenden Insolvenzverwalters voraus, der ein Vertrauen in die eigene Person und die von ihm gemachten Angaben in Anspruch nimmt. Die finanzierenden Kreditinstitute würden ihre Bereitschaft zum Abschluss entsprechender Vereinbarungen künftig von den Angaben der gesetzlich verantwortlichen Sachwalter und nicht der eigenverwaltenden Schuldner abhängig machen. Sie würden zudem aus Haftungsgründen einen Selbsteintritt des Sachwalters als Vertragspartner der getroffenen Finanzierungsvereinbarung einfordern.

Dieser erweiterten Haftung des Sachwalters stünden jedoch keine erweiterten Eingriffs- und Kontrollrechte gegenüber, wie sie § 21 Abs. 2 Ziff. 2 InsO und § 80 Abs. 1 InsO für den Insolvenzverwalter vorsehen. Der Sachwalter wäre weiterhin nur auf die oben dargestellten Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners angewiesen, ohne dessen Verhalten selbst steuern zu können. Eine Durchsetzung dieser Mitwirkungspflichten nach § 98 InsO, etwa zur Darstellung der notwendigen Angaben über die Sanierungsaussichten, wäre in jedem Fall nur mit gerichtlicher Hilfe möglich.

Auch nach einer Verfahrenseröffnung widerspräche diese Situation der in § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO vorgenommenen gesetzlichen Aufgabenverteilung zwischen dem eigenverwaltenden Schuldner und einem lediglich zur Aufsicht eingesetzten Sachwalter. Der mithaftende Sachwalter hätte keine Möglichkeit, auf die Abrechnung des Darlehensvertrags durch den Schuldner Einfluss zu nehmen.

Im Ergebnis würden viele Sachwalter die Mitwirkung bei einer Insolvenzgeldvorfinanzierung des Schuldners verweigern. Betriebsfortführungen wären in solchen Fällen kaum mehr möglich.     

II. zu § 316 Abs. 1 und 2 SGB III-RefE (Auskunftspflicht bei Leistung von Insolvenzgeld) und § 320 Abs. 2 SGB III-RefE (Berechnungs-, Auszahlungs-, Aufzeichnungs- und Anzeigepflichten)

Mit den hier vorgesehenen Auskunfts,- Berechnungs,- und Anzeigepflichten ist die dargestellte gesetzliche Kompetenz des Sachwalters bereits ausgeschöpft.
Eine Auszahlungspflicht scheitert an der mangelnden Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Sachwalters. Im Rahmen der Eigenverwaltung bleibt der Schuldner auch im vorläufigen Verfahren allein befugt, entsprechende Auszahlungen vorzunehmen.

Sofern auf die Möglichkeit der Übernahme der Kassenführung durch den Sachwalter (§ 275 Abs. 2 InsO[10]) abgestellt wird, sei auf Folgendes hingewiesen:
Bei der Regelung des § 275 Abs. 2 InsO handelt es sich um eine sog. „Kann-Vorschrift“, die  im pflichtgemäßen Ermessen des Sachwalters steht.[11] Ein Anlass für die Übernahme der Kassenführung liegt dann vor, wenn zu befürchten steht, dass der Schuldner seine insolvenzrechtlichen Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt[12] und Gläubigerinteressen gefährdet sein könnten.[13] Übernimmt der Sachwalter die Kassenführung, handelt es sich um einen rein internen Vorgang zwischen (eigenverwaltendem) Schuldner und dem Sachwalter. „Übernimmt der Sachwalter die Aufgabe der Kassenführung, handelt er insoweit als gesetzlicher Vertreter des Schuldners“; im Außenverhältnis wird durch die Aufgabenübernahme jedoch die Vermögens- und Verfügungsbefugnis des Schuldners nicht beseitigt. [14] Etwaige (Aus-)Zahlungen des Sachwalters als gesetzlichen Vertreter des Schuldners, verpflichten – soweit kein Missbrauch der Vertretungsmacht vorliegt – damit (ausschließlich) den Schuldner. „Der Sachwalter tritt auch nicht gem. § 34 AO in die steuerlichen Pflichten des Schuldners ein, dazu fehlt es an seinem Auftreten als Verfügungsbefugter, wo doch, ist die Nichterfüllung zumindest nicht pflichtwidrig. Entsprechendes gilt bei der Erfüllung sozialrechtlicher Verbindlichkeiten, die mittels der internen Maßnahme nicht zu verhindern sind.“[15] Anders als der sog. „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter, der unter Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbots bestellt wird, tritt der Sachwalter nicht in die Arbeitgeberfunktion ein.[16]

Die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit der Übernahme der Kassenführung soll damit einen rechtswidrigen Geldabfluss verhindern und gleichzeitig der Erleichterung der Überwachung des Geschäftsbetriebes durch den Sachwalter, durch die Kenntnis der aktuellen Vermögenslage und –bewegungen, dienen.[17] Sie kann daher nicht für Verfügungen des Sachwalters im Wege der Auszahlung eingesetzt werden. Eine eigenständige Auszahlungspflicht des Sachwalters, wie in § 320 Abs. 2 SGB III RefE vorgesehen, sollte deshalb nicht geschaffen werden.

III. zu § 321 Nr. 4 SGB III-RefE (Schadensersatz)

 Mit der Schadensersatzpflicht nach § 321 Nr. 4 SGB III-RefE wären rechtlich untragbare Konsequenzen für die persönliche Haftung des Sachwalters verbunden. Mangels eigener Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis kann er die Verpflichtung zur Auszahlung des Insolvenzgeldes nach § 320 Abs. 2 SGB III nicht selbst erfüllen. Ein entsprechendes Anweisungsrecht sieht der Entwurf nicht vor. Der Sachwalter könnte also im Falle einer Nichtauszahlung durch den Schuldner nur durch einen entsprechenden Hinweis an das aufsichtsführende Gericht reagieren, wäre aber nach dem Wortlaut des vorgelegten Entwurfs im Falle einer Nichtzahlung in jedem Fall schadensersatzpflichtig. Die vorgeschlagene Regelung sollte deshalb für Auszahlungen nicht umgesetzt werden. Im Hinblick auf die etwaige Übertragung der Kassenführungsbefugnis auf den Sachwalter wird auf die Ausführungen unter Ziff. B. II. verwiesen.

