Stellungnahme des VID zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (DSAnpUG-EU)

A. Vorbemerkung

Der vorliegende Referentenentwurf (im Folgenden RefE) zur Novelle des Bundesdatenschutzgesetzes dient der Anpassung des stark ausdifferenzierten nationalen Datenschutzrechts an die Datenschutz-Grundverordnung (EU 2016/679) sowie der Umsetzung der Richtlinie zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates (EU) 2016/680.

Aufgrund der Kürze der Stellungnahmefrist beschränken sich die nachfolgenden Ausführungen auf die Anpassung des Bundesdatenschutzgesetzes an die Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO).

 

B. Im Einzelnen

I. Anwendungsbereich (Abgrenzung öffentliche/nicht-öffentliche Stelle)

Der Anwendungsbereich des Bundesdatenschutzgesetzes-neu ist, wie auch im geltenden Bundesdatenschutzgesetz, für alle öffentlichen Stellen des Bundes sowie für öffentliche Stellen der Länder – soweit der Datenschutz nicht durch Landesgesetze geregelt ist – und nicht-öffentliche Stellen eröffnet (§ 1 Abs. 1 RefE).

1. Bisherige Einordnung

Bisher wurden Insolvenzverwalter datenschutzrechtlich als nicht-öffentliche Stelle i.S.d. § 2 Abs. 4 Satz 1 BDSG eingeordnet, da sie in Ausübung Ihrer beruflichen Tätigkeit grundsätzlich privatrechtlich, ggf. in einer Sozietät, organisiert sind. (Hartung in: ZinsO 2011, 1225, II.1a))

Auch nimmt der Insolvenzverwalter nach der bisherigen Kommentarliteratur als nicht-öffentliche Stelle keine hoheitlichen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahr und ist mithin kein „Beliehener“ i.S.d. § 2 Abs. 4 Satz 2 BDSG. Er erhält durch die Insolvenzordnung zwar gewisse Befugnisse, die Gesamtvollstreckung über das Vermögen eines Privatschuldners zu betreiben; öffentlichen Zwang übt er dabei jedoch nicht aus. (Schreiber in: Plath, BDSG/DSGVO, 2. Aufl. 2016, § 2 , Rn. 15)

2. Künftige Einordnung

 Die Definition der nicht-öffentlichen Stelle nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 RefE orientiert sich an der bisherigen Definition des § 2 Abs. 4 BDSG. Nicht-öffentliche Stellen i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 3 RefE sind danach natürliche und juristische Personen, Gesellschaften und andere Personenvereinigungen des privaten Rechts, soweit sie nicht unter die Nummern 1 und 2 fallen; nimmt eine nicht-öffentliche Stelle hoheitliche Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahr, ist sie insoweit öffentliche Stelle im Sinne dieses Gesetzes.

Es stellt sich hier grundsätzlich die Frage, ob die Einordnung des Insolvenzverwalters als nicht-öffentliche Stelle unter Berücksichtigung der Einführung der Insolvenzordnung (InsO) und der damit verbundenen Übertragung weiterer Aufgaben (siehe unter II.) noch zu halten ist.

So war die Rechtsstellung des Insolvenzverwalters von jeher umstritten und es haben sich in den vergangenen Jahrzehnten verschiedene Theorien herausgebildet (Mock in: Uhlenbruck, InsO-KO, § 80, Rn. 57). Die herrschende Amtstheorie sieht in dem Insolvenzverwalter ein besonderes Rechtspflegeorgan, das in eigenem Namen ein ihm vom Gesetz übertragenes Amt ausübt. (Kroth in: Braun, InsO-KO, § 80, Rn. 20; BGH NZI 2007, 543)

Auch die Einführung der InsO hat den alten Streit um die rechtliche Einordnung der Stellung des Insolvenzverwalters nicht gelöst. (Kroth in: Braun, InsO-KO, § 80, Rn. 19 ff.)

Die datenschutzrechtliche Einordnung des Insolvenzverwalters folgt jedoch (noch immer) der der Konkursordnung.

Seit Einführung der InsO im Jahr 1999 haben sich jedoch zahlreiche hoheitliche Aufgaben vom Insolvenzgericht auf den Insolvenzverwalter verlagert. Hintergrund war die damit verbundene erhebliche Entlastung der Gerichte. Dies soll an zwei Beispielen verdeutlicht werden:

a) Tabelle

Die Führung der Tabelle oblag unter der Konkursordnung dem Insolvenzgericht. So war die Anmeldung der Forderung schriftlich bei Gericht, bzw. zu Protokoll der Geschäftsstelle anzubringen (§ 139 KO). Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hatte die Forderung dann in die Tabelle einzutragen (§ 140 Abs. 2 KO).

Der ursprüngliche Entwurf der Insolvenzordnung, die 1999 die Konkursordnung ablöste, sah zunächst ebenfalls eine gleichlautende Regelung vor. Erst durch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des deutschen Bundestages wurde vorgesehen, dass die Übertragung dieser hoheitlichen Aufgaben nunmehr vom Gericht auf den Insolvenzverwalter erfolgen sollte (BT-DS 12/7302, S. 75 zu §§ 201, 202).

Die Führung der Tabelle ist nun seit Inkrafttreten der InsO dem Insolvenzverwalter übertragen (§§ 174, 175 InsO).

b) Zustellungen

Mit Einführung der InsO wurde für das Insolvenzgericht daneben die Möglichkeit geschaffen, den Insolvenzverwalter mit Zustellungen gem. § 8 Abs. 1 InsO zu beauftragen (§ 8 Abs. 3 InsO). Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages begründete seine Beschlussempfehlung zur Aufgabenverlagerung vom Gericht auf den Insolvenzverwalter im Jahr 1994 wie folgt:

„Vorbild für den vom Rechtsausschuß vorgeschlagenen Absatz 3 ist § 6 Abs. 3 GesO. Danach obliegt in Gesamtvollstrekkungsverfahren dem Verwalter die Zustellung des Eröffnungsbeschlusses an die ihm bekannten Gläubiger. Die positiven Erfahrungen mit dieser Regelung gaben den Anstoß für eine weiterreichende Möglichkeit der Aufgabenverlagerung vom Insolvenzgericht auf den Insolvenzverwalter. Es obliegt dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, dem Insolvenzverwalter alle oder einen Teil der Zustellungen zu übertragen. Maßgeblich für eine solche richterliche Entscheidung wird häufig die damit verbundene erhebliche Entlastung des Gerichts sein.“ (BT-DS 12/7302, S. 155 zu § 8)

Zustellungen durch den Insolvenzverwalter lösen, wie Zustellungen durch das Gericht, Handlungsobliegenheiten, bzw. Handlungspflichten aus.

Die datenschutzrechtliche Einordnung des Insolvenzverwalters nach der bisherigen Kommentarliteratur als nicht-öffentliche Stelle i.S.d. § 2 Abs. 4 Satz 1 BDSG (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 RefE) ist in Ansehung der Übertragung dieser hoheitlichen Aufgaben seit Einführung der InsO nicht mehr zeitgemäß. Vielmehr führt diese Aufgabenübertragung zu einer Einordnung als nicht-öffentliche Stelle i.S.d. §§ 2 Abs. 4 Satz 2 BDSG (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 RefE).

Soweit nicht-öffentliche Stellen hoheitliche Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen, gelten Sie nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 RefE als öffentliche Stellen und können ihre Datenverarbeitung daher ebenfalls auf die Befugnis in § 3 RefE stützen. (Begründung zum RefE, § 3, S. 72)

Die Neufassung des § 3 RefE, der die Verarbeitung personenbezogener Daten durch öffentliche Stellen regelt, sieht vor, dass unbeschadet anderer Rechtsgrundlagen die Verarbeitung personenbezogener Daten durch öffentliche Stellen zulässig ist, wenn sie für die Wahrnehmung einer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe erforderlich ist oder wenn sie in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde.

Bei der Insolvenzverwaltung handelt es sich um eine solche Wahrnehmung einer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe.

3. Fazit

Die Übertragung hoheitlicher Aufgaben vom Insolvenzgericht auf den Insolvenzverwalter hat zu einer erheblichen Entlastung für die öffentliche Hand geführt. Sie erfordert jedoch, dass der Insolvenzverwalter in Ausübung dieser Aufgaben den notwendigen datenschutzrechtlichen Handlungsspielraum erhält. Dies zu gewährleisten ist Aufgabe des Gesetzgebers.

 

II. Weitere Einordnung (BDSG-neu)

Soweit der Insolvenzverwalter (auch künftig) als nicht-öffentliche Stelle i.S.d. § 2 Abs. 4 Satz 1 BDSG (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 RefE) eingeordnet wird, bzw. von diesem keine Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrgenommen werden („Doppelregime“), sei auf Folgendes hingewiesen:

Zu § 23 Abs. 2 Nr. 3 RefE (Verarbeitung zu anderen Zwecken)

Die Aufnahme des § 23 Abs. 2 Nr. 3 RefE (§§ 28 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BDSG) wonach die Verarbeitung personenbezogener Daten zu einem anderen Zweck, zu dem die Daten erhoben wurden, durch nicht-öffentliche Stellen über Art. 6 Abs. 4 DSG-VO hinaus (nur) zulässig ist, wenn sie zur Wahrung berechtigter Interessen des Verantwortlichen erforderlich ist, ist zu begrüßen.

