Stellungnahme des Verbandes Insolvenzverwalter Deutschlands e.V. (VID) zur Initiative der Europäischen Kommission „Insolvenzrecht – stärkere Konvergenz der nationalen Rechtsvorschriften zur Förderung grenzüberschreitender Investitionen“

 1.

„Inefficient insolvency proceedings can delay the recovery of value, restructuring of corporate assets and liabilities with negative knock-on effects for productivity, jobs and growth. Furthermore, the efficiency of insolvency proceedings is one of several key criteria for investors to decide whether to make cross-border investments. More efficient and predictable insolvency frameworks and enhanced confidence in cross-border financing would help strengthen capital markets in the Union and thus become a steppingstone towards completing the CMU.”

Die Beschreibung des Ziels der Initiative lässt nicht klar erkennen, welche Zwecke und Ziele einem Insolvenzverfahren beigemessen werden und mit welcher Gewichtung. Die Ausgangssituation jedes Insolvenzverfahrens – inklusive Restrukturierungsverfahren – ist die common pool-Situation, in der aufgrund der wirtschaftlichen Krise eines Rechtsträgers die Vollwertigkeit der gegen diesen gerichteten Ansprüche einer potentiellen Mehrzahl von Gläubigern beeinträchtigt oder zumindest gefährdet ist, wodurch diese Gläubiger um das unzulängliche Haftungsvermögen konkurrieren. Die Antwort auf die Frage nach dem (hauptsächlichen) Zweck und Ziel eines Insolvenzverfahrens muss klären, ob das objektivierte Interesse der Gesamtheit aller betroffenen Gläubiger, individuelle Gläubigerinteressen, das Interesse des Schuldners (oder seiner Eigentümer) oder (makro)ökonomische oder politische Interessen jenseits der Verfahrensbeteiligten an oberste Stelle gesetzt werden. Jede grundsätzliche Gewichtung zugunsten der Interessen eines Stakeholders oder einer Stakeholdergruppe schließt zwangsläufig Nachteile zu Lasten der anderen ein und eine prinzipielle Gleichgewichtung ist aufgrund nicht auszuschließender Interessengegensätze unmöglich. Thomas Jackson (The Logic and Limits of Bankruptcy Law, Harvard University Press 1986, Reprint 2001; Besprechung von Balz in ZIP 1988, 1438) hat nachgewiesen, dass und warum die Priorisierung des objektivierten Interesses der Gesamtgläubigerschaft vorzugswürdig ist, und dass insbesondere die Erhebung (makro)ökonomischer oder politischer Interessen zu Verfahrenszwecken weder zu rechtfertigen, noch durch Insolvenzrecht zu leisten ist.

Dies vorausgeschickt, sind die Erhaltung und die Rückgewinnung von Werten sicherlich Kennzeichen eines effektiven Insolvenzrechts und Insolvenzverfahrens, das die bestmögliche Wahrung des objektivierten Interesses der Gesamtgläubigerschaft bezweckt. Auch wird die Restrukturierung von Unternehmenswerten und Verbindlichkeiten regelmäßig der vorzugswürdige Weg zur Erreichung des vorgenannten Zwecks sein. Dies ist aber nicht zwangsläufig und z.B. dann nicht der Fall, wenn im Einzelfall eine Zerschlagung zu besseren Ergebnissen für die Gläubigergesamtheit führt. Die Effekte für Produktivität, Arbeitsplätze und Wachstum können schließlich ebenfalls positiv sein in dem regelmäßigen Fall, dass eine Restrukturierung unter Erhalt der Produktivität des Schuldnervermögens auch zum besten Ergebnis für die Gläubigergesamtheit führt. Auch insoweit kann es aber nur um einen Effekt, nicht um eigenständige Zwecke gehen, und die Bewertung als „positiv“ dürfte bei differenzierter Betrachtung schwierig sein. Denn ein Erhalt von Produktivität und Arbeitsplätzen, der nicht nachhaltig ist, kann sich mittel- und langfristig negativer auswirken als die Beförderung notwendiger Transformationsprozesse durch Zerschlagung nicht mehr zukunftsfähiger Einheiten.

Im Ergebnis ist daher eine klare Definition und Priorisierung bezüglich der Zwecke und Ziele eines Insolvenzverfahrens notwendig. Eine Parallelität oder Unklarheiten bezüglich mehrerer gleichrangiger Ziele vermindert die Effizienz des Verfahrens, weil sie Abwägungen notwendig macht, die regelmäßig einer gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeit unterliegen müssen, um die Rechte von Beteiligten nicht zugunsten anderer Beteiligter zu verkürzen.

Ob ein funktionsfähiges Insolvenzrecht tatsächlich ein maßgebliches Kriterium für grenzüberschreitende Investitionsentscheidungen ist, darf in Zweifel gezogen werden. Soweit ersichtlich, gibt es für diese Annahme keinerlei empirischen Belege. Darüber hinaus lassen sich aus dieser Annahme kaum taugliche Schlüsse für Zwecke und Ziele eines Insolvenzverfahrens ableiten, denn Investoren können im Insolvenzfall sowohl die Position des Gläubigers, als auch die des Schuldners bzw. der an ihm Beteiligten einnehmen. Allerdings darf unterstellt werden, dass Rechtsunsicherheit und mangelnde Effizienz von Gerichten und von staatlich zur Verfügung gestellten Verfahren allgemein ein Negativkriterium für die Entscheidung darstellen, ob in einer fremden Jurisdiktion eine Geschäftstätigkeit aufgenommen wird.

 

2.

“Insolvency law is considered to be a cross-cutting area of civil law that always has to strike a delicate balance between the legitimate interests of creditors and debtors, as well as between those of different types of creditors.”

Diese Beschreibung ist im Kern nicht unzutreffend, relativiert sich aber mit der vorstehend dargestellten Priorisierung des objektivierten Interesses der Gläubigergesamtheit als Verfahrenszweck. Diese Priorisierung entspricht dem Verständnis in Deutschland und wohl auch dem in den meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Eine Balance mit den Interessen von Schuldnern kann demnach nur dann hergestellt werden, wenn diese den vorrangigen Verfahrenszweck nicht gefährden. Deutschland hat, wie viele Mitgliedstaaten der europäischen Union, sein Insolvenzrecht seit der Jahrtausendwende reformiert und dabei sanierungsfreundlicher ausgestaltet, wobei die Sanierung von Unternehmen oder Unternehmensträgern keinen Selbstzweck, sondern neben der Zerschlagung gleichrangige Mittel zur Erreichung des bestmöglichen Ergebnisses für die Gläubigergesamtheit darstellen. Eine Sanierungslösung kann dabei nicht gegen den mehrheitlichen Willen der Gläubiger erzwungen werden. Deren legitime Interessen haben immer den Vorrang vor den Interessen der Schuldner.

 

3.

“An optimal insolvency framework will maximize economic value in the economy as a whole adequately balancing the interests of the various groups of creditors/stakeholders.”

Insolvenzverfahren erfüllen als Gesamtvollstreckungsverfahren auch Aufgaben im öffentlichen Interesse. Besonders zu nennen ist hier die rechtsstaatliche Konfliktbewältigungsfunktion eines geordneten Verfahrens, um im festgestellten Mangelfall Verfahrens- und Verteilungsgerechtigkeit zu gewährleisten. Daneben haben Insolvenzverfahren eine Ordnungsfunktion, die im Interesse der Vermeidung des ungeregelten Weiterwirtschaftens in einem Mangelfall die Beendigung der werbenden Tätigkeit herbeiführt und weitere Verluste von Gläubigern verhindert. Insolvenzrecht gewährleistet im Idealfall einen geordneten Reinigungsmechanismus zur Vermeidung von Blockaden in der Dynamik marktwirtschaftlicher Prozesse, indem unproduktiv gewordene Vermögensmassen wieder produktiv gemacht oder zerschlagen werden. Der gesamtwirtschaftliche Effekt von Insolvenzverfahren berührt mit der Stärkung des Wettbewerbs durch Erzwingung von Marktaustritten auch ein wichtiges Ziel staatlicher Regulierung.

 

4.

“In the new Capital Markets Union Action Plan adopted on 24 September 2020, the Commission announced that in order to make the outcomes of insolvency proceedings more predictable, it will take a legislative or non-legislative initiative for minimum harmonisation or increased convergence in targeted areas of non-bank insolvency law.”  

 Die Vorhersehbarkeit von Verfahrensergebnissen wird im Insolvenzverfahren von zahlreichen Faktoren beeinflusst, die einer gesetzlichen Steuerung nur eingeschränkt zugänglich sind. Markt, Konjunktur, Rechts- und Geschäftskultur, Unternehmensgröße und Unternehmensgegenstand sowie die individuelle Fähigkeit zur Analyse dieser und weiterer Faktoren auf Seiten der Unternehmensleitung sind dabei von zentraler Bedeutung. Werden Insolvenzanträge regelmäßig zu spät gestellt, dann beeinflusst dies die Verfahrensergebnisse erheblich, weil auch die beste Infrastruktur bei Gerichten und Insolvenzverwaltern die eingetretenen Schäden nicht mehr kompensieren kann. Eine weitere Harmonisierung des Insolvenzrechts wird deshalb nur dann zu einer verbesserten Vorhersehbarkeit von Verfahrensergebnissen führen, wenn sie in eine darüber hinausgehende Harmonisierung der rechtlichen Rahmenbedingungen und Anwendungskultur eingebettet ist, Mechanismen zur Krisenfrüherkennung fördert und entsprechende gesetzliche Reaktionspflichten für die Verantwortlichen schafft (zu den Pflichten der Geschäftsleiter unter Ziff. 7 zu (iii)). 

 

5.

“Discrepancies between the Member States‘ insolvency laws create barriers to the free movement of capital in the internal market, in particular because diverging time-limits and lengths of procedures as well as diverging overall procedural efficiency make it more difficult to anticipate the outcome for value recovery, making it harder to price risks, including for debt instruments.  If it

cannot be anticipated at reasonable cost what will happen with an investment throughout its life-cycle, including during insolvency proceedings, there is a risk that such investment will not be made at all. In addition, excessively disparate insolvency regimes in the Member States make EU cross-border investments more uncertain.”

 Unterschiedliche Fristen und Verfahrensdauern sowie Unterschiede in der Effizienz von Insolvenzverfahren berühren in erster Linie die Bewertung von Forderungen im Stadium der bereits eingetretenen Insolvenz des Forderungsschuldners. In einer vorhergehenden Krise des Schuldners ist eine Bewertung des Insolvenzfalls als Alternativszenario von Interesse, wenn Verhandlungen über eine Restrukturierung stattfinden oder wenn Gläubiger ihre Forderungen durch Verkauf verwerten möchten. Außerdem müssen regulierte Gläubiger wie Banken ein Monitoring und Rating ihrer Schuldner und Forderungen aufgrund gesetzlicher Vorgaben durchführen.

Forderungshandel wird in der Regel nur von Großgläubigern betrieben. Er kann der Bilanzbereinigung (auf Seiten der Forderungsverkäufer) und der Spekulation (auf Seiten der Forderungskäufer) dienen. In diesem Markt zielt eine Harmonisierung von Verfahrensregeln vor allem auf die Bedürfnisse von NPL-Käufern. Deren Interessen können hinsichtlich der „Effizienz“ von Insolvenzverfahren differieren, je nachdem, ob sie eine loan-to-own-Strategie verfolgen (und daher an einer möglichst geringen Quote für die Gläubiger interessiert sind) oder nicht. Zwischen der ursprünglichen Erwartung von Investoren und der Erwartung von NPL-Käufern besteht jedenfalls im Zeitpunkt der Investition kein Zusammenhang. Erst das Scheitern der Investition und der mit ihr verbundenen Ertragserwartung verändert ihre Bewertung. Ein direkter Zusammenhang zwischen der ursprünglichen Investitionsbereitschaft einerseits und den Ertragserwartungen von NPL-Käufern andererseits besteht nicht und sollte auch nicht unterstellt werden.

Allgemein dürften konkrete Verfahrensregeln kaum und statistische Erhebungen über Dauer und Ausgang von Insolvenzverfahren allenfalls einen geringen Einfluss auf die Kalkulierbarkeit im Einzelfall haben. Denn Dauer und Ausgang eines Verfahrens sind vor allem von der Struktur und dem Wert des Schuldnervermögens sowie von der Perspektive des Geschäftsmodells abhängig. Auf die Effizienz der Verfahrensabwicklung haben sodann die Qualität und Ausstattung der verfahrensleitenden Stellen – insbesondere Gerichte und Insolvenzverwalter – sowie die allgemeine Rechtskultur und Rechtstreue der Handelnden, stärkeren Einfluss als konkrete Verfahrensregeln. Denn wie bei jeder Kodifikation lässt das geschriebene Insolvenzrecht lässt nur dann Rückschlüsse auf den tatsächlichen Verfahrensablauf zu, wenn es effektiv angewandt wird. Harmonisierte Kodifikationen verfehlen ihren Zweck, wenn sie nicht mit einer Harmonisierung der Anwendungskultur und -praxis einhergehen. Sie können hierfür allenfalls ein Baustein sein.

 

6.

„Efficient insolvency laws are one of the key criteria when investors decide, whether or not, to invest cross-border; the current fragmentation of rules, as well as inefficient insolvency systems

in some jurisdictions, are a potential barrier to more integrated capital markets in the EU. In particular, differences in Member States‘ insolvency laws can reduce legal certainty and cause additional costs for investors, companies and other stakeholders. This can lead to the abortion of viable investment projects, reducing growth and employment opportunities.”

Die Effizienz von Insolvenzrechtssystemen ist kein Schlüsselfaktor für Entscheidungen über grenzüberschreitende Investitionen. Zumindest Investitionen in Startups und gesunde Unternehmen erfolgen – bei vernunftgesteuerter Entscheidung – zur Partizipation an erkannten Geschäftschancen. Eine Investition erfolgt, weil ein Investor an ein Geschäftsmodell glaubt, nicht weil er glaubt, mit der Investition Verlust zu machen. Die Entscheidung, in einer bestimmten Jurisdiktion zu investieren, fällt nicht danach, ob ein funktionsfähiges Insolvenzrecht dort geringere Verluste verspricht als in einer anderen. Entscheidend sind vielmehr Ertragschancen, Marktzugänge und bürokratische und steuerliche Rahmenbedingungen. Auch Länder mit einem schwach oder lückenhaft entwickelten Insolvenzrecht ziehen deshalb große Investitionssummen an, wenn sie auf diesen Gebieten besondere Vorteile bieten. Demgegenüber können Nachteile auf diesen Gebieten nicht durch insolvenzrechtliche Bedingungen kompensiert werden, mögen sie im Einzelfall auch besondere Vorteile zur relativen Verringerung insolvenzbedingter Vermögensverluste bringen. Allgemein werden Umstände, die aus Sicht von Investoren zu Ineffizienzen führen, lediglich Risikoaufschläge und Ertragserwartungen erhöhen.

Allerdings spielt die Ausgestaltung eines Insolvenzrechtssystems und seiner praktischen Umsetzung eine Rolle für Kriseninvestitionen, also etwa für einen Unternehmenserwerb aus der Insolvenz oder für den günstigen Erwerb von Beteiligungen oder Forderungen in der vorinsolvenzlichen Krise, um eine Sanierung mit den Mitteln des Restrukturierungs- und Insolvenzrechts zu finanzieren. Die Interessen solcher Investoren laufen indes nicht notwendigerweise gleich mit den Interessen der Gläubiger des in der Krise oder Insolvenz befindlichen Rechtsträgers. Denn das Interesse des Übernehmers eines Krisenunternehmens ist üblicherweise darauf gerichtet, sein Budget möglichst zur Finanzierung der Sanierung und der Betriebsfortführung einzusetzen, nicht zur Zahlung von Altschulden.

Selbst wenn man allgemein als zutreffend unterstellt, dass die Effizienz eines Insolvenzrechtssystems für grenzüberschreitende Investitionen entscheidungserheblich ist, bleibt diese These ohne Aussagekraft, wenn nicht konkretisiert wird, welche Faktoren die „Effizienz“ des Systems bewirken und für wen. Hier wird man nicht nur Aspekte wie Geschwindigkeit, Flexibilität, Transparenz und Professionalität der Handelnden einbeziehen müssen, sondern z.B. auch Vor- oder Sonderrechte: Ob ein Verfahren schnell und unter bestmöglicher Realisierung der vorhandenen Werte abgewickelt werden kann, ist für normale ungesicherte Gläubiger ohne Belang, wenn das Ergebnis durch Vorrechte – z.B. Fiskusvorrechte – aufgezehrt wird. Eine plausible Definition von „Effizienz“ bedarf vor allem einer klaren Entscheidung hinsichtlich des Verfahrenszwecks (siehe oben).

 

7.

“To harmonise insolvency in a targeted manner, the Commission could consider aligning some features of insolvency regimes from the following non-exhaustive list, to maximise value preservation in insolvent businesses:

(i) prerequisites for when insolvency proceedings should be commenced (including a definition of insolvency and provisions on who is entitled to file for insolvency);

(ii) conditions for determining avoidance actions and effects of claw-back rights;

(iii) directors’ duties related to handling imminent/actual insolvency proceedings;

(iv) position of secured creditors in insolvency taking into account specific needs for the protection of other creditors (e.g. employees, suppliers);

(v) court capacity when it comes to expertise and necessary training of judges; and

(vi) asset tracing which would be relevant, in particular in the context of avoidance actions;” 

 

Zu (i)

Bemühungen um eine Harmonisierung von Insolvenzgründen, Antragsvoraussetzungen und Antragsrechten müssen sich dem Umstand stellen, dass die insoweit unterschiedlichen Rahmenbedingungen in den Mitgliedstaaten oftmals historisch gewachsen sind und auf einer unterschiedlichen Ausgestaltung des Gläubigerschutzes beruhen. Direkt oder indirekt wirkende Regelungen zum Schutz der Schuldner vor einem Zugriff auf ihr Vermögen können Gläubigern den regelmäßig notwendigen Nachweis einer fehlgeschlagenen Einzelzwangsvollstreckung erschweren. Ohne ausreichende gesetzliche Indizien und Beweiserleichterungen bleiben Insolvenzgründe wirkungslos. Wo Insolvenzgründe ansetzen und ob sie eine Antragspflicht auslösen (die bei einer Harmonisierung ebenfalls berücksichtigt werden sollte) hängt wiederum von der Entscheidung hinsichtlich des Verfahrenszwecks ab. Wird das objektivierte Gesamtgläubigerinteresse priorisiert, sollten Insolvenzgründe nach Möglichkeit in einem Stadium ansetzen, in dem sich die Entwertung der Gläubigerforderungen einerseits manifestiert, andererseits bei laufenden Unternehmen aber noch nicht so weit fortgeschritten ist, dass nur noch Zerschlagungswerte realisiert werden können. Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung bilden in einigen europäischen Insolvenzrechtsordnungen differenzierte Ansatzpunkte für die Einleitung von Insolvenzverfahren, die diesen Überlegungen Rechnung tragen können. Die Herausforderungen einer Harmonisierung liegen allerdings im Detail der jeweiligen Definition.

 

Zu (ii)

Die Insolvenzanfechtung ist ein unverzichtbares Wesensmerkmal des Insolvenzrechts. Denn jedes Insolvenzrecht hat seinen Grund und seine Rechtfertigung im Streben nach Verteilungsgerechtigkeit, wenn den Verbindlichkeiten eines Schuldners keine ausreichende Haftungsmasse mehr gegenübersteht. Die Insolvenzanfechtung dient dazu, der Verteilungsgerechtigkeit auch zeitlich rückwirkend Raum zu schaffen, soweit eine nachteilige Veränderung der Haftungsmasse zugunsten Einzelner in einem Stadium erfolgte, in dem das kollektive Interesse der Verlustgemeinschaft bereits den Vorrang verdient. Die konkrete Ausgestaltung unterliegt Wertungen, die – z.B. kulturell und zeitlich – durchaus Änderungen unterworfen sein können. Damit Harmonisierungsbemühungen im Bereich der Insolvenzanfechtung Erfolgsaussicht haben, müssen daher Gemeinsamkeiten und Unterschiede in diesen Wertungen berücksichtigt werden.

Die rechtlichen Bedingungen für Insolvenzanfechtungen sind ein zentraler Faktor für die Ergebnisse von Insolvenzverfahren und wirken sich nicht nur auf Befriedigungsquoten ungesicherter Gläubiger aus, sondern auch auf das Verhalten von Schuldnern und Gläubigern im Vorfeld einer Insolvenz. Ungleichbehandlungen bestimmter Gläubiger oder Gläubigergruppen können hier dazu führen, dass diese Gläubiger in Unternehmenskrisen den eigenen Vorteil zu Lasten aller anderen Gläubiger suchen und damit die Krise verschärfen. Vorrechte bestimmter Gläubiger oder Gläubigergruppen im Rahmen der Befriedigung führen regelmäßig zu schwach ausgeprägten Insolvenzanfechtungsregeln, weil eine Rückholung verschobener Vermögenswerte keinen Sinn hat, soweit die Folge der Anfechtung in der Verteilung wieder relativiert wird. Das Insolvenzanfechtungsrecht ist deshalb auch untrennbar mit der Existenz von Vorrechten für bestimmte Gläubiger und Gläubigergruppen verbunden. Eine isolierte Harmonisierung wäre weitgehend sinnlos.

 

Zu (iii)

Die Pflichten von Geschäftsleitern im Rahmen von bevorstehenden oder bereits eingeleiteten Insolvenzverfahren werden nicht nur durch insolvenzrechtliche Regelungen, sondern maßgeblich auch durch das Gesellschaftsrecht der Mitgliedstaaten geprägt, insbesondere durch Vorgaben zur Kapitalausstattung und -erhaltung bei juristischen Personen. Eine vorrangige, das Gesellschaftsrecht verdrängende Regelung, welche die Einflussnahme von Gesellschaftern zugunsten eines öffentlichen Interesses an der Einleitung und Unterstützung von Insolvenzverfahren verdrängt, setzt eine Klärung grundlegender Fragen voraus. Ein entsprechender Eingriff in das Gesellschaftsrecht einzelner Mitgliedstaaten müsste zudem ggf. auch arbeitsrechtliche und strafrechtliche Wirkungen berücksichtigen.

 

Zu (iv)

Mit der Stellung von gesicherten Gläubigern im Insolvenzverfahren verbinden sich zahlreiche rechtliche Fragen, die auch das öffentliche Interesse an einer effizienten und funktionierenden Kreditversorgung von Unternehmen betreffen. Wird die Stellung gesicherter Gläubiger nach dem nationalen Recht beeinträchtigt, dann hat dies unmittelbare Auswirkungen auf den jeweiligen Kreditmarkt und die Versorgung der Unternehmen mit Fremdkapital. Eine Finanzierung über Kapitalmärkte ist den meisten europäischen Unternehmen wegen ihrer Größe (KMU) nicht oder nur eingeschränkt möglich. Bankkredite und Warenkredite bleiben im KMU-Segment auf absehbare Zeit die wichtigsten Säulen der Fremdfinanzierung. Einerseits wirkt sich jede Reglementierung von Kreditsicherungen in einem Insolvenzverfahren auf die Schwelle und Praxis der Kreditvergabe und ihre Konditionen aus und Beeinträchtigungen provozieren Umgehungsstrategien. Andererseits muss der Umfang, in dem Insolvenzverfahren der Sicherung, Klärung und Verwertung von Sicherungsgut dienen, auch bei der Verteilung der Verfahrenskosten Berücksichtigung finden; d.h. der relative Kostenanteil an der Bearbeitung von Sicherungsrechten darf nicht zu Lasten der ungesicherten Gläubiger gehen. Eine Harmonisierung wird sich neben einem diesbezüglichen Ausgleich auch den sachenrechtlichen Unterschieden in den nationalen Kreditsicherungsrechten und den Unterschieden in den Arten von Kreditsicherheiten stellen müssen.

 

Zu (v)

Die Auswirkungen von Qualifikation und Ausstattung der Gerichte auf die Effizienz von Insolvenzverfahren sind in gewissem Umfang davon abhängig, welche Funktionen und ggf. Entscheidungskompetenzen den Gerichten zugewiesen werden. Insoweit bestehen in den Mitgliedstaaten durchaus signifikante Unterschiede. In jedem Fall wird die Fähigkeit nationaler Insolvenzgerichte zur effizienten Bearbeitung von Insolvenzverfahren maßgeblich durch die Bereitschaft der Mitgliedstaaten geprägt, für diesen Justizbereich besondere Anstrengungen zu unternehmen, angemessene Finanzmittel bereitzustellen und die Tätigkeiten hinreichend attraktiv zu gestalten, um motiviertes und qualifiziertes Personal zu gewinnen. Besteht diese Bereitschaft nicht, dann tragen Maßnahmen zur Qualifikation und Fortbildung von Richterinnen und Richtern für sich allein wenig zur Verbesserung bei. 

 

Zu (vi)

Die Möglichkeiten zur Nachverfolgung und Aufdeckung von Vermögensverschiebungen in Insolvenzverfahren werden von den Ermittlungsrechten der Insolvenzgerichte und Insolvenzverwalter determiniert. Diese Ermittlungsrechte sind im deutschen Insolvenzrecht bereits in einem frühen Verfahrensstadium stark ausgeprägt (vgl. § 21 InsO). Sie werden ergänzt durch spezifische Rechte der Staatsanwaltschaften, die auch Sicherungsrechte (vgl. §§ 111 b ff. StPO) umfassen. Eine Harmonisierung sollte nicht hinter diesen Rechtsstand zurückfallen. 

 

8.

„The Commission will build on the results of a previous comparative study on substantive insolvency law in the EU (Study on a new approach to business failure and insolvency – comparative legal analysis of the Member States’ relevant provisions and practices, 8 July 2016) 8, which revealed vast differences in national insolvency frameworks and raised issues that are deemed appropriate for the EU legislator to consider. The Commission may launch a further study to shed light on aspects on which the evidence base has not yet been developed sufficiently, such as on asset tracing and the role of data for increased market-based finance during all phases of insolvency proceedings (pre-insolvency) and following insolvency proceedings.“

Das Insolvenzrecht der Mitgliedstaaten hat sich seit der Jahrtausendwende und insbesondere unter dem Eindruck der Finanzkrise 2008/2009 in den vergangenen Jahren dynamisch weiterentwickelt. Große Mitgliedstaaten (z.B. Italien 2019) haben ihr Insolvenzrecht umfangreich reformiert. Eine Studie, deren Ergebnisse im Sommer 2016 veröffentlicht wurden, konnte auf diese Entwicklungen zumindest teilweise noch nicht eingehen und dürfte deshalb als Grundlage weiterer Überlegungen über die Unterschiede nationaler Insolvenzrechtsordnungen noch ergänzungsbedürftig sein.

Hinzu kommt, dass neben dem kodifizierten Recht auch dessen tatsächlicher Umsetzung eine maßgebliche – wenn nicht die entscheidendere – Rolle zukommt. Bestrebungen zur Harmonisierung sollten daher nicht allein auf dem Vergleich der Kodifikationen aufbauen, sondern auch auf Erhebungen zu dessen praktischer Handhabung und den Möglichkeiten, auch insoweit Anpassungen zu bewirken.

 

 

Berlin, 09.12.2020

Kontakt:
Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e.V. (VID)
Französische Straße 13/14, 10117 Berlin
Tel.: 030/ 20 45 55 25, E-Mail: info@vid.de, Web: www.vid.de

RegE eines Gesetzes zur Verbesserung der strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche

  

 

A. Einleitung

Mit dem vorliegenden Regierungsentwurf (nachfolgend Entwurf) soll das strafrechtliche Regelwerk zur Bekämpfung der Geldwäsche verbessert und damit zugleich die am 02.12.2018 in Kraft getretene Richtlinie (EU) 2018/1673 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2018 über die strafrechtliche Bekämpfung der Geldwäsche umgesetzt werden.

Die nachfolgende Stellungnahme beschränkt sich auf die mit dem Entwurf geplante Neuregelung des § 261 StGB und zeigt unverhältnismäßige Konsequenzen aus insolvenzrechtlicher Perspektive auf.

 

B. Im Einzelnen

Kernstück des Entwurfs ist der Vorschlag zur Neuregelung des § 261 StGB mit dem Verzicht auf einen selektiven Vortatenkatalog und der Aufnahme sämtlicher Straftaten in den Kreis der Vortaten, womit der Tatbestand erheblich erweitert wird. Damit sind künftig alle Straftatbestände des Kern- und Nebenstrafrechts[1] und damit auch die Insolvenzstraftaten in den Kreis der Geldwäschevortaten einbezogen.

Mit dem Verzicht auf einen selektiven Vortatenkatalog wird (auch) der Anwendungsbereich der leichtfertigen Geldwäsche (§ 261 Abs. 6 Satz 1 StGB-E) erheblich ausgeweitet[2].

„Nach der Neuregelung ist strafbar, wer leichtfertig nicht erkennt, dass es sich bei dem tatrelevanten Gegenstand um einen Vermögensgegenstand nach § 261 Absatz 1 Satz 1 StGB-E handelt.