IV. Weitere Anmerkungen

1.) Vergütungsregelungen

a) Vergütung des vorläufigen Sachwalters

 

„Mit dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 07.12.2011 (ESUG) wurde das Verfahrensorgan des vorläufigen Sachwalters nach §  270 Abs.  1 Satz  2 InsO neu geschaffen. Gleichwohl hat es der Verordnungsgeber unterlassen, eine Vergütungsregelung für diesen neuen Verfahrensbeteiligten in die InsVV aufzunehmen. §  270 Abs.  1 Satz  2 InsO verweist lediglich auf die Vorschriften über die Rechtsstellung des Sachwalters in §  274 InsO. Dort werden wiederum in Abs.  1 die Vergütungsvorschriften in den §§  63 – 65 InsO in Bezug genommen. Damit hat der Gesetzgeber zwar klargestellt, dass auch dem vorläufigen Sachwalter dem Grunde nach ein gesetzlicher Anspruch auf eine insolvenzrechtliche Vergütung nach §  63 InsO in Verbindung mit der InsVV zusteht, eine konkrete Ausgestaltung dieses Vergütungsanspruchs in der InsVV ist aber unterblieben, ohne dass die Gründe hierfür erkennbar sind.
Dies hat den Bundesgerichtshof veranlasst, in mittlerweile drei grundlegenden Entscheidungen das entstandene Vakuum durch ein eigenes Vergütungsmodell zu füllen; BGH v. 21.07.2016, IX ZB 70/14; BGH v. 22.09.2016, IX ZB 71/14 und BGH v. 22.06.2017, IX ZB 91/15. Danach soll entgegen der dargestellten Verweisungskette kein eigenständiger Vergütungsanspruch des vorläufigen Sachwalters bestehen.“ [18]

Die Problematik ist in der aktuellen Vergütungsdiskussion vom BMJV erkannt. Ob und wann sich dazu eine gesetzliche Lösung abzeichnet, ist derzeit offen. Da RefE in den § 314 ff. SGB III die Übertragung weiterer Aufgaben auf den (vorläufigen) Sachwalter vorsieht, wäre der Gesetzgeber mithin gehalten hier zugleich einen gesetzlichen Vergütungsanspruch zu schaffen.

b) Vergütung des Sachwalters

Derzeit regelt § 12 Abs. 1 InsVV, dass der Sachwalter in der Regel 60 vom Hundert der für den Insolvenzverwalter bestimmten Vergütung erhält. § 3 Abs. 1 d) InsVV sieht lediglich einen vergütungsrechtlichen Zuschlagstatbestand für den Insolvenzverwalter, wonach eine den Regelsatz übersteigende Vergütung insbesondere festzusetzen ist, wenn „arbeitsrechtliche Fragen zum Beispiel in bezug auf das Insolvenzgeld (…)  den Verwalter erheblich in Anspruch genommen haben“. 

Die aktuellen gesetzlichen Regelungen könnten mithin dazu führen, dass der Sachwalter bei der Übernahme der Tätigkeiten des Insolvenzverwalters im Hinblick auf die §§ 314 ff. SGB III-RefE nur 60 % der für den Insolvenzverwalter vorgesehenen Vergütung erhalten würde, obwohl er 100 % der Leistung des Insolvenzverwalters erbringen müsste. Für die Vermeidung eines solchen Bruchs des Vergütungssystems wäre die Einführung von Vergütungssonderregelungen zwingend notwendig.

2.) Datenschutz

Zur Erstellung von Insolvenzgeldbescheinigungen bedarf es aller hierfür erforderlichen Personaldaten. Die Obhut über diese Daten hat der Arbeitgeber, mithin der eigenverwaltende Schuldner. Der (ggf. starke vorläufige) Insolvenzverwalter übernimmt mit seiner Bestellung die Arbeitgeberfunktion und damit auch die Verantwortung für die vorhandenen Personalunterlagen und -daten. Wie unter Ziff. B. I. ausgeführt ist die Tätigkeit des (vorläufigen) Sachwalters auf Kontroll- und Überwachungsfunktionen beschränkt. Der RefE lässt hier bereits im Ansatz vermissen, wie die (notwendige) datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit der Beteiligten ausgestaltet sein soll, bzw. woraus sich die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung für den (vorläufigen) Sachwalter ergibt.

V. Fazit


Der vorgelegte Entwurf unterstellt eine von der tatsächlichen Rechtslage abweichende Aufgabenzuweisung an den (vorläufigen) Sachwalter. Er sollte deshalb in der vorgelegten Fassung nicht umgesetzt werden.

Berlin, den 22.10.2019

[1] Bearbeitungsstand: 25.09.2019, 8:23 Uhr.

[2] Vgl. RefE, Begründung S. 76.

[3] Vgl. Zipperer in Uhlenbruck, InsO-KO, 15. Auflage 2019, § 274, Rz. 2 m.w.N. wonach die „entsprechende Geltung“ der genannten Vorschriften wie in § 4 InsO bedeutet, dass sie mit der besonderen Stellung des Sachwalters vereinbar sein müssen und deshalb eine vom Insolvenzverwalter abweichende, spezifische Ausprägung erlangen können.
§ 274 diene so der Anpassung der Rechtsstellung an die Besonderheiten der Eigenverwaltung.

[4] Vgl. auch Zipperer in Uhlenbruck, InsO-KO, § 274, Rz. 1 m.w.N.

[5] BGH-Beschluss vom 21.06.2016 (IX ZB 70/14), BGH-Beschluss vom 22.09.2016 (IX ZB 71/14) und BGH-Beschluss vom 22.06.2017 (IX ZB 91/15)

[6] Fiebig in Hamburger-KO zum InsolvenzR, 7. Aufl. 2019, § 274, Rz. 8.

[7] Vgl.  Evaluierung Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) vom 7. Dezember 2011, dort S. 84 und 126,  abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/News/Artikel/101018_Gesamtbericht_Evaluierung_ESUG.pdf;jsessionid=6526EFA95B2CC64B9814898B8C7C60EB.2_cid324?__blob=publicationFile&v=2 

[8] Vgl. Zipperer in Uhlenbruck, InsO-KO, § 270 Rz. 49 f. m.w.N.

[9] BGH IX ZB 70/14, Rz. 81.

[10]Der Sachwalter kann vom Schuldner verlangen, daß alle eingehenden Gelder nur vom Sachwalter entgegengenommen und Zahlungen nur vom Sachwalter geleistet werden.“

[11] Zipperer in Uhlenbruck, InsO-KO, § 275, Rz.7;  Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, InsO-KO, 4. Aufl. 2014, § 275,
Rz. 5.

[12] Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, InsO-KO, § 275, Rz. 5.

[13] Zipperer in Uhlenbruck, InsO-KO, § 275, Rz. 7.

[14] Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, InsO-KO, § 275, Rz. 6; Zipperer in Uhlenbruck, InsO-KO, § 275, Rz. 8; a.A. jedoch Ringstmeier in FK InsO 2012, § 275, Rz. 7.

[15] Zipperer in Uhlenbruck, InsO-KO, § 275, Rz. 8.

[16] Ries in Uhlenbruck, InsO-KO, § 22, Rz.62.

[17] Ringstmeier in FK InsO 2012, § 275, Rz. 7.

[18] Auszug aus VID- Reformvorschläge zur InsVV vom 13.08.2019, abrufbar unter: https://www.vid.de/initiativen/reformvorschlaege-zur-insvv/

Änderung des Insolvenzstatistikgesetzes im Rahmen des RegE BEG III

Ziel des dritten Bürokratieentlastungsgesetzes (nachfolgend BEG III-E) ist es, Verfahren zu vereinfachen und den bürokratischen Aufwand für Unternehmen, Bürger/-innen und Verwaltungen, soweit möglich, zu verringern. Kernbestandteil der Mittelstandspolitik sind, so der Regierungsentwurf, schlanke und effiziente Gesetze. Das BEG III soll nach den Vorgaben des Koalitionsvertrages zudem auch einen Beitrag zur Reduzierung der Statistikpflichten leisten.[1]  Die nachfolgende Stellungnahme beschränkt sich ausschließlich auf die mit dem BEG III geplanten Änderungen im Insolvenzstatistikgesetz (nachfolgend InsStatG-E).