Es soll nachfolgend auszugsweise an zwei Beispielen verdeutlicht werden, weshalb der Insolvenzverwalter im Rahmen seiner Tätigkeit auf die Zulässigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten zu einem anderen Zweck, zu dem die Daten erhoben wurden angewiesen ist.

1. Unternehmensveräußerung

Im Rahmen seiner Tätigkeit als Insolvenzverwalter hat dieser die Aufgabe, die vorhandene Insolvenzmasse zu verwerten und nach Prüfung der Forderungen der Gläubiger entsprechend der Feststellung zur Insolvenztabelle nach dem Verteilungsverzeichnis zu befriedigen (Mock in: Uhlenbruck InsO-KO, § 80, Rn. 56).

Um die Sanierung eines Unternehmens und die (bestmögliche) Befriedigung der Gläubiger zu erreichen, ist es dabei regelmäßig notwendig, das Unternehmen auf einen neuen Investor zu übertragen, der „frisches Geld“ einbringt. Der Insolvenzverwalter wird dazu von der Gläubigerversammlung mit der Veräußerung des Unternehmens betraut.

Unsere Mitglieder erleben als Insolvenzverwalter regelmäßig, dass die Kundendaten eines Unternehmens, insbesondere bei sog. Start-Ups, dabei zu den zentralen Assets gehören und für potentielle Erwerber wertvoll sind. Auch sind weitere Informationen über das Bestell- und Zahlungsverhalten der Kunden des Insolvenzschuldners für potentielle Erwerber, gerade im Hinblick auf die Höhe des Veräußerungserlöses, zentral.

In einigen Fällen, deren Zahl in den letzten Jahren zugenommen hat, ist eine sog. übertragende Sanierung nur noch dann möglich, wenn der Erwerber diese Daten weiter nutzen kann.

In der zeitlich gedrängten Situation eines Unternehmensverkaufes in der Insolvenz können langwierige Unsicherheiten über diese Nutzung zum Scheitern der Übertragung und damit zum Verlust von Arbeitsplätzen und Sanierungschancen führen.

Wenn solche Übertragungen am Datenschutz scheitern sollten, empfänden wir dies als offenen Widerspruch zweier staatlicher Regelungswerke.

Zum einen die Insolvenzordnung, hier insbesondere das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), die Impulse zum Erhalt von Unternehmen geben soll, zum anderen das Datenschutzrecht, das den oben geschilderten Übertragungen nicht förderlich ist.

Der Erhalt und die Sanierung von Unternehmen liegen auch im Fokus des europäischen Gesetzgebers. So plant die Kommission aktuell die Einführung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens und entsprechende Eingriffe in das materielle Insolvenzrecht der Mitgliedsstaaten (COM(2016) 723 final).

Hinsichtlich der Folgen die sich aus dem Widerspruch von Insolvenzordnung und Datenschutzrecht ergeben, möchten wir ergänzend auf einen Fall aus Bayern aufmerksam machen. Hier hat das Bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht Verkäufer und Käufer eines Unternehmens wegen eines Verstoßes gegen die datenschutzrechtlichen Vorschriften im Umgang mit Kundendaten mit einem erheblichen – mittlerweile unanfechtbaren – Bußgeld belegt. (siehe: Pressemitteilung des Bayerischen Landesamtes für Datenschutzaufsicht vom 30.07.2015).

Auch aktuelle Beiträge aus der Fachliteratur (ZinsO 2016, 1917 ff, Eckhardt/Menz und NZI 7/2016, 241 ff., Beyer/ Beyer) machen deutlich, dass sich für diese Konstellation noch keine abschließende Rechtsauffassung gebildet hat.

2. Tabellenführung

Im Rahmen des Insolvenzverfahrens stellen Insolvenzverwalter regelmäßig fest, dass zahlreiche Gläubiger Vorauszahlungen an den Schuldner geleistet haben. Die Höhe der Vorauszahlungen ist im System des schuldnerischen Unternehmens hinterlegt. Der Insolvenzverwalter muss diese bei der Feststellung der Forderung der Kunden (Gläubiger) zur Tabelle berücksichtigen und sie aus dem System des Schuldners übernehmen.

Wäre eine solche Übernahme nicht möglich, müsste der Verwalter – zulasten der Masse – die Kunden zunächst einzeln anschreiben um nachzufragen, ob die Daten aus dem System des Schuldners übernommen werden dürfen.

 

III. Verantwortungsbereich nach DS-GVO

Unabhängig von der Frage der Einordnung des Insolvenzverwalters als nicht-öffentliche Stelle (mit oder ohne Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben der öffentlichen Verwaltung) fehlt es bislang an einer eindeutigen Abgrenzung dazu, wie der Insolvenzverwalter in Ausübung seiner Tätigkeit i.S.d. Art. 4 DS-GVO zu definieren ist.

So stellt die DS-GVO, anders als das BDSG-neu gerade nicht auf die institutionelle Stellung bei der Verarbeitung personenbezogener Daten ab.

1. Abgrenzung Verantwortlicher/ Auftragsverarbeiter

Grundsätzlich hat der Schuldner die Auskünfte, die zur Entscheidung über den Insolvenzantrag erforderlich sind, gegenüber dem Insolvenzgericht zu erteilen und dieses bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen (§ 20 Abs. 1 InsO). Das Gericht kann dem Schuldner jedoch aufgeben, die Antworten direkt an den Insolvenzverwalter, Treuhänder oder Sachverständigen weiterzuleiten. (BGH IX ZB 91/09).

Zu fragen ist daher, ob der Insolvenzverwalter bei der Ausführung des ihm vom Gericht übertragenen Amtes datenschutzrechtlich als Verantwortlicher i.S.d. Art. 4 Nr. 7 oder als Auftragsverarbeiter i.S.d. Art. 4 Nr. 8 DS-GVO anzusehen ist.

Verantwortlicher i.S.d. Art. 4 Nr. 7 DS-GVO, § 2 Abs. 2 Nr. 7 RefE ist die natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet; sind die Zwecke und Mittel dieser Verarbeitung durch das Unionsrecht oder das Recht der Mitgliedstaaten vorgegeben, so kann der Verantwortliche beziehungsweise können die bestimmten Kriterien seiner Benennung nach dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten vorgesehen werden.

Charakteristisch für eine Tätigkeit als Auftragsverarbeiter i.S.d. Art. 4 Nr. 8 DS-GVO, § 2 Abs. 2 Nr. 8 RefE ist dagegen die Verarbeitung personenbezogener Daten durch eine natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle im Auftrag des Verantwortlichen.

2. Einordnung

Für die Einordnung ist zunächst zu unterscheiden in welcher Funktion ein Tätigwerden des Insolvenzverwalters üblicherweise erfolgen kann. So kommt eine Tätigkeit als Sachverständiger, als vorläufiger Sachwalter, als vorläufiger Insolvenzverwalter, als Sachwalter, als Insolvenzverwalter (Treuhänder) und Sonderinsolvenzverwalter, ggf. auch zeitlich hintereinander geschaltet, in Betracht. Dabei nimmt der Insolvenzverwalter im Verhältnis zu Gericht, Schuldner, Insolvenzgläubigern und Dritten ggf. unterschiedliche Positionen ein.

Es liegt nahe, die Tätigkeit des Insolvenzverwalters in einigen Bereichen datenschutzrechtlich als Auftragsverarbeitung einzuordnen. Die Verarbeitung von Daten Art. 4 Nr. 2 DS-GVO, § 2 Abs. 2 Nr. 2 RefE, d. h. jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung, den Abgleich oder die Verknüpfung, die Einschränkung, das Löschen oder die Vernichtung erfolgt (ausschließlich) im Rahmen des gerichtlichen Auftrages und der in der Bestellungsurkunde genau bezeichneten Aufgaben. Zahlreiche Rechte und Pflichten des Insolvenzverwalters bei der Ausführung der ihm übertragenen Aufgaben sind dabei gesetzlich fixiert.

Nachfolgend soll die Aufgabenbereiche am Beispiel des Sachverständigen, des vorläufigen Sachwalters und des Insolvenzverwalters skizziert werden:

a) Sachverständiger

Grundsätzlich hat das Insolvenzgericht von Amts wegen alle Umstände zu ermitteln, die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sind. (§ 5 Abs. 1 Satz 1 InsO). Ohne an Anträge gebunden zu sein, ist das Insolvenzgericht berechtigt und unter Umständen verpflichtet, zur Aufklärung aller das Verfahren betreffenden Verhältnisse diejenigen Ermittlungen anzustellen, die es für erforderlich erachtet. (Pape in: Uhlenbruck, InsO-Ko, § 5, Rn. 1)

Zu diesem Zweck kann das Gericht insbesondere Zeugen und Sachverständige vernehmen (§ 5 Abs. 1 Satz 2 InsO).