Künftig genügt für die Annahme von Leichtfertigkeit die Überzeugung des Gerichts, dass der Täter leichtfertig nicht erkannt hat, dass der fragliche Vermögensgegenstand Tatertrag oder Tatprodukt irgendeiner Straftat – auch außerhalb des bisherigen Katalogs – oder ein entsprechendes Surrogat ist.“, so die Entwurfsbegründung.[3] Es wird damit von dem in Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht. Danach können die Mitgliedstaaten eine Strafbarkeit vorsehen, wenn der Täter den Verdacht hatte oder ihm bekannt hätte sein müssen, dass die Vermögensgegenstände aus einer kriminellen Tätigkeit stammen (siehe dazu auch Erwägungsgrund 13).“[4]

Es besteht die Befürchtung, dass durch diese erhebliche Ausweitung des Tatbestandes auch der vom Gericht beauftragte, redlich handelnde (vorläufige) Insolvenzverwalter in Erfüllung seiner gesetzlich definierten Aufgaben in den Fokus strafrechtlicher Ermittlungen rückt:

Bereits im Eröffnungsverfahren hat der vorläufige Insolvenzverwalter – jedenfalls bei Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis – das schuldnerische Vermögen zu sichern und zu erhalten (§  22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO). Dazu gehört es bspw. auch, Forderungen des Schuldners jedweder Art einzuziehen, da andernfalls die Gefahr besteht, dass dies durch den Schuldner erfolgt und dieser die Beträge nicht zur Masse auskehrt.[5] Der unverzügliche Forderungseinzug dient der Vermeidung von Rechtsnachteilen aller Art, nicht nur etwaiger Verjährung.  

Zur Sicherung der Vermögenwerte des Schuldners benötigt der (vorläufige) Insolvenzverwalter u.a. Auskünfte, aber auch Geschäftsunterlagen des Schuldners.

In der Praxis, so regelmäßig bei Insolvenzen im Bauhaupt- und Nebengewerbe, im KFZ-Bereich und in der Gastronomie, liegt jedoch häufig nur eine unvollständige Buchhaltung vor. D.h. Geschäftsvorfälle werden zum Teil nicht oder nicht vollständig erfasst, gebucht und versteuert. Gleichwohl ist dieser Datensatz die Grundlage des Forderungseinzugs. Er ergibt sich aus – zum Teil unsortierten oder ungeordneten – Ausgangsrechnungen, Abnahmeprotokollen, Leistungsnachweisen und sonstigen anspruchsbegründenden Belegen.

Der (vorläufige) Insolvenzverwalter sieht sich mithin auch mit Forderungen (des Schuldners) konfrontiert, die aus unvollständig dokumentierten Aufträgen, bzw. Verträgen stammen und bei denen die konkreten Leistungserbringer unbekannt, ausgeschieden oder sonst nicht mehr ansprechbar sind. Auch solche Forderungen muss der (vorläufige) Insolvenzverwalter aufgrund der gesetzlichen Anordnung nach Möglichkeit verfolgen und realisieren.

Bei unveränderter Umsetzung der geplanten Änderungen würde der (vorläufige) Insolvenzverwalter künftig bereits bei einem raschen und konsequenten Einzug von Forderungen zur Sicherung der Masse stets das Risiko einer Strafbarkeit nach § 261 StGB-E auslösen; über dem Verwalter würde das „Damoklesschwert der Strafbarkeit“ schweben.[6]

Der Verwalter sähe sich in der Konsequenz dann entweder einer drohenden Strafbarkeit wegen Geldwäsche oder drohenden Haftungsproblematiken der §§ 823 BGB, 64 GmbHG, 15b InsO-E in der Fassung des geplanten Regierungsentwurfes zum SanInsFoG i.V.m. §§ 34, 69 AO wegen unzureichender Massesicherung ausgesetzt. Eine solche Pflichtenkollision kann nicht allein über ggf. „fehlendes Verschulden“ gelöst werden. Es bedarf vielmehr einer Klarstellung auf Ebene des Pflichtenvorrangs.

Zur Vermeidung der Strafbarkeit und ggf. einer persönlichen Inanspruchnahme müsste der (vorläufige) Insolvenzverwalter sonst zunächst intensive und ggf. komplexe strafrechtliche Prüfungen anstellen, ggf. Gutachten anfertigen (lassen), um (erst) nach deren Negativergebnis mit dem Forderungseinzug beginnen zu können. Dies würde zum einen eine möglicherweise gar nicht leistbare Kostenbelastung des Insolvenzverfahrens mit sich bringen, zum anderen einen unvermeidlichen Zeitverlust, der auch die Realisierungsaussichten insgesamt negativ beeinflussen kann. Ein solches Vorgehen stünde zudem diametral dem Interesse der Gläubiger entgegen, das auf rasche Sicherung aller zivilrechtlich dem Schuldnervermögen zugeordneten Vermögenswerte gerichtet ist.

 

C. Fazit

Ausgehend von der ursprünglichen Konzeption der Verfolgung und Ahndung von Geldwäsche zur Bekämpfung von organisierter Kriminalität und Terrorismus begegnet die mit dem Entwurf geplante Ausweitung des Geldwäschetatbestandes (auch) aus insolvenzrechtlicher Perspektive erheblichen Bedenken. Dies insbesondere im Hinblick darauf, dass für eine Begehung Leichtfertigkeit ausreichen soll.

Es sollte sichergestellt werden, dass der redlich handelnde (vorläufige) Insolvenzverwalter in Erfüllung seines Amtes und seiner gesetzlich definierten Aufgaben die notwendigen Handlungsspielräume erhält und behält und hierdurch keine Pflichtverletzung i.S.d. §  261 StGB-E begeht. Er trägt bei unklaren Vermögensverhältnissen des Schuldners gerade zu deren Aufklärung bei. Der gesetzlichen Aufgabe ist es immanent, dass Vermögenswerte erst einmal gesichert werden; Prüfungen und die Erfüllung von Vorrechten bleiben vorbehalten. Ein Rechtsnachteil erwächst den materiell Betroffenen nicht.

 

 

Berlin, 26.11.2020

 

Kontakt:
Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e.V. (VID)
Französische Straße 13/14
10117 Berlin
Tel.: 030/ 20 45 55 25
E-Mail: info@vid.de
Web: www.vid.de

[1] Vgl. Entwurfsbegründung S. 13.

[2] Anders noch der Referentenentwurf, wonach die mit der Änderung des § 261 StGB-E verbundene Ausweitung der Norm es „aus Gründen der Eingrenzung und Ausgewogenheit der Strafandrohung notwendig“ [macht], „die weiteren Voraussetzungen der Regelung zu präzisieren und einzuschränken. Insbesondere kann nicht an der Strafbarkeit der bloß leichtfertigen Geldwäsche festgehalten werden.“ (vgl. Begründung des Referentenentwurfs S. 2 sowie 11, 19).

[3] Vgl. Entwurfsbegründung S. 33.

[4] Vgl. Entwurfsbegründung S. 33.

[5] Vgl. auch Blankenburg in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, 85. Lieferung 09.2020, § 22 InsO, Rz. 71f.

[6] Die Entwurfsbegründung (S. 21) führt zudem weiter aus: „Artikel 3 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie fordert, dass eine frühere oder gleichzeitige Verurteilung wegen der kriminellen Tätigkeit, aus der die Vermögensgegenstände stammen, keine Voraussetzung für eine Verurteilung wegen Geldwäsche ist. Das ist bereits nach geltendem Recht nicht der Fall und soll es auch künftig nicht sein. Artikel 3 Absatz 3 Buchstabe b der Richtlinie fordert, dass nicht alle Sachverhaltselemente bzw. Umstände im Zusammenhang mit der kriminellen Tätigkeit (darunter auch die Identität des Täters), aus der die Vermögensgegenstände stammen, festgestellt werden müssen. Auch dies erfordert das deutsche Recht bisher und auch künftig nicht.“

 

Stellungnahme von Dr. Christoph Niering, Vorsitzender des Verbandes Insolvenzverwalter Deutschlands e.V. (VID), im Rahmen der Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages am 25.11.2020 zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG), BT-Drucksache 19/24181

 

Einleitung

Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) legt die Bundesregierung zahlreiche Vorschläge zur Ergänzung und Änderungen der bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen für Restrukturierung, Sanierung und Insolvenz vor. Der VID hat bereits zum Referentenentwurf des vorgelegten Gesetzes umfangreich Stellung genommen.[1] Die nachfolgende Stellungnahme greift wichtige Schwerpunkte der Reform auf und konzentriert sich dabei auf Probleme, die im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens gelöst werden sollten, um einen möglichst rechtssicheren und praktisch umsetzbaren Umgang mit den neuen Regelungen zu gewährleisten.

Der aktuelle Hintergrund der COVID-19-Pandemie sollte bei der Umsetzung nicht dazu führen, dass die notwendige Diskussion verkürzt wird. Die Ergänzungen und Änderungen sind in ihrer Summe so umfangreich und weitreichend, dass eine unzureichende Klärung rechtlicher Anwendungsprobleme den Erfolg des neuen Rechts in Frage stellen würde. Wir halten es daher für sinnvoll, das Inkrafttreten zeitlich weiter gestaffelt anzulegen und dabei das StaRUG von den Änderungen der Insolvenzordnung zu entkoppeln. Auch sollte das vom ESUG bekannte und bewährte Instrument eines gesetzlichen Evaluierungshorizonts genutzt werden, um nach einigen Jahren der Anwendung eine umfassende Analyse des neuen Restrukturierungsrechts vorzunehmen. Die europäischen Vorgaben bieten zudem einschließlich der Verlängerungsoption eine Umsetzungsfrist bis Mitte 2022, deren Inanspruchnahme unter den gegebenen Umständen mehr als vertretbar wäre.

Das StaRUG bildet den Kern des vorgelegten Entwurfs. Es steht deshalb auch im Zentrum dieser Stellungnahme. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die übrigen Änderungsvorschläge des Entwurfs eine geringere praktische Bedeutung haben. Gerade die vorgeschlagenen Änderungen der Insolvenzordnung sind von erheblicher Tragweite und machen deutlich, dass das StaRUG und die Insolvenzordnung künftig in einer Wechselbeziehung stehen werden, die alle Überlegungen zur Restrukturierung und Sanierung prägen wird.

 

 

1. Der neue Verfahrenszugang: Beratungsintensive Neuregelungen und der folgenreiche Verzicht auf eine Bestandsfähigkeitsprüfung

 Der Regierungsentwurf verzichtet auf eine zwingende Bestandfähigkeitsprüfung als Eingangsvoraussetzung, obwohl deren Einführung durch Artikel 4 Abs. 3 der RL (EU) 2019/1023 ausdrücklich zugelassen ist. Dies soll offenbar den Zugang zum Restrukturierungsverfahren erleichtern. Der Verzicht auf den anfänglichen Nachweis einer notwendigen Eingangsvoraussetzung verschiebt den Prüfungsaufwand aber nur und erhöht dadurch die Komplexität sowie das Risiko, dass aussichtslose Verfahren eingeleitet werden und die niedrigere Erfolgsquote dann das Verfahren allgemein diskreditiert. Die Restrukturierungsgerichte sehen sich umfangreichen Prüfungsanforderungen ausgesetzt, welche die Bestellung eines Restrukturierungbeauftragten und ggf. weiterer Sachverständiger erfordern. Es ist zu befürchten, dass die personelle und sachliche Ausstattung der Gerichte diesen Anforderungen nicht gerecht würde. Daher sollte eine Bestandsfähigkeitsprüfung, ähnlich der Sanierungsbescheinigung im jetzigen § 270 b InsO als Eingangsvoraussetzung etabliert werden, wie in Artikel 4 Abs. 3 der RL (EU) 2019/1023 vorgesehen. Hierdurch könnten auch die nachgelagerten und sehr komplexen Regelungen deutlich vereinfacht und das Verfahren auch für kleinere und mittelständische Unternehmen handhabbarer werden. Der aufgrund der Komplexität hohe Beratungsbedarf zur Nutzung des StaRUG zieht sich wie ein roter Faden durch den Gesetzesentwurf. Besonders deutlich wird dies an den Regelungen zur Haftung der Vertretungsorgane. Der vorgesehene Pflichtenkanon wird gerade für inhabergeführte Unternehmen und KMU ohne fremde umfangreiche Beratung kaum zu bewältigen sein. Dies konterkariert dann die Bemühungen um möglichst niedrige Verfahrenskosten.

 

  • Die Änderungen in den §§ 18 und 19 InsO-E schaffen grundsätzlich begrüßenswerte Konkretisierungen der Prognosezeiträume bei Überschuldung (12 Monate) und drohender Zahlungsunfähigkeit (24 Monate). Bei der drohenden Zahlungsfähigkeit soll jedoch der Prognosezeitraum nur „in aller Regel“ zugrunde gelegt werden. Dies lässt Raum für Ausnahmen. Die Entwurfsbegründung führt hierzu nur aus: „In Einzelfällen kann auch auf einen kürzeren oder längeren Prognosezeitraum abzustellen sein. Hierdurch können Besonderheiten des Schuldners oder seines Geschäftsbetriebs berücksichtigt werden.“ Der Eintritt drohender Zahlungsunfähigkeit nach § 2 StaRUG-E soll künftig aber auch den Pflichtenkanon der Geschäftsleiter im Sinne von § 15a Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 InsO-E erheblich erweitern. Mit Blick darauf sind Ausnahmen problematisch und sollten zumindest durch Regelbeispiele näher definiert werden.
  • Der Regierungsentwurf enthält zudem einen Redaktionsfehler; der Verweis in § 116 AktG auf § 93 AktG muss noch um einen Verweis auf § 15b InsO-E ergänzt werden. Andernfalls würde der Verantwortungs- und Haftungsbereich der Aufsichtsorgane massiv reduziert, was nicht das Ziel des Regierungsentwurfs gewesen sein kann.
  • Die §§ 1-3 StaRUG-E erweitern die Pflichten von Geschäftsleitern und rücken dabei im Krisenfortgang die Interessen der Gläubigergesamtheit in den Vordergrund. Nach § 2 Abs. 1 Satz StaRUG-E soll nach Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit eine Verletzung dieser Pflichten ausnahmsweise ausgeschlossen sein, wenn „der Geschäftsleiter vernünftigerweise davon ausgehen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen die Interessen der Gläubiger zu wahren.“ Zum hier entworfenen Haftungsmaßstab führt die Entwurfsbegründung näher aus: „Im Unterschied zur sogenannten business judgment rule, die ihren Niederschlag in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG gefunden hat, ist die in Satz 2 verankerte Ermessensregelung aber auf die Wahrung der Interessen der Gläubiger zugeschnitten. Hiernach muss die getroffene Entscheidung unter den vernünftigerweise anzunehmenden Bedingungen und Entscheidungsfolgen geeignet sein, die Interessen der Gläubiger zu wahren. Der zuzubilligende Ermessensspielraum ist überschritten, wenn Kosten oder Risiken in Kauf genommen werden, die mit dem auf die Wahrung der Gläubigerinteressen zugeschnittenen Schutzzweck nicht mehr vereinbar sind (vgl. BGH, Urt. v. 12.3.2020 – IX ZR 125/17 Rz. 27 f.).“ Diese Entscheidung des BGH betraf die Haftung des Insolvenzverwalters/der Insolvenzverwalterin und damit, wie zuvor bereits vom BGH klargestellt (Urt. v. 26.01.2018 – IX ZR 238/17), auch die Haftung von Geschäftsleitern in der Eigenverwaltung. Dieses Haftungsmodell, das die business judgment rule erheblich einschränkt, wird nun auf das Stadium der drohenden Zahlungsunfähigkeit ausgedehnt, in dem noch keine Insolvenzantragspflicht besteht. Dies löst einen deutlich früheren Beratungsbedarf der betroffenen Geschäftsleiter aus.
  • Die §§ 33, 34, 44, 49, 57 und 67 StaRUG-E definieren umfangreiche Anzeige-, Mitteilungs-, und Nachweispflichten des Schuldners gegenüber dem Gericht bei Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens. Bereits bei der Anzeige hat der Schuldner nach § 33 Abs. 2 StaRUG-E entweder den Entwurf eines Restrukturierungsplans nach Maßgabe der §§ 7 ff. StaRUG-E vorzulegen oder zumindest „ein Konzept für die Restrukturierung, welches auf Grundlage einer Darstellung von Art, Ausmaß und Ursachen der Krise das Ziel der Restrukturierung (Restrukturierungsziel) sowie die Maßnahmen beschreibt, welche zur Erreichung des Restrukturierungsziels in Aussicht genommen werden“. Diese Pflichten werden kleine und mittlere Unternehmen selbst mit der in § 18 StaRUG-E angekündigten Checkliste kaum erfüllen können. Wird im Verlauf der Verhandlungen eine Stabilisierungsanordnung nach § 57 StaRUG-E notwendig, muss ein entsprechender Antrag nach § 57 Abs. 2 StaRUG-E u.a. durch eine Finanzplanung begleitet werden, die den Zeitraum von sechs Monaten umfasst und eine fundierte Darstellung der Finanzierungsquellen enthält, durch welche die Unternehmensfortführung in diesem Zeitraum sichergestellt werden soll. Der hier angelegte Vorbereitungs-, und Beratungsaufwand wird die meisten kleineren und auch viele mittlere Unternehmen finanziell und strukturell überfordern.
  • Auch Unternehmen, die diese Bedingungen erfüllen können, sollen nach § 58 Abs. 1 StaRUG-E nur dann durch eine Stabilisierungsanordnung gestützt werden, wenn die Restrukturierungsplanung vollständig und schlüssig ist und keine Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass die Restrukturierungsplanung oder die Erklärungen zu § 57 Abs. 3 Satz 2 StaRUG-E in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruhen, die Restrukturierung aussichtslos ist, der Schuldner noch nicht drohend zahlungsunfähig ist oder die beantragte Anordnung nicht erforderlich ist, um das Restrukturierungsziel zu verwirklichen. Die Begründung des Entwurfs spricht hier von einer Plausibilitätskontrolle, die eine langwierige Prüfung verhindern soll, für die sogar ein Restrukturierungsbeauftragter als Sachverständiger notwendig sein kann. Schon die Prüfung der Schlüssigkeit eines Restrukturierungskonzepts wird in vielen Fällen nur mit einem Sachverständigen möglich sein. Nach § 33 Abs. 2 Ziff. 1 StaRUG-E soll ein solches Konzept auf Grundlage einer Darstellung von Art, Ausmaß und Ursachen der Krise das Restrukturierungsziel sowie die Maßnahmen zu dessen Erreichung beschreiben. Dies gilt erst recht, wenn bereits ein Plan vorgelegt wird, der den Maßgaben der §§ 7 ff. StaRUG-E genügen muss.
  • Durch den Verzicht auf eine Bestandsfähigkeitsprüfung als Eingangsvoraussetzung, deren Einführung durch Art. 4 Abs. 3 der RL (EU) 2019/1023 ausdrücklich zugelassen wäre, begibt sich der Entwurf der Möglichkeit, an dieser und anderen Stellen den gerichtlichen Prüfungsaufwand zeitsparend und effektiv einzuschränken. Die stattdessen vorgesehene Erklärung des Schuldners nach § 16 Abs. 1 StaRUG-E soll nur die Aussichten darstellen, dass seine drohende Zahlungsunfähigkeit durch den Plan beseitigt wird und dass seine Bestandsfähigkeit sicher- oder wiederhergestellt wird. § 83 Abs. 4 StaRUG-E sieht nicht ohne Grund eine zwingende Stellungnahme des Restrukturierungsbeauftragten zu dieser Erklärung vor. Denn anders kann die Schlüssigkeit und Vollständigkeit nicht geprüft werden. Teilweise umfangreiche und komplexe gerichtliche Prüfungen von Konzepten und Planungen müssen zum Schutz der Gläubiger im modular angelegten StaRUG deshalb zwingend am Eintritt in jedes Verfahrensmodul stehen, das Gläubigerrechte beeinträchtigt oder zumindest gefährdet.

 

2. Der Restrukturierungsplan und seine Bestätigung: Pauschale Ausnahmen, unbestimmte Rechtsbegriffe und gerichtliche Beurteilungsspielräume

Pauschale Ausnahmen, unbestimmte Rechtsbegriffe und weite gerichtliche Beurteilungsspielräume erschweren die Handhabbarkeit des StaRUG und werden über Jahre hinweg Rechtsunsicherheit mit sich bringen. Schon die notwendige Nachjustierung des ESUG hat gezeigt, dass in einem Gesetzgebungsverfahren offen gebliebene Rechtsfragen nicht ausschließlich der Praxis zur Beantwortung überlassen werden dürfen. Nur so können Fehlentwicklungen von Beginn an vermieden werden. Der zeitliche Rahmen für eine eingehende Erörterung und Überarbeitung des StaRUG steht zur Verfügung, da die europäischen Vorgaben ein Zeitfenster bis Mitte 2022 eröffnen und der Restrukturierungsrahmen keinen ausreichenden Ansatzpunkt zur Überwindung der pandemiebedingten Schieflage vieler Unternehmen bietet. 

 

  • Bei Umsetzung der von den Ausschüssen des Bundesrats in seinen Empfehlungen vom 16. November 2020 vorgeschlagenen Änderungen des § 4 StaRUG-E im Sinne einer Reduzierung der gestaltbaren Rechtsverhältnisse würde das Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG massiv an Attraktivität verlieren. Wesentlicher Bestandteil finanzwirtschaftlicher Sanierungen ist neben dem Eingriff in Forderungs- und Sicherungsrechte (§ 4 Abs. 1 StaRUG-E) auch die Anpassung der vertraglichen Rahmenbedingungen eines Finanzinstruments (§ 4 Abs. 2 StaRUG-E), bspw. eine in Finanzrestrukturierungen sehr weit verbreitete Verlängerung und Anpassung der Bedingungen einer Finanzierung unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Situation des Schuldners. Auf Grund ihrer Bedeutung im deutschen Markt und der fehlenden vertraglichen Mehrheitsmechanismen muss eine solche Vertragsanpassung wie in § 4 Abs. 2 Satz 2 StaRUG-E vorgesehen auch bspw. für Schuldscheinfinanzierungen möglich sein. Ferner erfordern finanzwirtschaftliche Sanierungen regelmäßig eine Anpassung der sogenannten Intercreditor-Vereinbarungen (§ 4 Abs. 2 Satz 3 StaRUG-E). In Ergänzung einer Forderungsstundung wird durch die Anpassung der vertraglichen Bedingungen einer Finanzierung (wie beispielsweise der Financial Covenants) sowie einer Intercreditor-Vereinbarung insbesondere auch die Marktfähigkeit der im StaRUG vorgesehenen Instrumente hergestellt, was Grundvoraussetzung für die Zustimmung seitens der betroffen Finanzierer ist.
  • In den §§ 4 ff. StaRUG-E und §§ 217 ff. InsO-E sollte nicht nur auf Tochterunternehmen i. S. d. § 290 HGB, sondern auf verbundene Unternehmen i. S. d. § 15 AktG abgestellt werden. In der Beratungs- und Verwaltungspraxis geht es in den allermeisten Fällen auch immer um die Mithaftung von hierarchisch höher angesiedelten Gruppenunternehmen, deren Einbeziehung für eine Restrukturierung erforderlich ist.
  • 6 Satz 1 Ziff. 1 StaRUG-E mit dem Ausschluss von Forderungen von ArbeitnehmerInnen aus oder im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, einschließlich der Forderungen aus Zusagen auf betriebliche Altersversorgung bedarf einer Klarstellung, dass hierdurch keine einseitige Privilegierung von Sozialversicherungsbeiträgen oder der Lohnsteuer erfolgt. Eine derartige Privilegierung stünde im direkten Gegensatz zu der von § 10 StaRUG-E ansonsten regelhaft formulierten Einbeziehung möglichst aller potenziellen InsolvenzgläubigerInnen in einen Restrukturierungsplan und sollte deshalb im Sinne einer Ablehnung klargestellt werden.
  • Nach § 70 Abs. 2 StaRUG-E soll einem Restrukturierungsplan, der eine neue Finanzierung i. S. d. § 14 StaRUG-E vorsieht, die gerichtliche Bestätigung versagt bleiben, wenn das dem Plan zugrundeliegende Restrukturierungskonzept unschlüssig ist oder wenn Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass das Konzept nicht von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht oder keine begründete Aussicht auf Erfolg vermittelt. Mit diesen Formulierungen ist ein weiter gerichtlicher Beurteilungsspielraum eröffnet, der sich nicht auf Rechtsfragen, sondern auf wirtschaftliche Prognosen und Beurteilungen bezieht und wegen der ausholenden Definition neuer Finanzierungen in sehr vielen Fällen eröffnet sein wird.

 

3. Die Regelungen zur Vertragsbeendigung nach den §§ 51 ff. StaRUG: Eine massive Erweiterung von Vertragsrisiken und ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Privatautonomie

 Der Eingriff des StaRUG-E in gefestigte Vertragsstrukturen ist nur mit der Annahme begründbar, dass das deutsche Recht zur vorinsolvenzlichen Restrukturierung ohne dieses Instrument nicht konkurrenzfähig sein könnte. Ein solcher Eingriff ist jedoch verfassungsrechtlich bedenklich und untergräbt nachdrücklich das wechselseitige Vertrauen in die Vertragstreue, das seinerseits einen wesentlichen Pfeiler des deutschen Rechts darstellt. Aufgrund dieser von den meisten Stimmen geteilten Kritik sollte der Gesetzentwurf hierauf vollständig verzichten und Vertragsbeendigungen ausschließlich dem Insolvenzrecht vorbehalten.

 

  • Drohende Zahlungsunfähigkeit eröffnet gleichermaßen den Zugang zum Insolvenz- und Restrukturierungsverfahren. Im Kollektivverfahren Insolvenz trägt die Gesamtheit der GläubigerInnen den Nichterfüllungsschaden infolge der Beendigung von Verträgen nach §§ 103 ff. InsO. Im Restrukturierungsverfahren erbringen unter denselben Eintrittsvoraussetzungen der drohenden Zahlungsunfähigkeit nur die planbetroffenen GläubigerInnen bereits aufgrund ihrer Beteiligung ein Sonderopfer; bei Vertragsbeendigung nach Maßgabe der §§ 51 ff. StaRUG-E wird ihnen ein weiteres Sonderopfer abverlangt. Das dritte Sonderopfer der planbetroffenen GläubigerInnen besteht in der Plangestaltbarkeit einer Nichterfüllungsforderung (§ 54 Abs. 3 Satz 2 StaRUG-E), die als Regel- statt als Ausnahmefall[2] nur eine quotale Befriedigung erwarten lässt, weil die Vertragsbeendigung sonst wirtschaftlich sinnlos wäre. Im Insolvenzverfahren erfasst die Haftungsverwirklichung das gesamte Vermögen des Schuldners, bei der Restrukturierung nur den Teil, den der Schuldner zur Finanzierung dieser Quote bereit ist einzusetzen. Diese 4-fache Sonderbelastung des Gläubigers/der Gläubigerin, dessen Vertrag nach der §§ 51 ff. StaRUG-E beendet werden soll, stellt eine inadäquate Belastung im Vergleich zu nicht planbetroffenen GläubigerInnen dar, die sich nicht alleine durch den Befund rechtfertigt, „dass das Erfüllungsinteresse infolge der Schieflage des Schuldners wirtschaftlich ohnehin schon entwertet ist.“.
  • Eine Vertragsbeendigung nach § 51 Abs. 1 StaRUG-E soll jedoch (nur dann) nicht statthaft sein, wenn sie unter Berücksichtigung des Restrukturierungskonzepts, das dem Restrukturierungsplan zugrunde liegt, offensichtlich nicht sachgerecht ist. Sachgerecht, so die Entwurfsbegründung, „ist die Vertragsbeendigung, wenn sie zur Erreichung des Restrukturierungsziels erforderlich ist und damit notwendiges Element des Restrukturierungskonzepts, das mit dem Restrukturierungsplan realisiert werden soll. Nicht sachgerecht ist eine Vertragsbeendigung, um die bei Gelegenheit der Restrukturierung ersucht wird, ohne für die Realisierung des Restrukturierungsziels erforderlich zu sein. Erst recht ist eine Vertragsbeendigung nicht sachgerecht, wenn schon das Restrukturierungskonzept offensichtlich zur Bewältigung der Krise nicht geeignet ist oder sich gar als Vorwand für die einzig intendierte Vertragsloslösung erweist.[3] Eine Vertragsbeendigung soll also allein dadurch gerechtfertigt sein, dass sie zur Erreichung des Restrukturierungsziels erforderlich ist. Die Entwurfsbegründung verweist zur Frage der Erforderlichkeit, mithin ob es Alternativen zu einer Vertragsbeendigung gibt, darauf, dass dies im Kern eine wirtschaftliche und unternehmerische Entscheidung sei, die sich für eine gerichtliche Überprüfung nicht eigne. „Wie auch die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit des Plans im Rahmen der Planbestätigung nicht vom Gericht überprüft wird, sollen auch Einzelelemente des zugrundeliegenden Konzepts nicht durch das Gericht überprüft werden. Nur wenn der insoweit zu eröffnende Spielraum eindeutig überschritten ist, ist dem Schuldner die begehrte Vertragsbeendigung zu versagen. In allen anderen Fällen wird die Beendigung dadurch legitimiert, dass dem Schuldner es auch offen stünde, die Beendigung des Vertrags im Rahmen eines Insolvenzverfahrens zu erwirken.“, so die Begründung[4] Nicht einmal die Begründung hält für die „Sachgerechtigkeit“ eine Abwägung der grundrechtlich geschützten Interessen des Vertragspartners am – für ihn möglicherweise existenziellen – Erhalt des Vertrages und des Schuldnerinteresses an einer Restrukturierung seines Unternehmens außerhalb eines Insolvenzverfahrens für erforderlich. Hierin manifestieren sich erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, die auch durch einen bloßen Verweis auf die Möglichkeit der Beendigung des Vertrages auch im Rahmen eines Insolvenzverfahrens aufgrund der o.g. strukturellen Unterschiede der beiden Verfahren nicht ausgeräumt werden.
  • Die Möglichkeit einer Vertragsbeendigung außerhalb eines Insolvenzverfahrens provoziert umgehend Gegenmaßnahmen zur Beherrschung dieses Risikos wie Bankbürgschaften, auch Bürgschaften der Geschäftsführer, erhebliche Erhöhungen von Mietkautionen (im Gewerbemietraumrecht weitestgehend frei zu vereinbaren), Umstellungen auf Vorkasse, der Abschluss von Kreditausfallversicherungen sowie die Vereinbarung von Vorfälligkeitsentschädigungen bei vorzeitiger Beendigung des Mietverhältnisses (um hierdurch im Insolvenzfall die Schadenshöhe zu erhöhen und dann für den Nichterfüllungsschaden mit einer größeren Forderungssumme an einer Quote teilzunehmen) – kurzum: die Wirtschaft wird dieses Risiko im Verhältnis von Leistung zu Gegenleistung einpreisen mit der Folge, dass der Wirtschaftsverkehr hierdurch insgesamt betroffen ist.
  • Problematisch ist schließlich, dass die mit der Bestätigung der Vertragsbeendigung betrauten Restrukturierungsgerichte weder personell noch sachlich ausreichend ausgestattet sind, um die wirtschaftlich und rechtlich komplexen Fragestellungen in der gebotenen Kürze der Zeit zu beantworten. Sie werden sich voraussichtlich hierfür einzelner oder ggfls. sogar mehrerer Sachverständiger bedienen müssen.