 

A. Vorbemerkung

Die statistischen Meldungen, bzw. nachzubearbeitende Korrekturen stellen bereits heute einen erheblichen Aufwand für die auskunftspflichtigen Insolvenzverwalter, Sachwalter und Treuhänder dar. Die Vorgaben für ihre Durchführung sollten deshalb auch in Zukunft so klar und eindeutig wie möglich sein und den Aufwand für die Auskunftspflichtigen auf das Notwendigste beschränken.

Eine monatliche Meldung[2], die von der aktuell geforderten jährlichen Meldung abweicht, würde bei den Auskunftspflichtigen den Einsatz entsprechender leistungsfähiger Software voraussetzen, die den Aufwand begrenzen könnte.

Dieser Gesichtspunkt unterstreicht die Notwendigkeit einer Reform der Insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung (InsVV), die auf die hier im Entwurf formulierten Zusatzaufgaben, wie auch die in den vergangenen Jahren an anderer Stelle für die Insolvenzverwalter, Sachwalter und Treuhänder hinzugekommenen Aufgaben, nicht reagiert hat.

 

B. Im Einzelnen

Auch wenn die Verpflichtung der Insolvenzverwalter, Sachwalter und Treuhänder zu elektronischen Datenlieferungen sowie der Wegfall der Mitteilungen an die Gerichte, für welche Verfahren die Daten direkt an die statistischen Ämter übermittelt wurden, zu begrüßen sind, bestehen erhebliche Kritikpunkte am vorgelegten Entwurf.

 

I. Zu § 4 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Nr. 3 und 4 InsStatG-E
(Auskunftspflicht und Erteilung der Auskunft)

Ausweislich § 4 Abs. 2 Satz 3 InsStatG-E sollen die Angaben nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 InsStatG-E von den auskunftspflichtigen Insolvenzverwaltern, Sachwaltern und Treuhändern künftig jährlich[3] erfasst werden. Die jährliche Erfassung findet sich zwar schon heute in § 4 Abs. 2 S. 2 InsStatG, jedoch war die Frist zur Übermittlung der Angaben bislang wie folgt bestimmt: „innerhalb von vier Wochen nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Einstellung oder Aufhebung des Insolvenzverfahrens erfolgte“ (vgl. § 4 Abs. 3 Nr. 2 InsStatG).

Nunmehr soll – trotz jährlicher Erfassung – eine Übermittlung der Angaben unterjährig erfolgen: „spätestens vier Wochen nachdem die Einstellung oder Aufhebung des Insolvenzverfahrens erfolgte“ (vgl. § 4 Abs. 3 Nr. 3 InsStatG-E).

Unklar ist, weshalb bei unterjähriger Übermittlung eine jährliche Erfassung notwendig bleiben soll. Auch würde ein Nebeneinander von jährlicher Erfassung und beabsichtigter kontinuierlicher unterjähriger Übermittlung gerade nicht zu der beabsichtigten Entlastung, sondern vielmehr zu einer weiteren Belastung der Auskunftspflichtigen führen.

Mit der Einführung einer unterjährigen monatlichen Übermittlung sollte die Verpflichtung zur jährlichen Erfassung daher entfallen.

Ferner dürfte die Neuregelung der Übermittlung (spätestens vier Wochen nachdem die Einstellung oder Aufhebung des Insolvenzverfahrens erfolgte“) in der Praxis problematisch sein, weil die zuständigen auskunftspflichtigen Insolvenzverwalter, Sachwalter, bzw. Treuhänder die Beschlüsse über die Verfahrenseinstellungen oder Aufhebungen oft mit zeitlicher Verzögerung erhalten. De facto stehen deshalb in vielen Fällen keine vier Wochen, sondern mitunter deutlich weniger Zeit zur Bearbeitung zur Verfügung.

Es wird daher dringend angeregt, auf den Zugang des Einstellungs- oder Aufhebungsbeschlusses beim Auskunftspflichtigen abzustellen. Ebenso sollte die maximal vierwöchige Frist zur Übermittlung als Monatsfrist ausgestaltet sein, um Fehleranfälligkeiten bei der Fristberechnung zu vermeiden.

Gleiches gilt für die geplante Änderung des § 4 Abs. 3 Nr. 4 InsStatG-E. Danach ist vorgesehen die bisherige Fristregelung des § 4 Abs. 3 Nr. 3 InsStatG zur Übermittlung (innerhalb von vier Wochen nach Ablauf des sechsten dem Eröffnungsjahr folgenden Jahres, ergeht die Entscheidung vorher, innerhalb von vier Wochen nach Rechtskraft der Entscheidung“) wie folgt zu ändern: „spätestens vier Wochen nach Rechtskraft der Entscheidung“.

Auch hier sollte künftig auf den Zugang der Entscheidung abgestellt und die maximal vierwöchige Frist zur Übermittlung als Monatsfrist ausgestaltet werden.

 

II. Zu § 3 Abs. 2 InsStatG-E
(Hilfsmerkmale)

Nach § 3 Abs. 2 InsStatG-E sollen für die Vollzähligkeitsprüfung weitere Hilfsmerkmale eingeführt werden. Die erweiterten Hilfsmerkmale betreffen: Nummer und Name des Amtsgerichts (Nr. 1), Name oder Firma des Schuldners (Nr. 2), die Art der vom Insolvenzverwalter, Sachwalter oder Treuhänder abzugebenden Meldung (Nr. 3), das ursprüngliche Aktenzeichen (Nr. 4), das Datum des Eröffnungsbeschlusses (Nr. 5), die Verfahrens-Identifikationsnummer (Nr. 6), das Kalenderjahr, für das die Meldung erfolgen musste (Nr. 7), Name, Anschrift, Rufnummer und E-Mail-Adresse des Insolvenzverwalters, Sachwalters oder Treuhänders, (Nr. 8) sowie Name, Rufnummer und E-Mail-Adresse einer Ansprechperson im Amtsgericht (Nr. 9).

Diese Hilfsmerkmale sollen gemäß § 3 Abs. 2 InsStatG-E für die Vollzähligkeitsprüfung der nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 InsStatG-E, d. h. für die von den Insolvenzverwaltern, Sachwaltern oder Treuhändern, zu meldenden Angaben gelten.

Die geplante Neuregelung ist missverständlich, weil die Hilfsmerkmale des § 3 Abs. 2 InsStatG-E teilweise deckungsgleich mit den (bisherigen) Hilfsmerkmalen des § 3 S. 1 InsStatG sind. Daneben wird auch der Eindruck erweckt, dass Insolvenzverwalter, Sachwalter oder Treuhänder diese Angaben (zumindest) zu erfassen haben.