Der Sachverständige wird im Regelfall, vor allem wenn die Einsetzung mit einer vorläufigen Insolvenzverwaltung verbunden ist, durch gerichtlichen Beschluss bestellt. Dieser Beschluss hat die einzelnen Aufgaben des Sachverständigen zu bezeichnen. (Pape in: Uhlenbruck, InsO-KO, § 5, Rn. 5)

Üblicherweise hat der Sachverständige gem. § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 – sofern er nicht ohnehin als vorläufiger Insolvenzverwalter die Aufgaben des § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1-3 InsO übertragen bekommt – zu prüfen, ob ein Eröffnungsgrund vorliegt und welche Aussichten für eine Fortführung des Unternehmens des Schuldners bestehen.

Bei den in § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO festgelegten Prüfungspflichten handelt es sich um gesetzliche Prüfungspflichten, so das auch von einem gesetzlichen Gutachterauftrag gesprochen wird. Der gesetzliche Gutachterauftrag ist in § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO nicht abschließend geregelt und kann jederzeit vom Gericht konkretisiert und ergänzt werden. (Vallender in: Uhlenbruck, InsO-KO, § 22, Rn. 253)

Soweit das Gericht seine Amtsermittlungen nach § 5 InsO zulässigerweise auf einen Sachverständigen delegiert, ist der Sachverständige „Gehilfe des Gerichts“ mit der Folge, dass die Auskunfts- und Mitwirkungspflicht auf ihn übergeht. Wegen des weitgehenden Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte des Schuldners ist die Delegation der Auskunftsberechtigung auf den Sachverständigen beschränkt. Eine zwangsweise Durchsetzung der Ansprüche auf Auskunft und Mitwirkung kann der Sachverständige nur mit Hilfe des Gerichts erreichen. (Zipperer in: Uhlenbruck, InsO-KO, § 20, Rn. 19 mit Verweis auf BGH ZVI 2005, 551 f.)

b) vorläufiger Sachwalter

Der vorläufige Sachwalter hat die Aufgabe zur Überprüfung der wirtschaftliche Lage, der Geschäftsführung des Schuldners, der Ausgaben für die Lebensführung, § 270a Abs. 1 Satz InsO i.V.m. §§ 274, 275. (Zipperer in: Uhlenbruck, InsO-KO, § 270a, Rn. 29). Er unterstützt und kontrolliert den Schuldner bei der Führung der laufenden Geschäfte im Auftrag des Gerichts, u.U. übernimmt er auch die Kassenführung nach § 275 Abs. 2 InsO.

Gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2 i.V.m. 274 Abs. 2 Satz InsO gilt § 22 Abs. 3 InsO entsprechend, wonach der vorläufige Sachwalter, wie der Sachwalter, das Recht hat, die Geschäftsräume des Schuldners zu betreten und dort Nachforschungen anzustellen. Der Schuldner hat ihm Einsicht in seine Bücher und Geschäftspapiere zu gestatten, ihm alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen und ihn bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen. Der vorläufige Sachwalter dürfte daher als „Überwacher“ im Auftrag des Insolvenzgerichts einzuordnen sein.

c) Insolvenzverwalter

Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. § 80 Abs. 1 InsO ordnet damit die Trennung von Rechtsinhaberschaft und Verwaltungs- sowie Verfügungsbefugnis an und verschafft dem Insolvenzverwalter die Rechtsmacht, die Insolvenzmasse zu verpflichten. (App in FK-InsO, § 80, Rn. 1)

Mit Ausnahme der Eigenverwaltung (§§ 270 ff.) tritt mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens damit der Insolvenzverwalter in sämtliche vermögensrechtliche Positionen des Schuldners ein mit der Folge, dass ihm die gleichen Rechte zustehen und die gleichen Pflichten obliegen wie dem Schuldner selbst (Mock in: Uhlenbruck, InsO-Ko, § 80, Rn. 69). Der Schuldner ist gegenüber dem Insolvenzverwalter verpflichtet, über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse Auskunft zu geben (§ 97 Abs. 1 InsO).

Neben den Pflichten des Verwalters im Hinblick auf das schuldnerische Vermögen und dem Schuldner selbst, bestehen zahlreiche (gesetzliche) Aufklärungs-, Informations-, Auskunfts-, Prüfungs-, Überwachungs- und Tätigkeitspflichten. Dies insbesondere gegenüber dem Insolvenzgericht und den Insolvenzgläubigern (z. B. §§ 58 Abs. 1 Satz 2, 79 Satz 1, 85 Abs. 1 Satz 1, 129 ff, 148 Abs. 1, 156 Abs. 1 Satz 1, 159, 167, 174 Abs. 1 Satz 1, 175 Abs. 1 Satz 1, 188 Satz 1).

Der Aufgabenbereich des Insolvenzverwalters sowie die Ausgestaltung derselben sind damit in zahlreichen Fällen gesetzlich konkret festgelegt. Bei der Ausführung dieser Aufgaben durch den Insolvenzverwalter kraft des ihm übertragenen Amtes ist dieser daher vielfach bereits durch die konkrete Bezeichnung der Aufgaben in der Bestellungsurkunde sowie der gesetzlichen Regelungen gebunden.

3. Grundlage der Auftragsverarbeitung

Die DS-GVO regelt, dass im Falle der Auftragsverarbeitung diese durch den Auftragsverarbeiter auf Grundlage eines Vertrages oder eines anderen Rechtsinstruments nach dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedsstaaten erfolgt, der bzw. das den Auftragsverarbeiter in Bezug auf den Verantwortlichen bindet und in dem Gegenstand und Dauer der Verarbeitung, Art und Zweck der Verarbeitung, die Art der personenbezogenen Daten, die Kategorien betroffener Personen und die Pflichten und Rechte des Verantwortlichen festgelegt sind (Art. 28 Abs. 3 DS-GVO).

Ein solches Rechtsinstrument nach dem Recht des Mitgliedsstaates könnte hier die Bestellungsurkunde des Verwalters sein. So erhält der Verwalter über seine (jeweilige) Bestellung eine Urkunde, die er bei Beendigung seines Amtes dem Insolvenzgericht zurückzugeben hat (§ 56 Abs. 2 InsO). Die Aufgaben des Verwalters sind dabei entweder in der Bestellungsurkunde dokumentiert oder ergeben sich (siehe oben unter B. IV. 2. a-c) unmittelbar aus dem Gesetz.

 

C. Fazit

Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass der vorliegende Referentenentwurf die Möglichkeit ungenutzt lässt, das nationale Datenschutzrecht im Sinne eines modernen und funktionsfähigen Insolvenzrechts anzupassen. So sollten die im öffentlichen Bereich bestehenden Spielräume und Konkretisierungsmöglichkeiten durch die DSG-VO auch vollständig genutzt werden. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Übertragung hoheitlicher Aufgaben an Insolvenzverwalter die Insolvenzgerichte entlastet und damit Personal und Ressourcen spart.

Bei der Übertragung dieser Aufgaben sollte zudem künftig aus Gründen der Rechtssicherheit ersichtlich sein, in welcher Funktion der Insolvenzverwalter gegenüber Gericht, Schuldner, Insolvenzgläubiger und Dritten auftritt.

Stellungnahme von Dr. Christoph Niering, Vorsitzender des Verbandes Insolvenzverwalter Deutschlands e.V. (VID), im Rahmen der Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages am 9.11.2016 zum Regierungsentwurf eines Änderungsvorschlags zur Neufassung des § 104 InsO vom 26.7.2016

A. Vorbemerkung

Am 14.9.2016 hat die Bundesregierung den Regierungsentwurf eines Änderungsgesetzes zu § 104 InsO (BT Drs. 18/ 9983 – im Folgenden: InsO-E) vorgelegt. Sie sieht diesen InsO-E veranlasst durch das Urteil des BGH vom 9.6.2016 (IX ZR 314/14). Der BGH hat zu diesem Urteil folgenden Leitsatz formuliert:

„Treffen Parteien von Aktienoptionsgeschäften, die dem deutschen Recht unterliegen, für den Fall der Insolvenz einer Partei eine Abrechnungsvereinbarung, die § 104 InsO widerspricht, ist diese insoweit unwirksam und die Regelung des § 104 InsO unmittelbar anwendbar.“

Bemerkenswert ist hier zunächst die Eile, mit der hier auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes reagiert wird. Ebenso bemerkenswert ist auch der Umfang der vorgeschlagenen Änderung. Die Begründung des Entwurfs (a.a.O. S. 8) führt dazu aus:

„Mit dem Entwurf werden die gesetzlichen Grundlagen für die Abwicklung von Finanzmarktkontrakten in der Insolvenz einer Vertragspartei klargestellt und präzisiert. Anlass für diese Klarstellungen und Präzisierungen gibt das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 9. Juni 2016 (IX ZR 314/14), nach dem Vereinbarungen zur Abwicklung von Finanzmarktkontrakten unwirksam sind, soweit sie für den Fall der Insolvenz einer Vertragspartei Rechtsfolgen vorsehen, die von § 104 der Insolvenzordnung (InsO) abweichen.“

Damit scheint das Vorhaben zunächst auf die Finanzmärkte begrenzt zu sein. Dies wäre grundsätzlich sinnvoll. Mit dem vorliegenden InsO-E reagiert die Bundesregierung damit (auch) auf die Befürchtungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die sich am Tag der Verkündung des Leitsatzes des Urteils (9.6.2016) veranlasst sah, eine Allgemeinverfügung nach § 4a WpHG zur Sicherstellung der Rechtssicherheit von Nettingvereinbarungen im Anwendungsbereich des deutschen Insolvenzrechts (GZ: ED WA-Wp 1000-2016/0001) bekannt zu machen.

