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Stellungnahme:

23.11.2020

Stellungnahme von Dr. Christoph Niering, Vorsitzender des Verbandes Insolvenzverwalter Deutschlands e.V. (VID), im Rahmen der Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages am 25.11.2020 zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG), BT-Drucksache 19/24181

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Einleitung

Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) legt die Bundesregierung zahlreiche Vorschläge zur Ergänzung und Änderungen der bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen für Restrukturierung, Sanierung und Insolvenz vor. Der VID hat bereits zum Referentenentwurf des vorgelegten Gesetzes umfangreich Stellung genommen.[1] Die nachfolgende Stellungnahme greift wichtige Schwerpunkte der Reform auf und konzentriert sich dabei auf Probleme, die im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens gelöst werden sollten, um einen möglichst rechtssicheren und praktisch umsetzbaren Umgang mit den neuen Regelungen zu gewährleisten.

Der aktuelle Hintergrund der COVID-19-Pandemie sollte bei der Umsetzung nicht dazu führen, dass die notwendige Diskussion verkürzt wird. Die Ergänzungen und Änderungen sind in ihrer Summe so umfangreich und weitreichend, dass eine unzureichende Klärung rechtlicher Anwendungsprobleme den Erfolg des neuen Rechts in Frage stellen würde. Wir halten es daher für sinnvoll, das Inkrafttreten zeitlich weiter gestaffelt anzulegen und dabei das StaRUG von den Änderungen der Insolvenzordnung zu entkoppeln. Auch sollte das vom ESUG bekannte und bewährte Instrument eines gesetzlichen Evaluierungshorizonts genutzt werden, um nach einigen Jahren der Anwendung eine umfassende Analyse des neuen Restrukturierungsrechts vorzunehmen. Die europäischen Vorgaben bieten zudem einschließlich der Verlängerungsoption eine Umsetzungsfrist bis Mitte 2022, deren Inanspruchnahme unter den gegebenen Umständen mehr als vertretbar wäre.

Das StaRUG bildet den Kern des vorgelegten Entwurfs. Es steht deshalb auch im Zentrum dieser Stellungnahme. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die übrigen Änderungsvorschläge des Entwurfs eine geringere praktische Bedeutung haben. Gerade die vorgeschlagenen Änderungen der Insolvenzordnung sind von erheblicher Tragweite und machen deutlich, dass das StaRUG und die Insolvenzordnung künftig in einer Wechselbeziehung stehen werden, die alle Überlegungen zur Restrukturierung und Sanierung prägen wird.

 

 

1. Der neue Verfahrenszugang: Beratungsintensive Neuregelungen und der folgenreiche Verzicht auf eine Bestandsfähigkeitsprüfung

 Der Regierungsentwurf verzichtet auf eine zwingende Bestandfähigkeitsprüfung als Eingangsvoraussetzung, obwohl deren Einführung durch Artikel 4 Abs. 3 der RL (EU) 2019/1023 ausdrücklich zugelassen ist. Dies soll offenbar den Zugang zum Restrukturierungsverfahren erleichtern. Der Verzicht auf den anfänglichen Nachweis einer notwendigen Eingangsvoraussetzung verschiebt den Prüfungsaufwand aber nur und erhöht dadurch die Komplexität sowie das Risiko, dass aussichtslose Verfahren eingeleitet werden und die niedrigere Erfolgsquote dann das Verfahren allgemein diskreditiert. Die Restrukturierungsgerichte sehen sich umfangreichen Prüfungsanforderungen ausgesetzt, welche die Bestellung eines Restrukturierungbeauftragten und ggf. weiterer Sachverständiger erfordern. Es ist zu befürchten, dass die personelle und sachliche Ausstattung der Gerichte diesen Anforderungen nicht gerecht würde. Daher sollte eine Bestandsfähigkeitsprüfung, ähnlich der Sanierungsbescheinigung im jetzigen § 270 b InsO als Eingangsvoraussetzung etabliert werden, wie in Artikel 4 Abs. 3 der RL (EU) 2019/1023 vorgesehen. Hierdurch könnten auch die nachgelagerten und sehr komplexen Regelungen deutlich vereinfacht und das Verfahren auch für kleinere und mittelständische Unternehmen handhabbarer werden. Der aufgrund der Komplexität hohe Beratungsbedarf zur Nutzung des StaRUG zieht sich wie ein roter Faden durch den Gesetzesentwurf. Besonders deutlich wird dies an den Regelungen zur Haftung der Vertretungsorgane. Der vorgesehene Pflichtenkanon wird gerade für inhabergeführte Unternehmen und KMU ohne fremde umfangreiche Beratung kaum zu bewältigen sein. Dies konterkariert dann die Bemühungen um möglichst niedrige Verfahrenskosten.

 