So wurde in § 4 Abs. 2 S. 3 InsStatG-E, der die Verpflichtung der Insolvenzverwalter, Sachwalter oder Treuhänder zur jährlichen Erfassung der Angaben nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 InsStatG-E regelt, auch § 3 Abs. 2 InsStatG-E aufgenommen. Auskunftspflichtig im Hinblick auf die erweiterten Hilfsmerkmale des § 3 Abs. 2 InsStatG-E sollen gem. § 4 Abs. 1 Nr. 1 InsStatG-E jedoch die zuständigen Amtsgerichte ein. Auch die Angaben zu den diesbezüglichen Übermittlungspflichten, die in § 4 Abs. 3 Nr. 2 InsStatG-E aufgenommen wurden, beziehen sich (lediglich) auf die Amtsgerichte.

Im Sinne einer transparenten und für den Gesetzesanwender verständlichen Normgebung wird angeregt, insbesondere an dieser Stelle nachzubessern. Die im Gesetzentwurf angelegten Verweisungsketten erschweren die Lesbarkeit der Normen erheblich.

 

III. Zum Wegfall des § 4 Abs. 5 InsStatG

§ 4 Abs. 5 InsStatG stellt bisher eine Spezialregelung zur Art und Weise dar, wie zur Statistik über beendete Verfahren und die Restschuldbefreiung gemeldet werden muss.

Durch den geplanten Wegfall des § 4 Abs. 5 InsStatG sollen, so der Regierungsentwurf, künftig elektronische Datenlieferungen nach § 11a Bundesstatistikgesetzes (BStatG) verpflichtend sein.[4] Insolvenzverwalter, Sachwalter und Treuhänder sollen in diesem Zusammenhang danach künftig als Unternehmen oder Betriebe i.S.d. § 11a Abs. 2 BStatG anzusehen sein.

Da Insolvenzverwalter, Sachwalter und Treuhänder jedenfalls nach dem allgemeinen Begriffsverständnis weder dem Begriff des Unternehmens, noch des Betriebes unterfallen, wird angeregt, eine gesetzliche Klarstellung im InsStatG aufzunehmen, wonach § 11a Abs. 2 (und 3) BStatG lediglich für die Zwecke der Insolvenzstatistik auf Insolvenzverwalter, Sachwalter und Treuhänder Anwendung findet.

 

IV. Inkrafttreten

Die geplanten Änderungen des Insolvenzstatistikgesetzes[5] sollen am 01.07.2020[6] in Kraft treten. Es wird angeregt, den Zeitpunkt des Inkrafttretens auf den 01.01.2021 zu verschieben. Neben notwendigen Softwareanpassungen in den Kanzleien der Insolvenzverwalter (und auch bei den Gerichten) dürfte die Verschiebung dazu beitragen, Doppelmeldungen, Fehleranfälligkeiten und damit unnötigen Arbeitsaufwand zu vermeiden. So würden bei unterjährigem Inkrafttreten die notwendigen Angaben für die erste Jahreshälfte 2020 aufgrund der bisherigen Verpflichtung zur jährlichen Erfassung und Übermittlung im Zweifel nach den Angaben für die zweite Jahreshälfte, die monatlich übermittelt werden, bei den statistischen Ämtern eingehen. Das Ziel, die Statistik für das Jahr 2020 aktueller zu gestalten, kann damit nicht erreicht werden.

 

V. Fazit

Neben den vorgenannten Kritikpunkten soll darauf hingewiesen werden, dass im Rahmen des Insolvenzverfahrens an anderer Stelle mit einfachen Mitteln bereits erhebliche Vereinfachungen und eine Reduzierung des bürokratischen Aufwandes für Gerichte, Gläubiger und Insolvenzverwalter erreicht werden könnten.

Der VID hat dazu im vergangenen Jahr ein Eckpunktepapier [7] mit Vorschlägen veröffentlicht. Dabei soll insbesondere auf die Vorschläge zur (ausschließlich) elektronischen Forderungsanmeldung[8] sowie auf die Verpflichtung der Insolvenzverwalter, den Gläubigern ihre Berichte ausschließlich in elektronischer Form zur Verfügung zu stellen[9], aufmerksam gemacht werden.

 

Berlin, den 27.09.2019

 

[1] BEG III-E, S. 1.

[2] Auch Art. 29 der im Sommer 2019 verabschiedeten Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz ((EU) 2019/1023) geht von einer jährlichen Erhebung und Aggregierung von Insolvenzdaten aus. Eine monatliche Erhebung wird dort ausdrücklich nicht angesprochen (Richtlinie abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32019L1023&from=DE)

[3] Wie auch die Angaben nach § 3 Abs. 2 InsStatG-E.

[4] Vgl. BEG III-E, S. 33.

[5] Vgl. Art. 2 BEG III-E.

[6] Vgl. Art. 15 Abs. 2 BEG III-E.

[7] VID-Eckpunktepapier „Insolvenzverfahren 4.o“, abrufbar unter: https://www.vid.de/wp-content/uploads/2018/07/eckpunktepapier-insolvenzverfahren-4.0.pdf.

[8] Ausführlich unter Ziff. 3 des Eckpunktepapiers.

[9] Ausführlich unter Ziff. 2 des Eckpunktepapiers.

 

Erste Verordnung zur Änderung der Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet

A. Vorbemerkung

Die vorgelegte Änderungsverordnung dient der Anpassung der InsoBekV an die europäischen Vorgaben. Zugleich bestünde jedoch die Möglichkeit, auch die aktuellen Praxisprobleme[1] öffentlicher Bekanntmachungen insolvenzrechtlicher Pflichtinformationen, insbesondere im Hinblick auf die datenschutzrechtlichen Belange der Betroffenen, einer Lösung zuzuführen.

Die geplante Verordnung, lässt diese Chance – trotz der zwischenzeitlichen Änderungen im Vergleich zum Referentenentwurf – weitgehend ungenutzt.

 

B. Im Einzelnen

1. Schutz personenbezogener Daten (Änderung des § 1 InsoBekV)

 In der Begründung zur Änderung des § 1 InsoBekV wurde nunmehr aufgenommen, dass der Schutz personenbezogener Daten unberührt bleibe. Diese Änderung ist grundsätzlich zu begrüßen, reicht jedoch nicht weit genug.