Die auf Seite 8 der Gesetzesbegründung geschilderten bankaufsichtsrechtlichen Implikationen weisen jedoch bereits auf eine grundlegende Problematik dieses Entwurfs hin: Die besondere Regulierung bestimmter Märkte, die Risiken der Allgemeinheit vermindern soll, schafft zugleich neue Belastungen für die Markteilnehmer. Um diese Belastungen nicht untragbar werden zu lassen greift der Gesetzgeber an anderer Stelle (hier: im Insolvenzrecht) ein und schafft dort rechtliche Vorteile (hier: in § 104 InsO), die masseschützende (und damit gläubigerschützende) Regelungen (hier: grds. Verbot von insolvenzrechtlichen Lösungsklauseln) zugunsten der Marktteilnehmer einschränken. Diese Vorgehensweise erfordert zumindest eine unbedingte Beschränkung auf das zwingend Notwendige.

Schon auf Seite 19 der Gesetzesbegründung wird jedoch angedeutet, dass die hier vorgeschlagene Änderung nicht auf die Finanzmärkte beschränkt bleiben soll. Namentlich erwähnt wird der Energiegroßhandelsmarkt.

Mit dieser Erweiterung ist die Frage nach dem Schutzzweck des § 103 InsO berührt, der durch § 104 InsO eingeschränkt wird. § 104 InsO stellt als lex specialis zu § 103 InsO eine Ausnahmeregelung dar, die nur in bestimmten Fällen das Wahlrecht des Insolvenzverwalters ausschalten und so eine Fixierung der Rechtslage erreichen soll. Jede Ausweitung des § 104 InsO muss deshalb so angelegt sein, dass sie die Regel des § 103 InsO nicht ganz oder teilweise aushöhlt und den engen Anwendungsbereich einer Ausnahmeregelung präzise definiert.

Die Begründung des Regierungsentwurfs zur Insolvenzordnung (BT Drs. 12/ 2443) erläutert den Zweck des dort noch als § 118 InsO bezeichneten späteren § 104 InsO (auf S. 145) wie folgt:

„Bei einem Fixgeschäft im Sinne von § 361 BGB und § 376 HGB, das die Lieferung von Waren mit einem Börsen- oder Marktpreis zum Gegenstand hat, erscheint das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nicht sinnvoll. Der Vertragspartner ist hier besonders an einer schnellen Klärung der Rechtslage interessiert; der Verwalter hat, wenn er die Ware zur Fortführung des Unternehmens des Schuldners benötigt, ohne Schwierigkeiten die Möglichkeit, sich anderweitig einzudecken. Durch Absatz 1 wird das Wahlrecht daher in diesem Fall in Anlehnung an § 18 Abs. 1 KO ausgeschlossen. Satz 2 ist ergänzt, um klarzustellen, dass die Vorschrift auch für Wertpapiergeschäfte gilt. Absatz 2 enthält eine ergänzende Regelung für Devisen- und Finanztermingeschäfte (sog. Swap-Geschäfte). Bisher ist zweifelhaft, ob § 18 KO auf diese Art von Geschäften Anwendung findet.

 Schon mit dieser Begründung wird deutlich, dass der Regierungsentwurf von 1992 den Ausnahmecharakter der Vorschrift durch eng gefasste Definitionen ihres Anwendungsbereichs betont. Hervorgehoben wird auch die besondere Situation der Finanzgeschäfte, die eine Einschränkung des Wahlrechts aus § 103 InsO zulässt ohne auf den Schutz der Masse zu verzichten.

Der Rechtsausschuss (BT Drs.12/302 S.167f.) formulierte damals explizit zum Netting:

„Es soll sichergestellt werden, dass im Insolvenzfall alle noch nicht erfüllten Ansprüche aus zwischen zwei Parteien bestehenden Finanzgeschäften saldiert werden können („Netting“) Dadurch wird das Risiko aus derartigen Geschäften gemindert. Der Wortlaut des Regierungsentwurfs gewährleistet die Saldierungsmöglichkeit insbesondere in den Fällen nicht, in denen einige der zwischen zwei Parteien geschlossenen Finanzgeschäfte von einer Partei schon voll erfüllt sind, so dass bei einer getrennten Betrachtung dieser Geschäfte § 118 des Regierungsentwurfs — der wie § 117 des Entwurfs einen von beiden Seiten noch nicht voll erfüllten Vertrag voraussetzt — nicht eingreift. Dann können nicht fällige oder nicht auf Geld gerichtete Einzelforderungen bestehen, bei denen nach § 107 des Entwurfs eine Aufrechnung nicht möglich ist. An einer solchen generellen Saldierungsmöglichkeit besteht auch im internationalen Geschäftsverkehr ein erhebliches Interesse; in den USA ist kürzlich eine entsprechende Änderung des Bankruptcy Code vorgenommen worden.“ 

Das in § 103 InsO verankerte Wahlrecht soll nicht den Insolvenzverwalter, sondern alle am Insolvenzverfahren Beteiligten vor einer weiteren Beeinträchtigung ihres Vermögens schützen. Letztendlich ist das Wahlrecht auch ein wichtiger und unverzichtbarer Baustein zum Erhalt der von der Insolvenz betroffenen Unternehmen und Arbeitsplätze. Daher verbietet § 119 InsO ausdrücklich auch Lösungsklauseln, die das Wahlrecht nach § 103 InsO unterlaufen. Die Regelungen in § 104 InsO dürfen damit nicht von der Ausnahme zur Regel mutieren, sonst heißt es zukünftig nicht mehr „Sanieren statt Liquidieren“, sondern „Privilegieren statt Sanieren“.

 

B. Ableitungen aus dem Urteil des BGH vom 9.6.2016

Einschränkend betont der BGH schon in seinem Leitsatz (s. o.), dass Liquidations-nettingklauseln nur insoweit unwirksam sind wie sie dem § 104 InsO widersprechen. Eine vollständige Unwirksamkeit solcher Klauseln ist damit nicht indiziert.

Der BGH lässt ausdrücklich offen, ob „die abweichend von § 104 InsO bereits für den Fall des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens getroffene Vereinbarung der auflösenden Bedingung wirksam ist, weil sie als solche die in § 104 InsO vorgesehenen Rechtsfolgen nicht ändert.“ (Rn. 55)

Im entschiedenen Fall führt er dazu aus (Rn. 56):

„Die Vereinbarung ist jedenfalls unwirksam, soweit die darin vorgesehene Berechnungsmethode für den Ausgleichsanspruch im Insolvenzfall von § 104 Abs. 2 und 3 InsO abweicht.“

Der eigenen Bewertung folgend unternimmt der InsO-E dennoch in den neu gefassten § 104 Abs. 2-5 InsO eine vollständige Überarbeitung des bisherigen § 104 Abs. 3 InsO und integriert den bisherigen § 104 Abs. 2 InsO in einen neu gefassten § 104 Abs. 1 InsO-E.

Ausschnittsweise (Art.1) sollen die neuen Regelungen des § 104 Abs.4 InsO-E dabei sogar rückwirkend in Kraft gesetzt werden. Als sog. echte Rückwirkung ist diese Gestaltung nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG an besonders strengen Maßstäben zu messen (s. zuletzt BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14).