 

4. Unabhängigkeit von Restrukturierungsbeauftragten, SanierungsmoderatorInnen und InsolvenzverwalterInnen

Das StaRUG schafft neue Funktionen, die in konfliktreichen Restrukturierungssituationen für die notwendige Verfahrensakzeptanz sorgen sollen. Es löst aber nicht die seit vielen Jahren offenen Fragen, wie die unbestimmten Rechtsbegriffe der Unabhängigkeit, fachlichen Eignung und die wesentlichen Inhalte der Verfahrensbearbeitung näher zu definieren sind. Dies, obwohl die Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz in Art 26 und der Koalitionsvertrag der Bundesregierung unter Zeile 6195 ff. die Notwendigkeit berufsrechtlicher Rahmenbedingungen für Insolvenzverwaltende, Restrukturierungsbeauftragte und SanierungsmoderatorInnen ausdrücklich benennen. Es wäre daher dringend geboten, dass gleich mit Inkrafttreten des StaRUG auch ein erster berufsrechtlicher Schritt vor allem im Interesse der GläubigerInnen und der betroffenen UnternehmerInnen vollzogen wird.

Dieser erste Schritt könnte in einem neuen § 56 Abs.3 InsO gesetzlich verankert werden, wonach allgemeinverbindliche Berufsausübungsreglungen durch das BMJV im Verordnungsweg zu bestimmen sind. Damit könnten die heute schon von vielen, aber eben bei weitem nicht von allen Insolvenzverwaltenden beachteten Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung des VID zu allgemeinverbindlichen Berufsstandards entwickelt werden. Diese könnte über einen entsprechenden Verweis auch für die Restrukturierungsbeauftragten und die SanierungsmoderatorInnen entsprechend gelten.

Zudem würden allgemeinverbindliche Berufsausübungsregelungen auch die Position der nach § 58 InsO aufsichtsführenden Restrukturierungs- und Insolvenzgerichte stärken, da damit erstmals ein Anforderungskatalog an die zu bestellenden Insolvenzverwaltenden, Restrukturierungsbeauftragten und SanierungsmoderatorInnen definiert wäre. Die aus Sicht des VID wenig zielführende Einführung etwaiger SondersachwalterInnen oder Sonderrestrukturierungsbeauftragter könnte entfallen, da sie letztendlich nur Ausdruck eines sich aus einem fehlenden Berufsrecht ergebenden Misstrauens gegenüber “mitgebrachten“ SachwalterInnen sind.

Mit der wissenschaftlichen Stellungnahme von Kästner/Amery vom 16.7.2020 wurde nachvollziehbar dargelegt, dass ein solcher Ansatz der Berufsausübungsregelungen in § 56 Abs. 3 InsO innerhalb des bestehenden Systems der Insolvenzordnung sowohl verfassungsrechtlich als auch europarechtlich ohne weiteres umgesetzt werden kann.

Unabhängigkeit, Qualifikation und Eignung der neu geschaffenen Funktionen des Restrukturierungsbeauftragten und des Sanierungsmoderators/der Sanierungsmoderatorin sollten in einer gesetzlichen Definition näher konkretisiert werden, die auch InsolvenzverwalterInnen und SachwalterInnen erfasst und einheitliche Maßstäbe mit klaren Kriterien definiert. Über den ersten Schritt der Berufsausübungsregelungen hinaus sollte der Gesetzgeber auch die verbleibenden Fragen des schon lange diskutierten Berufsrechts der InsolvenzverwalterInnen einer Lösung zu führen. Der VID hat bereits mehrfach konkrete Vorschläge[5] zur Ausgestaltung eines solchen Berufsrechts unterbreitet.

 

5. Das angepasste Vergütungsrecht für InsolvenzverwalterInnen und die neuen Vergütungsregelungen für Restrukturierungsbeauftragte: Nur Inflationsbedingte Mindestanpassungen und eine Fortsetzung alter Probleme

 Richtigerweise greift der Gesetzgeber nach mehr als 20 Jahren erstmalig eine grundlegende Anpassung des Vergütungsrechtes für InsolvenzverwalterInnen auf. Nicht nachvollziehbar ist jedoch, warum der Gesetzgeber nicht durch Streichung der sogenannten Vergleichsrechnungen auch die Gerichte von einem erheblichen Mehraufwand entlastet und zudem gerade beim überwiegenden Teil aller Verfahren, nämlich denjenigen mit geringsten Insolvenzmassen, eine Vergütungserhöhung selbst nach 20 Jahren ausschließen will.

Gerade in den sogenannten Ordnungsverfahren erfüllen InsolvenzverwalterInnen wichtige Aufgaben im Interesse der Allgemeinheit, auch für ArbeitnehmerInnen in Bezug auf Arbeitszeugnisse, Lohnbescheinigungen, etc. Wenn der Gesetzgeber die Erfüllung dieser Aufgaben nach wie vor für sinnvoll erachtet und an der mit Einführung der InsO getroffenen Entscheidung festhält, dass Insolvenzverfahren bereits dann eröffnet werden sollen, wenn nur die Verfahrenskosten gedeckt sind, dann muss die Erfüllung dieser Aufgaben auch adäquat bezahlt werden. Die Vorstellung und teilweise auch Argumentation, dass die Verwaltervergütung zu Lasten der Gläubigerbefriedigung gehe, ist irreführend und verkennt, dass in den massearmen Verfahren nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung nicht die Gläubigerbefriedigung, sondern die Ordnungsfunktion im Fokus steht. Eine angemessene Vergütung ist umso mehr geboten als das Anforderungsprofil gerade im Bereich der steuerlichen Aufgaben, aber auch im Datenschutz in den letzten Jahren deutlich angewachsen ist. Selbstverständlich ist es dabei für unseren Verband, dass Vergütungen transparent sind – und zwar für die am Verfahren Beteiligten. Dies bedeutet aber auch, dass wir eine öffentliche Bekanntmachung von Vergütungsanträgen und -beschlüssen ganz oder auch nur auszugsweise ablehnen.

Schließlich sollte die Transparenz und Kalkulierbarkeit der Vergütung auch im StaRUG Berücksichtigung finden. Aus weder nachvollziehbaren noch verfahrensförderlichen Gründen enthält das StaRUG komplexe Regelungen für die Budgetierung, ggf. Nachbesserung und schließlich Festsetzung der Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten und des Sanierungsmoderators/der Sanierungsmoderatorin. Dieses Verfahren ist für die Beteiligten weder transparent noch kalkulierbar. Eine Stundenvergütung ist daher abzulehnen zugunsten des seit Jahrzehnten bewährten Systems einer wertorientierten Pauschalvergütung, die das RVG ja auch für anwaltliche Vertreter von Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens vorsieht.

 

  • In Art. 6 greift der Entwurf einen über mehr als zwei Jahrzehnte aufgestauten Bedarf nach Anpassungen der Insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung auf. Bis in die jüngste Vergangenheit hat die höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl. BGH IX ZB 29/19 vom 17.9.2020) diesen Bedarf verneint, obwohl er schon mit Blick auf die zwischenzeitlichen Anpassungen anderer Vergütungsregelwerke und die ausgreifenden Entwicklungen der gesetzlichen Aufgaben von InsolvenzverwalterInnen und SachwalterInnen unabweisbar geworden war.
  • Die im Gesetzentwurf vorgesehene Anhebung der Regelvergütung in § 2 Abs. 1 InsVV ist entsprechend der vorangegangenen Initiative der Berufsverbände der InsolvenzverwalterInnen grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings ist zweifelhaft, ob die vorgeschlagenen Änderungen die Reformvorgaben des Verordnungsgebers erfüllen und in Zukunft eine angemessene Vergütung sicherstellen werden. Entgegen dem Reformvorschlag der Berufsverbände soll die Regelvergütung bis zu einer Insolvenzmasse von 25.000,00 € überhaupt nicht erhöht werden. Dem widerspricht schon die in der Entwurfsbegründung wiedergegebene einmütige Erkenntnis, dass sowohl inflationsbedingt als auch wegen der seit 1999 spürbar erhöhten Anforderungen an die Verwalter eine Erhöhung der Vergütungssätze geboten ist. Der Verordnungsgeber verweist zur Rechtfertigung seiner Zurückhaltung auf die Belastung der am Verfahren beteiligten GläubigerInnen durch erhöhte Verfahrenskosten sowie auf das Risiko, dass es im Bereich der Kleinstverfahren nicht zu einer flächendeckenden Abweisung von Insolvenzanträgen mangels Masse kommen darf, um die Ordnungsfunktion des Insolvenzverfahrens nicht zu beinträchtigen. Allerdings sind beide Argumente nicht überzeugend. Selbst bei Erhöhung des Prozentsatzes auf der ersten Vergütungsstufe entsprechend dem Reformvorschlag der Berufsverbände verblieben immer noch 50 % der realisierbaren – naturgemäß auf dieser Stufe geringen – Insolvenzmasse, um sonstige Verfahrenskosten zu decken und ggf. sogar eine geringfügige Quote an GläubigerInnen auszuschütten. Ein erhöhtes Abweisungsrisiko kann allenfalls bei Insolvenzmassen unter 5.000,00 € erkannt werden, wenn die nach Abzug der Regelvergütung verbleibende Insolvenzmasse nicht mehr ausreichen sollte, um Gerichtskosten sowie gerichtliche Auslagen, gegebenenfalls nach JVEG, abzudecken. Ein Verlust der Ordnungsfunktion des Insolvenzverfahrens in nennenswertem Umfang wäre deshalb auch bei einer angemessenen Erhöhung nicht zu besorgen.
  • Wie in 3.4 des gemeinsamen Reformvorschlages von NIVD und VID auf S. 10 ff. ausführlich dargelegt, müssen aufgrund der dort ebenfalls ausführlich zitierten Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs alle Vergütungszuschläge, die mit einer massemehrenden Tätigkeit verbunden sind, mit einer Vergleichsrechnung versehen werden. Dies führt nicht selten dazu, dass in einem Vergütungsantrag fünf oder mehr Vergleichsrechnungen für einzelne in Anspruch genommene Zuschlagstatbestände vorgenommen und erläutert werden müssen. Wie bereits in der Begründung des Reformvorschlages dargelegt, belasten diese Erschwernisse nicht nur die Verwalter, sondern vor allem auch die mit der Festsetzung befassten Insolvenzgerichte. Diese müssen ohne entsprechende Berechnungsprogramme oder geeignete sonstige Hilfsmittel jede Vergleichsrechnung händisch nachvollziehen, was dem Ziel einer effektiven Verfahrensbearbeitung und vereinfachten Vergütungsfestsetzung zuwiderläuft. Wir regen daher nochmals eingehend an, die zu § 3 Abs. 1 a) und b) InsVV vorgeschlagenen teilweisen Streichungen doch umzusetzen. Damit wäre in der Praxis für Gerichte und Verwalter eine ganz erhebliche und dauerhafte sowie kostensparende Arbeitserleichterung verbunden. Die mit dem Wegfall der Vergleichsrechnung verbundene mittelbare Vergütungserhöhung würde zum einen das Zurückbleiben hinter den inflations- und aufgabenbedingten Erhöhungsvorschlägen der Verwalterverbände ausgleichen und könnte zum anderen im Einzelfall auch bei der Zuschlagsbemessung berücksichtigt werden.
  • In den § 87 ff. StaRUG-E wird die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten geregelt. Für seine persönliche Tätigkeit soll er nach § 88 Abs. 1 StaRUG-E ein Honorar auf der Grundlage angemessener Stundensätze erhalten. Im Regelfall sollen diese Stundensätze gem. § 88 Abs. 3 Satz 2 350,00 € nicht übersteigen und gem. § 88 Abs. 4 Satz 1 mit der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten durch das Restrukturierungsgericht festgesetzt werden. Eine Überschreitung des Regelbetrages, insbesondere durch höhere Stundensätze, ist nach § 90 StaRUG-E nur in Ausnahmefällen möglich. Zugleich soll das Restrukturierungsgericht auf der Grundlage von Stundenbudgets, die dem voraussichtlichen Aufwand und der Qualifikation des Beauftragten und der qualifizierten Mitarbeiter angemessen Rechnung tragen, auch einen Höchstbetrag für das Honorar bestimmen. Ein Stundenbudget soll gem. § 88 Abs. 4 Satz 2 StaRUG-E dem voraussichtlichen Aufwand angemessen Rechnung tragen. Spätere Änderungen dieses Aufwands können zwar nach § 88 Abs. 6 StaRUG-E berücksichtigt werden, der neben einer Darlegung von Grund und Höhe des Mehrbedarfs vor entsprechenden gerichtlichen Entscheidungen eine Anhörung der Auslagenschuldner vorsieht. Liegt dabei aber kein nach § 90 StaRUG-E definierter Ausnahmefall vor, der zu einer Überschreitung des Höchstbetrages berechtigt, wird diese Struktur selbst bei Darlegung eines Mehrbedarfs oftmals zu einer ablehnenden Haltung der Auslagenschuldner führen. Dies vor allem dann, wenn der Restrukturierungsbeauftragte als Sachverständiger bestellt wird (§ 80 Abs. 3 StaRUG), wofür gem. § 41 Abs. 1 StaRUG-E auch ein externer Sachverständiger zu den günstigeren Stundensätzen des JVEG hätte bestellt werden können. Vor diesem Hintergrund werden die Restrukturierungsgerichte bei der Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten darauf bedacht sein, den Rahmen des § 88 Abs. 3 Satz 2 StaRUG-E nur in Ausnahmefällen auszuschöpfen und sich bei der Festlegung der Stundensätze an den Stundensätzen des JVEG zu orientieren. Eine solche Beschränkung stünde aber im eklatanten Gegensatz zu der nach § 82 Abs. 4 StaRUG-E gegenüber allen Betroffenen eröffneten (und damit von § 839a BGB abweichenden) Haftung des Restrukturierungsbeauftragen und sollte deshalb durch eine gesetzliche Klarstellung verhindert werden.
  • Mit der durch § 5 Abs. 5 InsO-E eingeführten Verpflichtung von InsolvenzverwalterInnen, in näher definierten Insolvenzverfahren ein Gläubigerinformationssystem vorzuhalten, geht der Entwurf einen richtigen Schritt zur Erleichterung des Zugangs zu Verfahrensinformationen. In den zahlreichen, durch Art. 6 ausgeführten Änderungen der InsVV findet sich aber kein entsprechender Änderungsvorschlag, der die Kosten eines solchen Systems der Masse zuweist. Eine solche ergänzende Zuweisung wäre aber nach der Rechtsprechung des BGH (IXZB 62/15 vom 14.07.2016) notwendig, nach der bislang die Kosten für ein Gläubigerinformationssystem auch dann, wenn sie einem einzelnen Verfahren zuordenbar sind, nicht zusätzlich zur Vergütung des Verwalters aus der Masse aufzubringen sind.

 

6. Die zeitlich begrenzten InsO-Änderungen in Art.10: Leider keine angemessene Reaktion auf zahlreiche Unternehmenskrisen im KMU-Bereich durch die COVID-19 Pandemie

 Grundsätzlich begrüßt unser Berufsverband die Umsetzung der ESUG-Evaluierung. Für sich betrachtet und auch im Zusammenspiel mit dem StaRUG kann sie jedoch noch keine Lösung, für die derzeit von der Pandemie besonders betroffenen Unternehmen bieten. Gerade für ausschließlich pandemiegeschädigte Unternehmen mit an sich tragfähigem Geschäftsmodell müssen adäquate Regelungen eines COVID-Schutzschirmverfahrens etabliert werden. Damit könnten vor allem kleine und mittelständische Unternehmen ohne zusätzlichen Beratungsaufwand und mit niedrigschwelligen Eingangsvoraussetzungen ihr Unternehmen weitestgehend eigenverantwortlich und mit einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen SachwalterInnen und Unternehmensleitung neu ausrichten.

  • Mit Art. 10 SanInsFoG formuliert der Entwurf einen Änderungsvorschlag zu § 5 des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes. Auch bereits zahlungsunfähige Unternehmen sollen einen erleichterten Zugang zu Eigenverwaltungsverfahren nach § 270d InsO-E (Schutzschirmverfahren – bislang § 270 b InsO) erhalten, wenn in der Bescheinigung nach § 270 d Abs. 1 Satz 1 bestätigt wird, dass der Schuldner zum 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig war, der Schuldner in dem letzten, vor dem 1. Januar 2020 abgeschlossenen Geschäftsjahr ein positives Ergebnis aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit erwirtschaftet hat und der Umsatz aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit im Kalenderjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 40 % eingebrochen ist. Dieser Änderungsvorschlag geht zutreffend davon aus, dass für Unternehmen, die erst durch die COVID-19-Pandemie in eine existentielle Krise geraten sind, ein erleichterter Zugang zu den effektiven Sanierungsinstrumenten des Schutzschirmverfahrens geschaffen werden sollte. Dieser Zugang sollte aber gerade mit Blick auf die voraussichtlich überdurchschnittlich betroffenen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) noch weiter erleichtert werden, weil sie die vorgesehenen Nachweise nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oftmals nicht vollständig erbringen werden können.
  • Unternehmen, die lediglich aufgrund der Pandemie zahlungsunfähig geworden sind, sollten eine vereinfachte Möglichkeit erhalten, ohne nennenswerten Beratungs- und Kostenaufwand vom Sanierungsverfahren nach § 270d InsO-E Gebrauch zu machen. Entscheidend ist insoweit, dass die Zahlungsunfähigkeit ausschließlich auf solchen Forderungen basiert, die nach dem 01.01.2020 fällig geworden sind. Statt der üblicherweise durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer zu erstellenden Sanierungsbescheinigung genügt es, dass in dem ohnehin gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 InsO vorzulegenden Gläubigerverzeichnis die Fälligkeit aller Forderungen ausgewiesen und die Vollständigkeit und Richtigkeit der Angaben durch das Unternehmen zu versichern sind.
  • Im Hinblick auf diese erleichterten Zugangsvoraussetzungen zum COVID-Schutzschirmverfahren sollten auch die Aufgaben des Sachwalters/der Sachwalterin in adäquater Weise angepasst werden. Die kostenintensive Begleitung durch spezialisierte Berater können sich viele kleine und mittlere Unternehmen in der aktuellen Krise nicht mehr leisten. Erforderlich ist deshalb ein Arbeiten Hand in Hand zwischen der Unternehmensleitung und dem/der gerichtlich bestellten SachwalterIn. Im Zuge dessen sollten dem/der (vorläufigen) SachwalterIn weitere Aufgaben und Befugnisse zugewiesen werden, um in den Unternehmen den Beratungsaufwand zu reduzieren und auch die Erfolgschancen der Sanierung zu verbessern. Dazu gehört unter anderem ein Planinitiativrecht, bei dem der Sachwalter/die Sachwalterin den Insolvenzplan vorlegen darf. Denkbar wäre auch, dass das Unternehmen nicht mehr in der eigenen Geschäftsleitung oder durch hinzugezogene Berater die insolvenzrechtliche Kompetenz für ein Eigenverwaltungsverfahren darstellen muss. Hier könnte der Sachwalter/die Sachwalterin durch weitere Kompetenzen quasi als „starke(r) SachwalterIn“ fungieren, um die Rechte der GläubigerInnen zu wahren und gleichzeitig dem Unternehmer/der Unternehmerin bei der Unternehmensführung im täglichen Ablauf möglichst große Handlungsspielräume zu verschaffen.
  • Die Sicherung von Arbeitsplätzen durch Kurzarbeitergeld und sonstige staatliche Hilfen steht derzeit im Mittelpunkt der staatlichen Maßnahmen zur Eingrenzung der Pandemiefolgen. Über ein COVID-Schutzschirmverfahren sollten deshalb auch soweit als möglich Arbeitsplätze erhalten werden. Dazu sollte es diesen betroffenen Unternehmen auch möglich sein, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf die Finanzierung der Gehälter durch das Kurzarbeitergeld zurückzugreifen können. Dies selbst dann, wenn im Zeitraum des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens die Gehälter der Mitarbeiter über das Insolvenzausfallgeld finanziert wurden. Damit wäre es möglich, den Sanierungsprozess während des COVID-Schutzschirmverfahrens zu konzipieren und umzusetzen, ohne zugleich unmittelbar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Kündigungen aussprechen zu müssen.
  • Die mit dem SanInsFoG vorgesehenen Änderungen der §§ 270 ff. InsO verschärfen die Eingangsvoraussetzungen für ein Schutzschirmverfahren in Eigenverwaltung. Diese verschärften Eingangsvoraussetzungen sind grundsätzlich zu begrüßen und Ergebnis der von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Evaluation des ESUG. In Pandemiezeiten ist es im Hinblick auf das vorstehend formulierte Ziel der Unterstützung unverschuldet in die Krise geratener Unternehmen jedoch sinnvoll, das Inkrafttreten der Verschärfung auf die Zeit nach der Bewältigung der Pandemie und somit zunächst auf den 01.01.2022 zu verschieben.
  • Die Kosten eines COVID-Schutzschirmverfahrens dürfen für kleine und mittlere Unternehmen nicht untragbar werden. Deshalb sollte eine gesetzliche Obergrenze definiert werden, die sicherstellt, dass die Gesamtkosten – unter Einschluss der Beraterhonorare – die Kosten eines Insolvenzverfahrens nicht überschreiten dürfen. Auch für die Vergütung des „starken“ Sachwalters/der „starken“ Sachwalterin kann auf das bewährte Vergütungsmodell der InsVV zurückgegriffen werden, das ggfl. durch weitere erfolgsorientierte Zuschlagstatbestände ergänzt werden könnte. Der Zuschlagstatbestand des § 3 Abs.1 e) InsVV (Ausarbeitung eines Insolvenzplans durch den Verwalter) weist bereits heute in diese Richtung. Aufgrund der anders gelagerten Tätigkeiten des Sachwalters/der Sachwalterin, u.a. Tabellenführung, Beteiligung an der Insolvenzgeldfinanzierung, Kassenführung, persönliches Haftungsrisiko, etc., ist nicht die ohnehin kritisch bewertete Parallele zu § 88 StaRUG angezeigt. Dies umso mehr als in diesem Fall eine qualitative Unterstützung durch erfahrene SachwalterInnen nicht mehr gewährleistet ist und der unterstützende Ansatz des COVID-Schutzschirmverfahrens sich in das Gegenteil verkehren würde.

 

7. Digitalisierung – Zugang und Mitwirkung der GläubigerInnen

Vor allem die Covid-19-Pandemie hat nochmals deutlich gemacht, dass die GläubigerInnen keinen angemessenen Zugang zum Insolvenzverfahren haben. Gerade in Bezug auf die Informationsbeschaffung und die Ausübung ihrer Rechte sind sie auf analoge Formate gesetzlich beschränkt. Akteneinsicht bei den Insolvenzgerichten und die papierhafte Anmeldung ihrer Forderungen zur Insolvenztabelle bauen vermeidbare Hürden auf. Ein obligatorisches Gläubigerinformationssystem ist nicht nur sofort für alle Insolvenzverfahren möglich, sondern belastet weder den Bundes- noch den Landeshaushalt, da es die InsolvenzverwalterInnen für alle GläubigerInnen bereitstellen müssen. In gleicher Weise sollte auch die Anmeldung der Insolvenzforderung in der Regel uneingeschränkt in digitaler Form erfolgen; nur wo der Zugang zu digitalen Medien fehlt oder die Anforderungen an eine i.S.v. § 126a BGB formgerechte Übermittlung nicht erfüllt werden können, kann im Einzelfall der betroffene Gläubiger/die betroffene Gläubigerin auch in der bisherigen Form seine/ihre Forderung anmelden. Dies erfordert allerdings auch Schnittstellen zur elektronischen Übermittlung der niederzulegenden Unterlagen an das Gericht, da anderenfalls dem Insolvenzverwalter/der Insolvenzverwalterin mit dem Ausdruck eine Zusatzbelastung aufgebürdet wird. Mit diesen Änderungen kann zum einen auf die pandemiebedingten Besonderheiten reagiert und andererseits auch ein erster wesentlicher Schritt zur Digitalisierung des Insolvenzverfahrens erfolgen. Die im Kern sicherlich richtige aber mit weitrechenden Umsetzungsschwierigkeiten verbundene Lösung einer weiteren Stärkung der Rechte durch eine virtuelle Gläubigerversammlung sollte mittelfristig in den Blick genommen werden, aber nicht kurzfristig zu einer Überbelastung der Gerichtsstrukturen führen.

Die notwendige Digitalisierung von Restrukturierungs- und Insolvenzverfahren sollte in erster Linie auf die Bedürfnisse der Verfahrensbeteiligten reagieren, die durch die Pandemiesituation eindrucksvoll sichtbar geworden sind, und die Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung und Kostenreduzierung ausschöpfen. Dies umso mehr als sowohl der Koalitionsvertrag der Bundesregierung vom 12.3.2018 unter Zeile 6199f. die Notwendigkeit der Digitalisierung benennt und die wesentlichen Gläubigergruppen bzw. Verfahrensbeteiligte sich in einem gemeinsamen Positionspapier schon im Jahr 2018 für ein Insolvenzverfahren 4.0 nachdrücklich ausgesprochen haben.

Die Begründung des Entwurfs weist an mehreren Stellen explizit darauf hin, dass das Insolvenzverfahren und der eine Insolvenz abwendende Restrukturierungsrahmen zur Effizienzsteigerung auch des Einsatzes elektronischer Kommunikationsmittel bedürfen. Insbesondere solle es möglich sein, Gläubigerversammlungen und Abstimmungen über Insolvenz- oder Restrukturierungspläne unter Einsatz von Fernkommunikationsmitteln durchzuführen.[6]

Während § 22 StaRUG-E im Restrukturierungsverfahren für die Abstimmung im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen die Möglichkeit der elektronischen Teilnahme vorsieht, fehlt es für das Insolvenzverfahren weiterhin an einer solchen Regelung. So sieht der Entwurf lediglich vor, dass bei einer vom Insolvenzverwalter/von der Insolvenzverwalterin zugelassenen elektronischen Forderungsanmeldung auch die Nachweisurkunden in elektronischer Form übermittelt werden können und eine elektronische Rechnung zu den Urkunden im Sinne des § 174 Abs. 1 Satz 2 zählt, aus denen sich die Forderung ergibt. (vgl. § 174 Abs. 4 InsO-E).

Mit der in Art. 5 formulierten Änderung von § 174 InsO verbindet der Entwurf die Erwartung einer Erleichterung elektronischer Forderungsanmeldungen. Die Einsendung von Originalen, Abschriften in Papierform oder Ausdrucken soll nur noch nach gesonderter Aufforderung durch den Insolvenzverwalter/der Insolvenzverwalterin oder durch das Insolvenzgericht erforderlich sein. Schon die in § 175 Abs. 1 InsO geregelte Niederlegung der Tabelle[7] mit den Anmeldungen sowie den beigefügten Urkunden macht aber deutlich, dass eine Aufforderung durch die Gerichte der Regelfall bleiben wird. Die bereits bestehende Regelung in § 174 Abs.4 InsO müssen dafür nur insoweit geändert werden, als es zukünftig nur noch heißt: „Die Anmeldung soll durch die Übermittlung eines elektronischen Dokuments erfolgen.“ Da die Forderungsanmeldung nicht bei Gericht, sondern bei dem Insolvenzverwalter/der Insolvenzverwalterin zu erfolgen hat, muss dieser auch die elektronischen Voraussetzungen hierfür schaffen. Etablierte Software hierfür ist seit Jahren im Einsatz, gleiches gilt für die notwendige Schnittstelle zwischen InsolvenzverwalterIn und Insolvenzgericht.