Die Auswertung der aktuellen Rechtspraxis zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet zeigt, dass auch ein Jahr nach Geltung der Datenschutz-Grundverordnung noch immer deutliche und teilweise rechtlich bedenkliche Varianzen im gerichtlichen Umgang mit personenbezogenen Daten[2] bestehen. So wurden folgende (hier nachträglich anonymisierte) personenbezogene Angaben der Schuldner/-innen veröffentlicht:

AG Berlin-Charlottenburg[3]

  • Adresszusatz, wonach die (verstorbene) Schuldnerin in einem Pflegeheim untergebracht war
  • Hinweis, wonach der ehemals als Berufsbetreuer tätige Schuldner nun als Kampfsportlehrer tätig ist
  • Angaben zur Nachtragsverteilung unter Nennung des konkret bezeichneten Mietverhältnisses des Schuldners im Hinblick auf den Kautionserstattungsanspruch

AG München[4]

  • unter der Angabe der derzeitigen Anschrift: Anschrift der hiesigen Justizvollzugsanstalt
  • Angabe der Beschäftigung als Fotograf, Buchhalterin, Koch, Metzgerhelfer, bzw. arbeitslos
  • Hinweis, dass der Insolvenzbeschlag für Kirchensteuererstattungsansprüche des Schuldners aufrechterhalten bleibt

AG Köln[5]

  • Angaben, wonach im Hinblick auf die Vergütung und die zu erstattenden Auslagen des vorläufigen Insolvenzverwalters eine Erhöhung des Regelsatzes auf einen Betrag von 12.400,38 € gerechtfertigt ist
  • Angaben zu Schuldnern: Angestellte, bzw. „Hausfrau+Mutter“

AG Hamburg[6]

  • Angaben zu Schuldnern: „Auszubildener in Veranstaltungstechnik (Theater), Ausbildung zur Hotelfachfrau, Projektassistent, Gärtner, Modeberaterin, Immobilienkaufmann, Kurierfahrer, Reinigungskraft, Fachangestellter für Bäderbetriebe, Staplerfahrer, Verkäuferin, Wagenpfleger, Kraftfahrer, medizinische Fachangestellte“
  • Angaben, wonach im Hinblick auf die Vergütung und die zu erstattenden Auslagen des vorläufigen Insolvenzverwalters diesem eine Regelvergütung i.H.v. 1.669,25 € zusteht

Die vorgenannten Beispiele – die lediglich einen Auszug der Veröffentlichungspraxis der großen deutschen Insolvenzgerichte darstellen – veranschaulichen, dass eine einheitliche und den Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung entsprechende Handhabung der Gerichte, welche (personenbezogenen) Daten über den Schuldner, bzw. die Schuldnerin veröffentlicht werden, (noch) nicht besteht. Dazu treten technische Probleme[7].

So findet sich bspw. trotz des folgenden Hinweises in der Bekanntmachung: „Veröffentlichungstext noch nicht zum Veröffentlichungsserver übermitteln.“ (in Fettdruck), die Veröffentlichung einer Vergütungsentscheidung unter bezifferter Angabe der Regelvergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters.

Im Hinblick auf die fortgeführte Veröffentlichungspraxis soll an dieser Stelle nicht zuletzt auf die dringenden Haftungsgefahren der öffentlichen Hand im Hinblick auf Datenschutzverletzungen der Betroffenen hingewiesen werden. Eine Ergänzung expliziter Regelungen zum Datenschutz bei öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet erscheint nach wie vor dringend geboten[8].

 

2. Verbraucherbegriff des § 304 InsO (Änderung des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 InsoBekV)

Art. 27 Abs. 3 EuInsVO regelt, dass die Mitgliedstaaten den Zugang zu Pflichtinformationen bezüglich natürlicher Personen, die keine selbständige gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit ausüben sowie bezüglich natürlicher Personen, die eine selbständige gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit ausüben, sofern sich das Insolvenzverfahren nicht auf diese Tätigkeit bezieht, von zusätzlichen, über die Mindestkriterien nach Artikel 25 Abs. 2 Buchstabe c hinausgehenden Suchkriterien in Bezug auf den Schuldner abhängig machen können.[9]

Im Rahmen der Anpassung der InsoBekV an die europäischen Vorgaben führt die Änderungsverordnung dazu aus: „Um den Vorgaben des Art. 27 EuInsVO zu entsprechen, wird § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 InsoBekV auf solche Insolvenzverfahren beschränkt, in denen der Schuldner keine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt oder ausgeübt hat. Der Begriff „selbständige wirtschaftliche Tätigkeit“ orientiert sich an § 304 Absatz 1 Satz 1 InsO und umfasst – im Einklang mit Artikel 27 Absatz 3 EuInsVO – sowohl eine selbständige gewerbliche als auch freiberufliche Tätigkeit.[10]Die Eingabe weiterer Suchbegriffe gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 InsoBekV ist künftig nur noch für den Abruf von Daten solcher Insolvenzverfahren vorgesehen, in denen der Schuldner keine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt oder ausgeübt hat. In allen übrigen Verfahren können die Daten des Insolvenzverfahrens auch nach Ablauf von zwei Wochen nach dem ersten Tag ihrer Veröffentlichung ohne Eingabe weiterer Suchbegriffe abgerufen werden“, so die Einleitung zur Änderungsverordnung.[11]

Während in Art. 27 Abs. 3 EuInsVO von „ausüben“ die Rede ist, verwendet § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 InsoBekV-E die Formulierung ausübt oder ausgeübt hat“. Der Wortlaut der geplanten Änderung der InsoBekV geht damit über den Wortlaut des europ. Gesetzgebers hinaus und führt zu einer Einschränkung des Schutzes der Betroffenen.

Die Begründung der Änderungsverordnung führt dazu weiter aus:

Nicht in den vorgeschlagenen § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 InsoBekV einbezogen werden ehemals selbständig wirtschaftlich tätige Schuldner, bei denen die Vermögensverhältnisse überschaubar sind und gegen die keine Forderungen aus Arbeitsverhältnissen bestehen (§ 304 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 InsO). Einer Einbeziehung steht Artikel 27 Abs. 3 EuInsVO entgegen.“[12] Maßgeblich seien die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Antragstellung. Spätere Änderungen der Verhältnisse seien für Veröffentlichungszwecke unbeachtlich, mögen sie etwa die Aufnahme oder die Beendigung einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit oder das Ableben des Schuldners samt Überleitung des Verfahrens in ein Nachlassinsolvenzverfahren betreffen. Dies ermögliche eine einfache Bestimmung derjenigen öffentlichen Bekanntmachungen, bei denen nach Ablauf von zwei Wochen zusätzliche Abrufbeschränkungen erfolgen müssen. [13]

Nachdem in der Verordnungsbegründung explizit erwähnt wird, dass auch ehemals selbständig wirtschaftlich tätige Schuldner, die der Verbrauchereigenschaft des § 304 Abs. 1 Satz 2 InsO unterfallen, nicht vom Schutzbereich des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 InsoBekV-E profitieren sollen, stellt sich im Umkehrschluss die Frage, ob diejenigen Schuldner, die eine selbständige Tätigkeit ausgeübt haben, bei denen jedoch die Vermögensverhältnisse nicht überschaubar sind und gegen die Forderungen aus Arbeitsverhältnissen bestehen, in den Schutzbereich einbezogen werden sollen. Dies würde jedoch dazu führen, dass ein Schuldner mit 20 Gläubigern, der seit vielen Jahren wieder angestellt tätig ist, aber noch offene Verbindlichkeiten aus einer gescheiterten früheren Selbständigkeit hat, im Hinblick auf die Veröffentlichung anders behandelt würde als derjenige, der nur 19 Gläubiger hat. Womit die unterschiedliche Behandlung ehemals Selbständiger, die hier mit Blick auf die Wirkung der öffentlichen Bekanntmachung erhebliche (wirtschaftliche) Folgen haben kann, gerechtfertigt werden sollte, erscheint fraglich.