Eine Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot der echten Rückwirkung kommt in Betracht, soweit sich kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte (a.a.O.Rn.56.):

„Eine Ausnahme vom Grundsatz der Unzulässigkeit echter Rückwirkungen ist gegeben, wenn die Betroffenen schon im Zeitpunkt, auf den die Rückwirkung bezogen wird, nicht auf den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung vertrauen durften, sondern mit deren Änderung rechnen mussten (BVerfGE 135, 1 <22>; vgl. BVerfGE 13, 261 <272>; 30, 367 <387>; 95, 64 <86 f.>; 122, 374 <394>). Vertrauensschutz kommt insbesondere dann nicht in Betracht, wenn die Rechtslage so unklar und verworren war, dass eine Klärung erwartet werden musste (BVerfGE 135, 1 <22>; vgl. BVerfGE 13, 261 <272>; 18, 429 <439>; 30, 367 <388>; 50, 177 <193 f.>; 88, 384 <404>; 122, 374 <394>; 126, 369 <393 f.>), oder wenn das bisherige Recht in einem Maße systemwidrig und unbillig war, dass ernsthafte Zweifel an seiner Verfassungsmäßigkeit bestanden (BVerfGE 135, 1 <22>; vgl. BVerfGE 13, 215 <224>; 30, 367 <388>).“

Die Begründung des InsO-E (S. 23) führt dazu aus:

„Durch das rückwirkende Inkrafttreten wird die Allgemeinverfügung der BaFin gesetzlich nachvollzogen. Diese Rückwirkung ist ausnahmsweise  zulässig,  da  aufgrund  der  Allgemeinverfügung  kein  schutzwürdiges  Vertrauen  in  den  Fortbestand  der  vom Bundesgerichtshof  vorgenommenen  Auslegung  entstehen  konnte.  Noch  am  Tag  der  Urteilsverkündung  haben  außerdem das  Bundesministerium  der  Finanzen  und  das  Bundesministerium  der  Justiz  und  für  Verbraucherschutz  umgehend  in  einer  gemeinsamen  Stellungnahme  angekündigt,  dass  die  Bundesregierung  unmittelbar gesetzgeberische Maßnahmen auf den Weg bringen wird, um zu gewährleisten, dass die gängigen Rahmenverträge auch weiterhin im Markt und von Aufsichtsbehörden anerkannt werden.“

Die Bundesanstalt selbst kann eine in zur Unterbrechung dieses Fortbestandes notwendige Gesetzgebung nicht herbeiführen. In der gemeinsamen Stellungnahme von BMJV und BMF vom 9.6.2016 haben die Bundesministerien noch vor Veröffentlichung der Urteilsgründe erklärt:

Sollte sich nach sorgfältiger Prüfung ergeben, dass das Urteil über den Einzelfall hinaus Auswirkungen auf die Akzeptanz des Rahmenvertrags im Markt und von Aufsichtsbehörden hat, wird die Bundesregierung unmittelbar gesetzgeberische Maßnahmen für eine kurzfristige Klarstellung oder Präzisierung der betroffenen Vorschriften des Insolvenzrechts auf den Weg bringen, um zu gewährleisten, dass die gängigen Rahmenverträge auch weiterhin im Markt und von Aufsichtsbehörden anerkannt werden.“

Der zwingende Schluss auf eine Änderung, wie er nach der Rechtsprechung des BVerfG (s.o.) notwendig wäre, lässt sich dieser Erklärung nicht entnehmen. Insbesondere wird dort auf die Akzeptanz des Rahmenvertrages im Markt und von den Aufsichtsbehörden abgestellt. Nicht die nach dem Urteil des BGH geklärte Rechtslage selbst, sondern ihre Auswirkung auf Marktteilnehmer und Aufsichtsbehörden wird als unklar bezeichnet. Eine echte Rückwirkung erscheint vor diesem Hintergrund verfassungsrechtlich zweifelhaft.

 

C. Im Einzelnen

 I. zu §104Abs. 1 InsO-E

Die hier eingeführten Änderungen betreffen im Wesentlichen die Inklusion der Finanzinstrumente im Sinne des Artikels 4 Abs. 1 Nummer 15 der Richtlinie 2014/65/EU vom 15.5.2014. Die Tragweite dieser Bezugnahme verdeutlicht sich an der nachfolgenden Aufzählung der in Betracht kommenden Finanzinstrumente. Inhalt und Umfang der dort beschrieben Finanzinstrumente, so etwa die unter der Rn. 6 genannten, sind kaum mehr greifbar. Einer weiteren Ausweitung des Anwendungsbereiches des § 104 InsO stehen somit Tür und Tor offen. Die Ausnahme für echte Finanzinstrumente der Kreditwirtschaft wird damit zunehmend zur Regel für alle Wirtschaftskreise.

In Artikel 4 Abs.1 Nr. 15 wird auf die die in Anhang I Abschnitt C der Richtlinie genannten Instrumente verwiesen. Im Einzelnen sind dies:

(1) Übertragbare Wertpapiere;

(2) Geldmarktinstrumente;

(3) Anteile an Organismen für gemeinsame Anlagen;

(4) Optionen, Terminkontrakte (Futures), Swaps, außerbörsliche Zinstermingeschäfte (Forward Rate Agreements) und alle anderen Derivatkontrakte in Bezug auf Wertpapiere, Währungen, Zinssätze oder -erträge, Emissionszertifikate oder andere Derivat-Instrumente, finanzielle Indizes oder Messgrößen, die effektiv geliefert oder bar abgerechnet werden können;

(5) Optionen, Terminkontrakte (Futures), Swaps, Termingeschäfte (Forwards) und alle anderen Derivatkontrakte in Bezug auf Waren, die bar abgerechnet werden müssen oder auf Wunsch einer der Parteien bar abgerechnet werden können, ohne dass ein Ausfall oder ein anderes Beendigungsereignis vorliegt;

(6) Optionen, Terminkontrakte (Futures), Swaps und alle anderen Derivatkontrakte in Bezug auf Waren, die effektiv geliefert werden können, vorausgesetzt, sie werden an einem geregelten Markt, über ein MTF oder über ein OTF gehandelt; ausgenommen davon sind über ein OTF gehandelte Energiegroßhandelsprodukte, die effektiv geliefert werden müssen;

(7) Optionen, Terminkontrakte (Futures), Swaps, Termingeschäfte (Forwards) und alle anderen Derivatkontrakte in Bezug auf Waren, die effektiv geliefert werden können, die sonst nicht in Nummer 6 dieses Abschnitts genannt sind und nicht kommerziellen Zwecken dienen, die die Merkmale anderer derivativer Finanzinstrumente aufweisen;

(8) Derivative Instrumente für den Transfer von Kreditrisiken;

(9) Finanzielle Differenzgeschäfte;

(10) Optionen, Terminkontrakte (Futures), Swaps, außerbörsliche Zinstermingeschäfte (Forward Rate Agreements) und alle anderen Derivatkontrakte in Bezug auf Klimavariablen, Frachtsätze, Inflationsraten oder andere offizielle Wirtschaftsstatistiken, die bar abgerechnet werden müssen oder auf Wunsch einer der Parteien bar abgerechnet werden können, ohne dass ein Ausfall oder ein anderes Beendigungsereignis vorliegt, sowie alle anderen Derivatkontrakte in Bezug auf Vermögenswerte, Rechte, Obligationen, Indizes und Messwerte, die sonst nicht im vorliegenden Abschnitt C genannt sind und die die Merkmale anderer derivativer Finanzinstrumente aufweisen, wobei unter anderem berücksichtigt wird, ob sie auf einem geregelten Markt, einem OTF oder einem MTF gehandelt werden;

(11) Emissionszertifikate, die aus Anteilen bestehen, deren Übereinstimmung mit den Anforderungen der Richtlinie 2003/87/EG (Emissionshandelssystem) anerkannt ist.

Weiterführende rechtliche Bedenken verbinden sich auch mit der Befugnis der Kommission, die Inhalte der in § 104 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 in Bezug genommenen Finanzinstrumente im Rahmen delegierter Rechtsakte zu verändern. In Artikel 4 Abs. 2 der Richtlinie wird der Kommission die durch Art. 89 näher ausgestaltete Befugnis zum Erlass delegierter Rechtsakte übertragen: „Der Kommission wird die Befugnis übertragen, delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 89 zu erlassen, um einige technische Elemente der Begriffsbestimmungen in Absatz 1 zu bestimmen, mit dem Ziel, sie an die Marktentwicklungen, die technologischen Entwicklungen und die Erfahrungen mit nach der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 verbotenen Tätigkeiten anzupassen und die einheitliche Anwendung dieser Richtlinie sicherzustellen.“

In ihrer Wirkung auf den § 104 Abs.1 Satz 4  InsO-E entspricht diese Befugnis einer Ermächtigung, die nach deutschem Recht (Art. 80 GG) nur durch eine Verordnungsermächtigung übertragen werden kann. Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG können in dieser Weise nur die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen ermächtigt werden. Zudem muss die Ermächtigung nach Inhalt, Zweck und Ausmaß im Gesetz bestimmt werden (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG).

Die rechtlichen Bedenken werden gestützt durch die Annahme einer delegierten Verordnung (EU) vom 25.04.2016 zur Ergänzung der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die organisatorischen Anforderungen an Wertpapierfirmen und die Bedingungen für die Ausübung ihrer Tätigkeit sowie in Bezug auf die Definition bestimmter Begriffe für die Zwecke der genannten Richtlinie (C (2016) 2398 final) durch die Kommission.