  • Die Änderungen in den §§ 18 und 19 InsO-E schaffen grundsätzlich begrüßenswerte Konkretisierungen der Prognosezeiträume bei Überschuldung (12 Monate) und drohender Zahlungsunfähigkeit (24 Monate). Bei der drohenden Zahlungsfähigkeit soll jedoch der Prognosezeitraum nur „in aller Regel“ zugrunde gelegt werden. Dies lässt Raum für Ausnahmen. Die Entwurfsbegründung führt hierzu nur aus: „In Einzelfällen kann auch auf einen kürzeren oder längeren Prognosezeitraum abzustellen sein. Hierdurch können Besonderheiten des Schuldners oder seines Geschäftsbetriebs berücksichtigt werden.“ Der Eintritt drohender Zahlungsunfähigkeit nach § 2 StaRUG-E soll künftig aber auch den Pflichtenkanon der Geschäftsleiter im Sinne von § 15a Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 InsO-E erheblich erweitern. Mit Blick darauf sind Ausnahmen problematisch und sollten zumindest durch Regelbeispiele näher definiert werden.
  • Der Regierungsentwurf enthält zudem einen Redaktionsfehler; der Verweis in § 116 AktG auf § 93 AktG muss noch um einen Verweis auf § 15b InsO-E ergänzt werden. Andernfalls würde der Verantwortungs- und Haftungsbereich der Aufsichtsorgane massiv reduziert, was nicht das Ziel des Regierungsentwurfs gewesen sein kann.
  • Die §§ 1-3 StaRUG-E erweitern die Pflichten von Geschäftsleitern und rücken dabei im Krisenfortgang die Interessen der Gläubigergesamtheit in den Vordergrund. Nach § 2 Abs. 1 Satz StaRUG-E soll nach Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit eine Verletzung dieser Pflichten ausnahmsweise ausgeschlossen sein, wenn „der Geschäftsleiter vernünftigerweise davon ausgehen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen die Interessen der Gläubiger zu wahren.“ Zum hier entworfenen Haftungsmaßstab führt die Entwurfsbegründung näher aus: „Im Unterschied zur sogenannten business judgment rule, die ihren Niederschlag in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG gefunden hat, ist die in Satz 2 verankerte Ermessensregelung aber auf die Wahrung der Interessen der Gläubiger zugeschnitten. Hiernach muss die getroffene Entscheidung unter den vernünftigerweise anzunehmenden Bedingungen und Entscheidungsfolgen geeignet sein, die Interessen der Gläubiger zu wahren. Der zuzubilligende Ermessensspielraum ist überschritten, wenn Kosten oder Risiken in Kauf genommen werden, die mit dem auf die Wahrung der Gläubigerinteressen zugeschnittenen Schutzzweck nicht mehr vereinbar sind (vgl. BGH, Urt. v. 12.3.2020 – IX ZR 125/17 Rz. 27 f.).“ Diese Entscheidung des BGH betraf die Haftung des Insolvenzverwalters/der Insolvenzverwalterin und damit, wie zuvor bereits vom BGH klargestellt (Urt. v. 26.01.2018 – IX ZR 238/17), auch die Haftung von Geschäftsleitern in der Eigenverwaltung. Dieses Haftungsmodell, das die business judgment rule erheblich einschränkt, wird nun auf das Stadium der drohenden Zahlungsunfähigkeit ausgedehnt, in dem noch keine Insolvenzantragspflicht besteht. Dies löst einen deutlich früheren Beratungsbedarf der betroffenen Geschäftsleiter aus.
  • Die §§ 33, 34, 44, 49, 57 und 67 StaRUG-E definieren umfangreiche Anzeige-, Mitteilungs-, und Nachweispflichten des Schuldners gegenüber dem Gericht bei Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens. Bereits bei der Anzeige hat der Schuldner nach § 33 Abs. 2 StaRUG-E entweder den Entwurf eines Restrukturierungsplans nach Maßgabe der §§ 7 ff. StaRUG-E vorzulegen oder zumindest „ein Konzept für die Restrukturierung, welches auf Grundlage einer Darstellung von Art, Ausmaß und Ursachen der Krise das Ziel der Restrukturierung (Restrukturierungsziel) sowie die Maßnahmen beschreibt, welche zur Erreichung des Restrukturierungsziels in Aussicht genommen werden“. Diese Pflichten werden kleine und mittlere Unternehmen selbst mit der in § 18 StaRUG-E angekündigten Checkliste kaum erfüllen können. Wird im Verlauf der Verhandlungen eine Stabilisierungsanordnung nach § 57 StaRUG-E notwendig, muss ein entsprechender Antrag nach § 57 Abs. 2 StaRUG-E u.a. durch eine Finanzplanung begleitet werden, die den Zeitraum von sechs Monaten umfasst und eine fundierte Darstellung der Finanzierungsquellen enthält, durch welche die Unternehmensfortführung in diesem Zeitraum sichergestellt werden soll. Der hier angelegte Vorbereitungs-, und Beratungsaufwand wird die meisten kleineren und auch viele mittlere Unternehmen finanziell und strukturell überfordern.
  • Auch Unternehmen, die diese Bedingungen erfüllen können, sollen nach § 58 Abs. 1 StaRUG-E nur dann durch eine Stabilisierungsanordnung gestützt werden, wenn die Restrukturierungsplanung vollständig und schlüssig ist und keine Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass die Restrukturierungsplanung oder die Erklärungen zu § 57 Abs. 3 Satz 2 StaRUG-E in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruhen, die Restrukturierung aussichtslos ist, der Schuldner noch nicht drohend zahlungsunfähig ist oder die beantragte Anordnung nicht erforderlich ist, um das Restrukturierungsziel zu verwirklichen. Die Begründung des Entwurfs spricht hier von einer Plausibilitätskontrolle, die eine langwierige Prüfung verhindern soll, für die sogar ein Restrukturierungsbeauftragter als Sachverständiger notwendig sein kann. Schon die Prüfung der Schlüssigkeit eines Restrukturierungskonzepts wird in vielen Fällen nur mit einem Sachverständigen möglich sein. Nach § 33 Abs. 2 Ziff. 1 StaRUG-E soll ein solches Konzept auf Grundlage einer Darstellung von Art, Ausmaß und Ursachen der Krise das Restrukturierungsziel sowie die Maßnahmen zu dessen Erreichung beschreiben. Dies gilt erst recht, wenn bereits ein Plan vorgelegt wird, der den Maßgaben der §§ 7 ff. StaRUG-E genügen muss.
  • Durch den Verzicht auf eine Bestandsfähigkeitsprüfung als Eingangsvoraussetzung, deren Einführung durch Art. 4 Abs. 3 der RL (EU) 2019/1023 ausdrücklich zugelassen wäre, begibt sich der Entwurf der Möglichkeit, an dieser und anderen Stellen den gerichtlichen Prüfungsaufwand zeitsparend und effektiv einzuschränken. Die stattdessen vorgesehene Erklärung des Schuldners nach § 16 Abs. 1 StaRUG-E soll nur die Aussichten darstellen, dass seine drohende Zahlungsunfähigkeit durch den Plan beseitigt wird und dass seine Bestandsfähigkeit sicher- oder wiederhergestellt wird. § 83 Abs. 4 StaRUG-E sieht nicht ohne Grund eine zwingende Stellungnahme des Restrukturierungsbeauftragten zu dieser Erklärung vor. Denn anders kann die Schlüssigkeit und Vollständigkeit nicht geprüft werden. Teilweise umfangreiche und komplexe gerichtliche Prüfungen von Konzepten und Planungen müssen zum Schutz der Gläubiger im modular angelegten StaRUG deshalb zwingend am Eintritt in jedes Verfahrensmodul stehen, das Gläubigerrechte beeinträchtigt oder zumindest gefährdet.

 

2. Der Restrukturierungsplan und seine Bestätigung: Pauschale Ausnahmen, unbestimmte Rechtsbegriffe und gerichtliche Beurteilungsspielräume

Pauschale Ausnahmen, unbestimmte Rechtsbegriffe und weite gerichtliche Beurteilungsspielräume erschweren die Handhabbarkeit des StaRUG und werden über Jahre hinweg Rechtsunsicherheit mit sich bringen. Schon die notwendige Nachjustierung des ESUG hat gezeigt, dass in einem Gesetzgebungsverfahren offen gebliebene Rechtsfragen nicht ausschließlich der Praxis zur Beantwortung überlassen werden dürfen. Nur so können Fehlentwicklungen von Beginn an vermieden werden. Der zeitliche Rahmen für eine eingehende Erörterung und Überarbeitung des StaRUG steht zur Verfügung, da die europäischen Vorgaben ein Zeitfenster bis Mitte 2022 eröffnen und der Restrukturierungsrahmen keinen ausreichenden Ansatzpunkt zur Überwindung der pandemiebedingten Schieflage vieler Unternehmen bietet. 

 