Wesentliche Neuerung ist allein die Regelung zum elektronischen Gläubigerinformationssystem in § 5 Abs. 5 InsO-E. Allerdings sollte sich die zwingende Verpflichtung zur elektronischen Gläubigerinformation auf alle Insolvenzverfahren, unabhängig von ihrer Größe, erstrecken, denn die individuelle Betroffenheit und das Informationsbedürfnis der GläubigerInnen ist nicht abhängig von der Größe des insolventen Unternehmens.

Eine echte Digitalisierung[8] des Verfahrens ist im SanInsFoG nicht vorgesehen. Dies erstaunt insoweit, als dass die umzusetzende Richtlinie in Art. 28 konkrete Vorgaben enthält. Diese sehen vor: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass in Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren die Verfahrens­parteien, die Verwalter und die Justiz- oder Verwaltungsbehörde auch in grenzüberschreitenden Situationen mindestens folgende Handlungen elektronisch vornehmen können: a) Geltendmachung von Forderungen; b) Einreichung von Restrukturierungs- oder Tilgungsplänen; c) Mitteilungen an die Gläubiger; d) Einlegung von Beanstandungen und Rechtsbehelfen.“ Auch wenn diese Vorgaben im Hinblick auf die Fristen nach Art. 34 Abs. 1 der RL erst bis Juli 2024, bzw. Juli 2026 umzusetzen sind, ist vor dem Hintergrund der aktuellen Pandemie kein Grund für ein weiteres Zuwarten erkennbar.

Um Unternehmen betroffener Rechtsformen sowie Vereinen und Stiftungen die Möglichkeit zu geben, auch bei Fortbestehen der durch die COVID-19-Pandemie bedingten Einschränkungen Beschlussfassungen vorzunehmen, wurde hingegen bereits Anfang diesen Jahres das Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie verabschiedet. So sind Erleichterungen zur elektronischen Durchführung von Hauptversammlungen bei Aktiengesellschaften ebenso geschaffen worden, wie für Mitgliederversammlungen bei Vereinen. Diese Regelungen wurden zwischenzeitlich auch bereits bis zum 31.12.2021 verlängert.[9]

  

 

Zusammenfassung:

 

  1. Der Regierungsentwurf des SanInsFoG formuliert ein breites Spektrum gesetzlicher Änderungen mit dem Ziel einer Ergänzung und Ausweitung gesetzlicher Verfahren zur Restrukturierung und Sanierung von Unternehmen. Diese Erweiterung gesetzlicher Verfahren und Instrumente ist im Grundsatz richtig, damit betroffene Unternehmen auf unterschiedliche Krisenstadien und dynamisch verlaufende Krisen angemessen reagieren und entsprechende Verfahren einleiten können.
  1. Die Vorverlagerung der gesetzlichen Reaktionsangebote wird richtigerweise mit einer Vorverlagerung gesetzlicher Verantwortung von Geschäftsleitungsorganen verbunden, die das Gläubigerinteresse schon bei Eintritt der drohenden Zahlungsfähigkeit in den Vordergrund rückt. Diese Akzentverschiebung wird einen erhöhten Beratungsaufwand auslösen.
  1. Mit dem StaRUG wird ein Verfahrensrahmen zur Prävention von Insolvenzverfahren eingeführt, der mit seinem modularen Aufbau eine große Flexibilität ermöglicht. Der Verzicht auf eine Bestandsfähigkeitsprüfung als Eingangsvoraussetzung erleichtert jedoch den Verfahrenszugang für ungeeignete Unternehmen und bedingt gerichtliche Prüfungen in den eskalierenden Stufen des Verfahrens und damit eine große Zahl teilweise komplexer Beurteilungen im Verlauf einer oftmals dynamischen Krisenentwicklung. Dies hat Auswirkungen auf die Planbarkeit und Berechenbarkeit von Verfahren.
  1. Das in den §§ 51 ff. StaRUG-E vorgelegte Konzept einer Vertragsbeendigung sollte ersatzlos gestrichen werden. Seine Umsetzung würde eine weitreichende Erhöhung von Vertragsrisiken auslösen und in unverhältnismäßiger Weise in die verfassungsrechtlich geschützte Privatautonomie betroffener GläubigerInnen eingreifen.
  1. Auf den langjährig aufgestauten Änderungsbedarf bei den Vergütungsregeln für InsolvenzverwalterInnen reagiert der Entwurf lediglich mit Mindestanpassungen, die vor allem bei kleinen Insolvenzverfahren und im Rahmen der Vergleichsrechnung bei Zu- und Abschlägen deutlich hinter den notwendigen Änderungen zurückbleiben.
  1. Mit den vorgeschlagenen Änderungen des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes weist der Entwurf in die richtige Richtung und reagiert auf den unabweisbaren Bedarf eines erleichterten Zugangs zu insolvenzrechtlichen Sanierungsinstrumenten für betroffene Unternehmen. Dieser Zugang sollte jedoch mit Blick auf kleine und mittlere Unternehmen durch ein COVID-Schutzschirmverfahren nochmals vereinfacht werden.
  1. Mit seinen Änderungsvorschlägen zur Digitalisierung von Verfahren bleibt der Entwurf hinter dem Bedarf der Rechtsanwender zurück, der durch die Pandemiesituation eindrucksvoll sichtbar geworden ist.
  1. Die neuen Funktionen des Restrukturierungsbeauftragten und des Sanierungsmoderators/der Sanierungsmoderatorin unterstreichen den im Entwurf nicht adressierten aber von der europäischen Richtlinie genannten Bedarf nach einem modernen Berufsrecht, das Qualifikation, Zulassung, Bestellungsvoraussetzungen und Aufsicht in überzeugender und an internationale Standards angepasster Weise vereinheitlicht. Mit einem sehr überschaubaren Aufwand lässt sich ein erster Schritt mit der Schaffung allgemeiner Regeln zur Berufsausübung auch schon in dem vorliegenden Gesetzgebungsverfahren umsetzen.

 

Berlin, 23.11.2020

 

Dr. Christoph Niering
Vorsitzender

 

Kontakt:
Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e.V. (VID)
Französische Straße 13/14
10117 Berlin
Tel.: 030/ 20 45 55 25
E-Mail: info@vid.de
Web: www.vid.de

 

[1] Abrufbar unter https://www.vid.de/wp-content/uploads/2020/10/VID-Stellungnahme-zum-RefE-SanInsFoG.pdf.

[2] Vgl. Entwurfsbegründung S. 146.

[3] Vgl. Entwurfsbegründung S. 148.

[4] Vgl. Entwurfsbegründung S. 148.

[5] Eckpunktepapiere zur Weiterentwicklung des Berufsrechts (abrufbar unter https://www.vid.de/initiativen/weiterentwicklung-des-berufsrechts-vorschlag-an-das-bmjv-und-rechtspolitiker-im-deutschen-bundestag/ ), Gemeinsames Eckpunktepapier des BAKinsO e.V., der NIVD e.V. und des VID e.V. (abrufbar unter https://www.vid.de/wp-content/uploads/2019/12/reformbedarf-im-berufsrecht-der-insolvenzverwalter-gem.-eckpunktepapie-bakinso-nivd-vid.pdf), VID-Eckpunktepapier zum Berufsrecht (abrufbar unter https://www.vid.de/wp-content/uploads/2018/12/vid-eckpunktepapier-zum-berufsrecht-final.pdf).

[6] Vgl. Entwurfsbegründung S. 85, sowie 82 und 92.

[7] Zur Niederlegung vgl. Sinz in Uhlenbruck, InsO-KO, 15. Aufl. 2019, § 175, Rz. 21f.

[8] Vorschläge für eine weitere Digitalisierung des Insolvenzverfahrens hat der VID bereits 2018 im Eckpunktepapier „Insolvenzverfahren 4.0“ unterbreitet (abrufbar unter https://www.vid.de/wp-content/uploads/2018/07/eckpunktepapier-insolvenzverfahren-4.0.pdf).

[9] Verordnung zur Verlängerung von Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (GesRGenRCOVMVV) vom 20. Oktober 2020, BgBl. Jahrgang 2020 Teil I Nr. 48, vom 28.10.2020, S. 2258.

RefE eines Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarktintegrität

 

A. Vorbemerkung

Der vorliegende Entwurf zielt auf die Umsetzung der vordringlichen Maßnahmen zur Wiederherstellung und dauerhaften Stärkung des Vertrauens in den deutschen Finanzmarkt. Dies erfolgt vor dem Hintergrund, dass die Funktionsfähigkeit des deutschen Finanzmarktes für die deutsche Wirtschaft und den Wohlstand im Land von zentraler Bedeutung ist.[1]

Der VID begrüßt den Ansatz des Entwurfs. Die Vorschläge gehen jedoch nicht weit genug. Die nachfolgende Stellungnahme zeigt die Wirksamkeit einzelner vorgeschlagener Maßnahmen aus insolvenzrechtlicher Perspektive auf. 

 

B. Im Einzelnen

 

§ 323 Abs. 2 HGB-E

a) Haftungshöchstgrenzen

§ 323 Abs. 2 Satz 1 und 2 HGB-E sehen vor: „Die Ersatzpflicht der in Absatz 1 Satz 1 genannten Personen, die nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt haben, beschränkt sich auf zwei Millionen Euro für eine Prüfung. Bei Prüfung einer Kapitalgesellschaft, die ein Unternehmen von öffentlichem Interesse (§ 316a Satz 2) ist, beschränkt sich die Ersatzpflicht von Personen, die nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt haben, abweichend von Satz 1 auf zwanzig Millionen Euro für eine Prüfung.“

Der Entwurf will damit die zivilrechtliche Haftung der Abschlussprüfer, ihrer Gehilfen und der bei der Prüfung mitwirkenden gesetzlichen Vertreter einer Prüfungsgesellschaft gegenüber der geprüften Kapitalgesellschaft verschärfen. Um die notwendigen Anreize für eine sorgfältige und gewissenhafte Prüfung der Rechnungslegungsunterlagen zu setzen, werden die Haftungshöchstgrenzen von bisher einer, bzw. vier Millionen Euro auf zwei, bzw. zwanzig Millionen Euro heraufgesetzt.

Die Begründung führt dazu aus: Die höhere Haftungshöchstgrenze wird künftig nicht mehr nur für Aktiengesellschaften gelten, deren Aktien zum Handel im regulierten Markt zugelassen sind, sondern auf alle Unternehmen von öffentlichem Interesse angewendet. Für grob fahrlässiges Verhalten wird es künftig keine Haftungshöchstgrenze mehr geben. Schließlich kann sich der Prüfer künftig nicht mehr auf eine Haftungshöchstgrenze berufen, wenn er selbst einfach fahrlässig, sein Gehilfe aber vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat, sofern dieses Verhalten des Gehilfen dem Prüfer haftungsrechtlich zuzurechnen ist.“[2]

Die nun vorgeschlagenen Haftungshöchstgrenzen sind jedoch weiterhin zu niedrig angesetzt.

(Schwerwiegende) Prüffehler von Abschlussprüfern können bei den geprüften Unternehmen bzw. deren Gläubigern (hohe) Schäden verursachen und dazu führen, dass Insolvenzanzeichen zu spät erkannt und rechtzeitige Maßnahmen zur Krisenabwendung oder Restrukturierung unterlassen werden.

Der im Insolvenzfall für das Unternehmen bestellte (vorläufige) Insolvenzverwalter ist verpflichtet, für die Gläubiger auch mögliche Haftungs- /Regressansprüche (gegen Dritte) zu prüfen und ggf. (gerichtlich) geltend zu machen. In diesen Fällen muss der Insolvenzverwalter nachweisen, dass dem insolventen Unternehmen ein Schaden entstanden ist. Dies ist insbesondere dann problematisch, wenn der Abschlussprüfer dem insolventen Unternehmen trotz gegenteiliger Umstände ein Testat ohne entsprechende Einschränkungen erteilt. Dass dabei im Fall eines Streits um ein Fehlverhalten des Abschlussprüfers hohe Schadenssummen keine Einzelfälle sind, zeigen prominente Fälle der jüngeren Vergangenheit:

So berichtete zuletzt das JUVE-Magazin am 22.10.2020:

 Der Insolvenzverwalter der Maple Bank hat die Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft Ernst & Young (EY) auf 195 Millionen Euro Schadensersatz verklagt. Er wirft ihr falsche Beratung bei den umstrittenen Cum-Ex-Geschäften zu Lasten der Staatskasse vor.  (…) Zunächst hatte der Insolvenzverwalter in der Klage aus dem Dezember 2019 die Schadensersatzforderung noch auf 95 Millionen Euro beziffert. Inzwischen wird der Schaden der Kläger aus Cum-Ex-Geschäften mit rund 258 Millionen Euro kalkuliert. „Unter Berücksichtigung von Vergleichen, welche der Kläger mit Dritten geschlossen hat, macht er zwischenzeitlich nach Klageerhöhung eine bezifferte Forderung in Höhe von rund 195 Millionen Euro geltend“, bestätigte eine Gerichtssprecherin gegenüber JUVE. Die Beklagte EY in ihrer Eigenschaft als Abschlussprüferin habe die Jahresabschlüsse der Maple Bank  pflichtwidrig testiert und als Steuerberaterin fehlerhaft  beraten. (…) „Im Hinblick auf Cum-Cum-Geschäfte kann der Schaden nach Angaben des Klägers noch nicht beziffert werden. Insoweit – wie auch im Hinblick auf etwaige weitere Schäden aus Cum-Ex-Geschäften – begehrt er die Feststellung der Schadensersatzpflicht dem Grunde nach“, führte die  Gerichtssprecherin weiter aus. Bei einem pflichtgemäßen Verhalten von EY wären die Cum-Cum- sowie  Cum-Ex-Geschäfte der Maple Bank unterblieben, so die Argumentation des Insolvenzverwalters, zudem hätten die Prüfer ein Testat erteilt, obwohl die Maple Bank für solche riskanten Geschäfte keine Rückstellungen gebildet habe. Unter Berücksichtigung der nun erfolgten  Rückforderung von Kapitalertragssteuer-Erstattungen durch den Fiskus seien diese  Geschäfte zu verlustreich gewesen und hätten letztlich zur Insolvenz der Maple Bank geführt.  Die Maple Bank war 2016 wegen ihrer Verwicklung in Cum-Ex-Geschäfte zusammengebrochen. Die Rückforderungen des Fiskus beliefen sich seinerzeit Medienberichten zufolge auf 450 Millionen Euro. Ein Sprecher von EY wies die Anschuldigungen zurück. „Wir betonen, dass wir an der Gestaltung von Cum-Ex-Geschäften weder in diesem Fall noch in anderen Fällen beteiligt waren.“ Die Parteien haben nun bis Anfang kommenden Jahres Zeit, Stellung zu nehmen. Und auch, sich noch gütlich zu einigen.(…)“[3]

Die Süddeutsche berichtete am 06.10.2020:

„(…) Wo lässt sich noch Geld holen? Das ist eine der Kernfragen für Michael Jaffé, den Insolvenzverwalter von Wirecard. Er hat kaum Vermögen vorgefunden, dafür aber 3,2 Milliarden Euro Schulden. Also lässt Jaffé, wie es seine Pflicht ist, Ansprüche gegen alle möglichen Personen und Gesellschaften prüfen. Dazu auch auch der Wirtschaftsprüfer- und Beraterkonzern EY, der sich vormals Ernst & Young nannte. EY hat jahrelang die Bilanzen der Wirecard AG für in Ordnung befunden. Die Zahlen des Zahlungsdienstleisters sollen aber seit 2015 gefälscht gewesen seien, wie die Staatsanwaltschaft München I  vermutet. Hat EY also nachlässig geprüft und muss, zusammen mit anderen, daher für die Schäden der Hausbanken und Investoren von Wirecard haften? Das will Jaffé zumindest nicht ausschließen und daher verhindern, dass mögliche Ansprüche gegen die Wirtschaftsprüfgesellschaft verjähren. Da aber schon Ende des Jahres eine solche Verjährung eintreten könnte, hat der Insolvenzverwalter EY angeschrieben. Und aufgefordert, einen sogenannten Verjährungsverzicht zu erklären. EY äußert sich dazu nicht. Dem Vernehmen nach überlegen das EY-Verantwortlichen noch, ob sie eine solche Erklärung abgeben, oder nicht.

Würde der Wirtschaftsprüferkonzern das nicht tun, müsste der Insolvenzverwalter bereits in diesem Jahr Klage gegen EY einreichen. So aber würde Jaffé Zeit gewinnen, was in diesem Fall besonders wichtig ist. Jaffé hat ein so riesiges Chaos bei Wirecard vorgefunden, dass die Aufklärung

der vielen undurchsichtigen Vorgänge nicht Monate, sondern Jahre dauern dürfte. Auch die Hausbanken von Wirecard prüfen Schadenersatzforderungen, unter anderem gegen EY. Dort dürfte am meisten zu holen sein, weshalb Anwaltskanzleien im Auftrag von Aktionären bereits erste Klagen eingereicht haben. EY weist alle Vorwürfe zurück und erklärt seit Monaten, man sei von Wirecard getäuscht  worden.“[4]

Die Süddeutsche berichtete am 20. Juli 2015:

„(…) Nun wird Middelhoffs Version von dem zu seiner Zeit keineswegs zahlungsunfähigen Handelskonzern auch durch zwei Klagen in Frage gestellt, die Arcandor-Insolvenzverwalter Hans-Gerd Jauch bei den Landgerichten in Frankfurt und Düsseldorf eingereicht  hat. Darin verklagt er die beiden renommierten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften KPMG und BDO auf insgesamt 98 Millionen Euro Schadenersatz. Sie hätten es „pflichtwidrig unterlassen“, den Konzern auf seine bereits im Oktober 2008 bestehende Zahlungsunfähigkeit hinzuweisen, heißt es in den Klageschriften, die Süddeutscher Zeitung, WDR und NDR vorliegen. Ein Vorwurf, den beide Wirtschaftsprüfungsgesellschaften  zurückweisen. (…) KPMG bescheinigte noch Ende 2008 Arcandor die Sanierungsfähigkeit. BDO wiederum war als Wirtschaftsprüfer des Handelskonzerns seit Jahren an Bord und bestätigte dessen Bilanzen noch 2008 uneingeschränkt. Von einer Insolvenzreife der Arcandor AG bereits im September 2008 wollen die beiden Wirtschaftsprüfungsgesellschaften jedenfalls nichts bemerkt haben. Hätten sie aber müssen, meint  Jauch. Denn Ende September 2008 sei nicht nur die Finanzlage von Arcandor bereits desaströs gewesen, sondern zwei Konzerntöchter meldeten obendrein Verlustausgleichsansprüche in Höhe von 377 Millionen Euro an. Spätestens da hätte Arcandor ein Insolvenzverfahren beantragen müssen, argumentiert Jauch. Es habe keine „realistische Chance auf eine außergerichtliche Sanierung“ mehr  gegeben. Während sich KPMG nicht äußern wollte, hieß es seitens BDO, man halte an den uneingeschränkten Testaten von damals fest. Im Übrigen habe man nicht den Geschäftsbericht des Konzerns, sondern nur die jeweiligen Jahresabschlüsse geprüft. Insolvenzverwalter Jauch erfährt jedoch Rückenwind von der Staatsanwaltschaft Bochum. Sie geht davon aus, dass die Arcandor-Bilanzen 2008 geschönt waren. Rechnungen seien absichtlich verspätet gezahlt worden, um mit dem zurückgehaltenen Geld Liquidität vorzugaukeln, wo keine mehr war.“[5]

Im Insolvenzfall des Unternehmens steht zudem häufig die Frage im Raum steht, wie die Prüfungsleistung, die auf einem fehlerhaften Sanierungsgutachten aufbaut, zu bewerten ist. Dies gilt insbesondere in dem Fall, wenn Gutachter und Prüfer identisch sind.

Mit dem aktuellen Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) sollen in § 108 des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG) auch weitere Pflichten von Wirtschaftsprüfern bei der Erstellung eines Jahresabschlusses geschaffen werden. Sie sollen verpflichtet werden „den Mandanten auf das Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrundes nach den §§ 17 bis 19 der Insolvenzordnung und die sich daran anknüpfenden Pflichten der Geschäftsleiter und Mitglieder der Überwachungsorgane hinzuweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und sie annehmen müssen, dass dem Mandanten die mögliche Insolvenzreife nicht bewusst ist.

Wenn sie diese Pflicht aufgrund eines Prüffehlers verletzen, dann kann der Prüffehler für eine Insolvenz kausal werden, die der Mandant ansonsten durch ein Restrukturierungsverfahren hätte abwenden können.

Die erheblichen Schadenssummen, die bereits bei der Beurteilung von Sanierungsgutachten im Raum stehen können, zeigt die nachfolgende Berichterstattung der LTO vom 18.09.2020:

 Das LG Hamburg verhandelt am Mittwoch über die Schadensersatzklage des Insolvenzverwalters Berthold Brinkmann gegen KPMG. Brinkmann fordert von KPMG mehr als eine halbe Milliarde Euro im Zusammenhang mit der Insolvenz der P+S Werften. KPMG soll durch fehlerhafte Gutachten die P+S-Werften in Stralsund und Wolgast über Gebühr lange am Leben erhalten und damit einen entsprechenden Schaden verursacht haben, so der Vorwurf des Insolvenzverwalters Berthold Brinkmann. Zunächst seien vier Verhandlungstermine angesetzt, sagte ein Gerichtssprecher. Die Wirtschaftsprüfer hatten den bereits angeschlagenen und vermutlich konkursreifen Werften Ende 2009 in einem Gutachten bescheinigt, dass sie sanierungsfähig seien und damit sowohl zusätzliche Landes- als auch Investitionsmittel mobilisiert. Tatsächlich gingen die Werften dann im August 2012 in die Insolvenz. In dieser Zeit ist die Überschuldung der Werften nach Brinkmanns Berechnungen von 20 auf 534 Millionen Euro gewachsen. Die Gläubiger haben insgesamt Forderungen von mehr als 1,2 Milliarden Euro angemeldet. Am Mittwoch hat das Gericht zunächst fünf Zeugen geladen, die Auskunft gegen sollen über den Verlauf einer Besprechung Anfang 2010. Daran hatten die Geschäftsführung der Werft, Bankenvertreter, die Landesregierung und Vertreter von KPMG teilgenommen. (…)“[6]

Ausweislich der Entwurfsbegründung stellen sich die neuen Haftungshöchstgrenzen auch im internationalen Vergleich „keinesfalls als ungewöhnlich hoch dar; andere Rechtsordnungen sehen überhaupt keine Haftungshöchstgrenzen vor.“[7]

 

b) Unternehmen von öffentlichem Interesse“

Dass die höhere Haftungshöchstgrenze des § 323 Abs. 2 Satz 2 HGB-E künftig nicht mehr nur für Aktiengesellschaften gelten soll, deren Aktien zum Handel im regulierten Markt zugelassen sind, sondern auf alle Unternehmen von öffentlichem Interesse angewendet wird, ist ein Schritt in die richtige Richtung, geht jedoch nicht weit genug.  

„Unternehmen von öffentlichem Interesse“  werden in § 316a S. 2 HGB-E legaldefiniert.

Die Begründung des Entwurfs führt zu § 323 Abs. 2 HGB-E aus:

„Für die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse stellt die Abschlussprüferverordnung strenge Anforderungen auf, die der Tatsache Rechnung tragen, dass sich bei diesen Unternehmen ein breiter Kreis von Personen und Einrichtungen auf die Qualität des Abschlussprüfers verlässt und dass eine gute Prüfungsqualität bei Unternehmen von öffentlichem Interesse zum ordnungsgemäßen Funktionieren der Märkte beiträgt. Daher ist es auch konsequent, bei der Prüfung aller Unternehmen von öffentlichem Interesse die gleiche Haftungshöchstgrenze vorzusehen.“[8]

Nicht nachvollziehbar ist an dieser Stelle, weshalb davon ausgegangen wird, dass sich (nur) bei Kapitalgesellschaften, die ein Unternehmen von öffentlichem Interesse sind, „ein breiter Kreis von Personen und Einrichtungen auf die Qualität des Abschlussprüfers verlässt.“  So wird bspw. auch bei der Einwerbung von Mitteln in Milliardenhöhe auf dem grauen Kapitalmarkt häufig mit Testaten von Abschlussprüfern geworben. Im Insolvenzfall stellt sich die Problematik jedoch ebenso wie in den unter Ziff. B.a) genannten Fällen dar.

Um den Vertrauensschutz an dieser Stelle weiter zu stärken, sollte die Beschränkung auf die in § 316 a S. 2 HGB-E genannten Unternehmen noch einmal überdacht werden.

  

C. Fazit

Die in § 323 Abs. 2 HGB-E vorgeschlagenen Haftungshöchstgrenzen sollten bei der Prüfung von Kapitalgesellschaften nicht auf „Unternehmen von öffentlichem Interesse“ beschränkt sein und insgesamt angehoben werden.

 

Berlin, 09.11.2020

Kontakt:
Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e.V. (VID)
Französische Straße 13/14
10117 Berlin
Tel.: 030/ 20 45 55 25
E-Mail: info@vid.de
Web: www.vid.de

[1] Referentenentwurf Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (nachfolgend RefE), S. 1.

[2] Begründung RefE, S. 55, siehe auch  S. 102.

[3] https://www.juve.de/nachrichten/verfahren/2020/10/prozess-in-stuttgart-ey-wehrt-sich-mit-wirsing-hass-zoller-gegen-maple-bank-verwalter, weitere Berichterstattung u.a. im Handelsblatt: https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/cum-ex-geschaefte-druck-auf-wirtschaftspruefer-verfahren-um-195-millionen-euro-schadensersatzklage-gegen-ey-beginnt/26295044.html

[4] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/insolvenzverwalter-retten-was-zu-retten-ist-1.5055581

[5] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/arcandor-pleite-arcandor-insolvenzverwalter-verklagt-wirtschaftspruefer-1.2573979

[6] https://www.lto.de/recht/kanzleien-unternehmen/k/lg-hamburg-insolvenz-ps-werften-gutachten-kpmg-schadensersatz/; im vorliegenden Fall hatte auch der  Parlamentarische Untersuchungsausschusses des Landtages Mecklenburg-Vorpommern einen umfangreichen Sachstandsbericht vorgelegt (https://www.landtag-mv.de/fileadmin/media/Dokumente/Parlamentsdokumente/Drucksachen/6_Wahlperiode/D06-5000/Drs06-5608n.pdf )

[7] Begründung RefE, S. 72.

[8] Begründung RefE, S. 102.

 

RegE Kostenrechtsänderungsgesetz 2021

 

A. Vorbemerkung

Der am 16.09.2020 veröffentlichte Regierungsentwurf des Gesetzes zur Änderung des Justizkosten- und des Rechtsanwaltsvergütungsrechts (Kostenrechtsänderungsgesetz 2021) führt die im Stadium des Referentenentwurfs noch getrennten Entwürfe eines Gesetzes zur Änderung des Justizkosten- und des Rechtsanwaltsvergütungsrechts und eines Gesetzes zur Änderung des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG-Änderungsgesetz 2020) in einem Entwurf zusammen.

Zu den geplanten Änderungen der Vergütung des insolvenzrechtlichen Sachverständigen hat der VID sowohl zum Referentenentwurf des JVEG-Änderungsgesetzes 2020, als auch zu den im Vorfeld des Entwurfs erfolgten Überprüfungen der Vergütungsregelungen des JVEG bereits umfangreich Stellung genommen[1].

Der VID begrüßt die Aufnahme einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung zur Vergütung des sog. isolierten Sachverständigen[2], sowie die dringend gebotene eigenständige Regelung der Vergütung des zum vorläufigen Sachwalter bestellten Sachverständigen.

Positiv zu bewerten ist daneben die geplante Ergänzung im Gerichtskostengesetz.[3] So sieht § 58 Abs. 1 GKG-E vor, dass für den Fall der Fortführung des schuldnerischen Unternehmens von den bei der Fortführung erzielten Einnahmen nur der Überschuss zu berücksichtigen ist, der sich nach Abzug der Ausgaben ergibt. Dies soll auch gelten, wenn nur Teile des Unternehmens fortgeführt werden. Mit der vorgeschlagenen Regelung soll die Frage der Wertbestimmung bei der Unternehmensfortführung damit künftig zu Recht im Sinne des Nettoansatzes entschieden werden.[4]

 

B. Im Einzelnen

Im Hinblick auf die Höhe der Vergütung des insolvenzrechtlichen Sachverständigen geht der Entwurf jedoch nicht weit genug. Auch wenn die Erhöhung der Stundensätze ein Schritt in die richtige Richtung darstellt, berücksichtigt sie nicht ausreichend die hohen Anforderungen an den multidisziplinären Ansatz der Tätigkeit des insolvenzrechtlichen Sachverständigen.

So sieht § 9 Abs. 4 JVEG-E vor: Das Honorar des Sachverständigen für die Prüfung, ob ein Grund für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vorliegt und welche Aussichten für eine Fortführung des Unternehmens des Schuldners bestehen, beträgt 120 Euro je Stunde. Ist der Sachverständige zugleich der vorläufige Insolvenzverwalter oder der vorläufige Sachwalter, so beträgt sein Honorar 95 Euro je Stunde.“

 

I. Vergütung des sog. isolierten Sachverständigen

Die Entwurfsbegründung[5] führt zur Höhe des Vergütungsanspruchs aus, dass sich der Stundensatz (120,00 €) an den Stundensätzen für die betriebswirtschaftlichen Sachgebiete der Anlage 1 zum JVEG orientiere und zudem berücksichtige, dass der isolierte insolvenzrechtliche Sachverständige, anders als der Sachverständige, der zugleich vorläufiger Insolvenzverwalter oder vorläufiger Sachwalter sei, neben der Sachverständigenvergütung nicht noch einen weiteren Vergütungsanspruch habe.