Im Ergebnis schützt der Verordnungsgeber danach lediglich die sog. „Nur-Verbraucher“ über die Detail-Suche, während neben den Unternehmensinsolvenzen die Verfahren aller Selbständigen und ehemals Selbständigen ohne weitere Suchkriterien auffindbar bleiben sollen. Der Verordnungsgeber hat damit deutlich gemacht, dass er über den Wortlaut des europ. Gesetzgebers hinausgehen will. Dem europ. Gesetzgeber der Datenschutz-Grundverordnung war die EuInsVO bekannt. Das in der EuInsVO markierte Datenschutzniveau kann damit als datenschutzkonform angesehen werden. Ein geringeres Schutzniveau, wie jetzt durch die Änderung des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 InsoBekV-E vorgesehen, dagegen nicht. Das geringere Schutzniveau ehemals Selbständiger lässt sich auch nicht mit Blick auf das nationale Recht rechtfertigen. Es fehlt der sachliche Differenzierungsgrund für eine Regelung, die in ihren praktischen Auswirkungen den Unterschied zwischen einer „zweiten Chance“[14] und jahrelangen Hindernissen bei der Wiederaufnahme einer selbständigen Tätigkeit machen kann.

Etwaige Ausführungen zur etwaigen sachlichen Differenzierung des Verordnungsgebers zwischen „sog. „Nur-Verbrauchern“ und „ehemals selbständigen Verbrauchern“ finden sich in der Begründung der Änderungsverordnung nicht. Ebenso fehlen Ausführungen zur Abwägung des Informationsinteresses von Gläubigern[15] und Gerichten mit den datenschutzrechtlichen Belangen des Schuldners.

 

3. Übergangsregelung (neu eingeführter § 5 InsoBekV)

Die Verordnung soll am 30.06.2021 in Kraft treten. Die im Nachgang des Referentenentwurfs unter § 5 eingeführte Übergangsregelung sieht dazu folgendes vor: „Für öffentliche Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren, die vor dem 26. Juni 2018 eröffnet oder vor dem 26. Juni 2018 mangels Masse abgewiesen worden sind, bleiben die Vorschriften dieser Verordnung in der bis zum 29. Juni 2021 geltenden Fassung anwendbar. Gleiches gilt für öffentliche Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren, wenn der Antrag auf Eröffnung des Verfahrens vor dem 26. Juni 2018 anderweitig Erledigung gefunden hat.“[16]

Das bisherige System bleibt mithin nur für die vor dem Stichtag (26.06.2018) eröffneten Verfahren maßgeblich. Die Verfahren, die nach dem Stichtag eröffnet werden, unterfallen dem neuen Regelungsregime. Es soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass dies auch für die Nutzer des Insolvenzportals zu überraschenden Ergebnissen führen kann. Da die Detail-Suchfunktion für einen Teil der Verfahren aufgehoben wird, würden sich plötzlich auch solche Verfahren im Rahmen der uneingeschränkten Suche wiederfinden, die vorher – mangels Unkenntnis der Suchparameter – nicht auffindbar waren.

Berlin, den 04.09.2019

 

[1] Zur Darstellung der dringenden Praxisprobleme öffentlicher Bekanntmachungen insolvenzrechtlicher Pflichtinformationen im Hinblick auf die datenschutzrechtliche Belange der Betroffenen vgl. Stellungnahme des VID zum Referentenentwurf zur Ersten Verordnung zur Änderung der Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet vom 07.09.2018, abrufbar unter https://www.vid.de/stellungnahmen/entwurf-einer-verordnung-zur-aenderung-der-verordnung-zu-oeffentlichen-bekanntmachungen-in-insolvenzverfahren-im-internet-insobekv/.

[2] Bereits zu den Beispielsfällen der Varianzen im gerichtlichen Umgang mit personenbezogenen Daten im Jahr 2018 vgl. auch VID-Stellungnahme zum RefE.

[3] Abruf vom 27.08.2019 unter www.insolvenzbekanntmachungen.de.

[4] Abruf vom 27.08.2019 unter www.insolvenzbekanntmachungen.de.

[5] Abruf vom 28.08.2019 unter www.insolvenzbekanntmachungen.de.

[6] Abruf vom 28.08.2019 unter www.insolvenzbekanntmachungen.de.

[7] Ausführlich zum Datenschutz bei öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Hinblick auf den Datentransfer vom Insolvenzgericht an den Portalbetreiber sowie der Veröffentlichung auf dem Portal selbst vgl. Stellungnahme des VID zum Referentenentwurf zur Ersten Verordnung zur Änderung der Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet vom 07.09.2018, S. 8 ff.

[8] Der VID hatte sich bereits in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf für eine Ergänzung des § 1 InsoBekV um einen neuen Absatz 2 eingesetzt, wonach „Zum Schutz personenbezogener Daten ist ihre Veröffentlichung auf das jeweils zur Abfrage erforderliche Mindestmaß zu beschränken. Soweit die Wirkung der öffentlichen Bekanntmachung gerichtlicher Entscheidungen für Verfahrensbeteiligte auch durch ihre direkte elektronische Zustellung oder die Einrichtung ihrer elektronischen Abrufbarkeit erzielt werden kann, genügt ihre auszugsweise Veröffentlichung nach § 9 Abs. 1 InsO ohne Tenor und Begründung.“, vgl. Stellungnahme des VID zum Referentenentwurf zur Ersten Verordnung zur Änderung der Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet vom 07.09.2018, dort S. 16, abrufbar unter https://www.vid.de/stellungnahmen/entwurf-einer-verordnung-zur-aenderung-der-verordnung-zu-oeffentlichen-bekanntmachungen-in-insolvenzverfahren-im-internet-insobekv/.

[9] In Art. 24 Abs. 4 EuInsVO wird zudem ausgeführt: „Die Mitgliedstaaten sind nicht verpflichtet, die in Absatz 1 dieses Artikels genannten Informationen über natürliche Personen, die keine selbständige gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit ausüben, in die Insolvenzregister aufzunehmen oder diese Informationen über das System der Vernetzung dieser Register öffentlich zugänglich zu machen, sofern bekannte ausländische Gläubiger gemäß Artikel 54 über die in Absatz 2 Buchstabe j dieses Artikels genannten Elemente informiert werden. Macht ein Mitgliedstaat von der in Unterabsatz 1 genannten Möglichkeit Gebrauch, so berührt das Insolvenzverfahren nicht die Forderungen der ausländischen Gläubiger, die die Informationen gemäß Unterabsatz 1 nicht erhalten haben.“

[10] Erste Verordnung zur Änderung der Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet (BR-Drs. 338/19), S. 6.

[11] Erste Verordnung zur Änderung der Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet (BR-Drs. 338/19), S. 1.

[12] Erste Verordnung zur Änderung der Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet (BR-Drs. 338/19), S. 6.