  • Bei Umsetzung der von den Ausschüssen des Bundesrats in seinen Empfehlungen vom 16. November 2020 vorgeschlagenen Änderungen des § 4 StaRUG-E im Sinne einer Reduzierung der gestaltbaren Rechtsverhältnisse würde das Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG massiv an Attraktivität verlieren. Wesentlicher Bestandteil finanzwirtschaftlicher Sanierungen ist neben dem Eingriff in Forderungs- und Sicherungsrechte (§ 4 Abs. 1 StaRUG-E) auch die Anpassung der vertraglichen Rahmenbedingungen eines Finanzinstruments (§ 4 Abs. 2 StaRUG-E), bspw. eine in Finanzrestrukturierungen sehr weit verbreitete Verlängerung und Anpassung der Bedingungen einer Finanzierung unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Situation des Schuldners. Auf Grund ihrer Bedeutung im deutschen Markt und der fehlenden vertraglichen Mehrheitsmechanismen muss eine solche Vertragsanpassung wie in § 4 Abs. 2 Satz 2 StaRUG-E vorgesehen auch bspw. für Schuldscheinfinanzierungen möglich sein. Ferner erfordern finanzwirtschaftliche Sanierungen regelmäßig eine Anpassung der sogenannten Intercreditor-Vereinbarungen (§ 4 Abs. 2 Satz 3 StaRUG-E). In Ergänzung einer Forderungsstundung wird durch die Anpassung der vertraglichen Bedingungen einer Finanzierung (wie beispielsweise der Financial Covenants) sowie einer Intercreditor-Vereinbarung insbesondere auch die Marktfähigkeit der im StaRUG vorgesehenen Instrumente hergestellt, was Grundvoraussetzung für die Zustimmung seitens der betroffen Finanzierer ist.
  • In den §§ 4 ff. StaRUG-E und §§ 217 ff. InsO-E sollte nicht nur auf Tochterunternehmen i. S. d. § 290 HGB, sondern auf verbundene Unternehmen i. S. d. § 15 AktG abgestellt werden. In der Beratungs- und Verwaltungspraxis geht es in den allermeisten Fällen auch immer um die Mithaftung von hierarchisch höher angesiedelten Gruppenunternehmen, deren Einbeziehung für eine Restrukturierung erforderlich ist.
  • 6 Satz 1 Ziff. 1 StaRUG-E mit dem Ausschluss von Forderungen von ArbeitnehmerInnen aus oder im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, einschließlich der Forderungen aus Zusagen auf betriebliche Altersversorgung bedarf einer Klarstellung, dass hierdurch keine einseitige Privilegierung von Sozialversicherungsbeiträgen oder der Lohnsteuer erfolgt. Eine derartige Privilegierung stünde im direkten Gegensatz zu der von § 10 StaRUG-E ansonsten regelhaft formulierten Einbeziehung möglichst aller potenziellen InsolvenzgläubigerInnen in einen Restrukturierungsplan und sollte deshalb im Sinne einer Ablehnung klargestellt werden.
  • Nach § 70 Abs. 2 StaRUG-E soll einem Restrukturierungsplan, der eine neue Finanzierung i. S. d. § 14 StaRUG-E vorsieht, die gerichtliche Bestätigung versagt bleiben, wenn das dem Plan zugrundeliegende Restrukturierungskonzept unschlüssig ist oder wenn Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass das Konzept nicht von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht oder keine begründete Aussicht auf Erfolg vermittelt. Mit diesen Formulierungen ist ein weiter gerichtlicher Beurteilungsspielraum eröffnet, der sich nicht auf Rechtsfragen, sondern auf wirtschaftliche Prognosen und Beurteilungen bezieht und wegen der ausholenden Definition neuer Finanzierungen in sehr vielen Fällen eröffnet sein wird.

 

3. Die Regelungen zur Vertragsbeendigung nach den §§ 51 ff. StaRUG: Eine massive Erweiterung von Vertragsrisiken und ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Privatautonomie

 Der Eingriff des StaRUG-E in gefestigte Vertragsstrukturen ist nur mit der Annahme begründbar, dass das deutsche Recht zur vorinsolvenzlichen Restrukturierung ohne dieses Instrument nicht konkurrenzfähig sein könnte. Ein solcher Eingriff ist jedoch verfassungsrechtlich bedenklich und untergräbt nachdrücklich das wechselseitige Vertrauen in die Vertragstreue, das seinerseits einen wesentlichen Pfeiler des deutschen Rechts darstellt. Aufgrund dieser von den meisten Stimmen geteilten Kritik sollte der Gesetzentwurf hierauf vollständig verzichten und Vertragsbeendigungen ausschließlich dem Insolvenzrecht vorbehalten.

 

  • Drohende Zahlungsunfähigkeit eröffnet gleichermaßen den Zugang zum Insolvenz- und Restrukturierungsverfahren. Im Kollektivverfahren Insolvenz trägt die Gesamtheit der GläubigerInnen den Nichterfüllungsschaden infolge der Beendigung von Verträgen nach §§ 103 ff. InsO. Im Restrukturierungsverfahren erbringen unter denselben Eintrittsvoraussetzungen der drohenden Zahlungsunfähigkeit nur die planbetroffenen GläubigerInnen bereits aufgrund ihrer Beteiligung ein Sonderopfer; bei Vertragsbeendigung nach Maßgabe der §§ 51 ff. StaRUG-E wird ihnen ein weiteres Sonderopfer abverlangt. Das dritte Sonderopfer der planbetroffenen GläubigerInnen besteht in der Plangestaltbarkeit einer Nichterfüllungsforderung (§ 54 Abs. 3 Satz 2 StaRUG-E), die als Regel- statt als Ausnahmefall[2] nur eine quotale Befriedigung erwarten lässt, weil die Vertragsbeendigung sonst wirtschaftlich sinnlos wäre. Im Insolvenzverfahren erfasst die Haftungsverwirklichung das gesamte Vermögen des Schuldners, bei der Restrukturierung nur den Teil, den der Schuldner zur Finanzierung dieser Quote bereit ist einzusetzen. Diese 4-fache Sonderbelastung des Gläubigers/der Gläubigerin, dessen Vertrag nach der §§ 51 ff. StaRUG-E beendet werden soll, stellt eine inadäquate Belastung im Vergleich zu nicht planbetroffenen GläubigerInnen dar, die sich nicht alleine durch den Befund rechtfertigt, „dass das Erfüllungsinteresse infolge der Schieflage des Schuldners wirtschaftlich ohnehin schon entwertet ist.“.
  • Eine Vertragsbeendigung nach § 51 Abs. 1 StaRUG-E soll jedoch (nur dann) nicht statthaft sein, wenn sie unter Berücksichtigung des Restrukturierungskonzepts, das dem Restrukturierungsplan zugrunde liegt, offensichtlich nicht sachgerecht ist. Sachgerecht, so die Entwurfsbegründung, „ist die Vertragsbeendigung, wenn sie zur Erreichung des Restrukturierungsziels erforderlich ist und damit notwendiges Element des Restrukturierungskonzepts, das mit dem Restrukturierungsplan realisiert werden soll. Nicht sachgerecht ist eine Vertragsbeendigung, um die bei Gelegenheit der Restrukturierung ersucht wird, ohne für die Realisierung des Restrukturierungsziels erforderlich zu sein. Erst recht ist eine Vertragsbeendigung nicht sachgerecht, wenn schon das Restrukturierungskonzept offensichtlich zur Bewältigung der Krise nicht geeignet ist oder sich gar als Vorwand für die einzig intendierte Vertragsloslösung erweist.[3] Eine Vertragsbeendigung soll also allein dadurch gerechtfertigt sein, dass sie zur Erreichung des Restrukturierungsziels erforderlich ist. Die Entwurfsbegründung verweist zur Frage der Erforderlichkeit, mithin ob es Alternativen zu einer Vertragsbeendigung gibt, darauf, dass dies im Kern eine wirtschaftliche und unternehmerische Entscheidung sei, die sich für eine gerichtliche Überprüfung nicht eigne. „Wie auch die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit des Plans im Rahmen der Planbestätigung nicht vom Gericht überprüft wird, sollen auch Einzelelemente des zugrundeliegenden Konzepts nicht durch das Gericht überprüft werden. Nur wenn der insoweit zu eröffnende Spielraum eindeutig überschritten ist, ist dem Schuldner die begehrte Vertragsbeendigung zu versagen. In allen anderen Fällen wird die Beendigung dadurch legitimiert, dass dem Schuldner es auch offen stünde, die Beendigung des Vertrags im Rahmen eines Insolvenzverfahrens zu erwirken.“, so die Begründung[4] Nicht einmal die Begründung hält für die „Sachgerechtigkeit“ eine Abwägung der grundrechtlich geschützten Interessen des Vertragspartners am – für ihn möglicherweise existenziellen – Erhalt des Vertrages und des Schuldnerinteresses an einer Restrukturierung seines Unternehmens außerhalb eines Insolvenzverfahrens für erforderlich. Hierin manifestieren sich erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, die auch durch einen bloßen Verweis auf die Möglichkeit der Beendigung des Vertrages auch im Rahmen eines Insolvenzverfahrens aufgrund der o.g. strukturellen Unterschiede der beiden Verfahren nicht ausgeräumt werden.
  • Die Möglichkeit einer Vertragsbeendigung außerhalb eines Insolvenzverfahrens provoziert umgehend Gegenmaßnahmen zur Beherrschung dieses Risikos wie Bankbürgschaften, auch Bürgschaften der Geschäftsführer, erhebliche Erhöhungen von Mietkautionen (im Gewerbemietraumrecht weitestgehend frei zu vereinbaren), Umstellungen auf Vorkasse, der Abschluss von Kreditausfallversicherungen sowie die Vereinbarung von Vorfälligkeitsentschädigungen bei vorzeitiger Beendigung des Mietverhältnisses (um hierdurch im Insolvenzfall die Schadenshöhe zu erhöhen und dann für den Nichterfüllungsschaden mit einer größeren Forderungssumme an einer Quote teilzunehmen) – kurzum: die Wirtschaft wird dieses Risiko im Verhältnis von Leistung zu Gegenleistung einpreisen mit der Folge, dass der Wirtschaftsverkehr hierdurch insgesamt betroffen ist.
  • Problematisch ist schließlich, dass die mit der Bestätigung der Vertragsbeendigung betrauten Restrukturierungsgerichte weder personell noch sachlich ausreichend ausgestattet sind, um die wirtschaftlich und rechtlich komplexen Fragestellungen in der gebotenen Kürze der Zeit zu beantworten. Sie werden sich voraussichtlich hierfür einzelner oder ggfls. sogar mehrerer Sachverständiger bedienen müssen.