Wie bereits in der VID-Stellungnahme zum Referentenentwurf[6] ausgeführt, sei dazu auf Folgendes hingewiesen:

Ausweislich der vorgeschlagenen Stundensätze für die betriebswirtschaftlichen Sachgebiete (Nr. 6) der Anlage 1 (Teil 1), die von 140,00 € (Nr. 6.1 Unternehmensbewertung, Betriebsunterbrechungs- und -verlagerungsschäden), über 115,00 € (Nr. 6.2 Besteuerung) bis zu 110,00 € (Nr. 6.3 Rechnungswesen sowie Nr. 6.4 Honorarabrechnung von Steuerberatern) reichen, ist der vorgeschlagene Stundensatz (120,00 €) lediglich im unteren Mittel dieses Sachgebiets angesiedelt.

Der Entwurf berücksichtigt damit nicht in ausreichendem Maß, dass der Schwerpunkt der Tätigkeit[7] des insolvenzrechtlichen Sachverständigen gerade im betriebswirtschaftlichen Sachgebiet Nr. 6.1 (Unternehmensbewertung, Betriebsunterbrechungs- und -verlagerungsschäden) liegt.

Ferner fehlt es an der Berücksichtigung des Umstands, dass die Tätigkeit des insolvenzrechtlichen Sachverständigen neben insolvenzrechtlichen Kenntnissen auch vertiefte Kenntnisse im Steuer-, Arbeits-, Handels-, Gesellschafts- und Immobilienrecht erfordert.

Eine Orientierung an den betriebswirtschaftlichen Sachgebieten der Anlage 1 würde selbst im Mittel bereits einen (Mindest-) Stundensatz von 125,00 € bedeuten.

 

II. Vergütung des zum vorläufigen Insolvenzverwalter, bzw. des zum vorläufigen Sachwalter bestellten Sachverständigen

Der Entwurf sieht ein Stundenhonorar des Sachverständigen, der zugleich zum vorläufigen Insolvenzverwalter oder vorläufigen Sachwalter bestellt wurde, i.H.v. 95,00 € pro Stunde vor. § 9 Abs. 4 Satz JVEG-E übernimmt damit zunächst die Regelung des bisherigen § 9 Abs. 2 JVEG und erweitert diese auf den als Sachverständigen bestellten vorläufigen Sachwalter im Eigenverwaltungsverfahren nach den §§ 270 ff. InsO.[8]

Bislang gab es keine eigenständige Vergütungsregelung des zum vorläufigen Sachwalter bestellten Sachverständigen und die Vergütung des zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellten Sachverständigen betrug 80,00 € pro Stunde.

Ausweislich der Gesetzesbegründung[9] zum bisherigen § 9 Abs. 2 JVEG orientierte sich die Höhe des Honorars (80,00 €/h) an der Honorargruppe 4 der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 JVEG, mithin den Honorarstundensätzen für die Sachgebiete Nr. 2 (Akustik/Lärmschutz), Nr. 3 (Altlasten und Bodenschutz), Nr. 4.1 (Planung (Bauwesen)), Nr. 8 (Brandursachenermittlung), Nr. 11 (Elektrotechnische Anlagen und Geräte), Nr. 13.3 (Schadensfeststellung, -ursachenermittlung und -bewertung (bzgl. Garten- und Landschaftsbau einschl. Sportanlagenbau)) und Nr. 29 (Schiffe/Wassersportfahrzeuge).

Für diese Sachgebiete sieht der Entwurf unterschiedliche Erhöhungen auf Stundensätze von 90,00 € bis 120,00 € vor. Der Mittelwert für die genannten Sachgebiete (der bisherigen Honorargruppe 4) beträgt damit 105,00 €/h.

Zur Erhöhung des Stundensatzes von 80,00 € auf 95,00 € führt die Begründung des Entwurfs jedoch aus, dass diese (nun) „unter Berücksichtigung der Entwicklung der tariflichen Verdienste im produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich“ erfolgen soll[10].

Eine Erläuterung zur Entwicklung der Tarifverdienste im produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich findet sich in der Begründung des Entwurfs[11] zu den Änderungen des JVEG (lediglich) bei der Anpassung der Vergütung der Honorarstundensätze für medizinische und psychologische Sachverständigengutachten:

„Vor dem Hintergrund, dass für medizinische und psychologische Gutachten mangels eines diesbezüglichen freien Marktes eine Marktpreisermittlung wie bei den Sachgebieten nach Teil 1 der Anlage 1 zum JVEG ausscheidet, wird vorgeschlagen, die Honorarsätze hier entsprechend der Entwicklung der Einkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitsnehmer im produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich seit der letzten Erhöhung im August 2013 anzupassen. Insgesamt ergibt sich dadurch ein Erhöhungsvolumen von rund 20 Prozent.“[12]

Die Orientierung der Erhöhung an der Entwicklung der tariflichen Verdienste im produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich führt mithin dazu, dass die Erhöhung (von 80,00 €/h auf 95,00  €/h) bereits deutlich unter der durchschnittlichen Erhöhung für die bisherigen Sachgebiete der Honorargruppe 4 der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 JVEG (105,00 €/h) liegt.

Soweit die Begründung des Entwurfs[13] zudem darauf abstellt, dass der Sachverständige, der zugleich vorläufiger Insolvenzverwalter, bzw. vorläufiger Sachwalter ist, neben der Sachverständigenvergütung noch einen weiteren Vergütungsanspruch habe, sind die Fälle nicht berücksichtigt, in denen eine Kompensation des überdurchschnittlichen Aufwands des Sachverständigen durch Zuschläge auf die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters/vorläufigen Sachwalters nicht stattfindet.[14]

Zur Höhe der Vergütung des vorläufigen Sachwalter-Sachverständigen hatte der VID bereits in der Vergangenheit angeregt, den vorläufigen Sachwalter bei seiner gutachterlichen Tätigkeit deutlich höher einzuordnen als den Sachverständigen, der zugleich als vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt ist, da sein Aufgabenkreis gegenüber dem vorläufigen Insolvenzverwalter reduziert ist und er deshalb nicht die gleichen Paralleleffekte erzielen kann, die eine Bestellung zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit sich bringt. Der VID hatte dazu vorgeschlagen, dass das Stundenhonorar des vorläufigen Sachwalter-Sachverständigen 15,00 €/h mehr als das des vorläufigen Insolvenzverwalter-Sachverständigen betragen sollte.[15]

 

III. Fazit

Die geplante Höhe der Vergütung des isolierten insolvenzrechtlichen Sachverständigen (120,00 €/h) sowie die des zugleich als vorläufiger Insolvenzverwalter, bzw. vorläufiger Sachwalter (95,00 €/h) bestellten Sachverständigen berücksichtigt nicht ausreichend die hohen Anforderungen an den multidisziplinären Ansatz der Tätigkeit des insolvenzrechtlichen Sachverständigen.

Besonders deutlich wird dies im Hinblick auf die Diskrepanz zur geplanten Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten im Regierungsentwurf des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG). Darin findet sich zur Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten und seiner Mitarbeiter folgender Vorschlag: Bei der Bemessung der Stundensätze berücksichtigt das Restrukturierungsgericht die Unternehmensgröße, Art und Umfang der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners und die Qualifikation des Restrukturierungsbeauftragten sowie der qualifizierten Mitarbeiter. Im Regelfall beläuft sich der Stundensatz für die persönliche Tätigkeit des Restrukturierungsbeauftragten auf bis zu 350 Euro und für die Tätigkeit qualifizierter Mitarbeiter auf bis zu 200 Euro.“ (§ 88 Abs. 3 StaRUG-E)

Die in § 83 StaRUG-E beschriebenen Aufgaben des Restrukturierungsbeauftragten umfassen in Abs. 4 Nr. 2 explizit eine Prüfung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners. Der Restrukturierungsbeauftragte soll zudem nach Abs. 3 Nr. 1 fortlaufende Prüfungen vornehmen und nach Abs. 4 zu Erklärungen des Schuldners Stellung nehmen. Diese Aufgaben stehen neben der in § 41 Abs. 1 StaRUG-E eröffneten Vernehmung von Sachverständigen im Rahmen der Amtsermittlungspflichten eines Restrukturierungsgerichts. Eine Exklusivität ist im Fall der Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten für diesen nicht vorgesehen. Das Restrukturierungsgericht kann entweder ihn oder einen Sachverständigen mit den genannten Aufgaben betrauen. Diese Dichotomie wird häufig dazu führen, dass die deutlich preiswerteren Sachverständigen beauftragt werden. Sie macht gleichzeitig deutlich, dass der hier angelegte Bewertungswiderspruch rechtlich nicht haltbar ist.

 

Berlin, 28.10.2020

Kontakt:
Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e.V. (VID)
Französische Straße 13/14
10117 Berlin
Tel.: 030/ 20 45 55 25
E-Mail: info@vid.de
Web: www.vid.de

 

[1] Vgl. VID-Stellungnahme zur Überprüfung der Vergütungsregelungen des JVEG für Sachverständige vom 28.03.2017, abrufbar unter https://w ww.vid.de/wp-content/uploads/2017/03/vid-stellungnahme-zur-ueberpruefung-der-verguetungsregelungen-des-jveg-fuer-sachverstaendige.pdf sowie VID-Stellungnahme zur Überprüfung der Vergütungsregelungen des Justizvergütungs-und -entschädigungsgesetzes (JVEG) für Sachverständige (hier: §§ -Teil des JVEG) vom 11.01.2019 abrufbar unter https://www.vid.de/wp-content/uploads/2019/01/vid-stn-%C2%A7%C2%A7-teil-d.-jveg.pdf  sowie VID-Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes vom 26.02.2020, abrufbar unter https://www.vid.de/wp-content/uploads/2020/02/vid-stellungnahme-zum-refe-des-jveg-aenderungsgesetzes-2020.pdf

[2] d.h. des insolvenzrechtlichen Sachverständigen, der in einem Insolvenzantragsverfahren nicht zugleich zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt ist.

[3] Vgl. Vorschlag dazu in VID-Stellungnahme  zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens vom 01.04.2020, S. 9 abrufbar unter https://www.vid.de/wp-content/uploads/2020/04/VID-Stellungnahme-zur-weiteren-Verk%C3%BCrzung-der-RSB-RefE.pdf

[4] Vgl. Entwurfsbegründung, S. 60 f.

[5] Entwurfsbegründung, S. 77.

[6] VID-Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes vom 26.02.2020, abrufbar unter https://www.vid.de/wp-content/uploads/2020/02/vid-stellungnahme-zum-refe-des-jveg-aenderungsgesetzes-2020.pdf

[7] Ausführlich zur Beschreibung und Einordnung der Tätigkeit des insolvenzrechtlichen Sachverständigen bereits VID-Stellungnahme vom 28.03.2017, S. 4-5.

[8] Entwurfsbegründung, S. 77.

[9] Begründung des Gesetzesentwurfes zum 2. KostRMoG (BT-Drs. 17/11471 (neu) vom 14.11.2012), dort S. 260.

[10] Entwurfsbegründung, S. 77.

[11] Im Hinblick auf die im Entwurf geplanten weiteren Änderungen zum RVG findet sich dort folgender Hinweis: Die Verbraucherpreise sind seit der letzten Anpassung des RVG im dritten Quartal 2013 um mehr als 7 Prozent gestiegen, die Tarifverdienste im produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich um über 18 Prozent.“, S. 49 der Entwurfsbegründung.

[12] Entwurfsbegründung, S. 85 (ebenso S. 52).

[13] Entwurfsbegründung, S. 77.

[14] Dazu ausführlich VID-Stellungnahme zur Überprüfung der Vergütungsregelungen des Justizvergütungs-und -entschädigungsgesetzes (JVEG) für Sachverständige (hier: §§ -Teil des JVEG) vom 11.01.2019, dort S. 9.

[15] Vgl. VID-Stellungnahme vom 11.01.2019, S. 10: „Mit Blick auf eine  evtl. künftige gesetzliche Regelung der Vergütung des vorläufigen Sachwalters sollte durch eine Ergänzung des § 9 Abs. 2 JVEG ausdrücklich eine Einordnung wie bisher durch die Rechtsprechung für den sog. isolierten Sachverständigen in der Honorargruppe 7 erfolgen, denn es erscheint nach den praktischen Erfahrungen mit der aktuellen Rechtslage fraglich, ob dies im Rahmen des § 9 Abs. 1 S. 3 JVEG allein durch einen entsprechenden Hinweis in der Gesetzesbegründung geschehen kann.“

RefE Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG)

A. Vorbemerkung

Mit der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1023 über Restrukturierung und Insolvenz vom 20.6.2019 verbindet die Praxis viele Erwartungen. Eine gesetzliche Ausformung präventiver Schritte zur Abwendung von Insolvenzverfahren, die nun auch das Kernstück des vorgelegten Referentenentwurfs bildet, steht im Mittelpunkt der Richtlinie, die nicht erst seit ihrem Inkrafttreten in der Fachöffentlichkeit diskutiert wurde. Der VID hat sich an diesen Diskussionen schon im frühen Stadium der europäischen Gesetzgebung intensiv und konstruktiv beteiligt.

Der Referentenentwurf greift über den Umsetzungsrahmen der Richtlinie hinaus und passt die Instrumente präventiver Restrukturierung in das System der Insolvenzverfahren ein. Die hierzu vorgeschlagenen gesetzlichen Änderungen nehmen auch empirische Untersuchungen aus der Evaluation des ESUG auf. Sie entwerfen ein System gestufter Verfahrensumgebungen, die eine situative Anpassung an dynamische Krisenverläufe erlauben. Damit unterstützen sie eine sinnvolle Abkehr von typisierten und unflexiblen Reaktionsmustern des Verfahrensrechts.

Ein leistungsfähiges StarUG kann ein wichtiger Impuls für erfolgreiche Restrukturierungen werden. Dabei sollte auch, in Abkehr von namensprägenden formalen Vorgaben, eine Titulierung als Restrukturierungsordnung (RestruktO) erwogen werden.  Damit würden Bezeichnung und Abkürzung den Kernaspekt des Gesetzes und die Parallelität zur Insolvenzordnung (InsO) herausstellen.

Die Komplexität der dort vorgesehenen Regelungen und der Verfahren bestätigt die vielfach geäußerte Befürchtung, dass die Nutzung des Restrukturierungsrahmens – entgegen der (unrealistischen) Intention der Richtlinie – nur mit fachkundiger Beratung möglich sein wird, die für kleinere und mittlere Unternehmen kaum finanzierbar und organisierbar sein dürfte.

Vor diesem Hintergrund sollten einige Elemente, aber auch Auslassungen des Entwurfs noch einmal grundlegend überdacht werden. Bei zahlreichen Regelungen ergeben sich Detailfragen, die im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens geklärt werden müssen, um nicht gleich zu Beginn die Funktionsfähigkeit der Neuregelung durch gerichtliche Auseinandersetzungen zu gefährden.

Die für die Stellungnahme zum Entwurf eingeräumte Frist steht leider in einem eklatanten Missverhältnis zu dessen Umfang und Komplexität. Daher kann die nachstehende Stellungnahme nicht alle Detailfragen aufgreifen. Sie beschränkt sich auf praktisch bedeutsame Gesichtspunkte und erörtert die jeweils maßgeblichen Vorschriften.

Ausdrücklich vorbehalten bleiben muss daher auch die Formulierung weiterer Anregungen in der bevorstehenden Diskussion des vorgelegten Entwurfs, dies gilt insbesondere für eine eigenständige und ausführliche Bewertung der geplanten Änderungen der InsVV.

 

B. Zentrale Fragestellungen

Hervorzuheben sind folgende Themenbereiche, die teilweise grundsätzliche Fragen aufwerfen:

  • Die Ausnahme von bestimmten Rechtsverhältnissen von einer Gestaltung durch Restrukturierungspläne darf nicht ein Fiskusprivileg in neuem Gewand schaffen und damit die schon in der Insolvenzordnung angelegten, aber sanierungsfeindliche Privilegien des Fiskus verfestigen.  
  • Der Eintritt von Zahlungsunfähigkeit vor oder während eines Restrukturierungsverfahrens sollte im Regelfall ohne weitere Umstände zur Beendigung des Restrukturierungsverfahrens führen und den Weg in ein Insolvenzverfahren freigeben.
  • Die Einführung einer Vertragsbeendigung nach dem Vorbild der § 103 ff. InsO ist systemwidrig, weil sie ein insolvenz(verfahrens)rechtliches Instrument in die vorinsolvenzliche Sanierung vorverlagert und sollte deshalb unterbleiben.
  • Stabilisierungsanordnungen sollten mit evtl. Folge- oder Neuanordnungen einen Höchstzeitraum von insgesamt 3 Monaten nach Erlass der Erstanordnung nicht überschreiten.
  • Unbestimmte Rechtsbegriffe sollten, soweit sie als Kriterium verfahrensleitender oder verfahrensbeendender gerichtlicher Entscheidungen in Restrukturierungsverfahren eingesetzt werden, durch Beispiele näher konkretisiert werden.
  • Unabhängigkeit, Qualifikation und Eignung der neu geschaffenen Funktionen des Restrukturierungsbeauftragten und des Sanierungsmoderators sollten in einer gesetzlichen Definition näher konkretisiert werden, die auch Insolvenzverwalter und Sachwalter erfasst und einheitliche Maßstäbe mit klaren Kriterien definiert. . Für ein Berufsrecht dieser Berufsgruppe sollte über eine Verordnungsermächtigung des BMJV für Berufsausübungsregeln die Basis geschaffen werden.
  • Der generelle Verzicht auf die Bestellung einer Restrukturierungsbeauftragten bei ausschließlicher Beteiligung von Unternehmen des Finanzsektors an der Restrukturierung ist nicht richtlinienkonform und überspannt die Aufgaben und das Haftungsrisiko des Gerichts.
  • Die Interessen nicht beteiligter Gläubiger, die den Folgen sowohl des Gelingens als auch eines Scheiterns der Restrukturierungsbemühungen ausgesetzt sind, werden im StaRUG nicht hinreichend beachtet und gewahrt. Dies betrifft insbesondere die in hohem Maß missbrauchsanfällige Ausgestaltung des Sanierungsvergleichs.
  • Die Erweiterung der Aufgaben des Sachwalters ist systemwidrig und berücksichtigt zudem nicht die notwendigen Fragen zur Verantwortlichkeit der Beteiligten. Der sich selbstverwaltende Schuldner muss im Interesse der Gläubiger uneingeschränkt dazu in der Lage sein, alle relevanten Aspekte der Eigenverwaltung selbst zu organisieren.
  • Eine notwendige Digitalisierung von Verfahren sollte in erster Linie nicht auf Vorbehalte der Länder, sondern auf die Bedürfnisse der Verfahrensbeteiligten reagieren und die Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung und Kostenreduzierung ausschöpfen. Daher müssen digitale Informationsplattformen unabhängig von der Verfahrensgröße im Interesse der Gläubiger vorgehalten und die Anmeldung von Insolvenzforderungen grundsätzlich digital möglich sein.

C. Im Einzelnen

Die vollständige Stellungnahme des VID können Sie in dem nachfolgenden PDF abrufen.

Stellungnahme von Dr. Christoph Niering, Vorsitzender des Verbandes Insolvenzverwalter Deutschlands e.V. (VID), im Rahmen der Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages am 30.09.2020 zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens

 

Mit dem am 01.07.2020 veröffentlichten Regierungsentwurf eines Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens sollen die Vorgaben der Richtlinie (EU) 2019/1023 über Restrukturierung und Insolvenz (nachfolgend Richtlinie) für den Bereich Entschuldung in deutsches Recht umgesetzt werden.

Die geplante Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens von sechs auf drei Jahre für alle natürlichen Personen sowie die zügige Umsetzung zum 01.10.2020 wird – nicht nur in Anbetracht des Umgangs mit den Folgen der Corona-Pandemie – vom VID ausdrücklich begrüßt.

Allerdings bietet der Regierungsentwurf keine Möglichkeit für eine schnelle Wiederaufnahme bzw. Fortsetzung der selbständigen Tätigkeit. Damit wird die Chance vertan, den durch die Corona-Krise besonders getroffenen Freiberuflern, Einzelkaufleuten und Solo-Selbständigen einen Neustart unter einer gesicherten Fortsetzung der selbständigen Tätigkeit zu ermöglichen.

Im Hinblick auf das bereits weit vorangegangene Gesetzgebungsverfahren und der Tatsache, dass sich der VID bereits zu dem Referentenentwurf[1] ausführlich geäußert hat, beschränke ich meine nachfolgenden Ausführungen vor allem auf die beiden bedenklichen Punkte des Regierungsentwurfs in Bezug auf die von Amts wegen zu prüfende Versagung der Restschuldbefreiung und die rechtlich bedenkliche Differenzierung zwischen unternehmerischen und nicht unternehmerisch tätigen Schuldnern. Überdies wird als konkretes Lösungsangebot für Freiberufler, Einzelkaufleute und Solo-Selbständige eine Änderung des § 35 Abs. 2 InsO vorgeschlagen und begründet.

 

1. Befristung der Verkürzung des RSB-Verfahrens für Verbraucher § 103l EGInsO-E

Der Regierungsentwurf sieht vor, dass die Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens für Verbraucher bis zum 30.06.2025 befristet wird. Als Grundlage für die Entscheidung über eine etwaige Entfristung soll bis zum 30.06.2024 eine Evaluation erfolgen über etwaige Auswirkungen der Verfahrensverkürzung auf das Antrags-, Zahlungs- und Wirtschaftsverhalten von Verbrauchern.

Eine solche Differenzierung zwischen unternehmerisch tätigen natürlichen Personen, für die eine Restschuldbefreiung nach drei Jahren ohne Befristung vorgesehen ist, und Verbrauchern, die nach Auslaufen der Befristung regelmäßig erst nach sechs Jahren von ihren Schulden befreit werden sollen, halten wir für rechtlich problematisch.

Bereits der Gesetzentwurf zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte[2] vom 31.10.2012 (BT-Drs. 17/11268, S.13), der die Vorgabe des Koalitionsvertrages vom 26.10.2009 umsetzte, dass Gründer nach einem (wirtschaftlichen) Fehlstart eine zweite Chance erhalten sollen, führte zur damals diskutierten Differenzierung von Unternehmern und Verbrauchern Folgendes aus:

Das Bedürfnis nach einem schnellen Neustart besteht gleichermaßen für alle natürlichen Personen. Die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung und der moderne Arbeitsmarkt stellen den Einzelnen insgesamt vor erhebliche wirtschaftliche Risiken. Ein wirtschaftliches Scheitern sollte daher heutzutage für den Schuldner – unabhängig davon, ob selbständig oder angestellt – kein Stigma mehr sein.

Eine Studie kommt zu dem Ergebnis, dass rund die Hälfte der von einer Insolvenz Betroffenen „Opfer moderner biographischer Risiken“ sind, also nur durch alltägliche Risiken wie Arbeitslosigkeit, gescheiterte Selbständigkeit, Krankheit oder Scheidung bzw. Trennung in die Überschuldung geraten (…) Die Studie spricht sich damit auch für die Möglichkeit eines schnelleren finanziellen Neustarts aus. Die Möglichkeit einer schnellen Entschuldung für alle natürlichen Personen ist sowohl in sozialpolitischer als auch volkswirtschaftlicher Hinsicht sinnvoll. So wirkt sich ein zügiger Wiedereinstieg in das Wirtschaftsleben positiv auf die Kaufkraft aus. Demgegenüber birgt eine lange Entschuldungsdauer die Gefahr, dass die Schuldner, die für viele Jahre auf ihr pfändungsfreies Einkommen beschränkt sind, ihre Tätigkeit in den Bereich der Schattenwirtschaft verlagern. Abgesehen von dem allgemeinen volkswirtschaftlichen Schaden, den die Schwarzarbeit verursacht, entzieht der Schuldner auf diese Weise auch seinen Gläubigern jeden Zugriff auf seine Einkünfte. Bereits aus diesen Gründen kommt eine Beschränkung der kurzen Dauer eines Restschuldbefreiungsverfahrens auf Gründer nicht in Betracht. Sie wäre aber auch in praktischer und verfassungsrechtlicher Hinsicht problematisch. So wäre fraglich, ob nur der Zweitgründer förderungswürdig ist, weil er Arbeitsplätze erhält, oder auch der gescheiterte „Soloselbständige“ oder der arbeitslose Arbeitnehmer, der erstmals eine selbständige Tätigkeit aufnehmen möchte. Vor allem ist zu berücksichtigen, dass eine Beschränkung der verkürzten Dauer des Restschuldbefreiungsverfahrens auf Gründer mit erheblichen Risiken verbunden wäre. Insbesondere bestünde die Gefahr, dass Personen – um in den Genuss der kurzen Frist zu kommen – zu neuen unternehmerischen Fehlentscheidungen verleitet werden und dann wegen der Sperre der vorangegangenen Restschuldbefreiung vor dem endgültigen wirtschaftlichen Aus stehen. Dies hätte auch volkswirtschaftlich verheerende Folgen.“

Die Argumente der damaligen Gesetzesbegründung gegen eine Differenzierung der Behandlung von Unternehmern und Verbrauchern im Hinblick auf die Notwendigkeit eines wirtschaftlichen Neustarts sind auch und gerade heute aktuell. Sollte es infolge der COVID-19-Pandemie zu erhöhter Arbeitslosigkeit kommen, wäre eine daraus resultierende Verschuldung zweifellos ein „modernes biographisches Risiko“.

Die vorgesehene Befristung der verkürzten Restschuldbefreiung für Verbraucher sollte daher entfallen.

 

2. Keine Begründung unangemessener Verbindlichkeiten in der Wohlverhaltensperiode/ amtswegige Versagung – § 295 Abs. 1 Nr. 5 und § 296 Abs. 1a) InsO-E

 

2.1. Keine Versagung ohne Antrag

Bislang ist die Restschuldbefreiung auf Antrag eines Insolvenzgläubigers zu versagen, wenn der Schuldner in der Zeit ab drei Jahre vor dem Insolvenzantrag vorsätzlich oder grob fahrlässig die Befriedigung der Insolvenzgläubiger durch Begründung unangemessener Verbindlichkeiten beeinträchtigt hat (§ 290 Abs. 1 Nr. 4., 1. Alt. InsO).

Der Regierungsentwurf sieht nun vor, dass der Schuldner künftig auch in der Wohlverhaltensperiode keine unangemessenen (neuen) Verbindlichkeiten im Sinne des § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO begründen darf.

Nach dem neuen § 296 Abs. 1a) InsO-E soll bei Verletzung dieser Obliegenheit die Restschuldbefreiung sogar von Amts wegen versagt werden.

Schon im geltenden Recht ist das Tatbestandsmerkmal der „unangemessenen Verbindlichkeiten“ schwer zu fassen. Durch die geplante Neuregelung wird der Unwertgehalt nun auch noch unterschiedlich gewichtet.

Während die Begründung unangemessener Verbindlichkeiten vor Insolvenzeröffnung die Restschuldbefreiung nur auf Gläubigerantrag gefährdet und eine grob schuldhafte Beeinträchtigung der Gläubigerbefriedigung voraussetzt, soll das gleiche Verhalten in der Wohlverhaltensperiode nunmehr als „Offizialdelikt“ von Amts wegen verfolgt werden und unabhängig davon, ob die Insolvenzgläubiger einen Nachteil erleiden.

Weshalb die Begründung unangemessener Verbindlichkeiten in der Wohlverhaltensperiode schwerer wiegen soll als in der Zeit vor Insolvenzeröffnung, ist dem Entwurf nicht zu entnehmen. Dabei ist auch zu bedenken, dass schon die heute bestehenden Regelungen bei einer durch die Gläubiger initiierten Versagung der Restschuldbefreiung eine faktische Sperrfrist von drei Jahren vor der Einleitung eines Neuverfahrens vorsehen.

 

2.2. Keine zwingende Vorgabe der Richtlinie

Auch aus der Notwendigkeit der Richtlinienumsetzung kann diese Änderung nicht abgeleitet werden. Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie definiert zwar einen Regelungsauftrag für Versagungsgründe[3]. Dieser Regelungsauftrag kann aber nicht zur Rechtfertigung der hier angesprochenen Erweiterung von Versagungsgründen herangezogen werden.

Er erfasst nach seinem Wortlaut nur Unternehmer. Eine Erstreckung auf Verbraucher, die der Regierungsentwurf im Zusammenhang mit der unbefristeten Einführung einer verkürzten Wohlverhaltensperiode nicht für geboten hält, wird hier ohne Weiteres vollzogen. Diese Ungleichbehandlung ist rechtlich zweifelhaft.

Die im Regierungsentwurf definierte Versagung wegen der Begründung unangemessener Verbindlichkeiten lässt sich auch nicht ohne weiteres mit zu unterstellender Unredlichkeit begründen.

Die Beurteilung, ob Unredlichkeit vorliegt, setzt eine umfassendere Betrachtung der Begleitumstände voraus, die im Erwägungsgrund (79) beispielhaft erwähnt werden.