[13] Erste Verordnung zur Änderung der Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet (BR-Drs. 338/19), S. 6.

[14] Vgl. RICHTLINIE (EU) 2019/1023 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 20. Juni 2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz.

[15] Zu den Vorschlägen der Arbeitsgruppe für ein Insolvenzverfahren 4.0 im Hinblick auf die künftige Gestaltung der Informationen für die Gläubiger vgl. auch Eckpunktepapier „Insolvenzverfahren 4.0“, abrufbar unter: https://www.vid.de/wp-content/uploads/2018/07/eckpunktepapier-insolvenzverfahren-4.0.pdf.

[16] Erste Verordnung zur Änderung der Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet (BR-Drs. 338/19), S. 2.

 

Spezialisierung der Zivilgerichte auf insolvenzbezogene Streitigkeiten | Beschwerderecht der Staatskasse bei der Prozesskostenhilfe für die Partei kraft Amtes | Hinzuziehung von Sachverständigen nach der ZPO

Stellungnahme des Verbandes Insolvenzverwalter Deutschlands (VID) Referentenentwurf eines Gesetzes zur Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen, zum Ausbau der Spezialisierung bei den Gerichten sowie zur Änderung weiterer zivilprozessrechtlicher Vorschriften[1]

 

A. Vorbemerkung

Die nachfolgende Stellungnahme beschränkt sich auf die im Referentenentwurf (im Folgenden: RefE) vorgeschlagenen Neuregelungen mit insolvenzrechtlichem Bezug.

 

1. Zum Ausbau der Spezialisierung der Gerichte in Zivilsachen in Bezug auf insolvenzbezogene Streitigkeiten – §§ 72a, § 119a GVG-E

Der RefE sieht dazu vor, den Katalog der obligatorischen Spezialspruchkörper bei den Land- und Oberlandesgerichten um die Rechtsmaterie der insolvenzbezogenen Streitigkeiten sowie der Anfechtungssachen nach dem Anfechtungsgesetz zu erweitern. Durch die Einführung von Spezialspruchkörpern soll die Qualität der richterlichen Arbeit gesteigert und eine effiziente Verfahrensführung in wichtigen Rechtsbereichen begünstigt werden. [2]

Daneben sollen die Landesregierungen ermächtigt werden, landesweit spezialisierte Spruchkörper einzurichten und Rechtsstreitigkeiten an ausgesuchten Gerichten zu konzentrieren. Die Ermächtigung kann dabei auf die Landesjustizverwaltungen übertragen werden.[3]

Insolvenzbezogene Streitigkeiten und Anfechtungssachen nach dem Anfechtungsgesetz i.S.d. RefE[4] sollen solche sein, die im internationalen Insolvenzrecht von Art. 6 Abs. 1 EuInsVO[5] erfasst werden. Dazu gehören insbesondere Streitigkeiten über Insolvenzanfechtungen nach den §§ 129 ff. InsO, Streitigkeiten über die Unwirksamkeit von Rechtshandlungen nach § 88 InsO, Feststellungsklagen nach den §§ 179, 184
InsO, Haftungsklagen gegen Insolvenzverwalter wegen Verletzung ihrer insolvenzrechtlichen Pflichten nach § 60 InsO, Haftungsklagen gegen Geschäftsleiter wegen Zahlungen bei materieller Insolvenz nach § 64 GmbHG und vergleichbaren Anspruchsgrundlagen wie die §§ 92 Abs. 2, 93 Abs. 2 Nr. 6 des AktG oder die §§  130a, 177a HGB sowie Klagen, mit denen nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 15a InsO und vergleichbaren Anspruchsgrundlagen wie die §§ 130a, 177a HGB Haftungsansprüche wegen Insolvenzverschleppung geltend gemacht werden. Anfechtungssachen nach dem Anfechtungsgesetz sollen wegen der systematischen Bezüge zum Insolvenzanfechtungsrecht vom Sachgebiet ebenfalls umfasst werden.[6]

Der VID begrüßt diesen Vorschlag und sieht lediglich punktuellen Ergänzungsbedarf.

 

a) zu § 72a GVG-E

72a GVG dient dem Zweck, „eine effiziente und ressourcensparende Bearbeitung und Entscheidung von Verfahren dadurch zu fördern, dass innerhalb des Gerichts eine häufigere Befassung der entscheidenden Spruchkörper mit den genannten Materien eintritt.[7]

72a Abs. 1 Nr. 8 GVG-E sieht dafür auf Landgerichtsebene die obligatorische Einrichtung von Spezialkammern für insolvenzbezogene Streitigkeiten vor.

Nach der Gesetzesbegründung fallen unter § 72a Abs. 1 Nr. 8 GVG-E Streitigkeiten, die im internationalen Insolvenzrecht von Art. 6 Abs. 1 EuInsVO erfasst werden. Art. 6 Abs. 1 EuInsVO regelt, dass die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet das Insolvenzverfahren nach Artikel 3 eröffnet worden ist, zuständig für alle Klagen sind, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen, wie beispielsweise Anfechtungsklagen.

Eine solche Spezialzuständigkeit sollte sich auch auf Beschwerden nach Art. 5 EuInsVO erstrecken. Eine Sonderzuständigkeit für Beschwerdesachen führt dazu, dass Streitigkeiten über die internationale Zuständigkeit effektiver und schneller entschieden werden können. Die häufigere Befassung der Spezialkammern mit Rechtsfragen rund um die internationale Zuständigkeit führt zu einer höheren Spezialisierung auf diesem Gebiet und damit zu einer Effizienzsteigerung.

 

b) zu § 119a GVG-E

119a Abs. 1 Nr. 8 GVG-E sieht entsprechend der Regelung des § 72a Abs. 1 Nr. 8 GVG-E auf der Ebene der Oberlandesgerichte die obligatorische Einrichtung von Spezialspruchkörpern für insolvenzspezifische Ansprüche vor. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.

 

 2. Beschwerderecht der Staatskasse – § 127 Abs. 3 S. 2 ZPO-E

Mit dem hier vorgeschlagenen Beschwerderecht verbindet sich durch den neuen Verweis auf § 116 Satz 3 ZPO eine weitere Erschwerung der Prozesskostenhilfe für Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes.