 

4. Unabhängigkeit von Restrukturierungsbeauftragten, SanierungsmoderatorInnen und InsolvenzverwalterInnen

Das StaRUG schafft neue Funktionen, die in konfliktreichen Restrukturierungssituationen für die notwendige Verfahrensakzeptanz sorgen sollen. Es löst aber nicht die seit vielen Jahren offenen Fragen, wie die unbestimmten Rechtsbegriffe der Unabhängigkeit, fachlichen Eignung und die wesentlichen Inhalte der Verfahrensbearbeitung näher zu definieren sind. Dies, obwohl die Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz in Art 26 und der Koalitionsvertrag der Bundesregierung unter Zeile 6195 ff. die Notwendigkeit berufsrechtlicher Rahmenbedingungen für Insolvenzverwaltende, Restrukturierungsbeauftragte und SanierungsmoderatorInnen ausdrücklich benennen. Es wäre daher dringend geboten, dass gleich mit Inkrafttreten des StaRUG auch ein erster berufsrechtlicher Schritt vor allem im Interesse der GläubigerInnen und der betroffenen UnternehmerInnen vollzogen wird.

Dieser erste Schritt könnte in einem neuen § 56 Abs.3 InsO gesetzlich verankert werden, wonach allgemeinverbindliche Berufsausübungsreglungen durch das BMJV im Verordnungsweg zu bestimmen sind. Damit könnten die heute schon von vielen, aber eben bei weitem nicht von allen Insolvenzverwaltenden beachteten Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung des VID zu allgemeinverbindlichen Berufsstandards entwickelt werden. Diese könnte über einen entsprechenden Verweis auch für die Restrukturierungsbeauftragten und die SanierungsmoderatorInnen entsprechend gelten.

Zudem würden allgemeinverbindliche Berufsausübungsregelungen auch die Position der nach § 58 InsO aufsichtsführenden Restrukturierungs- und Insolvenzgerichte stärken, da damit erstmals ein Anforderungskatalog an die zu bestellenden Insolvenzverwaltenden, Restrukturierungsbeauftragten und SanierungsmoderatorInnen definiert wäre. Die aus Sicht des VID wenig zielführende Einführung etwaiger SondersachwalterInnen oder Sonderrestrukturierungsbeauftragter könnte entfallen, da sie letztendlich nur Ausdruck eines sich aus einem fehlenden Berufsrecht ergebenden Misstrauens gegenüber “mitgebrachten“ SachwalterInnen sind.

Mit der wissenschaftlichen Stellungnahme von Kästner/Amery vom 16.7.2020 wurde nachvollziehbar dargelegt, dass ein solcher Ansatz der Berufsausübungsregelungen in § 56 Abs. 3 InsO innerhalb des bestehenden Systems der Insolvenzordnung sowohl verfassungsrechtlich als auch europarechtlich ohne weiteres umgesetzt werden kann.

Unabhängigkeit, Qualifikation und Eignung der neu geschaffenen Funktionen des Restrukturierungsbeauftragten und des Sanierungsmoderators/der Sanierungsmoderatorin sollten in einer gesetzlichen Definition näher konkretisiert werden, die auch InsolvenzverwalterInnen und SachwalterInnen erfasst und einheitliche Maßstäbe mit klaren Kriterien definiert. Über den ersten Schritt der Berufsausübungsregelungen hinaus sollte der Gesetzgeber auch die verbleibenden Fragen des schon lange diskutierten Berufsrechts der InsolvenzverwalterInnen einer Lösung zu führen. Der VID hat bereits mehrfach konkrete Vorschläge[5] zur Ausgestaltung eines solchen Berufsrechts unterbreitet.

 

5. Das angepasste Vergütungsrecht für InsolvenzverwalterInnen und die neuen Vergütungsregelungen für Restrukturierungsbeauftragte: Nur Inflationsbedingte Mindestanpassungen und eine Fortsetzung alter Probleme

 Richtigerweise greift der Gesetzgeber nach mehr als 20 Jahren erstmalig eine grundlegende Anpassung des Vergütungsrechtes für InsolvenzverwalterInnen auf. Nicht nachvollziehbar ist jedoch, warum der Gesetzgeber nicht durch Streichung der sogenannten Vergleichsrechnungen auch die Gerichte von einem erheblichen Mehraufwand entlastet und zudem gerade beim überwiegenden Teil aller Verfahren, nämlich denjenigen mit geringsten Insolvenzmassen, eine Vergütungserhöhung selbst nach 20 Jahren ausschließen will.

Gerade in den sogenannten Ordnungsverfahren erfüllen InsolvenzverwalterInnen wichtige Aufgaben im Interesse der Allgemeinheit, auch für ArbeitnehmerInnen in Bezug auf Arbeitszeugnisse, Lohnbescheinigungen, etc. Wenn der Gesetzgeber die Erfüllung dieser Aufgaben nach wie vor für sinnvoll erachtet und an der mit Einführung der InsO getroffenen Entscheidung festhält, dass Insolvenzverfahren bereits dann eröffnet werden sollen, wenn nur die Verfahrenskosten gedeckt sind, dann muss die Erfüllung dieser Aufgaben auch adäquat bezahlt werden. Die Vorstellung und teilweise auch Argumentation, dass die Verwaltervergütung zu Lasten der Gläubigerbefriedigung gehe, ist irreführend und verkennt, dass in den massearmen Verfahren nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung nicht die Gläubigerbefriedigung, sondern die Ordnungsfunktion im Fokus steht. Eine angemessene Vergütung ist umso mehr geboten als das Anforderungsprofil gerade im Bereich der steuerlichen Aufgaben, aber auch im Datenschutz in den letzten Jahren deutlich angewachsen ist. Selbstverständlich ist es dabei für unseren Verband, dass Vergütungen transparent sind – und zwar für die am Verfahren Beteiligten. Dies bedeutet aber auch, dass wir eine öffentliche Bekanntmachung von Vergütungsanträgen und -beschlüssen ganz oder auch nur auszugsweise ablehnen.