Im Gegensatz zur Formulierung des § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO[4] setzt Unredlichkeit eine Gesamtbetrachtung des Verhaltens voraus, das der Schuldner gegenüber seinen Gläubigern zeigt. Dabei sind auch positive Aspekte wie etwa Anstrengungen des Unternehmers zur Begleichung der Schulden und zur Erfüllung rechtlicher Verpflichtungen zu berücksichtigen.

Auch Art. 23 Abs. 2a) der Richtlinie bietet keinen rechtlichen Anlass, die hier diskutierte Regelung einzuführen. Danach können die Mitgliedstaaten Bestimmungen beibehalten oder einführen, die eine Restschuldbefreiung versagen, wenn:

„…der insolvente Unternehmer gegen im Tilgungsplan vorgesehene Verpflichtungen oder gegen eine andere rechtliche Verpflichtung zum Schutz der Interessen der Gläubiger, einschließlich der Verpflichtung, die Gläubiger bestmöglich zu befriedigen, in erheblichem Maße verstoßen hat…“.

Der aktuell geltende § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO stellt eine rechtliche Verpflichtung zum Schutz der Gläubigerinteressen dar. Sie umfasst bisher aber nur den Zeitraum ab drei Jahre vor dem Insolvenzantrag. Erst durch die nun vorgesehene Erweiterung der rechtlichen Verpflichtung auf die Wohlverhaltensperiode entstünde auch die in Art. 23 Abs. 2a) angesprochene Versagungsmöglichkeit. Die Ausnahmeregelungen in Art. 23 sollen aber erkennbar keine Rechtfertigung für die Einführung neuer Bestimmungen darstellen, die über den dort formulierten Regelungsrahmen hinausgehen.

Die geplante Neureglung beruht damit nicht auf europarechtlichen Vorgaben, sondern auf rechtspolitischen Erwägungen, die auf eine Verschärfung der Versagungspraxis zur Prävention eines als missbräuchlich unterstellten Verhaltens abzielen. Ein solcher Missbrauch ist jedoch in der Praxis nicht festzustellen. Dieser Befund beruht maßgeblich auf den Beschränkungen, denen ein Schuldner bei der Begründung neuer Verbindlichkeiten in der Wohlverhaltensperiode unterliegt. Die zu diesem Zeitpunkt bereits bestehenden Beschränkungen der Bonität des Schuldners (Schufa-Eintrag, Scoring etc.) machen eine Begründung unangemessener Neuverbindlichkeiten in der Praxis nahezu unmöglich. Ausnahmefälle unterliegen schon heute einer strafrechtlichen Ahndung (Eingehungsbetrug).

 

2.3. Sperrfristen

Im Gegensatz zum Referentenentwurf (dort: § 301 Abs. 5 InsO) führt der Regierungsentwurf keine neuen Beschränkungen von Speicherfristen ein und lässt damit diesen Bereich unberührt. Auch bei einer Einführung solcher Speicherfristen besteht aus der Perspektive der Praxis derzeit kein Bedarf für eine weitergehende rechtliche Regelung zur Prävention.

 

3. Neustart für Selbständige

Mit Art. 22 Abs. 1 verbindet die Richtlinie einen konkreten Regelungsauftrag, insolventen Unternehmern spätestens im unmittelbaren Anschluss an eine Entschuldung einen wirtschaftlichen Neustart zu ermöglichen.[5] Diesem Auftrag wird der vorliegende Regierungsentwurf nicht gerecht. Allenfalls hin § 301 Abs. 4 InsO findet sich eine scheinbare Verbesserung der bisherigen Ausgangslage. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass die Rechtskraft des Beschlusses über die Restschuldbefreiung am Ende des dreijährigen Verfahrens steht. Bis dahin unterlege der selbständig Tätige den in der vorstehenden Vorschrift ausgewiesenen Tätigkeitsverboten.

Gerade vor dem Hintergrund der Corona-Krise und den sich daraus ergebenen wirtschaftlichen Verwerfungen für Selbständige ist es zwingend erforderlich, diesen einen schnellen Neustart unter Fortführung ihrer Selbständigkeit zu ermöglichen. Anknüpfend an die bereits jetzt zugunsten des Insolvenzverwalters bestehende Möglichkeit der Freigabe der selbständigen Tätigkeit sofort mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 35 Abs. 2 InsO könnte hieraus wie folgt skizziert ein Recht des insolventen Selbständigen ohne Weiteres entwickelt werden.

 

3.1. Status quo

Bislang hat der Insolvenzverwalter allein unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten entschieden, ob er den Geschäftsbetrieb eines selbstständig tätigen Unternehmers fortführt, verwertet oder freigibt. Der Insolvenzverwalter stellt dabei allein darauf ab, ob sich diese Tätigkeit im Hinblick auf die Insolvenzmasse (unter Berücksichtigung sämtlicher Risiken) „lohnt“ oder ob er Tätigkeit des Schuldners[6] „freigibt“.

Zur sog. Freigabe findet sich bislang lediglich folgende Regelung in § 35 Abs. 2 InsO: „Übt der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit aus oder beabsichtigt er, demnächst eine solche Tätigkeit auszuüben, hat der Insolvenzverwalter ihm gegenüber zu erklären, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. § 295 Absatz 2 gilt entsprechend. Auf Antrag des Gläubigerausschusses oder, wenn ein solcher nicht bestellt ist, der Gläubigerversammlung ordnet das Insolvenzgericht die Unwirksamkeit der Erklärung an.“[7]

Kommt es zu einer Freigabe durch den Insolvenzverwalter und widersprechen die Gläubiger nicht, so kann der in Insolvenz geratene Selbstständige oftmals bereits am Tag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit dem freigegebenen Geschäftsbetrieb weiterarbeiten und somit auch außerhalb einer angestellten Tätigkeit einen wirtschaftlichen Neuanfang starten. Es fehlt insoweit jedoch an einem eigenen Antragsrecht für den gescheiterten Selbstständigen und auch an flankierende Maßnahmen, die eine Fortführung der selbstständigen Tätigkeit rechtlich absichert. Hier bestehen gesetzliche Defizite, welche es nunmehr zu beseitigen gilt.

Dies umso mehr, als es sich bei der selbstständigen Tätigkeit des gescheiterten Unternehmers auch um ein nach Artikel 12 Grundgesetz geschütztes verfassungsmäßiges Recht handelt.

 

3.2. Anspruch auf Freigabe

Der Schuldner benötigt zur weiteren Ausübung seiner selbständigen Tätigkeit notwendigerweise Betriebsmittel. Die Freigabe erfasst jedoch keine pfändbaren Vermögen liquiden Mittel und Forderungen aus der selbständigen Tätigkeit, die dem Schuldner bei Wirksamwerden der Freigabeerklärung bereits gehörten. Solches Vermögen steht vielmehr der Masse zu. Will der Insolvenzverwalter über die automatischen Wirkungen der Freigabe gem. § 35 Abs. 2 InsO hinaus weitere Vermögenswerte aus der Masse freigeben, muss er eine gesonderte (echte) Freigabe erklären und dabei stets im Einzelfall abwägen, ob die Freigabe eines Gegenstands mit dem Insolvenzweck vereinbar ist. [8] Bei werthaltigen Gegenständen wird dies in aller Regel nicht der Fall sein; insoweit setzt sich der Insolvenzverwalter mit einer Freigabe vielmehr einem persönlichen Haftungsrisiko aus.

Lösungsvorschlag:

Der Schuldner erhält einen gesetzlichen Anspruch auf Entscheidung des Insolvenzverwalters über die Freigabe der selbstständigen Tätigkeit innerhalb vorgegebener Frist, mit Wirksamwerden der Freigabe bei Fristablauf ohne Erklärung, vergleichbar § 103 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsO.

 

3.3. Verbindliche Feststellung von Abführungspflichten

Die Freigabe und Entschuldung erfolgt nicht zum Nulltarif. Vielmehr muss der gescheiterte Unternehmer auch Zahlungen an den Insolvenzverwalter bzw. Treuhänder zwecks Weitergabe an die Gläubiger leisten.

Bislang ist für den Selbstständigen nicht hinreichend erkennbar, ob die Leistungen, die er an den Treuhänder erbringt, ausreichend sind, um eine drohende Versagung der Restschuldbefreiung abzuwenden. So regelt § 295 Abs. 2 InsO (auf den § 35 Abs. 2 Satz 2 InsO verweist) lediglich: „Soweit der Schuldner eine selbständige Tätigkeit ausübt, obliegt es ihm, die Insolvenzgläubiger durch Zahlungen an den Treuhänder so zu stellen, wie wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre.“

Lösungsvorschlag:

Der Schuldner erhält die Möglichkeit, Höhe und Fristen der abzuführenden Beiträge verbindlich feststellen zu lassen[9].

 

3.4. Keine Sperrfrist bei einer Insolvenz nach Freigabe gem. § 35 Abs. 2 InsO

Nach Freigabe einer selbstständigen Tätigkeit durch die Erklärung des Insolvenzverwalters gem. § 35 Abs. 2 InsO kann der Schuldner während des laufenden Insolvenzverfahrens über sein Vermögen seine Geschäfte auf eigene Rechnung fortsetzen.

Nachdem mit der Rechtsprechung des BGH[10] parallele Restschuldbefreiungen desselben Schuldners bisher ausgeschlossen werden, bleibt die – vom BGH hier nicht entschiedene – Frage nach einer seriellen Abfolge von Restschuldbefreiungen desselben Schuldners im Fall der Freigabe. Sie wird durch die nun geplante Verfahrensverkürzung deutlich aktueller, weil hierdurch der Fall einer bereits erteilten Restschuldbefreiung im Ausgangsverfahren häufiger auftreten wird. Die fehlende Möglichkeit dieser Befreiung könnte die betroffenen Schuldner von weiteren Insolvenzanträgen abhalten und Anreize für ein langjähriges Weiterwirtschaften in der sog. Schattenwirtschaft bieten.

Lösungsvorschlag:

In diesem Fall sollte nach dem Hinweis in Erwägungsgrund 84 Satz 4[11] der RL über Restrukturierung und Insolvenz eine erneute Restschuldbefreiung nicht durch die Sperrfrist des § 287a InsO ausgeschlossen werden.

  

3.5. Echte Restschuldbefreiung – keine Fiskusprivilegien

Die jüngere Rechtsprechung[12] zugunsten von Fiskus[13] und Sozialkassen stellt den Wert der Restschuldbefreiung des Schuldners und damit auch den Verfahrenszweck überhaupt in Frage. So entschied der BFH[14] mit Urteil vom 28.11.2017, dass Masseverbindlichkeiten weder von einer Restschuldbefreiung erfasst werden, noch der Verrechnung eine aus dem Insolvenzverfahren resultierende Haftungsbeschränkung entgegenstehe.[15] In einem anderen Fall entschied das Bayerische[16]  Landessozialgericht [17]  unter Berufung auf das BSG[18], dass die Verrechnung offener, vor Insolvenzeröffnung entstandener Beitragsforderungen mit aktuellen Rentenansprüchen des Schuldners auch nach Erteilung der Restschuldbefreiung zulässig ist.

Zudem ist in Frage zu stellen, ob gem. § 302 Ziffer 1 InsO qualifizierte Verbindlichkeiten aus einem Steuerschuldverhältnis grundsätzlich von der Restschuldbefreiung ausgenommen werden sollten. Gerade auf der Ebene der selbständigen Unternehmen wird damit gescheiterten Unternehmern ein wirtschaftlicher Neuanfang oft unmöglich gemacht, da diese zeitlich unbefristet für diese Steuerschulden haften. Ein Restschuldbefreiungsverfahren ist daher oftmals für diese Betroffenen sinnlos.

Lösungsvorschlag:

Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte die in der Literatur bereits diskutierte Regelung aufgenommen werden, wonach auch Steuerschulden im Rang einer Masseverbindlichkeit oder ein Anspruch gegen das insolvenzfreie Vermögen, der aus der Freigabe eines belasteten Vermögensgegenstandes resultiert, in die Restschuldbefreiung einbezogen werden. Auch sollte hinsichtlich einer Steuerverbindlichkeit im Rang einer Masseverbindlichkeit, die wegen einer Masseunzulänglichkeit nicht getilgt wird, § 69 AO keine Anwendung finden.[19] Zudem sollte über die Privilegierung der von der Restschuldbefreiung ausgenommenen Verbindlichkeiten aus einem Steuerschuldverhältnis nochmals nachgedacht werden.

  

3.6. Einfacher Zugang zur Verfahrenskostenstundung

Auf diese Stundungsmöglichkeit des § 4a Abs. 1 Satz 1 InsO sind insbesondere selbstständige Schuldner ohne Vermögen angewiesen, die die Verfahrenskosten nicht mehr aus eigenen Mitteln tragen können. Tendenzen in der Rechtsprechung, die diesen Zugang einschränken, führen für die betroffenen Schuldner deshalb zu Zurückweisung ihrer Anträge. So hat der BGH[20], jüngst eine Stundung der Verfahrenskosten abgelehnt, weil die Restschuldbefreiung und der mit ihr beabsichtigte wirtschaftliche Neubeginn wegen einer hohen, gemäß § 302 Nr. 1 InsO von der Restschuldbefreiung ausgenommenen Forderung offensichtlich nicht erreicht werden konnte.

Lösungsvorschlag:

Die Einschränkung des Zugangs zur Verfahrenskostenstundung muss auf gesetzlich geregelte Ausnahmen beschränkt sein.

 

3.7 Fazit:

Mit den hier vorgestellten Vorschlägen könnte zahlreichen Unternehmern, Selbstständigen und Freiberuflern ein „Neustart“ aus der persönlichen Insolvenz eröffnet werden, die vor dem Hintergrund der Coronakrise oftmals unvermeidlich sein wird.

Die künftig auf drei Jahre verkürzte Phase der Restschuldbefreiung böte den Betroffenen – in Kombination mit den hier vorgestellten Vorschlägen für eine verbesserte gesetzliche Regelung der Freigabe gem. §35 InsO – die Chance einer krisenbedingten Anpassung und Erhaltung ihrer wirtschaftlichen Existenzgrundlage.

Bei einer Umsetzung zusammen mit der anstehenden Verkürzung der Restschuldbefreiung entstünde kurzfristig ein überzeugendes Angebot für diesen von der Coronakrise besonders betroffenen Personenkreis.

 

Berlin, 25.09.2020

Dr. Christoph Niering
Vorsitzender

 

Kontakt:

Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e.V. (VID)
Französische Straße 13/14, 10117 Berlin, Tel.: 030/ 20 45 55 25, E-Mail: info@vid.de
Web: www.vid.de

 

[1] VID-Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens vom 01.04.2020, abrufbar unter https://www.vid.de/stellungnahmen/stellungnahme-des-vid-zum-refe-eines-gesetzes-zur-weiteren-verkuerzung-des-rsb-verfahrens/ sowie ergänzende Stellungnahme des VID zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens (Fokus: Bewältigung der COVID-19-Pandemie) vom 17.04.2020, abrufbar unter https://www.vid.de/stellungnahmen/ergaenzende-stellungnahme-des-vid-zum-refe-eines-gesetzes-zur-weiteren-verkuerzung-des-rsb-verfahrens/.

[2] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/112/1711268.pdf.

[3] Abweichend von den Artikeln 20 bis 22 behalten die Mitgliedstaaten Bestimmungen bei oder führen Bestimmungen ein, mit denen der Zugang zur Entschuldung verwehrt oder beschränkt wird, die Vorteile der Entschuldung widerrufen werden oder längere Fristen für eine volle Entschuldung beziehungsweise längere Verbotsfristen vorgesehen werden, wenn der insolvente Unternehmer bei seiner Verschuldung — während des Insolvenzverfahrens oder während der Begleichung der Schulden — gegenüber den Gläubigern oder sonstigen Interessenträgern unredlich oder bösgläubig im Sinne der nationalen Rechtsvorschriften gehandelt hat, unbeschadet der nationalen Vorschriften zur Beweislast.

Der einschlägige Erwägungsgrund (78) führt dazu aus:

„Eine volle Entschuldung oder ein Ende der Tätigkeitsverbote nach einer Frist von höchstens drei Jahren ist nicht in jedem Fall angemessen; daher könnten Ausnahmen von dieser Regel festgelegt werden müssen, die mit im nationalen Recht festgelegten Gründen ausreichend gerechtfertigt sind. Solche Ausnahmeregelungen sollten zum Beispiel für den Fall eingeführt werden, dass der Schuldner unredlich oder bösgläubig gehandelt hat. Wenn Unternehmer nach nationalem Recht nicht von einer Vermutung der Redlichkeit und des guten Glaubens profitieren, sollte ihnen eine Einleitung des Verfahrens aufgrund der Beweislast für ihre Redlichkeit und ihren guten Glauben nicht unnötig erschwert oder aufwendig gestaltet werden.“

Zur Definition der Unredlichkeit ergänzt Erwägungsgrund (79):

„Bei der Prüfung, ob ein Unternehmer unredlich war, könnten die Justiz- oder Verwaltungsbehörden Umstände wie die folgenden berücksichtigen: Art und Umfang der Schulden, Zeitpunkt des Entstehens der Schuld, Anstrengungen des Unternehmers zur Begleichung der Schulden und zur Erfüllung rechtlicher Verpflichtungen, unter anderem im Zusammenhang mit öffentlichen Erlaubnissen und dem Erfordernis ordnungsgemäßer Buchführung, Handlungen seitens des Unternehmers zur Vereitelung einer Inanspruchnahme durch Gläubiger, die Erfüllung von Pflichten im Zusammenhang mit einer wahrscheinlichen Insolvenz, die den Unternehmenseignern als Mitgliedern der Geschäftsleitung obliegen, sowie die Einhaltung des Wettbewerbsrechts der Union und des nationalen Wettbewerbsrechts und des Arbeitsrechts der Union und des nationalen Arbeitsrechts. Es sollte auch möglich sein, Ausnahmeregelungen einzuführen, wenn der Unternehmer bestimmte rechtliche Verpflichtungen nicht erfüllt hat, unter anderem Verpflichtungen, die Gläubiger bestmöglich zu befriedigen, welche die Form einer allgemeinen Verpflichtung haben könnten, Einkommen oder Vermögenswerte zu erwirtschaften. Spezielle Ausnahmeregelungen sollten darüber hinaus festgelegt werden können, wenn sie notwendig sind, um einen Ausgleich zwischen den Rechten des Schuldners und den Rechten eines oder mehrerer Gläubiger zu gewährleisten, etwa wenn der Gläubiger eine natürliche Person ist, die größeren Schutzes bedarf als der Schuldner.“

[4]…der Schuldner in den letzten drei Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorsätzlich oder grob fahrlässig die Befriedigung der Insolvenzgläubiger dadurch beeinträchtigt hat, dass er unangemessene Verbindlichkeiten begründet oder Vermögen verschwendet oder ohne Aussicht auf eine Besserung seiner wirtschaftlichen Lage die Eröffnung des Insolvenzverfahrens verzögert hat.“

[5] Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass, wenn ein insolventer Unternehmer im Einklang mit dieser Richtlinie entschuldet wird, ein allein aufgrund der Insolvenz des Unternehmers erlassenes Verbot, eine gewerbliche, geschäftliche, handwerkliche oder freiberufliche Tätigkeit aufzunehmen oder auszuüben, spätestens bei Ablauf der Entschuldungsfrist außer Kraft tritt.

[6] Betr. ausschließlich natürliche Personen.

[7] § 35 Abs. 2 und 3 InsO wurden erst 2007 in die InsO eingefügt, da das Gesetz vor dieser Einführung eine selbständige Tätigkeit des Insolvenzschuldners faktisch unmöglich gemacht hatte so auch Hirte/Praß in Uhlenbruck, InsO-KO, § 35, Rz. 90.

[8] Vgl. BGH vom 21.02.2019, IX ZR 246/17, Rz. 21, 24.; vgl. auch BFH vom 08.09.2011, II R 54/10 (abgedruckt in ZIP 2012, 42-43 (dort Rr. 18) wonach eine Freigabe der selbstständigen Tätigkeit gem.  § 35 Abs.  2 InsO  nur den Neuerwerb und nicht das im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits vorhandene Vermögen umfasst.

[9] Zu möglichen Formulierungsvorschlägen vgl. auch Jäger/Berg in ZVI 2017, 449 ff.

[10] Mit Beschluss vom 09.06.2011 (IX ZB 175/10) hat der BGH klargestellt, dass im Sonderfall des § 35 Abs. 2 InsO ein zweites, auf das Vermögen aus der freigegebenen selbstständigen Tätigkeit beschränktes, Insolvenzverfahren eröffnet werden kann.
In einer weiteren Entscheidung vom 18.12.2014 (IX ZB 22 /13) hat er die Zulässigkeit einer erneuten Restschuldbefreiung in diesem beschränkten Insolvenzverfahren unter den Vorbehalt einer vorherigen Entscheidung über den Antrag auf Restschuldbefreiung im Ausgangsverfahren gestellt. Zur planwidrigen Regelungslücke im damaligen § 290 Abs. 1 Nr. 2 – heute § 287a Abs. 2 InsO – führt er dort unter Rz. 10 aus: „Das Gesetz enthält für den Fall, dass bei noch laufendem erstem Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren aufgrund neuer Verbindlichkeiten in einem ausnahmsweise zulässigen zweiten Insolvenzverfahren ein zweiter Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt wird, eine Regelungslücke. § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO bestimmt, dass die Restschuldbefreiung zu versagen ist, wenn in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag dem Schuldner die Restschuldbefreiung erteilt oder nach § 296 InsO oder § 297 InsO versagt worden ist. Wie über einen Zweitantrag zu entscheiden ist, wenn über den im ersten Insolvenzverfahren gestellten Antrag auf Restschuldbefreiung noch nicht entschieden ist, regelt die Norm nicht.“

[11] Die RL formuliert in Erwägungsgrund 84 Satz 4 folgenden Hinweis: „Die Mitgliedstaaten, in denen Unternehmer ihre Geschäfte während des Insolvenzverfahrens auf eigene Rechnung fortsetzen dürfen, sollten nicht daran gehindert werden vorzusehen, dass diese Unternehmer Gegenstand eines neuen Insolvenzverfahrens werden können, wenn diese fortgesetzten Geschäfte insolvent werden.“

[12] Ausführlich zur Problematik der Gefährdung eines Fresh-Start im Hinblick auf steuerliche Verbindlichkeiten des Schuldners vgl. auch VID-Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens, dort ab S. 6, abrufbar unter: https://www.vid.de/stellungnahmen/stellungnahme-des-vid-zum-refe-eines-gesetzes-zur-weiteren-verkuerzung-des-rsb-verfahrens/

[13] Ferner besteht – darauf sei an dieser Stelle ebenfalls hingewiesen – seitens der Finanzverwaltung die Möglichkeit, Umsatz- und Einkommenssteuerersatzansprüche, die während der freigegebenen selbständigen Tätigkeit entstehen, mit vorinsolvenzlichen Steuerverbindlichkeiten des Schuldners aufzurechnen, vgl. dazu Hirte/Praß in Uhlenbruck InsO-KO, § 35, Rz. 101 m.w.N., Sinz, ebenda, § 96, Rz. 65 m.w.N.

[14] VII R 1/16, ZIP 2018, 593 ff.

[15] BFH-Pressemitteilung Nr. 13 vom 07. März 2018 „Keine Restschuldbefreiung für Masseverbindlichkeiten“, abrufbar unter  https://www.bundesfinanzhof.de/de/presse/pressemeldungen/detail/keine-restschuldbefreiung-fuer-masseverbindlichkeiten/.

[16] Anders aber Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, 15.03.2018 – L 19 AS 1286/17.

[17] Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 21. März 2018 – L 13 R 25/17 –, juris.

[18] BSG, Urteil vom 10.Dezember 2003 – B 5 RJ18703 R BSGE 92,1-10, SozR 4-1200 3 52 Nr. 2.

[19] Ausführlich zur Problematik der Gefährdung eines Fresh-Start im Hinblick auf steuerliche Verbindlichkeiten des Schuldners vgl. auch VID-Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens, dort ab S. 6, abrufbar unter: https://www.vid.de/stellungnahmen/stellungnahme-des-vid-zum-refe-eines-gesetzes-zur-weiteren-verkuerzung-des-rsb-verfahrens/.

[20] Vgl. BGH vom 13.02.2020, IX ZB 39/19, Rz. 9.

 

RegE Pfändungsschutzkonto-Fortentwicklungsgesetz – PKoFoG

P-Konto in der Insolvenz – Unsicherheiten dauern an

 

A. Vorbemerkung

Das Verfahren zur Sicherung des Schuldners soll für alle Beteiligten – Schuldner, Gerichte und Kreditinstitute – möglichst unkompliziert und effektiv ausgestaltet werden.“ So beschrieb der Regierungsentwurf[1] des Gesetzes zur Reform des Kontopfändungsschutzes 2007 das Ziel der Reform. Daran anknüpfend soll der vorliegende Regierungsentwurf des Pfändungsschutzkonto-Fortentwicklungsgesetzes die im Schlussbericht der Evaluierung des Gesetzes zur Reform des Kontopfändungsschutzes angesprochenen und seit Einführung des P-Kontos aufgetretenen Praxisprobleme[2] lösen.

Die praktischen Probleme des Pfändungsschutzkontos in der Insolvenz des Schuldners greift der Entwurf jedoch nicht auf. So fehlt es im Hinblick auf die §§ 115, 116 InsO an einer gesetzlichen Klarstellung zum Fortbestand von P-Konten sowie einer Lösung für die sog. Verstrickung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Der Regierungsentwurf beschränkt sich – wie bereits der Referentenentwurf – auf eine bloße Änderung des § 36 Abs. 1 InsO, die überdies nur klarstellenden Charakter hat. Danach bedürfen Verfügungen des Schuldners über Guthaben, das nach den Vorschriften der ZPO über die Wirkungen des Pfändungsschutzkontos nicht von der Pfändung erfasst wird, zu ihrer Wirksamkeit nicht der Freigabe dieses Kontoguthabens durch den Insolvenzverwalter.

Schuldner geraten jedoch nur selten von heute auf morgen in die Zahlungsunfähigkeit. Häufig gehen einem Insolvenzantrag (erfolglose) Einzelzwangsvollstreckungshandlungen voraus, so dass zu Beginn des Insolvenzverfahrens oft noch Konto-, bzw. Lohn(dauer)-pfändungen vorliegen.[3] Insbesondere diese aus der Verstrickung resultierenden Folgen stellen die Praxis vor erhebliche Schwierigkeiten.

 

B. Im Einzelnen

 I. Änderung der Insolvenzordnung – § 36 Abs. 1 Satz 3 (neu) InsO-E

 a) Notwendigkeit einer ausdrücklichen gesetzlichen Klarstellung, wonach das Pfändungsschutzkonto auch bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens fortbesteht

Der RegE sieht vor, § 36 Abs. 1 InsO folgenden Satz 3 anzufügen: „Verfügungen des Schuldners über Guthaben, das nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Wirkungen des Pfändungsschutzkontos nicht von der Pfändung erfasst wird, bedürfen zu ihrer Wirksamkeit nicht der Freigabe dieses Kontoguthabens durch den Insolvenzverwalter.“[4]

Die Begründung des RegE führt dazu u.a. aus, dass es sich (lediglich) um eine Klarstellung handle, wonach es „zur Wirksamkeit von Verfügungen des Schuldners hinsichtlich der nach den Vorschriften über das P-Konto nicht von der Pfändung erfassten Teile des Kontoguthabens keiner Freigabe durch den Insolvenzverwalter bedarf, der in diesem Sinne ohnehin nicht tätig werden darf; wie im Verfahren der Einzelzwangsvollstreckung treten die Wirkungen des P-Kontos vielmehr kraft Gesetzes ein“.[5]

Selbst wenn dies implizit unterstellt, dass das Pfändungsschutzkonto bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens fortbesteht, wäre eine gesetzliche Klarstellung zum Fortbestand des Pfändungsschutzkontos auch bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens hilfreich.

Insoweit wird auf die bereits in der Stellungnahme des VID zum Referentenentwurf aufgezeigte Begründung[6] verwiesen:

Grundlage des Pfändungsschutzkontos ist ein Girokonto. Durch eine vertragliche Abrede zwischen kontoführendem Kreditinstitut und Kontoinhaber tritt die im Gesetz (§ 850k ZPO) vorgesehene vollstreckungsschützende Wirkung für dieses Konto ein.

Zum Girokonto hatte der BGH zuletzt in seiner Entscheidung vom 21. Februar 2019 (IX ZR 246/17) ausgeführt: „Ein Girokonto wird aufgrund eines Girovertrags geführt. Bei diesem handelt es sich um einen Zahlungsdiensterahmenvertrag gemäß § 675f Abs. 2 BGB (…) und damit um einen Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 Abs. 1, § 675c Abs. 1 BGB). Als solcher erlischt der Girovertrag gemäß §§ 115, 116 InsO durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2006 – XI ZR 21/06, BGHZ 170, 121 Rn. 11; vom 5. März 2015-IX ZR 164/14, WM 2015, 733 Rn. 9). Eine Weiterführung des Kontos nach Insolvenzeröffnung ist nur im Rahmen eines neuen Girovertrags möglich; dieser kann auch konkludent geschlossen werden durch beiderseitige Fortführung der Geschäftsbeziehung (…)“[7]

Vielfach wird vertreten, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Bestand des dem Pfändungsschutzkonto zugrunde liegenden Girokontovertrages nicht berührt und die §§ 115, 116 InsO nach ihrem Sinn und Zweck nicht anwendbar seien.[8] Herzuleiten ist diese Auslegung nur inzident aus dem nach § 115 Abs. 1 InsO für dessen Anwendbarkeit erforderlichen Massebezug. Auch bei einem Pfändungsschutzkonto ist aber ein Massebezug nicht per se ausgeschlossen, weil Guthaben oberhalb des Freibetrages dem Insolvenzbeschlag unterliegt.