Der in der Begründung angeführte BGH-Beschluss vom 21. Januar 2016, Az. IX ZB 24/15, führt die Nichterstreckung des Beschwerderechts der Staatskasse auf Insolvenzverwalter auch auf ein sachliches Argument (Rz.12) zurück:

„Die Beschränkung des Beschwerderechts der Staatskasse auf Prozesskostenhilfeanträge natürlicher Personen erscheint im Übrigen auch sachgerecht. Denn der Bezirksrevisor als Vertreter der Staatskasse wird regelmäßig nicht in der Lage sein, zu beurteilen, wie groß die von einer Person kraft Amtes – etwa einem Insolvenzverwalter –verwaltete Vermögensmasse ist, in welchem Umfang sie zur Bestreitung der Prozesskosten einzusetzen ist und ob es wirtschaftlich Beteiligte gibt, denen es zuzumuten ist, die Kosten aufzubringen.“

Zur Begründung einer Beschwerde hätte der Bezirksrevisor die vom BGH genannten Umstände zu ermitteln. Dazu müsste er regelmäßig Einsicht in die Verfahrensakten des Insolvenzgerichts nehmen um daraus die notwendigen Informationen abzuleiten. In Abwesenheit einer elektronischen Akteneinsicht, die nach § 298a Abs.1a ZPO erst ab dem 1.1.2026 zur Verfügung stehen wird, muss die Akte versandt oder kopiert werden. Eine unter Kosten- und Effizienzgesichtspunkten sinnvolle Beschränkung der Prüfung auf summenmäßig größere PKH-Anträge dürfte hier ausgeschlossen sein, weil hierdurch Ausweichstrategien begünstigt und eine einheitliche Rechtsanwendung gefährdet werden könnten. Schon zur Vermeidung einer umfangreichen Prüftätigkeit sollte deshalb auf das hier vorgeschlagene Beschwerderecht verzichtet werden.

Der geschilderte Prüfaufwand wäre im Übrigen nur dann gerechtfertigt, wenn sowohl die Zahl der positiv entschiedenen PKH-Anträge durch Insolvenzverwalter wie auch die Zahl der unbegründeten Anträge in diesem Bereich einen nennenswerte Größe erreichen würden. Beides ist nicht der Fall.

Die an dieser Stelle restriktive Rechtsprechung (vgl. ausführlich hierzu etwa Uhlenbruck/Mock, § 80 Rz.189 ff. m. w. N.) der Instanzgerichte hat bereits heute dazu geführt, dass spezialisierte Prozessfinanzierer mit ihren Angeboten die Lücke füllen und dabei von der Zurückhaltung der Gerichte profitieren. Diese Rechtsprechung sowie die Rechtsaufsicht der Insolvenzgerichte über die Insolvenzverwalter sorgt auch dafür, dass PKH-Anträge, wenn überhaupt, nur dort gestellt werden, wo eine antragsgemäße Gewährung aussichtsreich ist und der damit verbundene Aufwand des Insolvenzverwalters deshalb gerechtfertigt erscheint. Eine weitere Aufsichtsinstanz erscheint deshalb an dieser Stelle verzichtbar.

Die hier vorgeschlagene Erweiterung des Beschwerderechts durch Einbeziehung der PKH-Anträge von Insolvenzverwaltern als Partei kraft Amtes sollte deshalb ersatzlos entfallen.

  

3. Hinzuziehung von Sachverständigen – § 144 Abs. 1 S. 1 ZPO-E

Die Begründung des RefE (S.16) führt zu diesem Punkt aus:

„Durch die Umformulierung des § 144 Absatz 1 Satz 1 ZPO-E soll deutlicher als bisher geregelt werden, dass sich das Gericht zur fachlichen Unterstützung der besonderen Sachkunde von Sachverständigen auch unabhängig von einer Beweisaufnahme in einem frühen Verfahrensstadium verfahrensbegleitend zu Beratungszwecken bedienen kann. Der Sachverständige ist in dieser Funktion nicht Beweismittel, sondern Berater des Gerichts (vergleiche Stamm, ZZP 124 (2011), 433, 437).“

Die Insolvenzordnung enthält bereits in § 5 Abs.1 InsO eine ähnliche Regelung:

„Das Insolvenzgericht hat von Amts wegen alle Umstände zu ermitteln, die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sind. Es kann zu diesem Zweck insbesondere Zeugen und Sachverständige vernehmen.“

Auch in § 22 Abs. 1Satz 2 Nr. 3 InsO wird der Sachverständige erwähnt.

Mit der im RefE vorgeschlagenen Regelung soll der Anwendungsbereich von Sachverständigen erweitert werden. Dabei bleibt unklar, ob diese Erweiterung über § 4 InsO auf Insolvenzverfahren anwendbar sein wird und über den bereits in der Insolvenzordnung geregelten Anwendungsbereich der Amtsermittlung hinausgehen soll.

Eine Beweisaufnahme im kontradiktorischen Verfahren, deren Einschränkungen durch entsprechende Beweisanträge mit dem § 144 Abs. 1 S. 1 ZPO-E offenbar teilweise aufgehoben werden sollen, findet im Insolvenzverfahren nicht statt. Das Gericht darf sich insbesondere im Insolvenzeröffnungsverfahren nicht auf die Beibringung des Tatsachenstoffs durch die Beteiligten verlassen (vgl. etwa Uhlenbruck/Pape, § 5 Rz.7 m. w. N.). Gleichzeitig findet die Amtsermittlung und damit die Möglichkeit einer Unterstützung des Gerichts durch Sachverständige hier eine Grenze durch den Verfahrenszweck der Haftungsverwirklichung.

Pape (a.a.O.Rz.22) formuliert dazu:

Alles was nicht der Haftungsverwirklichung zugunsten der Gläubiger dient, unterfällt nicht den Amtsermittlungen. Weiterhin hat die Amtsermittlungspflicht dort ihre Grenzen, wo schutzwürdige Interessen Dritter entgegenstehen oder wenn der Antragsteller verpflichtet ist, selbst vorzutragen und glaubhaft zu machen, wie z.B. im Rahmen der Restschuldbefreiung. Das Insolvenzgericht ist nicht berechtigt, die Ermittlungen auf die Verfahrensabwicklung durch den Insolvenzverwalter zu erstrecken.“

Ein verschiedentlich begrüßte Unterstützungsmöglichkeit der Insolvenzgerichte auch außerhalb des durch § 5 Abs.1 InsO gezogenen Rahmens sollte in Ansehung der pauschalen Verweisungsnorm in § 4 InsO und der oben angeführten Erwägungen auf klar definierte Anwendungsfälle begrenzt werden. Art. 14 Abs.2 der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – ABl L 172 vom 26.6.2019, S.18 ff. kann hier als Beispiel für einen solchen Anwendungsfall genannt werden.

 

B. Fazit

1. Die Spezialzuständigkeit sollte sich auch auf Beschwerden nach Art. 5 EuInsVO erstrecken.

2. Die vorgeschlagene Erweiterung des Beschwerderechts der Staatskasse sollte ersatzlos entfallen.

3. Die Hinzuziehung eines Sachverständigen außerhalb des Anwendungsbereichs des §  5 InsO sollte auf klar definierte Anwendungsfälle begrenzt werden.

 

[1] Bearbeitungsstand: 29.05.2019, 08:35 Uhr.

[2] Vgl. Begründung des RefE, S. 11.

[3] Vgl. Begründung des RefE, S. 1, 21.

[4] Vgl. 72a Abs. 1 Nr. 8 GVG-E.

[5] Verordnung 2015/848 über Insolvenzverfahren (ABl. L 141 vom 5. Juni 2015, S. 19; L 349 vom 21.12.2016, S. 6), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2018/946 (ABl. L 171 vom 6.7.2018, S. 1) geändert worden ist.

[6] Vgl. Begründung des RefE, S. 20f.

[7] Vgl. Begründung des RefE, S. 20 (m.w.N.).