Schließlich sollte die Transparenz und Kalkulierbarkeit der Vergütung auch im StaRUG Berücksichtigung finden. Aus weder nachvollziehbaren noch verfahrensförderlichen Gründen enthält das StaRUG komplexe Regelungen für die Budgetierung, ggf. Nachbesserung und schließlich Festsetzung der Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten und des Sanierungsmoderators/der Sanierungsmoderatorin. Dieses Verfahren ist für die Beteiligten weder transparent noch kalkulierbar. Eine Stundenvergütung ist daher abzulehnen zugunsten des seit Jahrzehnten bewährten Systems einer wertorientierten Pauschalvergütung, die das RVG ja auch für anwaltliche Vertreter von Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens vorsieht.

 

  • In Art. 6 greift der Entwurf einen über mehr als zwei Jahrzehnte aufgestauten Bedarf nach Anpassungen der Insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung auf. Bis in die jüngste Vergangenheit hat die höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl. BGH IX ZB 29/19 vom 17.9.2020) diesen Bedarf verneint, obwohl er schon mit Blick auf die zwischenzeitlichen Anpassungen anderer Vergütungsregelwerke und die ausgreifenden Entwicklungen der gesetzlichen Aufgaben von InsolvenzverwalterInnen und SachwalterInnen unabweisbar geworden war.
  • Die im Gesetzentwurf vorgesehene Anhebung der Regelvergütung in § 2 Abs. 1 InsVV ist entsprechend der vorangegangenen Initiative der Berufsverbände der InsolvenzverwalterInnen grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings ist zweifelhaft, ob die vorgeschlagenen Änderungen die Reformvorgaben des Verordnungsgebers erfüllen und in Zukunft eine angemessene Vergütung sicherstellen werden. Entgegen dem Reformvorschlag der Berufsverbände soll die Regelvergütung bis zu einer Insolvenzmasse von 25.000,00 € überhaupt nicht erhöht werden. Dem widerspricht schon die in der Entwurfsbegründung wiedergegebene einmütige Erkenntnis, dass sowohl inflationsbedingt als auch wegen der seit 1999 spürbar erhöhten Anforderungen an die Verwalter eine Erhöhung der Vergütungssätze geboten ist. Der Verordnungsgeber verweist zur Rechtfertigung seiner Zurückhaltung auf die Belastung der am Verfahren beteiligten GläubigerInnen durch erhöhte Verfahrenskosten sowie auf das Risiko, dass es im Bereich der Kleinstverfahren nicht zu einer flächendeckenden Abweisung von Insolvenzanträgen mangels Masse kommen darf, um die Ordnungsfunktion des Insolvenzverfahrens nicht zu beinträchtigen. Allerdings sind beide Argumente nicht überzeugend. Selbst bei Erhöhung des Prozentsatzes auf der ersten Vergütungsstufe entsprechend dem Reformvorschlag der Berufsverbände verblieben immer noch 50 % der realisierbaren – naturgemäß auf dieser Stufe geringen – Insolvenzmasse, um sonstige Verfahrenskosten zu decken und ggf. sogar eine geringfügige Quote an GläubigerInnen auszuschütten. Ein erhöhtes Abweisungsrisiko kann allenfalls bei Insolvenzmassen unter 5.000,00 € erkannt werden, wenn die nach Abzug der Regelvergütung verbleibende Insolvenzmasse nicht mehr ausreichen sollte, um Gerichtskosten sowie gerichtliche Auslagen, gegebenenfalls nach JVEG, abzudecken. Ein Verlust der Ordnungsfunktion des Insolvenzverfahrens in nennenswertem Umfang wäre deshalb auch bei einer angemessenen Erhöhung nicht zu besorgen.
  • Wie in 3.4 des gemeinsamen Reformvorschlages von NIVD und VID auf S. 10 ff. ausführlich dargelegt, müssen aufgrund der dort ebenfalls ausführlich zitierten Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs alle Vergütungszuschläge, die mit einer massemehrenden Tätigkeit verbunden sind, mit einer Vergleichsrechnung versehen werden. Dies führt nicht selten dazu, dass in einem Vergütungsantrag fünf oder mehr Vergleichsrechnungen für einzelne in Anspruch genommene Zuschlagstatbestände vorgenommen und erläutert werden müssen. Wie bereits in der Begründung des Reformvorschlages dargelegt, belasten diese Erschwernisse nicht nur die Verwalter, sondern vor allem auch die mit der Festsetzung befassten Insolvenzgerichte. Diese müssen ohne entsprechende Berechnungsprogramme oder geeignete sonstige Hilfsmittel jede Vergleichsrechnung händisch nachvollziehen, was dem Ziel einer effektiven Verfahrensbearbeitung und vereinfachten Vergütungsfestsetzung zuwiderläuft. Wir regen daher nochmals eingehend an, die zu § 3 Abs. 1 a) und b) InsVV vorgeschlagenen teilweisen Streichungen doch umzusetzen. Damit wäre in der Praxis für Gerichte und Verwalter eine ganz erhebliche und dauerhafte sowie kostensparende Arbeitserleichterung verbunden. Die mit dem Wegfall der Vergleichsrechnung verbundene mittelbare Vergütungserhöhung würde zum einen das Zurückbleiben hinter den inflations- und aufgabenbedingten Erhöhungsvorschlägen der Verwalterverbände ausgleichen und könnte zum anderen im Einzelfall auch bei der Zuschlagsbemessung berücksichtigt werden.
  • In den § 87 ff. StaRUG-E wird die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten geregelt. Für seine persönliche Tätigkeit soll er nach § 88 Abs. 1 StaRUG-E ein Honorar auf der Grundlage angemessener Stundensätze erhalten. Im Regelfall sollen diese Stundensätze gem. § 88 Abs. 3 Satz 2 350,00 € nicht übersteigen und gem. § 88 Abs. 4 Satz 1 mit der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten durch das Restrukturierungsgericht festgesetzt werden. Eine Überschreitung des Regelbetrages, insbesondere durch höhere Stundensätze, ist nach § 90 StaRUG-E nur in Ausnahmefällen möglich. Zugleich soll das Restrukturierungsgericht auf der Grundlage von Stundenbudgets, die dem voraussichtlichen Aufwand und der Qualifikation des Beauftragten und der qualifizierten Mitarbeiter angemessen Rechnung tragen, auch einen Höchstbetrag für das Honorar bestimmen. Ein Stundenbudget soll gem. § 88 Abs. 4 Satz 2 StaRUG-E dem voraussichtlichen Aufwand angemessen Rechnung tragen. Spätere Änderungen dieses Aufwands können zwar nach § 88 Abs. 6 StaRUG-E berücksichtigt werden, der neben einer Darlegung von Grund und Höhe des Mehrbedarfs vor entsprechenden gerichtlichen Entscheidungen eine Anhörung der Auslagenschuldner vorsieht. Liegt dabei aber kein nach § 90 StaRUG-E definierter Ausnahmefall vor, der zu einer Überschreitung des Höchstbetrages berechtigt, wird diese Struktur selbst bei Darlegung eines Mehrbedarfs oftmals zu einer ablehnenden Haltung der Auslagenschuldner führen. Dies vor allem dann, wenn der Restrukturierungsbeauftragte als Sachverständiger bestellt wird (§ 80 Abs. 3 StaRUG), wofür gem. § 41 Abs. 1 StaRUG-E auch ein externer Sachverständiger zu den günstigeren Stundensätzen des JVEG hätte bestellt werden können. Vor diesem Hintergrund werden die Restrukturierungsgerichte bei der Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten darauf bedacht sein, den Rahmen des § 88 Abs. 3 Satz 2 StaRUG-E nur in Ausnahmefällen auszuschöpfen und sich bei der Festlegung der Stundensätze an den Stundensätzen des JVEG zu orientieren. Eine solche Beschränkung stünde aber im eklatanten Gegensatz zu der nach § 82 Abs. 4 StaRUG-E gegenüber allen Betroffenen eröffneten (und damit von § 839a BGB abweichenden) Haftung des Restrukturierungsbeauftragen und sollte deshalb durch eine gesetzliche Klarstellung verhindert werden.
  • Mit der durch § 5 Abs. 5 InsO-E eingeführten Verpflichtung von InsolvenzverwalterInnen, in näher definierten Insolvenzverfahren ein Gläubigerinformationssystem vorzuhalten, geht der Entwurf einen richtigen Schritt zur Erleichterung des Zugangs zu Verfahrensinformationen. In den zahlreichen, durch Art. 6 ausgeführten Änderungen der InsVV findet sich aber kein entsprechender Änderungsvorschlag, der die Kosten eines solchen Systems der Masse zuweist. Eine solche ergänzende Zuweisung wäre aber nach der Rechtsprechung des BGH (IXZB 62/15 vom 14.07.2016) notwendig, nach der bislang die Kosten für ein Gläubigerinformationssystem auch dann, wenn sie einem einzelnen Verfahren zuordenbar sind, nicht zusätzlich zur Vergütung des Verwalters aus der Masse aufzubringen sind.