Die von der Kommission angenommene Verordnung „soll insbesondere die Vorschriften festlegen, die sich auf eine Befreiung, die organisatorischen Anforderungen für Wertpapierfirmen, Datenbereitstellungsdienste, Wohlverhaltensregeln bei der Erbringungen von Wertpapierdienstleistungen, die kundengünstigste Ausführung von Aufträgen, die Bearbeitung von Kundenaufträgen, die KMU-Wachstumsmärkte, die Grenzwerte, ab denen die Pflichten zur Meldung von Positionen gelten, und die Kriterien, nach denen sich bestimmt, ob die Geschäfte eines Handelsplatzes in einem Aufnahmemitgliedstaat als von wesentlicher Bedeutung für das Funktionieren der Wertpapiermärkte und den Anlegerschutz angesehen werden können, beziehen. (http://ec.europa.eu/finance/securities/isd/mifid2/index_de.htm)

Dies zeigt, dass nicht nur „einige technische Elemente der Begriffsbestimmungen“, sondern vielmehr auch Regelungen zur grundsätzlichen Anwendbarkeit getroffen werden sollen.

Zuletzt in 2 BvR 414/08, Rz.39 hat das BVerfG ausgeführt, dass eine Bezugnahme auf Normen und Begriffe des Rechts der Europäischen Union nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist, sofern es sich um feststehende und nicht ohne Weiteres veränderbare Rechtsbegriffe handelt. Allerdings zeigt die zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch deutlich den engen Rahmen einer solchen Bezugnahme auf, wenn es heißt:

„Grenzen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers können sich aus den allgemeinen rechtsstaatlichen Anforderungen an den Einsatz von Verweisungen ergeben. Verweisungen sind als vielfach übliche und notwendige gesetzestechnische Methode anerkannt, sofern die Verweisungsnorm hinreichend klar erkennen lässt, welche Vorschriften im Einzelnen gelten sollen und wenn die in Bezug genommenen Vorschriften dem Normadressaten durch eine frühere ordnungsgemäße Veröffentlichung zugänglich sind (vgl. BVerfGE 47, 285 <311> ). Auch dynamische Verweisungen sind nicht schlechthin ausgeschlossen, wenngleich ein besonders strenger Prüfungsmaßstab im Einzelfall geboten sein kann. Bei fehlender Identität der Gesetzgeber bedeutet eine dynamische Verweisung mehr als eine bloße gesetzestechnische Vereinfachung; sie führt zur versteckten Verlagerung von Gesetzgebungsbefugnissen und kann daher Bedenken unter bundesstaatlichen, rechtsstaatlichen und demokratischen Gesichtspunkten ausgesetzt sein ( BVerfGE 47, 285 <312> ).“

Eine Verweisung auf Unionsrecht wäre deshalb im Zusammenhang mit der vorgeschlagenen Änderung des § 104 Abs. 2 Satz 2 Nr.2 InsO nicht von vorneherein ausgeschlossen. Die Verfassungsmäßigkeit einer solchen Verweisung wäre jedoch an einem besonders strengen Prüfungsmaßstab zu messen.

II. zu §104Abs. 2 InsO-E

In § 104 Abs. 2 InsO-E nimmt die Regelung des § 104 Abs. 3 InsO auf und modifiziert sie. Die Begründung des Entwurfs (S.19/20) führt dazu aus:

„Er (Anm.: § 104 Abs. 2 InsO-E) übernimmt und konkretisiert dabei den Regelungsgehalt des § 104 Absatz 3 InsO, nicht aber dessen Wortlaut, der – historisch bedingt – auf die Besonderheiten des in § 104 Absatz 1 InsO geregelten Fixhandelskaufs zugeschnitten ist und daher bei derivativen Instrumenten wie z. B. Optionen und Swaps zu Auslegungsschwierigkeiten und Unklarheiten führt. Aus diesem Grund stellt § 104 Absatz 2 InsO-E auf den Markt- und Börsenwert des Geschäfts ab, anstatt wie bisher auf die Differenz zwischen dem vereinbarten und dem Markt- und Börsenpreis. In der Sache ändert sich damit nichts, da auch bislang davon auszugehen war, dass es im Ergebnis auf den Preis eines hypothetischen Ersatzgeschäfts und damit auf den Wert der Position ankommt, die durch das in Wegfall geratene Geschäft vermittelt wurde.“

Die Begründung (a.a.O.) kommt deshalb zu dem Schluss, dass eine Behebung der angesprochenen Schwierigkeiten ohne Rückgriff auf rechtsgeschäftliche Konkretisierungen in den einschlägigen Vertragsdokumentationen kaum verlässlich möglich sei und deshalb die Parteien auch privatautonome Regelungen zur näheren Bestimmung des maßgeblichen Markt- und Börsenwerts treffen können müssten, wie dies § 104 Absatz 4 InsO-E nunmehr klarstelle.

Der damit grundsätzlich verbesserten Rechtssicherheit steht allerdings die Formulierung des § 104 Abs.2 Satz 3 InsO-E entgegen: „Sofern das Marktgeschehen den Abschluss eines Ersatzgeschäfts nach Satz 2 Nummer 1 oder 2 nicht zulässt, ist der Markt- und Börsenwert nach Methoden und Verfahren zu bestimmen, die Gewähr für eine angemessene Bewertung des Geschäfts bieten.“ Hier erscheint fraglich, ob die in § 104 Abs.4 Satz 2 Nr.3 InsO-E eingeräumten Gestaltungsmöglichkeiten solche Methoden und Verfahren abschließend beschreiben.

Die privatautonome Regelung zur näheren Bestimmung des maßgeblichen Markt- und Börsenwerts begegnet allerdings auch grundsätzlichen Bedenken. Der BGH (a. a. O. Rn. 60) sieht in § 104 Abs. 3 InsO eine dezidiert masseschützende Funktion:

„Es wäre widersprüchlich, wenn einerseits die Masse durch § 104 Abs. 2 InsO geschützt werden soll, indem diese Vorschrift kein Insolvenzverwalterwahlrecht vorsieht, andererseits die Parteien gerade diesen Zweck des Masseschutzes durch individualvertragliche Vereinbarungen umgehen könnten, die eine von § 104 Abs. 3 InsO zu Lasten der Masse abweichende Berechnungsweise des Ausgleichsanspruchs vorsehen. Insbesondere die von den Klägerinnen reklamierte und im Rahmenvertrag, nicht jedoch in § 104 Abs. 3 InsO vor gesehene Beschränkung eines von der solventen Partei auszugleichenden finanziellen Vorteils auf den von der insolventen Partei erlittenen Schaden (Nr. 8 Abs. 2 Satz 1 Rahmenvertrag) wäre geeignet, das durch § 104 Abs. 3 InsO gewährleistete Niveau des Masseschutzes abzusenken. Der Umstand, dass in § 104 Abs. 2 Satz 3 InsO Rahmenverträge über Finanzleistungen erwähnt werden, eröffnet nicht die Möglichkeit, über den in dieser Vorschrift vorgesehenen Regelungsrahmen hinaus Abweichungen von § 104 InsO vertraglich vorzusehen.“

 Die hier angesprochene Frage des Masseschutzes wird nun durch § 104 Abs. 4 InsO-E zugunsten derogativer Vereinbarungen beantwortet. § 104 Abs. 4 Satz 1 InsO-E sieht dabei noch eine Wahrung der wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung vor, ohne diese allerdings konkret zu benennen. In der Begründung (S. 13) wird hierzu ausgeführt:

„Im Unterschied zu den §§ 103, 105 ff. InsO schützt § 104 InsO in erster Linie nicht die Insolvenzmasse, sondern den Vertragsgegner. Da die in den Anwendungsbereich des § 104 InsO einbezogenen Verträge mit Marktpreisrisiken behaftet sind, werden sie vom Verwalterwahlrecht ausgenommen und durch den Ausschluss der Erfüllungsansprüche kraft Gesetzes beendet…… Steht hiernach nicht der Schutz der Insolvenzmasse im Vordergrund, sondern der Schutz des Vertragsgegners, kann es den Parteien ohne Weiteres überlassen bleiben, zweckentsprechende Vereinbarungen privatautonom zu treffen, um für ein gleichermaßen praktikables wie rechtssicheres Verfahren zur Durchführung des Lösungsmechanismus zu sorgen.“

Zum Inhalt der gesetzlichen Grundgedanken führt die Begründung (s.14) aus:

„§ 104 Absatz 4 Satz 1 InsO-E stellt vor diesem Hintergrund klar, dass die Parteien von den gesetzlichen Bestimmungen abweichen können, soweit dies mit dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung vereinbar ist. Für die Prüfung, ob eine von § 104 InsO-E abweichende vertragliche Regelung nach § 119 InsO unwirksam ist, kommt es deshalb allein auf solche Abweichungen an, die dem Zweck des gesetzlichen Beendigungs- und Abwicklungsmechanismus widersprechen. Dieser besteht darin, den Vertragsgegner von den Unwägbarkeiten zu entlasten, die mit dem Verwalterwahlrecht verbunden wären.“

Demgegenüber hat der BGH (a.a.O. Rn. 61 ff.) überzeugend dargelegt, dass die Anwendung des § 104 InsO in seiner bisherigen Fassung nicht zu einem unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten untragbaren Ergebnis führt. Die Annahme des InsO-E, § 104 InsO schütze nicht in erster Linie die Insolvenzmasse, wird außerdem durch den Blick auf die Begründung des Regierungsentwurfs 1992 (s. oben) nicht bestätigt. Die dort betonte Verhinderung von Unsicherheit und Spekulation wird als gesetzliche Zweckrichtung nur wirksam, weil sie nach der Annahme des Gesetzgebers keine Nachteile für die Masse auslöst. Der Verwalter habe, wenn er die Ware zur Fortführung des Unternehmens des Schuldners benötige, ohne Schwierigkeiten die Möglichkeit, sich anderweitig einzudecken. Systematisch ist eine solche Stellung des § 104 InsO ohnehin nicht anzunehmen. Als Ausnahmeregelung zu § 103 InsO steht er in engem Bezug zum Wahlrecht des Insolvenzverwalters das wiederum eindeutig masseschützenden Zwecken dient. Im Ergebnis vermag deshalb die durch den InsO-E vorgeschlagene Lösung nicht zu überzeugen.