Die Ausnahmen zu den § 115, 116 InsO finden sich bislang in § 108 InsO.

Als Ausnahmeregelung ist diese Vorschrift eng auszulegen, so dass eine gesetzliche Klarstellung zum Fortbestand des Pfändungsschutzkontos bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens an dieser Stelle dringend angezeigt wäre, um die notwendige Rechtssicherheit herzustellen.

Bereits im Bericht zur Evaluierung des Gesetzes zur Reform des Kontopfändungsschutzes war die Option, „den Vorschlägen der Kreditinstitute und der Schuldnerberatung zu folgen und den Weiterbestand des P-Kontos (und seines Funktionierens) bei Insolvenz ausdrücklich und eindeutig gesetzlich zu regeln[9] angesprochen worden.

 

b) Gebotene Behandlung der sog. „Verstrickung“

Die Begründung des RegE führt weiter aus, dass nach § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht der Zwangsvollstreckung unterliegende Vermögensgegenstände des Schuldners, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, nicht zur Insolvenzmasse gehören und

„Soweit somit nach den Regelungen zum P-Konto bestimmte Teile von Guthaben auf dem als P-Konto geführten Zahlungskonto des Schuldners nicht von der Pfändung im Wege der Einzelzwangsvollstreckung erfasst werden, wird klargestellt, dass der Schuldner auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens hierüber verfügen kann. Dies gilt unabhängig davon, ob die Pfändungsfreiheit auf dem Grundfreibetrag, dem Nachweis von Erhöhungsbeträgen oder einer Entscheidung des Vollstreckungsgerichts beruht.(…) Die Abgrenzung zwischen von der Pfändung nicht erfassten Bestandteilen des Guthabens und solchen, die der Masse zugehörig sind, hat das Kreditinstitut nach denselben Kriterien wie bei der Kontenpfändung im Wege der Einzelzwangsvollstreckung vorzunehmen. Diejenigen Teile des Kontoguthabens, für die Pfändungsschutz nach Maßgabe der Vorschriften über die Wirkungen des P-Kontos nicht besteht oder später entfällt, werden somit vom Insolvenzbeschlag erfasst und sind grundsätzlich an den Insolvenzverwalter auszukehren.[10]

Wie schon der Referentenentwurf spricht auch der RegE das in der Praxis häufig auftretende Problem der Verstrickung aufgrund einer Kontopfändung aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht an.

Für die insolvenzrechtliche Praxis ist in diesem Zusammenhang (bislang) die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 21.09.2017 (IX ZR 40/17)[11] maßgeblich, nach der die Wirkungen der Verstrickung im Insolvenzverfahren fortdauern, bis sie auf einem dafür vorgesehenen Weg beseitigt worden sind.

(Spätestens) seit dieser Entscheidung des BGH vom Herbst 2017 zahlen die Kreditinstitute pfändbare Guthaben daher nicht (mehr) an die Insolvenzverwalter aus, solange die Wirkungen der Verstrickung nicht förmlich beseitigt sind.[12] Die Frage, welcher der „dafür vorgesehene Weg“[13] ist, wird von den Gerichten unterschiedlich beurteilt[14] und beschäftigt Gerichte, Banken, Gläubiger, Schuldner und Insolvenzverwalter gleichermaßen.

Wie drängend es einer Lösung für dieses Problem bedarf, zeigt zuletzt der in der Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (ZIP)[15] initiierte Aufruf aus Wissenschaft und Praxis, der das P-Kontos im Insolvenzverfahren als problematisches bürokratisches Hindernis bezeichnete, das durch die Beteiligten nicht mehr handhabbar ist. Zugleich wurden das BMJV und die Bundesregierung aufgefordert, sich auf eine wirkliche „Diskussion“ mit Praxis und Wissenschaft einzulassen“. Die Vorschläge aus der Praxis reichen aktuell von einer Aufhebung der Zwangsmaßnahme allein hinsichtlich bestehender, nicht aber künftiger Guthabenforderungen[16] bis zur automatischen Lösung der Verstrickung mit Insolvenzeröffnung.[17]

Fällt die Verstrickung nicht automatisch mit Insolvenzeröffnung weg, stellt sich beim Pfändungsschutzkonto auch die Frage, ob zur Durchsetzung ihrer Beseitigung der Insolvenzverwalter verpflichtet und aktivlegitimiert sein soll, obwohl die Insolvenzmasse nur bezüglich Guthaben über dem Freibetrag betroffen ist und ein gerichtliches Vorgehen möglicherweise nicht finanzieren kann, oder ob die Zuständigkeit dem Schuldner zukommt, der ohne entsprechende Beratung hiervon überfordert sein dürfte. Auch hierauf hatte der VID bereits in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf hingewiesen.

 

II. Änderung der Insolvenzordnung – § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO-E

Bislang regelt § 36 Abs. 4 Satz 1 InsO (der durch den RegE keiner Änderung unterliegen soll), dass für Entscheidungen, ob ein Gegenstand nach den in Absatz 1 Satz 2 genannten Vorschriften der Zwangsvollstreckung unterliegt, das Insolvenzgericht zuständig ist.

Im Hinblick auf die Frage, welches Gericht während des Insolvenzverfahrens für die Bestimmung der Pfändungsfreibeträge auf dem Pfändungsschutzkonto des Schuldners zuständig ist, führt die Verweisungskette bislang über § 36 Abs. 4 Satz 1 InsO zu § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO und § 850k ZPO.

Da der bisherige § 850k ZPO und auch § 905 (neu) ZPO-E (Festsetzung der Erhöhungsbeträge durch das Vollstreckungsgericht) nur vom Vollstreckungsgericht sprechen, war „aufgrund gegenteiliger Erfahrungen in der Praxis und wegen der Dringlichkeit für den Schuldner“ bereits nach Veröffentlichung des Referentenentwurfs eine gesetzliche Klarstellung im Hinblick auf die Zuständigkeit der Insolvenzgerichte angeregt worden.[18]

Während mit dem Referentenentwurf im Rahmen der Verweisung in § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO-E die §§  902 bis 906 (neu) ZPO-E entsprechend gelten sollten und damit auch § 905 ZPO-E enthalten war, regelt § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO-E im RegE nun lediglich:

„Die §§ 850, 850a, 850c, 850e, 850f Abs. 1, §§ 850g bis 850l, 851c, 851d, 899 bis 904 sowie 906 Abs. 2 bis 4 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.“

Mithin fehlt die Verweisung auf § 905 ZPO-E (Festsetzung der Erhöhungsbeträge durch das Vollstreckungsgericht) überraschenderweise vollständig.

Wir regen daher an, die Zuständigkeit für die Bestimmung der Pfändungsfreibeträge auf dem Pfändungsschutzkonto des Schuldners während des Insolvenzverfahrens künftig (ausdrücklich) dem Insolvenzgericht zu übertragen.

 

 

Berlin, den 11.06.2020

Kontakt:

Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e.V. (VID)
Französische Straße 13/14
10117 Berlin
Tel.: 030/ 20 45 55 25
E-Mail: info@vid.de
Web: www.vid.de

 

[1] http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/16/127/1612714.pdf, S. 1.

[2] Regierungsentwurf (nachfolgend RegE), Bearbeitungsstand 23.03.2020, 11:56 Uhr, S. 1.

[3] Vgl. Lissner, InsbürO 2020, 111 (112).

[4] RegE, S. 16.

[5] RegE, Begründung S. 52.

[6] VID-Stellungnahme zum RefE des Pfändungsschutzkonto-Fortentwicklungsgesetzes, S. 2, abrufbar unter: https://www.vid.de/wp-content/uploads/2019/11/vid-stellungnahme-refe-PKoFoG.pdf

[7] BGH IX ZR 246/17, Rz. 11.

[8] Hirte/Praß in Uhlenbruck, InsO-KO, 15. Aufl. 2019, § 36, Rz. 39 mit Verweis auf LG Verden (NZI 2014, 36) und AG München (VuR 2015, 68), Ahrendt in Hamb-KO zum InsR, 7. Aufl. 2019, § 116, Rz. 9.

[9] Kurzfassung zur Evaluierung des Gesetzes zur Reform des Kontopfändungsschutzes, S. 8 f., abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/Fachinformationen/Evaluierung_P-Konto_Kurzfassung.pdf?__blob=publicationFile&v=3

[10] RegE, Begründung S. 52.

[11] Zur Begründung des BGH vgl. ausführliche VID-Stellungnahme zum RefE des Pfändungsschutzkonto-Fortentwicklungsgesetzes, dort S. 3-4.

[12] Vgl. Böhme, NZI 9/2020, 390 ff. (392) Anm. LG Frankfurt/M. Beschluss vom 5.9.2019- 2/9 T 283/19.

[13] Ausführlich zu den unterschiedlichen Ansätzen der Gerichte (Aufhebung, Aussetzung oder beides) Cranshaw, Anm. zu LG Flensburg, Beschluss vom 28.10.2019 – 5 T 198/19.

[14] Vgl. Lissner, InsbürO 2020, 111 (115); ausführlich zur der amts- und landgerichtlichen Rechtsprechung LG Frankfurt/M., Beschluss vom 5.9.2019- 2/9 T 283/19 in NZI 9/2020, 390 ff.

[15] Bitter/Grote/Sudergat, ZIP 2019, 2283  ff., abrufbar unter https://www.zip-online.de/heft-48-2019/zip-2019-2283-ist-das-pfaendungsschutzkonto-noch-fuer-die-praxis-zu-retten-stoppt-die-buerokratisierung-durch-das/

[16] Böhme, NZI 9/2020, 390 ff. (392) Anm. LG Frankfurt/M. Beschluss vom 5.9.2019- 2/9 T 283/19.

[17] Bitter/Grote/Sudergat ,a.a.O, S. 2283. (“Das P-Konto sollte daher dringend aus dem Insolvenzbeschlag herausgelöst und bestehende Pfändungen und Verstrickungen auf dem Konto sollten mit der Insolvenzeröffnung endgültig unwirksam werden.“)

[18] Vgl. Stellungnahme der Deutschen Kreditwirtschaft zum Referentenentwurf des PKoFoG vom 14.09.2019, S. 19: abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2019/Downloads/111419_Stellungnahme_DK_RefE_PKoFoG.html („Während des Insolvenzverfahrens ist das Insolvenzgericht für die Bestimmung der Pfändungsfreibeträge auf dem Pfändungsschutzkonto zuständig.“) sowie VID-Stellungnahme zum RefE des Pfändungsschutzkonto-Fortentwicklungsgesetzes, S. 4, abrufbar unter https://www.vid.de/wp-content/uploads/2019/11/vid-stellungnahme-refe-PKoFoG.pdf

 

RefE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft (Verbandssanktionengesetz)

  

Mit dem Vorschlag für ein Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten verbindet der o. g. Entwurf auch eine Maßgabe zur Verfolgung im Fall einer Insolvenz des Verbandes:

 

„§ 39 – Absehen von der Verfolgung bei Insolvenz

(1) Die Verfolgungsbehörde kann von der Verfolgung des Verbandes absehen, wenn über das Vermögen des Verbandes ein Insolvenzverfahren eröffnet oder ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Verfolgungsbehörde das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Wird das Insolvenzverfahren

  1. nach § 212 oder § 213 der Insolvenzordnung eingestellt oder
  2. nach § 258 der Insolvenzordnung aufgehoben

und ist nicht inzwischen Verjährung eingetreten, so kann das Verfahren innerhalb von drei Monaten ab Wirksamwerden der Einstellung oder der Aufhebung wieder aufgenommen werden.

(4) Hat das Gericht das Verfahren eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.“

 

Zur Begründung (S. 117) führt der Referentenentwurf aus:

„Die Vorschrift schafft einen fakultativen Einstellungsgrund für den Fall der Insolvenz des Verbandes. Denn insbesondere in Fällen, in denen der Verband im Rahmen des Insolvenzverfahrens liquidiert wird, dürfte es regelmäßig nicht geboten sein, ein Verfahren gegen einen aufgelösten Rechtsträger, der demnächst vollbeendet wird und gegen den eine Sanktion voraussichtlich nicht mehr vollstreckt werden kann, durchzuführen. Die Situation kann sich vor dem Hintergrund der Vorschriften zur Rechtsnachfolge (§§ 6, 30) allerdings auch anders darstellen, wenn der Verband im Insolvenzverfahren zwar liquidiert, dessen Geschäftsbetrieb aber im Wege einer übertragenden Sanierung vollständig oder zumindest teilweise auf einen anderen Rechtsträger übertragen wird. Insbesondere in Fällen, in denen der übernehmende Rechtsträger in Verbindung mit den Geschäftsführern oder Gesellschaftern des nunmehr insolventen Verbandes steht,

kann es auch trotz einer Insolvenz geboten sein, das Verfahren mit Blick auf die Rechtsnachfolge fortzuführen. Für Verfahrensgestaltungen, bei denen das Insolvenzverfahren beendet wird, ohne dass es zu einer Liquidation des Verbandes kommt, besteht die Möglichkeit, das Verfahren innerhalb bestimmter Fristen wieder aufzunehmen.“

 

Die vorgeschlagene Regelung begegnet mehrfachen rechtlichen Bedenken:

1) Nach § 39 Abs. 1 VerSanG-E soll von der Verfolgung eines Verbandes abgesehen werden können, wenn über das Vermögen des Verbandes ein Insolvenzverfahren eröffnet oder ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist. Die Begründung, dass eine Verfolgung bei perspektivisch nicht mehr vollstreckbarer Sanktion nicht geboten ist, ist plausibel. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die geplante Änderung des § 39 Abs.  1 Nr. 3 InsO, mit der Sanktionen nach dem VerSanG – in systemgerechter Gleichstellung mit Geldstrafen u. ä. – den nachrangigen Insolvenzforderungen zugeordnet werden.

Die Perspektive, dass eine Sanktion insolvenzbedingt nicht mehr vollstreckbar sein wird, kann sich allerdings schon vor der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder der Abweisung eines Insolvenzantrags mangels Masse abzeichnen im Verfahren über den Insolvenzantrag. Dies gilt insbesondere, wenn ein vorläufiges Insolvenzverfahren angeordnet wird und eine Insolvenzeröffnung sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit abzeichnet. Die Verfolgungsbehörde dürfte in der Lage sein, einzelfallbezogen eine sachgerechte Einschätzung der Vollstreckungsperspektive vorzunehmen. Daher sollte ihr in Ergänzung von § 39 Abs. 1 VerSanG-E die Möglichkeit eröffnet werden, schon im Insolvenzantragsverfahren von der Verfolgung – ggf. einstweilen – abzusehen oder ein bereits laufendes Verfahren gemäß § 39 Abs. 2 VerSanG-E vorläufig einzustellen.

Für die Fälle einer Einstellung mangels Masse (§ 207 InsO) und einer Einstellung nach Verteilung (§ 211 InsO) ist die Möglichkeit eines Absehens von Verfolgung nicht ausdrücklich vorgesehen. Falls dem die Überlegung zugrunde liegt, dass die durch die Insolvenzeröffnung ausgelöste Möglichkeit des Absehens von Verfolgung nicht befristet ist und entsprechend der Verfahrensentwicklung auch später noch ausgeübt werden kann, sollte dies gesetzlich klargestellt werden, um Zweifelsfälle auszuschließen. Systematisch konsequenter wäre in diesem Zusammenhang allerdings, auch bei Einstellung nach § 207 InsO oder § 211 InsO die Möglichkeit des Absehens von Verfolgung vorzusehen und – wie in den Fällen der Wiederaufnahme nach § 39 Abs. 3 VerSanG-E – in § 39 Abs. 1 VerSanG-E eine Frist für die Entscheidung der Verfolgungsbehörde aufzunehmen. Angesichts der oft jahrelangen Dauer von Insolvenzverfahren sollte der zeitliche Rahmen (3 Monate) aus Abs. 3 auch für die Entscheidung nach Abs. 1 Anwendung finden, um Rechtssicherheit herzustellen.

2) Nach der Begründung zu § 39 VerSanG-E soll im Fall einer übertragenden Sanierung die Fortführung der Verfolgung vor dem Hintergrund der Vorschriften zur Rechtsnachfolge (§§ 6, 30) möglich bzw. insbesondere dann geboten sein, wenn der übernehmende Rechtsträger in Verbindung mit den Geschäftsführern oder Gesellschaftern des nunmehr insolventen Verbandes steht. Prima facie erscheint das in der Begründung formulierte Verfolgungsinteresse zwar nachvollziehbar. Das dargestellte Vorgehen lässt sich aber mit der Bezugnahme auf die Vorschriften zur Rechtsnachfolge nicht begründen und würde einen Systembruch dahingehend darstellen, dass eine Verbandsanktion nicht mehr an die Identität der juristischen Person, sondern an die Identität natürlicher Personen geknüpft würde.

§ 6 VerSanG-E schränkt die Verfolgung im Fall der Rechtsnachfolge ausdrücklich ein:

„Im Fall einer Gesamtrechtsnachfolge oder einer partiellen Gesamtrechtsnachfolge durch Aufspaltung (§ 123 Absatz 1 des Umwandlungsgesetzes) können Verbandssanktionen nach § 8 gegen den oder die Rechtsnachfolger verhängt werden.“

Die übertragende Sanierung eines Betriebs oder Betriebsteils im Insolvenzverfahren erfolgt dadurch, dass der Insolvenzverwalter Gegenstände des Aktivvermögens veräußert. Eine Übernahme der Passiva erfolgt gerade nicht, denn dies würde den Zweck der Maßnahme konterkarieren: den Erhalt einer produktiven Vermögensmasse unter Abstreifen bzw. nur quotaler Befriedigung der Passiva. Demgemäß kommt beim Kauf aus der Insolvenz weder die Haftung des Firmennachfolgers gemäß § 25 HGB zur Anwendung (vgl. zuletzt etwa BGH 03.12.2019 – II ZR 457/18), noch die steuerliche Haftung des Betriebsübernehmers, vgl. § 75 Abs. 2 AO. Demgemäß wird bei einer übertragenden Sanierung nie eine Gesamtrechtsnachfolge i.S.v. § 6 VerSanG-E vorliegen. Auch eine Aufspaltung wird in diesem Zusammenhang kaum in Frage kommen. Damit bleibt die Verhängung von Verbandssanktionen gegen den oder die Betriebs(teil)erwerber in Folge einer übertragenden Sanierung ausgeschlossen.

Auch die in § 7 Abs. 1 Ziff. 2 VerSanG-E vorgesehene Ausfallhaftung bietet in den Fällen einer übertragenden Sanierung keinen Ansatzpunkt für die Festsetzung eines Haftungsbetrages in Höhe der Verbandsgeldsanktion gegenüber dem Erwerber als Betriebs(teil)-erwerber. Die Übernahme wesentlicher Wirtschaftsgüter des betroffenen Verbandes und die Fortsetzung von dessen Tätigkeit im Wesentlichen wird zwar in den meisten Fällen das Ziel einer übertragenden Sanierung sein.

Die in § 7 Abs. 1 Ziff. 2 VerSanG-E geforderten weiteren Voraussetzungen einer Ausfallhaftung werden hier aber regelmäßig nicht vorliegen. Zwar erlischt der einem Sanktionsverfahren ausgesetzte Verband regelmäßig nach Beendigung des Insolvenzverfahrens. Die Ausfallhaftung nach § 7 Abs. 1 Ziff. 2 VerSanG-E setzt aber zusätzlich nicht nur eine Übernahme wesentlicher Wirtschaftsgüter und Tätigkeiten voraus, sondern nach § 7 Abs. 1 Halbsatz 1 Alt. 1 VerSanG-E richtigerweise auch, dass der Übernahme eine Vermögensverschiebung zugrunde liegt. Der Erwerb von Vermögensgegenständen aus einem geordneten Insolvenzverfahren stellt gerade keine Vermögensverschiebung dar.

Trotz dieser rechtlichen Situation ist – gerade im Lichte der Begründung zu § 39 VerSanG-E – jedoch nicht auszuschließen, dass im Einzelfall die Befürchtung drohender Verbandssanktionen potentielle Erwerber bei übertragenden Sanierungen vom Erwerb abhalten könnte. Zur Herstellung von Rechtssicherheit für Erwerber im Rahmen von übertragenden Sanierungen sollte die Verhängung von Verbandssanktionen sowie die Festsetzung eines Haftungsbetrags in Höhe der Verbandsgeldsanktion bei einem Erwerb von Vermögensgütern in der Insolvenz deshalb ausdrücklich ausgeschlossen werden.

Bedenkenswert ist ein solcher Ausschluss auch im Fall einer übertragenden Sanierung im Rahmen eines Restrukturierungsplans nach dem in Vorbereitung befindlichen Gesetz zu Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rats v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019.

3) Nach § 39 Abs. 3 VerSanG-E soll eine Wiederaufnahme der Verfolgung möglich werden, wenn das Insolvenzverfahren nach § 212 oder § 213 der Insolvenzordnung eingestellt oder nach § 258 der Insolvenzordnung aufgehoben wird und nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist.

Die Aufhebung nach rechtskräftiger Bestätigung eines Insolvenzplans gem. § 258 InsO sollte in diesem Zusammenhang nicht zu einer Wiederaufnahme führen. Wäre sie innerhalb der vorgeschlagenen Frist von 3 Monaten jederzeit möglich, dann müsste die Planerfüllung unter den Vorbehalt einer unterbleibenden Wiederaufnahme gestellt werden. Gläubiger werden regelmäßig schon nicht zur Zustimmung bereit sein, wenn die Frage von Verbandsanktionen und damit die Aussicht auf Erfüllbarkeit des Plans nicht geklärt ist. Die Situation unterscheidet sich von der einer bereits vor Insolvenzeröffnung festgesetzten Sanktion, die zwar über das Planverfahren aufgrund der Regelung in § 225 Abs. 3 InsO nicht abgestreift werden kann, aber bereits feststeht und somit kalkulierbar ist. Wird die Sanierung eines Rechtsträgers über einen Insolvenzplan faktisch ausgeschlossen oder auch nur erschwert durch eine drohende, nicht kalkulierbare Verbandsstrafe, geht dies nicht zu Lasten des Verbands, sondern zu Lasten seiner Gläubiger und ggf. Arbeitnehmer.

Zu bedenken ist auch, dass die Sanierung eines Rechtsträgers mittels Insolvenzplan oftmals mit einer Neuaufstellung der Gesellschafterstruktur und des Managements einhergeht und damit faktisch dem wirtschaftlichen und strukturellen Ergebnis einer übertragenden Sanierung entspricht, nur mit technisch anderer Umsetzung, z. B. um keine Übertragung rechtsträgerbezogener Rechtsverhältnisse vornehmen zu müssen, soweit überhaupt möglich.

 

Mit Blick auf die notwendige Zustimmung und wirtschaftliche Betroffenheit der Gläubiger sollte deshalb die Aufhebung nach rechtskräftiger Bestätigung bei Insolvenzplänen nicht zu einer Wiederaufnahme der Verfolgung führen.

 

Berlin, den 22.05.2020

Kontakt:

Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e.V. (VID)
Französische Straße 13/14
10117 Berlin
Tel.: 030/ 20 45 55 25
E-Mail: info@vid.de
Web: www.vid.de

Ergänzende Stellungnahme des VID zum RefE eines Gesetzes zur weiteren Verkürzung des RSB-Verfahrens

 

Mit dem Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27.3.2020 (BGBl. I, S. 569 ff.) wurden umfangreiche Regelungen zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie eingeführt.

Das darin unter Art. 1 enthaltene Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz (COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz – COVInsAG) vom 27.3.2020 (BGBl. I, S. 569 ff.) hat auch für die Insolvenz natürlicher Personen eine zeitlich befristete Regelung geschaffen, die für die Betroffenen eine gesetzliche Erleichterung bringen soll. Durch ein Moratorium sollen zusätzlich Leistungsverweigerungsrechte geschaffen werden, um die Zahlungsfähigkeit der Betroffenen über einen befristeten Zeitraum zu stützen.

Die nachstehende Stellungnahme zu diesen Neuregelungen ergänzt die Ausführungen[1] zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens. Sie konzentriert sich auf die Auswirkungen der Neuregelungen für insolvente natürliche Personen. Daneben greift sie die neu geschaffenen Regelungen für Kleinstunternehmen auf.

 

I. Aussetzung von Versagungsgründen der Restschuldbefreiung

§ 1 Satz 4 COVInsAG formuliert hierzu:

„Ist der Schuldner eine natürliche Person, so ist § 290 Absatz 1 Nummer 4 der Insolvenzordnung mit der Maßgabe anzuwenden, dass auf die Verzögerung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Zeitraum zwischen dem 1. März 2020 und dem 30. September 2020 keine Versagung der Restschuldbefreiung gestützt werden kann.“

Nach dem hier in Bezug genommenen § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO ist die Restschuldbefreiung zu versagen, „wenn dies von einem Insolvenzgläubiger, der seine Forderung angemeldet hat, beantragt worden ist und wenn der Schuldner in den letzten drei Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorsätzlich oder grob fahrlässig die Befriedigung der Insolvenzgläubiger dadurch beeinträchtigt hat, dass er unangemessene Verbindlichkeiten begründet oder Vermögen verschwendet oder ohne Aussicht auf eine Besserung seiner wirtschaftlichen Lage die Eröffnung des Insolvenzverfahrens verzögert hat.“

Durch die Krisensituation infolge der COVID-19-Pandemie werden viele Betroffene in ihrer beruflichen Existenz als Selbstständige und freiberuflich Tätige stark beeinträchtigt oder sogar gefährdet. Es ist deshalb richtig, für diesen Personenkreis im Rahmen einer möglicherweise später nicht zu vermeidenden Insolvenz die Gefahr einer Versagung der Restschuldbefreiung zumindest teilweise zu verringern, wenn sie sich aktiv um die Sicherung ihrer Existenz bemühen. Mit Blick auf die nun eingeführte gesetzliche Regelung bleiben jedoch einige Fragen, die der Gesetzgeber einer Klärung zuführen sollte.

1) § 1 Satz 4 COVInsAG spricht von der Verzögerung der Eröffnung des Verfahrens und nimmt damit die zweite Alternative des § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO in Bezug.

Der BGH (IX ZB 209/11, Rz. 9) hat zu dieser Alternative ausgeführt:

„Durch diesen Versagungsgrund wollte der Gesetzgeber keine Pflicht des Schuldners begründen, einen Insolvenzantrag zu stellen. Er wollte diesen nur davon abhalten, durch eine Täuschung der Gläubiger über seine Vermögensverhältnisse oder in ähnlicher Weise zu verhindern, dass ein unvermeidliches Insolvenzverfahren rechtzeitig beantragt und eröffnet werde (RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443 Seite 190). Ob deswegen zu verlangen ist, dass der Schuldner durch ein aktives Tun die Gläubiger davon abhält, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen (FK-InsO/Ahrens, 6. Aufl., § 290   Rn. 47; HK-InsO/Landfermann, 6. Aufl., § 290, Rn. 20; HambKomm-InsO/Streck, 3. Aufl. § 290 Rn. 25) oder ob es ausreicht, dass der Schuldner die Einleitung des Insolvenzverfahrens bewusst solange hinausschiebt, bis nahezu alle verwertbaren Mittel und Vermögensstücke verbraucht oder übertragen sind (MünchKomm-InsO/Stephan, 2. Aufl., § 290 Rn. 63; Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2008, § 290 InsO Rn. 19), kann dahinstehen.“

Für Verzögerungen der Eröffnung des Verfahrens im Zeitraum vom 1.3.2020 bis zum 30.9. 2020, die auf eine pandemiebedingte Einschränkung der Insolvenzrechtspflege an den Insolvenzgerichten zurückzuführen wären, müsste die Regelung nicht getroffen werden. Diese Verzögerungen wären nicht dem Schuldner anzulasten.

Für alle sonstigen Fälle der Verzögerung i. S. d. § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO durch Hinausschieben der Einleitung eines Insolvenzverfahrens wäre gem. § 1 Satz 5 COVInsAG eine Anwendung von § 1 Satz 2 und 3 COVInsAG zu prüfen:

„Dies gilt nicht, wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der Ausbreitung des SARSCoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) beruht oder wenn keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. War der Schuldner am 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.“

Damit muss hier zunächst geklärt werden, ob eine Zahlungsunfähigkeit schon vor dem 31.12.2019 bestand. Eine solche Klärung wird regelmäßig nur durch Rückgriff auf Vermögensauskünfte oder Informationen zu Verbindlichkeiten aus gesetzlichen Zahlungspflichten möglich sein. War der Schuldner vor dem 31.12.2019 bereits zahlungsunfähig, kommt eine Anwendung des § 1 Satz 4 COVInsAG nicht in Betracht.

Ist die Zahlungsunfähigkeit dagegen erst nach diesem Zeitpunkt eingetreten, dann wird § 1 Satz 4 COVInsAG anzuwenden sein, soweit die gesetzliche Vermutung von § 1 Satz 3 COVInsAG nicht widerlegt werden kann. Eine solche Widerlegung wird regelmäßig nicht in Betracht kommen, wenn der erwähnte Rückgriff keine Anhaltspunkte für eine Zahlungsunfähigkeit vor dem 31.12.2019 erbracht hat.