 

6. Die zeitlich begrenzten InsO-Änderungen in Art.10: Leider keine angemessene Reaktion auf zahlreiche Unternehmenskrisen im KMU-Bereich durch die COVID-19 Pandemie

 Grundsätzlich begrüßt unser Berufsverband die Umsetzung der ESUG-Evaluierung. Für sich betrachtet und auch im Zusammenspiel mit dem StaRUG kann sie jedoch noch keine Lösung, für die derzeit von der Pandemie besonders betroffenen Unternehmen bieten. Gerade für ausschließlich pandemiegeschädigte Unternehmen mit an sich tragfähigem Geschäftsmodell müssen adäquate Regelungen eines COVID-Schutzschirmverfahrens etabliert werden. Damit könnten vor allem kleine und mittelständische Unternehmen ohne zusätzlichen Beratungsaufwand und mit niedrigschwelligen Eingangsvoraussetzungen ihr Unternehmen weitestgehend eigenverantwortlich und mit einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen SachwalterInnen und Unternehmensleitung neu ausrichten.

  • Mit Art. 10 SanInsFoG formuliert der Entwurf einen Änderungsvorschlag zu § 5 des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes. Auch bereits zahlungsunfähige Unternehmen sollen einen erleichterten Zugang zu Eigenverwaltungsverfahren nach § 270d InsO-E (Schutzschirmverfahren – bislang § 270 b InsO) erhalten, wenn in der Bescheinigung nach § 270 d Abs. 1 Satz 1 bestätigt wird, dass der Schuldner zum 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig war, der Schuldner in dem letzten, vor dem 1. Januar 2020 abgeschlossenen Geschäftsjahr ein positives Ergebnis aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit erwirtschaftet hat und der Umsatz aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit im Kalenderjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 40 % eingebrochen ist. Dieser Änderungsvorschlag geht zutreffend davon aus, dass für Unternehmen, die erst durch die COVID-19-Pandemie in eine existentielle Krise geraten sind, ein erleichterter Zugang zu den effektiven Sanierungsinstrumenten des Schutzschirmverfahrens geschaffen werden sollte. Dieser Zugang sollte aber gerade mit Blick auf die voraussichtlich überdurchschnittlich betroffenen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) noch weiter erleichtert werden, weil sie die vorgesehenen Nachweise nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oftmals nicht vollständig erbringen werden können.
  • Unternehmen, die lediglich aufgrund der Pandemie zahlungsunfähig geworden sind, sollten eine vereinfachte Möglichkeit erhalten, ohne nennenswerten Beratungs- und Kostenaufwand vom Sanierungsverfahren nach § 270d InsO-E Gebrauch zu machen. Entscheidend ist insoweit, dass die Zahlungsunfähigkeit ausschließlich auf solchen Forderungen basiert, die nach dem 01.01.2020 fällig geworden sind. Statt der üblicherweise durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer zu erstellenden Sanierungsbescheinigung genügt es, dass in dem ohnehin gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 InsO vorzulegenden Gläubigerverzeichnis die Fälligkeit aller Forderungen ausgewiesen und die Vollständigkeit und Richtigkeit der Angaben durch das Unternehmen zu versichern sind.
  • Im Hinblick auf diese erleichterten Zugangsvoraussetzungen zum COVID-Schutzschirmverfahren sollten auch die Aufgaben des Sachwalters/der Sachwalterin in adäquater Weise angepasst werden. Die kostenintensive Begleitung durch spezialisierte Berater können sich viele kleine und mittlere Unternehmen in der aktuellen Krise nicht mehr leisten. Erforderlich ist deshalb ein Arbeiten Hand in Hand zwischen der Unternehmensleitung und dem/der gerichtlich bestellten SachwalterIn. Im Zuge dessen sollten dem/der (vorläufigen) SachwalterIn weitere Aufgaben und Befugnisse zugewiesen werden, um in den Unternehmen den Beratungsaufwand zu reduzieren und auch die Erfolgschancen der Sanierung zu verbessern. Dazu gehört unter anderem ein Planinitiativrecht, bei dem der Sachwalter/die Sachwalterin den Insolvenzplan vorlegen darf. Denkbar wäre auch, dass das Unternehmen nicht mehr in der eigenen Geschäftsleitung oder durch hinzugezogene Berater die insolvenzrechtliche Kompetenz für ein Eigenverwaltungsverfahren darstellen muss. Hier könnte der Sachwalter/die Sachwalterin durch weitere Kompetenzen quasi als „starke(r) SachwalterIn“ fungieren, um die Rechte der GläubigerInnen zu wahren und gleichzeitig dem Unternehmer/der Unternehmerin bei der Unternehmensführung im täglichen Ablauf möglichst große Handlungsspielräume zu verschaffen.
  • Die Sicherung von Arbeitsplätzen durch Kurzarbeitergeld und sonstige staatliche Hilfen steht derzeit im Mittelpunkt der staatlichen Maßnahmen zur Eingrenzung der Pandemiefolgen. Über ein COVID-Schutzschirmverfahren sollten deshalb auch soweit als möglich Arbeitsplätze erhalten werden. Dazu sollte es diesen betroffenen Unternehmen auch möglich sein, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf die Finanzierung der Gehälter durch das Kurzarbeitergeld zurückzugreifen können. Dies selbst dann, wenn im Zeitraum des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens die Gehälter der Mitarbeiter über das Insolvenzausfallgeld finanziert wurden. Damit wäre es möglich, den Sanierungsprozess während des COVID-Schutzschirmverfahrens zu konzipieren und umzusetzen, ohne zugleich unmittelbar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Kündigungen aussprechen zu müssen.
  • Die mit dem SanInsFoG vorgesehenen Änderungen der §§ 270 ff. InsO verschärfen die Eingangsvoraussetzungen für ein Schutzschirmverfahren in Eigenverwaltung. Diese verschärften Eingangsvoraussetzungen sind grundsätzlich zu begrüßen und Ergebnis der von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Evaluation des ESUG. In Pandemiezeiten ist es im Hinblick auf das vorstehend formulierte Ziel der Unterstützung unverschuldet in die Krise geratener Unternehmen jedoch sinnvoll, das Inkrafttreten der Verschärfung auf die Zeit nach der Bewältigung der Pandemie und somit zunächst auf den 01.01.2022 zu verschieben.
  • Die Kosten eines COVID-Schutzschirmverfahrens dürfen für kleine und mittlere Unternehmen nicht untragbar werden. Deshalb sollte eine gesetzliche Obergrenze definiert werden, die sicherstellt, dass die Gesamtkosten – unter Einschluss der Beraterhonorare – die Kosten eines Insolvenzverfahrens nicht überschreiten dürfen. Auch für die Vergütung des „starken“ Sachwalters/der „starken“ Sachwalterin kann auf das bewährte Vergütungsmodell der InsVV zurückgegriffen werden, das ggfl. durch weitere erfolgsorientierte Zuschlagstatbestände ergänzt werden könnte. Der Zuschlagstatbestand des § 3 Abs.1 e) InsVV (Ausarbeitung eines Insolvenzplans durch den Verwalter) weist bereits heute in diese Richtung. Aufgrund der anders gelagerten Tätigkeiten des Sachwalters/der Sachwalterin, u.a. Tabellenführung, Beteiligung an der Insolvenzgeldfinanzierung, Kassenführung, persönliches Haftungsrisiko, etc., ist nicht die ohnehin kritisch bewertete Parallele zu § 88 StaRUG angezeigt. Dies umso mehr als in diesem Fall eine qualitative Unterstützung durch erfahrene SachwalterInnen nicht mehr gewährleistet ist und der unterstützende Ansatz des COVID-Schutzschirmverfahrens sich in das Gegenteil verkehren würde.