Entgegen der seinerzeitigen Begründung zum Gesetzesentwurf ist es für den Insolvenzverwalter heute gerade nicht ohne Weiteres möglich, ohne gravierende Nachteile für die Insolvenzmasse und damit für den Unternehmenserhalt alternative Deckungsgeschäfte abzuschließen. Besonders deutlich wird dies durch die letztendlich diesem Gesetzesentwurf ebenfalls vorangegangene Entscheidung des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 2012 (BGH IX ZR 169/11, BGHZ 195 348), bei der der Insolvenzverwalter durch eine insolvenzbedingte Kündigung der Energielieferverträge gezwungen war, mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen neuen Energievertrag zum Abschluss zu bringen. Im konkreten Sachverhalt lagen die Energiekosten über dem Dreifachen der ursprünglich vereinbarten Energiepreise. Die Nachteile für alle am Insolvenzverfahren beteiligte Gläubiger und damit auch den Erhalt von Unternehmen und Arbeitsplätzen sind daher real und nicht so abstrakt, wie es die komplexe Formulierung der gesetzlichen Vorschriften und die Bezugnahme auf die EU-Richtlinien vermuten lässt.

 

III. zu § 104 Abs. 3 InsO-E

 aa) §104 3 Satz 1 InsO-E

Die Regelung des § 104 Abs. 2 Satz 3 InsO wird als § 104 Abs. 3 Satz 1 Inso-E in die Neufassung nahezu wortgleich übernommen. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang aber die Einbeziehung von Warentermingeschäften in die bislang nur auf Geschäfte über Finanzleistungen bezogene Regelung.

Die Begründung des Entwurfs (S. 21) sieht hier keine grundlegende Erweiterung der Ausnahmeregelung des § 104 InsO:

„In der Einbeziehung der Warentermingeschäfte des § 104 Absatz 1 InsO liegt nur vordergründig eine Neuerung gegenüber der bisherigen, auf Finanzleistungsverträge beschränkten Regelung in § 104 Absatz 2 Satz 3 InsO. Warentermingeschäfte sind mittlerweile auch in den Finanzinstrumentebegriff der neugefassten Finanzmarktrichtlinie einbezogen worden, sodass sie nach den zur Begründung der Neufassung des § 104 Absatz 1 InsO-E angestellten Überlegungen über weite Strecken bereits als Finanzleistungsverträge gelten.“

Im Begleitschreiben (S. 3) zum Referentenentwurf InsO-E betonte das BMJV demgegenüber die Bedeutung der Erweiterung für die Absicherung weiterer Märkte:

„Im Energiegroßhandelsmarkt und im Rohstoffhandel sind Liquidationsnettingklauseln ebenfalls von besonderer Bedeutung. Denn auch bei Optionen über Warentermingeschäfte verhindert das Liquidationsnetting, dass der Vertragsgegner der insolventen Partei Marktpreisrisiken ausgesetzt ist.“

Hierin liegt eine bedeutsame Erweiterung des Ausnahmecharakters von § 104 InsO, die durch die von der Begründung des InsO-E zitierte Umsetzung der Richtlinie nicht gedeckt ist. Dort wird in Art. 1 Abs. 1 Satz 1 der Anwendungsbereich auf Wertpapierfirmen beschränkt (s.o.). Eine Systemrelevanz der angesprochenen Energiegroßhändler oder Rohstoffhändler sowie weiterer vergleichbarer Wirtschaftszweige ist nicht erkennbar.

Es ist an diesen Geschäftszweigen diese Marktrisiken einzupreisen. Einzupreisen wie etwa heute schon der Forderungsausfall selbst über Kreditversicherungen oder ähnliche Instrumentarien abgesichert wird. So äußert sich auch der ansonsten schon aufgrund der Neutralitätsverpflichtung seiner Mitglieder eher zurückhaltende Deutsche Notarverein in der Stellungnahme vom 12.08.2016 zu dem vorliegenden Gesetzesentwurf:

„Die Marktteilnehmer sollten diese Insolvenzrisiken einpreisen. Schon der jetzige § 104 InsO schafft einen Anreiz zum moral hazard, da allen EU-Richtlinien zum trotz doch wieder der Steuerzahler wird haften müssen. Ob andere Gläubiger oder die Allgemeinheit, irgendjemand muss die Kosten einseitiger Privilegierung bezahlen.“

Die von der Begründung des InsO-E zitierten bankaufsichtsrechtlichen Implikationen finden sich bei Energiegroßhandel oder Rohstoffhandel nicht.

Die außerhalb des Finanzmarktes zur Absicherung von Marktpreisrisiken abgeschlossenen Rahmenvereinbarungen werden vor allem auf der Großhandelsstufe genutzt um Einzelabschlüsse für Bezug und Verkauf von Rohstoffen zu erleichtern. Rechtsunsicherheiten über ihre Wirksamkeit bringen ohne Zweifel Wettbewerbsnachteile in Form eingeschränkter Handelsmöglichkeiten mit sich (vgl. hierzu die gem. Erklärung von bdew et al. vom 13.8.2014). Aus den in bestimmten Märkten üblichen Vereinbarungen zur Minimierung von Kreditrisiken kann jedoch nicht der allgemeine Grundsatz abgeleitet werden, dass solche Vereinbarungen auch insolvenzrechtlich privilegiert werden müssen. Dies gilt zumindest solange in diesen Märkten keine regulativen Eingriffe stattfinden, die in ihren Auswirkungen ansonsten (etwa durch erhöhte Eigenkapitalanforderungen) eine entsprechende Entlastung begründen können.

 bb) §104 3 Satz 2 und 3 InsO-E

In § 104 Abs. 3 Satz 2 und 3 InsO-E finden sich Ergänzungen des bisherigen Regelungsgehalts, die als klarstellende Regelungen sinnvoll erscheinen.

 

IV. zu §104Abs. 4 InsO-E

In § 104 Abs. 4 InsO-E wird der vertraglichen Derogation des § 104 ein breiter Spielraum eingeräumt (s.o.). Dieser breite Spielraum soll als Antwort auf die einschränkende Auslegung durch den BGH insbesondere einen Eintritt der Wirkungen des § 104 Abs. 1 InsO schon bei Verfahrenseröffnung möglich machen.

Damit wird die vom BGH judizierte (Rn.58 unter Verweis auf BGH, Urteil vom 15. November 2012 – IX ZR 169/11, BGHZ 195, 348 Rn. 19) Vorwirkung des § 119 InsO umgangen, die zentrale Bedeutung für den Masseschutz entfaltet:

„Könnte eine Lösungsklausel wirksam an die Insolvenzantragstellung anknüpfen, würde in der Praxis die Eröffnung des Insolvenzverfahrens selbst als Anknüpfung für nur dann als unwirksam anzusehende Lösungsklauseln jede Bedeutung verlieren (BGH, a.a.O). Der vor §§ 104, 119 InsO beabsichtigte Masseschutz könnte ohne weiteres ausgeschlossen und der Zweck der Vorschrift unterlaufen werden (BGH, a.a.O).“

 Schon die vorgeschlagene Formulierung des § 104 Abs.4 Satz 1 InsO-E erscheint bedenklich, weil sie eine Derogation gesetzlicher Regelungen durch „die Vertragsparteien“ (einer Rahmenvereinbarung i.s.d. § 104 Abs.3 InsO-E?) anspricht ohne diese Regelungen explizit zu nennen. Einer Auslegung wäre damit ein potentiell weiter Anwendungsbereich eröffnet, der über § 104 InsO hinausweist.

Bedenklich erscheint in diesem Zusammenhang auch die Möglichkeit, in § 104 Abs.4 Satz 2 Nr.1 InsO-E auf das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes abzustellen. Die Feststellung, zu welchem Zeitpunkt ein Eröffnungsgrund vorliegt, kann selbst in großen Verfahren erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Vielfach wird in solchen Fällen deshalb auf die Angabe eines genauen Datums verzichtet und lediglich ausgeführt, dass ein Eröffnungsgrund „spätestens zum….“ vorgelegen habe. Ein Abstellen auf das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes kann deshalb im hier betroffenen Regelungszusammenhang zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten und erheblicher Rechtsunsicherheit führen.