Die regulatorische Absicht, mit dieser komplizierten Regelung ein Verzögern der Insolvenzeröffnung im Zeitraum vom 1.3.2020 bis zum 30.9.2020 nicht mehr zum Versagungsgrund einer Restschuldbefreiung werden zu lassen, ist plausibel. Die Regelung ist sachgerecht, auch wenn ihre Praxisrelevanz sich in Grenzen halten dürfte.

2) Nach der oben zitierten Rechtsprechung des BGH könnte der Schuldner eine Verzögerung allerdings auch durch eine Täuschung der Gläubiger über seine Vermögensverhältnisse oder in ähnlicher Weise herbeiführen. In diesen Fällen würde er die rechtzeitige Antragstellung durch Gläubiger behindern und damit die Eröffnung verzögern.

Ein aktives Tun des Schuldners, um die Gläubiger von einem Insolvenzantrag abzuhalten, ist gem. § 3 COVInsAG zunächst nicht notwendig. Gläubiger können im Zeitraum zwischen dem 28.3.2020 und dem 28.6.2020 keine Insolvenzanträge stellen, wenn der Eröffnungsgrund nicht bereits am 1.3.2020 vorlag.

Ein solches Vorliegen kann nach der gesetzlichen Vermutung des § 1 Satz 3 COVInsAG bei einer Zahlungsunfähigkeit nach dem 31.12.2019 nur auf die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie zurückgeführt werden. Gleichzeitig ist eine Aussicht auf die Beseitigung einer bestehenden Zahlungsunfähigkeit zu vermuten.

Auch hier wird man dem Schuldner – zumindest unterhalb der Schwelle des Eingehungsbetrugs – keinen Vorwurf machen können, wenn er seinen Gläubigern die Zahlungsunfähigkeit nicht mitteilt oder auf entsprechende Nachfragen auf die gesetzliche Vermutung ihrer Beseitigung hinweist,

Bei einer nach dem 31.12.2019 entstandenen Zahlungsunfähigkeit entfällt damit der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO in den vom BGH (s.o.) angenommenen Fallgestaltungen einer Verzögerung der Eröffnung.

3) Eine Suspendierung der Versagung bei den weiteren, durch § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO angesprochenen Fallgestaltungen (… „wenn der Schuldner in den letzten drei Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorsätzlich oder grob fahrlässig die Befriedigung der Insolvenzgläubiger dadurch beeinträchtigt hat, dass er unangemessene Verbindlichkeiten begründet oder Vermögen verschwendet“ …) ist demgegenüber nicht vorgesehen.

Die Frage einer Begründung unangemessener Verbindlichkeiten oder der Verschwendung von Vermögen wird deshalb im Zusammenhang mit der Aufnahme von Hilfskrediten regelmäßig zu prüfen sein.

4) Eine Suspendierung von § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist nicht vorgesehen. Falsche Angaben im Zusammenhang mit der Beantragung von Hilfskrediten sollen richtigerweise weiterhin zur Versagung führen können. Macht der Schuldner richtige Angaben über seine krisenbedingt prekäre Finanzsituation, dann wird ihm in vielen Fällen ein Hilfskredit versagt werden. Viele Schuldner werden deshalb dem Verlangen nach zusätzlichen Sicherheiten nachkommen und z.B. eigene Immobilien belasten oder, soweit erlangbar, Drittsicherheiten stellen müssen, um die Bedingungen der Kreditgeber zu erfüllen.

5) Im Gegensatz zu Antragspflichtigen, deren Rechtshandlungen in diesem Zusammenhang nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG für die Kreditgeber kein Anfechtungsrisiko auslösen sollen, werden natürliche Personen in dieser Situation nicht privilegiert. Ihre Kreditgläubiger müssen deshalb mit einem erheblichen Anfechtungsrisiko rechnen und werden dies entweder in den Kreditkonditionen berücksichtigen oder eine Kreditgewährung ablehnen.

Im zweitgenannten Fall (Ablehnung der Kreditgewährung) wäre die gesetzliche Vermutung einer Aussicht auf Beseitigung der bestehenden Zahlungsunfähigkeit gem. § 1 Satz 3 COVInsAG voraussichtlich nicht zu halten.  Damit wäre bei natürlichen Personen zwar kein Wiederaufleben einer Antragspflicht verbunden. Es wäre aber unangemessen, auch in dieser Situation, wenn der Schuldner keine Aussicht auf Besserung seiner wirtschaftlichen Lage hat, eine schuldhafte, gläubigerschädliche Verschleppung der Einleitung eines Insolvenzverfahrens durch die Suspendierung von § 290 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 3 InsO sanktionslos zu stellen. Ein Vergleich mit der im Fall der fehlenden Aussicht wiederauflebenden Antragspflicht nach § 1 Satz 2 COVInsAG zeigt, dass der hier angelegte Wertungswiderspruch ansonsten ein potenziell gläubigerschädigendes Verhalten ohne sachlichen Differenzierungsgrund ungleich behandeln würde.

6) Ein Wertungswiderspruch ergibt sich auch bei einer Verletzung der Erwerbsobliegenheit gem. §  287b InsO, deren schuldhafte Verletzung nach § 290 Abs. 1 Nr. 7 InsO zur Versagung der Restschuldbefreiung führen kann. Sie ist durch § 1 Satz 4 COVInsAG nicht ausgenommen. Ein notwendiges Verschulden wird aufgrund der pandemiebedingten Einschränkungen des Wirtschaftslebens zwar nur selten festgestellt werden können. Die Versagung in einem Fall (Verletzung der Erwerbsobliegenheit) und der Verzicht auf eine Versagung im anderen Fall (Verzögerung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens) lässt jedoch ebenfalls keinen sachlichen Differenzierungsgrund erkennen. In beiden Fällen wird die Befriedigung der Gläubiger gefährdet.

 

 II. Leistungsverweigerungsrechte für Verbraucher und Kleinstunternehmer

 Mit der Neufassung des Art. 240 EGBGB wird ein Moratorium für Verbraucher und Kleinstunternehmer geschaffen.

1) Nach § 1 Abs. 1 erhalten Verbraucher das Recht, Leistungen zur Erfüllung eines Anspruchs, der im Zusammenhang mit einem Verbrauchervertrag steht, der ein Dauerschuldverhältnis ist und vor dem 8. März 2020 geschlossen wurde, bis zum 30. Juni 2020 zu verweigern, wenn ihnen infolge von Umständen, die auf die Ausbreitung der Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) zurückzuführen sind, die Erbringung der Leistung ohne Gefährdung ihres angemessenen Lebensunterhalts oder des angemessenen Lebensunterhalts ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht möglich wäre. Das Leistungsverweigerungsrecht soll alle wesentlichen Dauerschuldverhältnisse erfassen.

Im Zusammenhang mit diesem Leistungsverweigerungsrecht stellt sich wieder eine Reihe von Fragen.

Wesentliche Dauerschuldverhältnisse werden nach § 1 Abs. 1 Satz 3 dadurch definiert, dass sie zur Eindeckung mit Leistungen der angemessenen Daseinsvorsorge erforderlich sein müssen.

Der Begriff der angemessenen Daseinsvorsorge lässt auf den ersten Blick nicht erkennen, ob hier ein objektiver oder subjektiver Maßstab Anwendung finden soll. Die Begründung der Formulierungshilfe vom 24.3.2020 (BT-Drs. 19/18110, S. 39 f.) führt dazu nichts aus.

Der unbestimmte Rechtsbegriff der Daseinsvorsorge suggeriert eine inhaltliche Nähe zum Verwaltungsrecht. Das zur Herleitung besser geeignete Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG legt nahe, dass jedenfalls gemeinwohlorientierte Dienstleistungen (Versorgung mit Energie und Wasser, Entsorgung der Abwässer und des Abfalls, Leistungen des öffentlichen Personennahverkehrs, Post- und Telekommunikationsdienstleistungen) mit existentiellem Charakter erfasst sein sollen. Die in der Formulierungshilfe der Bundesregierung zum Begriff der Daseinsvorsorge gegebene Begründung (S. 39) bestätigt diesen Befund:

„Hierzu zählen etwa Pflichtversicherungen, Verträge über die Lieferung von Strom und Gas oder über Telekommunikationsdienste, soweit zivilrechtlich geregelt auch Verträge über die Wasserver- und -entsorgung.“

Der nicht abschließende Charakter dieser Aufzählung erschwert dem individuellen Schuldner aber die genaue Abgrenzung und Bestimmung seines Rechts zur Leistungsverweigerung.

§ 1 Abs. 3 Satz 1 fügt dem Leistungsverweigerungsrecht eine Ausnahmevorschrift hinzu, welche die rechtliche Unsicherheit für Verbraucher noch verstärken wird: Ein Leistungsverweigerungsrecht soll demnach nicht bestehen, wenn die Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts für den Gläubiger seinerseits unzumutbar ist, da die Nichterbringung der Leistung die wirtschaftliche Grundlage seines Erwerbsbetriebs gefährden würde.

Eine solche Gefährdung wird für den Verbraucher regelmäßig nur schwer auszumachen sein. Bei den normalen Leistungen der Daseinsvorsorge (Wasser, Strom etc.) wird man zwar davon ausgehen können, dass sie üblicherweise von größeren Unternehmen (Stadtwerke etc.) erbracht werden, die über größere finanzielle Reserven verfügen. Die Insolvenzen großer Unternehmen im Bereich der Stromversorgung oder der Telekommunikation haben jedoch in den letzten Jahren gezeigt, dass die Eröffnung eines intensiven Preiswettbewerbs auch im Rahmen der Daseinsvorsorge zu einer erhöhten Insolvenzwahrscheinlichkeit führen kann. Mit dem Fall der Stadtwerke Gera waren hiervon auch kommunale Betriebe betroffen.

Vor diesem Hintergrund bleibt es unklar, ob eine Berufung auf die Ausnahmevorschrift des § 1 Abs. 3 Satz 1 nicht dort aussichtsreich oder sogar notwendig sein wird, wo die betroffenen Gläubiger aufgrund des angesprochenen Preiswettbewerbs bei einem monatelangen Zahlungsausfall selbst in Insolvenzgefahr geraten. Hierbei ist jedoch zu betonen, dass der betroffene Gläubiger meistens nicht durch die Nichtzahlung eines Schuldners selbst in Insolvenzgefahr gerät, sondern seine Insolvenzgefahr erst durch die Kumulierung diverser Zahlungsausfälle steigt. Es bleibt unklar, welche Anforderungen an den Gläubiger gestellt werden, dieses zu belegen. An dieser Stelle ist das Gesetz zu präzisieren. Gelingt das dem Gläubiger, hätte dieses zur Folge, dass die betroffenen Verbraucher ihrerseits sofort in Zahlungsverzug geraten würden und die entsprechenden Folgen tragen müssten. Die rechtliche Klärung dieser Situation wird voraussichtlich erst nach dem Ende der gesetzlichen Befristung möglich sein. Das in § 1 Abs. 3 Satz 3 verankerte Kündigungsrecht wird deshalb wohl kaum Bedeutung erlangen.

Zur Klärung würde sich ein Junktim der Ausnahmevorschrift mit der Gewährung staatlicher Coronahilfen an die betroffenen Unternehmen anbieten. Wird durch die Gewährung staatlicher Hilfen eine Existenzbedrohung beseitigt, dann sollte eine Berufung auf die Ausnahmevorschrift des § 1 Abs. 3 Satz 1 ausgeschlossen sein.

2) Ein Kleinstunternehmen hat nach § 1 Abs. 2 das Recht, Leistungen zur Erfüllung eines Anspruchs, der im Zusammenhang mit einem Vertrag steht, der ein Dauerschuldverhältnis ist und vor dem 8. März 2020 geschlossen wurde, bis zum 30. Juni 2020 zu verweigern. Das Leistungsverweigerungsrecht besteht in Bezug auf alle wesentlichen Dauerschuldverhältnisse. Wesentliche Dauerschuldverhältnisse sind solche, die zur Eindeckung mit Leistungen zur angemessenen Fortsetzung seines Erwerbsbetriebs erforderlich sind. Auch hier gehören Pflichtversicherungen, Verträge über die Lieferung von Strom und Gas oder über Telekommunikationsdienste und – soweit zivilrechtlich geregelt – auch Verträge über die Wasserver- und -entsorgung zu solchen Leistungen (vgl. Begründung der Formulierungshilfe a.a.O., S. 34).

§ 1 Abs. 2 Ziffer 1 knüpft das Leistungsverweigerungsrecht an die Unfähigkeit zur Leistungserbringung infolge von Umständen, die auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen sind. Unklar bleibt hierbei, ob diese Umstände unmittelbar zur Unfähigkeit des Leistungserbringers geführt haben müssen oder ob auch eine mittelbare Wirkung ausreichen soll. Eine mittelbare Wirkung wäre etwa anzunehmen, wenn erst aufgrund von pandemiebedingten Zahlungsverzögerungen oder Forderungsausfällen die Zahlungsunfähigkeit des Leistungserbringers eintreten würde. Würde diese mittelbare Wirkung dem Kausalitätserfordernis genügen, dann wären die trotz Leistungsverweigerungsrecht zur Leistung verpflichteten Erbringer wesentlicher Leistungen gezwungen, auch das Insolvenzrisiko des Verweigerers zu teilen. Sie haben keine Möglichkeit, auf die Auswahl oder die Bonität der Kunden des Kleinstunternehmens einzuwirken.

Vor dem Hintergrund staatlicher Hilfsprogramme mit finanziellen Hilfen für Kleinstunternehmen wird der hier angedeutete Eingriff in die Privatautonomie jedenfalls dann unverhältnismäßig, wenn solche Hilfen im konkreten Einzelfall zur Verfügung stehen und in Anspruch genommen werden. Für das Leistungsverweigerungsrecht nach § 1 Abs. 2 Ziffer 1 sollte deshalb ein entsprechendes Junktim eingeführt werden.

§ 1 Abs. 2 Ziffer 2 begründet ein Leistungsverweigerungsrecht, wenn dem Unternehmen infolge von Umständen, die auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen sind, die Erbringung der Leistung ohne Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlagen seines Erwerbsbetriebs nicht möglich wäre. Hier wird der geschilderte Eingriff in die Privatautonomie nicht mehr an eine objektiv feststellbare Zahlungsunfähigkeit geknüpft. Im Ausgangspunkt genügt vielmehr die subjektive Einschätzung einer Gefährdungslage für die wirtschaftlichen Grundlagen des Unternehmens. Da die pandemiebedingten Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben voraussichtlich erheblich sein werden und eine Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlagen nahezu aller Kleinstunternehmen bedeuten können, wird hier nach der Art einer Generalklausel die gesetzliche Grundlage für ein allgemeines Leistungsverweigerungsrecht geschaffen.

Die Grenze der Verhältnismäßigkeit ist hier jedenfalls dann überschritten, wenn das bereits erwähnte Junktim mit der Inanspruchnahme staatlicher Coronahilfen nicht hergestellt wird. Werden solche Coronahilfen in Anspruch genommen, dann kann ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 1 Abs. 2 Ziffer 2 nicht mehr in Betracht kommen.

§ 1 Abs. 3 Satz 2 schafft eine Ausnahme von Abs. 2. Er soll nicht gelten, wenn die Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts für den Gläubiger unzumutbar ist, da die Nichterbringung der Leistung zu einer Gefährdung seines angemessenen Lebensunterhalts oder des angemessenen Lebensunterhalts seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen oder der wirtschaftlichen Grundlagen seines Erwerbsbetriebs führen würde.

Auch hier wird zur Angemessenheit des Lebensunterhalts nichts ausgeführt (vgl. dazu schon oben unter II. 1). Die ebenfalls angeführte Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlagen eines Erwerbsbetriebes vergrößert die Unsicherheit und eröffnet für Kleinstunternehmen jedenfalls dort ein erhebliches rechtliches Risiko, wo die bezogenen Leistungen zur angemessenen Fortsetzung ihres Erwerbsbetriebs in Dauerschuldverhältnissen mit KMU oder anderen Kleinstunternehmen erbracht werden (Anm.: im Jahr 2017 waren 80,4 %, mithin 2,01 Mio. Unternehmen in Deutschland sog. Kleinstunternehmen).

Eine Berufung auf die Ausnahmevorschrift des § 1 Abs. 3 Satz 2 sollte deshalb ebenfalls an den Nichtbezug stattlicher Coronahilfen geknüpft werden.

 

III. Beschränkung der Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen

Nach Art. 240 EGBGB, § 2 Abs. 1 Satz 1 kann der Vermieter ein Mietverhältnis über Grundstücke oder über Räume nicht allein aus dem Grund kündigen, dass der Mieter im Zeitraum vom 1. April 2020 bis 30. Juni 2020 trotz Fälligkeit die Miete nicht leistet, sofern die Nichtleistung auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht.

§ 2 Abs. 1 Satz 2 fordert die Glaubhaftmachung eines Zusammenhangs zwischen der COVID-19-Pandemie und der Nichtleistung.

Ein Zusammenhang zwischen der Inanspruchnahme staatlicher Coronahilfen und der Berufung auf den besonderen Kündigungsschutz nach § 2 Abs. 1 wird auch hier nicht hergestellt. Dies würde aber Missbrauch und Streitpotential erheblich reduzieren.

Dies bleibt unverständlich, weil das pandemiebedingt erweiterte Insolvenzrisiko nicht gleichmäßig auf die Gläubiger betroffener Unternehmen verteilt wird. Vermieter und Verpächter werden unverhältnismäßig in Anspruch genommen, wenn sie trotz staatlicher Coronahilfen für Mieter oder Pächter einer aufgezwungenen Stundung von Miet- oder Pachtzahlungen ausgesetzt sind.

Das Erfordernis einer Kausalität zwischen dieser erzwungenen Stundung und den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie schafft hier keine Abhilfe. Es bleibt nach der derzeitigen Formulierung des Gesetzes den Mietern oder Pächtern überlassen, für welche Zwecke sie staatliche Coronahilfen einsetzen, wenn sie nicht durch entsprechende Vertragsbedingungen gezielt zur Miet- oder Pachtzahlung angehalten werden. Wird der Gebrauch einer Mietsache durch staatliche Einschränkungen infolge der COVID-19-Pandemie zeitweise unmöglich gemacht, dann sind sie überdies der Gefahr einer dauerhaften Leistungsverweigerung durch Mieter oder Pächter ausgesetzt.  Mindestens sollte die Vorschrift durch eine Klarstellung präzisiert werden, dass der Mieter sich nicht auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage oder Minderung des Mietzinses berufen kann.

Sofern das Gesetz die bislang vorgesehene Beschränkung auf 3 Monate Kündigungsschutz nicht verlängert und Vermieter durch eine Klarstellung nicht in die Gefahr laufen, dass im Nachhinein sogar Mieter durch das Berufen auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage auch keine Miete mehr zahlen müssen, der Vermieter zusätzlich über die Räume auch nicht verfügen kann, wäre der Interessenausgleich sachgerecht.

Eine Ausnahmeregelung in der Art des § 1 Abs. 3 ist für § 2 nicht vorgesehen. Mit der grundgesetzlich besonderen Bindung des Grundeigentums an das Allgemeinwohl (vgl. hierzu zusammenfassend den Sachstandsbericht der wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages vom 13.3.2019- WD 3-3000-061/19) kann dieser Umstand jedenfalls nur für Mietverhältnisse über Wohnraum begründet werden. Für sonstige Miet- und Pachtverhältnisse begegnet diese übermäßige Verkürzung des Gläubigerschutzes in § 2 erheblichen rechtlichen Bedenken. Der Missbrauch wird durch das bereits von einigen Unternehmen gezeigte Verhalten keine Miete mehr zahlen zu wollen, dokumentiert.

 

 IV. Gesetzliche Stundung bei Verbraucherdarlehen

Mit Art. 240 EGBGB, § 3 Abs. 1 Satz 1 wird bei Verbraucherdarlehensverträgen eine gesetzliche Stundung von Ansprüchen des Darlehensgebers auf Rückzahlung, Zins oder Tilgungsleistungen, die zwischen dem 1. April 2020 und dem 30. Juni 2020 fällig werden, mit Eintritt der Fälligkeit für die Dauer von drei Monaten angeordnet, wenn der Verbraucher aufgrund der durch Ausbreitung der COVID-19-Pandemie hervorgerufenen außergewöhnlichen Verhältnisse Einnahmeausfälle hat, die dazu führen, dass ihm die Erbringung der geschuldeten Leistung nicht zumutbar ist. § 3 Abs. 1 Satz 2 sieht die Grenze der Unzumutbarkeit erreicht, wenn sein angemessener Lebensunterhalt oder der angemessene Lebensunterhalt seiner Unterhaltsberechtigten gefährdet ist.

§ 3 Abs. 6 sieht – anders als § 2 – wieder eine Ausnahmevorschrift vor. Danach sollen die Absätze 1 bis 5 nicht gelten, wenn dem Darlehensgeber die Stundung oder der Ausschluss der Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls einschließlich der durch die COVID-19-Pandemie verursachten Veränderungen der allgemeinen Lebensumstände unzumutbar ist. Unklar bleibt, welche weiteren Umstände des Einzelfalles neben den durch die COVID-19-Pandemie verursachten Veränderungen der allgemeinen Lebensumstände eine Unzumutbarkeit herbeiführen können sollen. Die so formulierte Regelung schafft erhebliche Rechtsunsicherheit für die betroffenen Verbraucher, weil sie an dieser Stelle eine gesetzliche Stundung zurücknimmt, ohne die dazu notwendigen Umstände des Einzelfalls näher zu definieren. Mit der Stundung werden gleichzeitig auch die anderen in § 3 Abs. 2 bis 5 geregelten Rechte von Verbrauchern hinfällig. Dem betroffenen Verbraucher ist damit jede Möglichkeit zur Einwendung gegen Kündigungen oder Zinsforderungen genommen obwohl er die entsprechenden Umstände nicht kannte.

Besonders bedenklich ist die mögliche Erweiterung dieser Regelungen durch eine Rechtsverordnung nach § 3 Abs. 8. Dort wird die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestages und ohne Zustimmung des Bundesrates den personellen Anwendungsbereich der Absätze 1 bis 7 zu ändern und insbesondere Kleinstunternehmen im Sinne von Artikel 2 Absatz 3 des Anhangs der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen in den Anwendungsbereich einzubeziehen. Die nur beispielhafte Erwähnung der Kleinstunternehmen („insbesondere“) lässt die Möglichkeit offen, Unternehmen jeder Größenordnung durch eine Rechtsverordnung in den personellen Anwendungsbereich des § 3 einzubeziehen.

Eine so breite, theoretisch das gesamte Kreditgeschehen erfassende gesetzliche Stundungsregelung kann auch mit Blick auf die weiteren, in § 3 Abs. 2 bis 5 formulierten Rechte von Kreditnehmern einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung nicht standhalten. Ihre gesamtwirtschaftlichen Folgen wären kaum übersehbar und deshalb auch mit Blick auf die Mitwirkungs- und Änderungsmöglichkeiten des Bundestages in Bezug auf Rechtsverordnungen (vgl. hierzu zusammenfassend den Sachstandsbericht der wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages vom 24.6.2019 – WD 3 -3000 -154/19) nicht hinnehmbar.

 

V. Natürliche Personen und Kleinstunternehmen in der Insolvenz

Die neu geschaffenen Regelungen werfen weitere Fragen auf, insbesondere für diejenigen Verbraucher, die sich bereits im Insolvenzverfahren, bzw. in der anschließenden Wohlverhaltensperiode befinden.

1) Eine Stundung führt zum Auflaufen weiterer Verbindlichkeiten, die ein Schuldner, der sein pfändbares Einkommen im Insolvenzverfahren und während der anschließenden Wohlverhaltensperiode ohnehin abführt, nach Ablauf des Moratoriums wohl kaum aus dem unpfändbaren Einkommen begleichen kann.

Macht er trotzdem von seinen Leistungsverweigerungsrechten nach Art. 240, § 1 und der in Art. 240, §§ 2 und 3 geregelten Stundung Gebrauch, dann wird die neue Verschuldung regelmäßig nicht aus dem laufenden Einkommen zurückgeführt werden können. Dieses Einkommen dient bereits mit seinem pfändbaren Teil der Befriedigung von Insolvenzforderungen. Es entsteht ein potenzieller Drehtüreffekt, der durch die geplante Verlängerung der Sperrfrist (§ 287a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO-E) für viele betroffene Schuldner zu einer langen und bedrückenden Überschuldungssituation ohne Ausweg führen würde. Eine etwaige Befreiung von diesen neu aufgelaufenen Verbindlichkeiten in einem Zweitinsolvenzverfahren käme aufgrund der langen Karenzzeiten im Zweifel dann erst wieder nach 13 Jahren in Betracht. Die aktuelle Situation zeigt, dass die unwiderlegliche Missbrauchsvermutung, die pauschalen Sperrfristen unterschwellig innewohnt, durchaus grundsätzlich überdenkenswert ist.

2) Werden das Moratorium (Art 240, § 1) sowie die Stundungen (Art. 240, §§ 2 und 3) gem. § 4 Abs. 1 Ziff. 1 bis 3 vom 30.06. bis 30.09. verlängert, vergrößern sich die unter 1) geschilderten Probleme entsprechend.

3) Mit der Freigabe einer selbstständigen Tätigkeit gem. § 35 Abs. 2 InsO verbindet sich die Frage, ob ein selbstständig tätiger Schuldner nach der Freigabe von den Rechten nach Art. 240, § 1 Abs. 2 und § 2 Gebrauch machen kann, wenn er wegen seiner privaten Insolvenz keine staatlichen Coronahilfen bekommt. In der Praxis wird er bei pandemiebedingten Einnahmeausfällen gezwungen sein, auf diese Möglichkeiten zurückzugreifen. Dadurch schafft er aber eine teilweise erhebliche Neuverschuldung, die eine Fortführung der selbstständigen Tätigkeit nach Beendigung der gesetzlichen Schutzmaßnahmen in Frage stellt. Führt dies zu einer erneuten Insolvenz, dann sollte auch hier die Verlängerung der Sperrfrist (vgl. oben 1) überdacht werden.

 

 

Fazit: 

  1. Die regulatorische Absicht, den Versagungsgrund des §  290 Abs.  1 Nr.  4 Alt.  3 InsO (Verzögerung der Insolvenzeröffnung) im Zeitraum vom 1.3.2020 bis zum 30.9.2020 zu suspendieren, ist sachgerecht. Bei Hilfskrediten ist eine Zweckbindung aufzunehmen.
  1. Im Gegensatz zu Antragspflichtigen, deren Rechtshandlungen in diesem Zusammenhang nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG für die Kreditgeber kein Anfechtungsrisiko auslösen sollen, werden natürliche Personen in dieser Situation nicht privilegiert. Ihre Kreditgläubiger müssen deshalb mit einem erheblichen Anfechtungsrisiko rechnen und werden dies entweder in den Kreditkonditionen berücksichtigen oder eine Kreditgewährung ablehnen. Für den Fall der Ablehnung der Kreditgewährung wäre es angemessen, eine schuldhafte und gläubigerschädliche Verzögerung der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch die Androhung einer Versagung der Restschuldbefreiung zu ahnden, wenn keine Aussicht auf eine Besserung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners besteht.
  1. Die Begriffe „zur (…) angemessenen Daseinsvorsorge erforderlich“ (Art. 240, § 1 Abs. 1 Satz 3) sowie „zur angemessenen Fortsetzung seines Erwerbsbetriebes erforderlich“ (Art. 240, § 1 Abs. 2 Satz 3) sollten näher konkretisiert werden.
  1. Nimmt der Kleinstunternehmer auskömmliche staatliche Corona-Hilfen in Anspruch, sollte ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 1 Abs. 2 Ziffer 1 und 2 nicht mehr in Betracht kommen.
  2. Werden dem betroffenen Gläubiger auskömmliche staatliche Corona-Hilfen gewährt, dann sollte eine Berufung auf die Ausnahmevorschriften des § 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 ebenfalls ausgeschlossen sein.
  1. Die Regelung des Art. 240, § 2 zur Beschränkung der Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen begegnet aufgrund der übermäßigen Verkürzung des Gläubigerschutzes ebenso wie die Ermächtigung der Bundesregierung in Art. 240, § 3 Abs. 8 erheblichen rechtlichen Bedenken. Es sollte klargestellt werden, dass die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage und Mietminderung nicht zur Anwendung kommen. Ferner sollten die Regelungen nur für Mietverhältnisse über Wohnraum Anwendung finden.
  1. Für diejenigen Verbraucher, die sich bereits im Insolvenzverfahren, bzw. in der anschließenden Wohlverhaltensperiode befinden, bedarf es weiterer Regelungen.

  

Berlin, 17.04.2020

Kontakt:

Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e.V. (VID)
Französische Straße 13/14 10117 Berlin
Tel.: 030/ 20 45 55 25
E-Mail: info@vid.de
Web: www.vid.de

[1] Stellungnahme des Verbandes Insolvenzverwalter Deutschlands e.V. (VID) zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens, abrufbar unter: https://www.vid.de/wp-content/uploads/2020/04/VID-Stellungnahme-zur-weiteren-Verk%C3%BCrzung-der-RSB-RefE.pdf