 

7. Digitalisierung – Zugang und Mitwirkung der GläubigerInnen

Vor allem die Covid-19-Pandemie hat nochmals deutlich gemacht, dass die GläubigerInnen keinen angemessenen Zugang zum Insolvenzverfahren haben. Gerade in Bezug auf die Informationsbeschaffung und die Ausübung ihrer Rechte sind sie auf analoge Formate gesetzlich beschränkt. Akteneinsicht bei den Insolvenzgerichten und die papierhafte Anmeldung ihrer Forderungen zur Insolvenztabelle bauen vermeidbare Hürden auf. Ein obligatorisches Gläubigerinformationssystem ist nicht nur sofort für alle Insolvenzverfahren möglich, sondern belastet weder den Bundes- noch den Landeshaushalt, da es die InsolvenzverwalterInnen für alle GläubigerInnen bereitstellen müssen. In gleicher Weise sollte auch die Anmeldung der Insolvenzforderung in der Regel uneingeschränkt in digitaler Form erfolgen; nur wo der Zugang zu digitalen Medien fehlt oder die Anforderungen an eine i.S.v. § 126a BGB formgerechte Übermittlung nicht erfüllt werden können, kann im Einzelfall der betroffene Gläubiger/die betroffene Gläubigerin auch in der bisherigen Form seine/ihre Forderung anmelden. Dies erfordert allerdings auch Schnittstellen zur elektronischen Übermittlung der niederzulegenden Unterlagen an das Gericht, da anderenfalls dem Insolvenzverwalter/der Insolvenzverwalterin mit dem Ausdruck eine Zusatzbelastung aufgebürdet wird. Mit diesen Änderungen kann zum einen auf die pandemiebedingten Besonderheiten reagiert und andererseits auch ein erster wesentlicher Schritt zur Digitalisierung des Insolvenzverfahrens erfolgen. Die im Kern sicherlich richtige aber mit weitrechenden Umsetzungsschwierigkeiten verbundene Lösung einer weiteren Stärkung der Rechte durch eine virtuelle Gläubigerversammlung sollte mittelfristig in den Blick genommen werden, aber nicht kurzfristig zu einer Überbelastung der Gerichtsstrukturen führen.

Die notwendige Digitalisierung von Restrukturierungs- und Insolvenzverfahren sollte in erster Linie auf die Bedürfnisse der Verfahrensbeteiligten reagieren, die durch die Pandemiesituation eindrucksvoll sichtbar geworden sind, und die Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung und Kostenreduzierung ausschöpfen. Dies umso mehr als sowohl der Koalitionsvertrag der Bundesregierung vom 12.3.2018 unter Zeile 6199f. die Notwendigkeit der Digitalisierung benennt und die wesentlichen Gläubigergruppen bzw. Verfahrensbeteiligte sich in einem gemeinsamen Positionspapier schon im Jahr 2018 für ein Insolvenzverfahren 4.0 nachdrücklich ausgesprochen haben.

Die Begründung des Entwurfs weist an mehreren Stellen explizit darauf hin, dass das Insolvenzverfahren und der eine Insolvenz abwendende Restrukturierungsrahmen zur Effizienzsteigerung auch des Einsatzes elektronischer Kommunikationsmittel bedürfen. Insbesondere solle es möglich sein, Gläubigerversammlungen und Abstimmungen über Insolvenz- oder Restrukturierungspläne unter Einsatz von Fernkommunikationsmitteln durchzuführen.[6]

Während § 22 StaRUG-E im Restrukturierungsverfahren für die Abstimmung im Rahmen einer Versammlung der Planbetroffenen die Möglichkeit der elektronischen Teilnahme vorsieht, fehlt es für das Insolvenzverfahren weiterhin an einer solchen Regelung. So sieht der Entwurf lediglich vor, dass bei einer vom Insolvenzverwalter/von der Insolvenzverwalterin zugelassenen elektronischen Forderungsanmeldung auch die Nachweisurkunden in elektronischer Form übermittelt werden können und eine elektronische Rechnung zu den Urkunden im Sinne des § 174 Abs. 1 Satz 2 zählt, aus denen sich die Forderung ergibt. (vgl. § 174 Abs. 4 InsO-E).

Mit der in Art. 5 formulierten Änderung von § 174 InsO verbindet der Entwurf die Erwartung einer Erleichterung elektronischer Forderungsanmeldungen. Die Einsendung von Originalen, Abschriften in Papierform oder Ausdrucken soll nur noch nach gesonderter Aufforderung durch den Insolvenzverwalter/der Insolvenzverwalterin oder durch das Insolvenzgericht erforderlich sein. Schon die in § 175 Abs. 1 InsO geregelte Niederlegung der Tabelle[7] mit den Anmeldungen sowie den beigefügten Urkunden macht aber deutlich, dass eine Aufforderung durch die Gerichte der Regelfall bleiben wird. Die bereits bestehende Regelung in § 174 Abs.4 InsO müssen dafür nur insoweit geändert werden, als es zukünftig nur noch heißt: „Die Anmeldung soll durch die Übermittlung eines elektronischen Dokuments erfolgen.“ Da die Forderungsanmeldung nicht bei Gericht, sondern bei dem Insolvenzverwalter/der Insolvenzverwalterin zu erfolgen hat, muss dieser auch die elektronischen Voraussetzungen hierfür schaffen. Etablierte Software hierfür ist seit Jahren im Einsatz, gleiches gilt für die notwendige Schnittstelle zwischen InsolvenzverwalterIn und Insolvenzgericht.

Wesentliche Neuerung ist allein die Regelung zum elektronischen Gläubigerinformationssystem in § 5 Abs. 5 InsO-E. Allerdings sollte sich die zwingende Verpflichtung zur elektronischen Gläubigerinformation auf alle Insolvenzverfahren, unabhängig von ihrer Größe, erstrecken, denn die individuelle Betroffenheit und das Informationsbedürfnis der GläubigerInnen ist nicht abhängig von der Größe des insolventen Unternehmens.

Eine echte Digitalisierung[8] des Verfahrens ist im SanInsFoG nicht vorgesehen. Dies erstaunt insoweit, als dass die umzusetzende Richtlinie in Art. 28 konkrete Vorgaben enthält. Diese sehen vor: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass in Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren die Verfahrens­parteien, die Verwalter und die Justiz- oder Verwaltungsbehörde auch in grenzüberschreitenden Situationen mindestens folgende Handlungen elektronisch vornehmen können: a) Geltendmachung von Forderungen; b) Einreichung von Restrukturierungs- oder Tilgungsplänen; c) Mitteilungen an die Gläubiger; d) Einlegung von Beanstandungen und Rechtsbehelfen.“ Auch wenn diese Vorgaben im Hinblick auf die Fristen nach Art. 34 Abs. 1 der RL erst bis Juli 2024, bzw. Juli 2026 umzusetzen sind, ist vor dem Hintergrund der aktuellen Pandemie kein Grund für ein weiteres Zuwarten erkennbar.

Um Unternehmen betroffener Rechtsformen sowie Vereinen und Stiftungen die Möglichkeit zu geben, auch bei Fortbestehen der durch die COVID-19-Pandemie bedingten Einschränkungen Beschlussfassungen vorzunehmen, wurde hingegen bereits Anfang diesen Jahres das Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie verabschiedet. So sind Erleichterungen zur elektronischen Durchführung von Hauptversammlungen bei Aktiengesellschaften ebenso geschaffen worden, wie für Mitgliederversammlungen bei Vereinen. Diese Regelungen wurden zwischenzeitlich auch bereits bis zum 31.12.2021 verlängert.[9]

  

 

Zusammenfassung:

 

  1. Der Regierungsentwurf des SanInsFoG formuliert ein breites Spektrum gesetzlicher Änderungen mit dem Ziel einer Ergänzung und Ausweitung gesetzlicher Verfahren zur Restrukturierung und Sanierung von Unternehmen. Diese Erweiterung gesetzlicher Verfahren und Instrumente ist im Grundsatz richtig, damit betroffene Unternehmen auf unterschiedliche Krisenstadien und dynamisch verlaufende Krisen angemessen reagieren und entsprechende Verfahren einleiten können.
  1. Die Vorverlagerung der gesetzlichen Reaktionsangebote wird richtigerweise mit einer Vorverlagerung gesetzlicher Verantwortung von Geschäftsleitungsorganen verbunden, die das Gläubigerinteresse schon bei Eintritt der drohenden Zahlungsfähigkeit in den Vordergrund rückt. Diese Akzentverschiebung wird einen erhöhten Beratungsaufwand auslösen.
  1. Mit dem StaRUG wird ein Verfahrensrahmen zur Prävention von Insolvenzverfahren eingeführt, der mit seinem modularen Aufbau eine große Flexibilität ermöglicht. Der Verzicht auf eine Bestandsfähigkeitsprüfung als Eingangsvoraussetzung erleichtert jedoch den Verfahrenszugang für ungeeignete Unternehmen und bedingt gerichtliche Prüfungen in den eskalierenden Stufen des Verfahrens und damit eine große Zahl teilweise komplexer Beurteilungen im Verlauf einer oftmals dynamischen Krisenentwicklung. Dies hat Auswirkungen auf die Planbarkeit und Berechenbarkeit von Verfahren.
  1. Das in den §§ 51 ff. StaRUG-E vorgelegte Konzept einer Vertragsbeendigung sollte ersatzlos gestrichen werden. Seine Umsetzung würde eine weitreichende Erhöhung von Vertragsrisiken auslösen und in unverhältnismäßiger Weise in die verfassungsrechtlich geschützte Privatautonomie betroffener GläubigerInnen eingreifen.
  1. Auf den langjährig aufgestauten Änderungsbedarf bei den Vergütungsregeln für InsolvenzverwalterInnen reagiert der Entwurf lediglich mit Mindestanpassungen, die vor allem bei kleinen Insolvenzverfahren und im Rahmen der Vergleichsrechnung bei Zu- und Abschlägen deutlich hinter den notwendigen Änderungen zurückbleiben.
  1. Mit den vorgeschlagenen Änderungen des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes weist der Entwurf in die richtige Richtung und reagiert auf den unabweisbaren Bedarf eines erleichterten Zugangs zu insolvenzrechtlichen Sanierungsinstrumenten für betroffene Unternehmen. Dieser Zugang sollte jedoch mit Blick auf kleine und mittlere Unternehmen durch ein COVID-Schutzschirmverfahren nochmals vereinfacht werden.
  1. Mit seinen Änderungsvorschlägen zur Digitalisierung von Verfahren bleibt der Entwurf hinter dem Bedarf der Rechtsanwender zurück, der durch die Pandemiesituation eindrucksvoll sichtbar geworden ist.
  1. Die neuen Funktionen des Restrukturierungsbeauftragten und des Sanierungsmoderators/der Sanierungsmoderatorin unterstreichen den im Entwurf nicht adressierten aber von der europäischen Richtlinie genannten Bedarf nach einem modernen Berufsrecht, das Qualifikation, Zulassung, Bestellungsvoraussetzungen und Aufsicht in überzeugender und an internationale Standards angepasster Weise vereinheitlicht. Mit einem sehr überschaubaren Aufwand lässt sich ein erster Schritt mit der Schaffung allgemeiner Regeln zur Berufsausübung auch schon in dem vorliegenden Gesetzgebungsverfahren umsetzen.

 

Berlin, 23.11.2020

 

Dr. Christoph Niering
Vorsitzender

 

Kontakt:
Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e.V. (VID)
Französische Straße 13/14
10117 Berlin
Tel.: 030/ 20 45 55 25
E-Mail: info@vid.de
Web: www.vid.de

 

[1] Abrufbar unter https://www.vid.de/wp-content/uploads/2020/10/VID-Stellungnahme-zum-RefE-SanInsFoG.pdf.

[2] Vgl. Entwurfsbegründung S. 146.

[3] Vgl. Entwurfsbegründung S. 148.

[4] Vgl. Entwurfsbegründung S. 148.

[5] Eckpunktepapiere zur Weiterentwicklung des Berufsrechts (abrufbar unter https://www.vid.de/initiativen/weiterentwicklung-des-berufsrechts-vorschlag-an-das-bmjv-und-rechtspolitiker-im-deutschen-bundestag/ ), Gemeinsames Eckpunktepapier des BAKinsO e.V., der NIVD e.V. und des VID e.V. (abrufbar unter https://www.vid.de/wp-content/uploads/2019/12/reformbedarf-im-berufsrecht-der-insolvenzverwalter-gem.-eckpunktepapie-bakinso-nivd-vid.pdf), VID-Eckpunktepapier zum Berufsrecht (abrufbar unter https://www.vid.de/wp-content/uploads/2018/12/vid-eckpunktepapier-zum-berufsrecht-final.pdf).

[6] Vgl. Entwurfsbegründung S. 85, sowie 82 und 92.

[7] Zur Niederlegung vgl. Sinz in Uhlenbruck, InsO-KO, 15. Aufl. 2019, § 175, Rz. 21f.

[8] Vorschläge für eine weitere Digitalisierung des Insolvenzverfahrens hat der VID bereits 2018 im Eckpunktepapier „Insolvenzverfahren 4.0“ unterbreitet (abrufbar unter https://www.vid.de/wp-content/uploads/2018/07/eckpunktepapier-insolvenzverfahren-4.0.pdf).

[9] Verordnung zur Verlängerung von Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (GesRGenRCOVMVV) vom 20. Oktober 2020, BgBl. Jahrgang 2020 Teil I Nr. 48, vom 28.10.2020, S. 2258.

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