Für die Ermittlung des Markt-und Börsenpreises soll in § 104 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 InsO-E nun ein maßgeblicher Zeitpunkt oder Zeitraum vereinbar werden. Auch diesem Vorschlag ist die vom BGH überzeugend begründete Vorwirkung des § 119 InsO entgegen zu halten. Zu Recht weist der BGH (a.a.O.Rn.60) auch auf die Widersprüchlichkeit einer entsprechenden Regelung hin: „Es wäre widersprüchlich, wenn einerseits die Masse durch § 104 Abs. 2 InsO geschützt werden soll, indem diese Vorschrift kein Insolvenzverwalterwahlrecht vorsieht, andererseits die Parteien gerade diesen Zweck des Masseschutzes durch individualvertragliche Vereinbarungen umgehen könnten, die eine von § 104 Abs. 3 InsO zu Lasten der Masse abweichende Berechnungsweise des Ausgleichsanspruchs vorsehen.“

 Im Ergebnis sollte auf die Änderungen des § 104 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 bis 3 InsO-E verzichtet werden. Eine vertragliche Derogation der gesetzlichen Regelung des § 104 InsO erscheint jedenfalls in der hier angelegten breiten Anwendung nicht gerechtfertigt.

V. Ausnahmecharakter stärken

Eine Erweiterung der durch § 104 InsO geregelten Ausnahme vom Grundsatz des § 103 InsO zu Gunsten anderer Wirtschaftsbereiche erscheint durch aufsichtsrechtliche Implikationen nicht geboten. Daher ist die in § 104 InsO verankerte Ausnahme auf das absolut zwingende Mindestmaß zu reduzieren und gerade nur auf solche Rahmenverträge zu erstrecken, die einer aufsichtsrechtlichen Kontrolle unterliegen.

Aus diesem Grunde sollten die durch § 104 Abs.4 Satz 1 InsO-E eröffneten Möglichkeiten auf spezifisch aufsichtsrechtlich implizierte Anwendungen beschränkt werden. Dazu könnte folgende Umformulierung des § 104 Abs.4 Satz 1 InsO-E erwogen werden:

„Der Rahmenvertrag kann von den Abs.2 und 3 abweichende Bestimmungen treffen, wenn das Bestehen eines solchen Rahmenvertrages aufsichtsrechtlich anerkannt ist und die Rechtsfolgen der Abs. 1 bis 3 den aufsichtsrechtlichen Anforderungen nicht genügen. „ 

VI. Fazit

Nach diesseitiger Auffassung muss ein Eingriff in die Insolvenzordnung und damit eine Reform des § 104 InsO auf das unbedingt zum Erhalt der funktionierenden Finanzmärkte zwingend Notwendige beschränkt werden. Daher lässt sich die vorstehende Stellungnahme wie folgt zusammenfassen.

  • § 104 InsO muss zum Schutz der Insolvenzmasse, des Erhalts von Unternehmen und des Erhalts von Arbeitsplätzen als Ausnahme vom Grundsatz des in § 103 InsO geregelten und durch § 119 InsO geschützten Wahlrechts verstanden werden.
  • Nur solche Rahmenverträge, die auch einer aufsichtsrechtlichen Kontrolle unterliegen, dürfen in die Ausnahmeregelung des § 104 InsO einbezogen werden, insoweit bedarf es einer in § 104 Abs. 4 Satz 1 InsO aufzunehmenden Klarstellung.
  • Eine echte Rückwirkung stößt auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, da der Gesetzgeber mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf gerade keine unklare Rechtssituation regelt. Die seinerzeitigen Parteien des Rechtsstreits haben sich schlichtweg nicht an bestehende gesetzliche Regelung und damit an die Vorgaben des § 104 InsO gehalten.
  • Die weitreichende Bezugnahme auf die EU-Richtlinien ist verfassungsrechtlich bedenklich, da nicht der deutsche Gesetz- bzw. Verordnungsgeber, sondern letztendlich die EU-Kommission Inhalt und Umfang der Ausnahmeregelung nach § 104 InsO und damit letztendlich auch das in § 103 InsO geregelte Wahlrecht bestimmt.
  • Durch eine weitere Privilegierung nicht nur der Finanzwirtschaft, sondern auch des Energiegroßhandels, des Elektrogerätegroßhandels, des Getreidehandels, des Rohstoffhandels etc. wird der vom Gesetzgeber in verschiedenen Gesetzen ausdrücklich vertretene Grundsatz „Sanieren statt Liquidieren“ konterkariert. Zukünftig könnte es daher heißen „Privilegieren statt Sanieren“.

Stellungnahme des VID zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.07.2016, BT-Drs. 18/9525

A. Vorbemerkung

Der vorliegende Regierungsentwurf (im Folgenden RegE) steht in einem vielfältigen und deutlichen Spannungsverhältnis zu wesentlichen Grundprinzipien des deutschen Insolvenzrechts. Allem voran betroffen sind das Grundprinzip der Gläubigergleichbehandlung und der Erhalt sanierungsfähiger Unternehmen und damit auch der Erhalt von Arbeitsplätzen.

Das deutsche Insolvenzrecht ist als Gesamtvollstreckungsrecht unter Wahrung des Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes ausgestaltet. Seit Inkrafttreten der neuen Insolvenzordnung am 01.01.1999 wurde immer wieder versucht, diesen Grundsatz zugunsten einzelner Gläubigergruppen auszuhöhlen. Die dazu vorgebrachten Begründungen stellten gleichsam darauf ab, dass die jeweilige Gläubigergruppe besonders schützenswert und die Wiedereinführung eines Vorrechts zwingend geboten sei.

Auch der hier vorliegende Regierungsentwurf greift in den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung ein, indem er den Opfern von Straftaten einen bevorrechtigten Zugriff auf das Vermögen des Täters einräumt.

Bereits der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme darum gebeten, die insolvenzrechtlichen Auswirkungen der geplanten Neuregelungen (§§ 111d, 111h, 111i StPO-E) im weiteren Gesetzgebungsverfahren erneut zu überprüfen und darauf verwiesen, dass diese mit dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung im Insolvenzverfahren kaum zu vereinbaren sind. Auch steht insgesamt zu befürchten, dass durch die Stärkung sowie die Ausweitung von Beschlagnahme und Arrest die „normalen“ Gläubiger, die nach geltender Rechtslage zumindest eine anteilige Befriedigung ihrer Ansprüche erwarten konnten, hinter den strafgeschädigten Opfern, aber vor allem auch hinter dem Fiskus zurücktreten müssen. (BR-Drs. 418/16 vom 23.09.2016, S. 5)

Die Häufigkeit von sog. Kriminalinsolvenzen und die gleichzeitige Betroffenheit der Opfer von Straftaten zusammen mit sonstigen Insolvenzgläubigern (ohne eine solche Opfereigenschaft) machen hier eine sorgfältige Abwägung der betroffenen Rechtspositionen notwendig.

Die Regelungen des Regierungsentwurfs greifen nicht nur in Fällen typischer Kriminalinsolvenzen mit betrügerischen Geschäftsmodellen.  Sie erfassen auch Fälle, in denen Straftaten ein funktionierendes und rechtmäßiges Geschäftsmodell begleiten.

Gerade für die Sanierungsfähigkeit solcher Unternehmen sieht die Insolvenzordnung nicht nur die Verpflichtung zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes bis zur ersten Gläubigerversammlung (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO) vor, sondern schützt den Unternehmenskern etwa durch Kündigungssperren (§ 112 InsO), Rückschlagsperren (§ 88 InsO) und der Nutzung auch mit Absonderungsrechten behafteter Gegenstände (§ 172 Abs. 1 Satz 1 InsO) vor dem Zugriff einzelner Gläubiger. Damit soll das Unternehmen im Gesamten erhalten und die Grundlage für die Fortführung des Unternehmens und damit der Erhalt von Arbeitsplätzen geschaffen werden.

Mit dem Entzug von wesentlichen Vermögenswerten infolge der durch den RegE vorgesehenen gesetzlichen Regelungen bestünde die Gefahr, dass die wesentlichen Grundlagen dem Unternehmen entzogen und einer anderweitigen Verwertung zugefügt werden. Nicht nur der volkswirtschaftliche Schaden, sondern auch der Schaden für die nicht dinglich gesicherten, aber dennoch schutzwürdigen Insolvenzgläubiger wäre fatal und verfassungsrechtlich wohl auch höchst bedenklich.

 

B. Im Einzelnen

1. § 73 StGB-RegE

Der Deutsche Richterbund (Nr. 9/16, Juni 2016, S. 2) hatte sich bereits zum vorangegangenen Referentenentwurf geäußert. Er befürchtet, dass der (Referenten-) Entwurf „auch dort, wo öffentliche Stellen wie Finanzämter oder Sozialleistungsträger eigene Rechte zur Durchsetzung ihrer Steuer-und Sozialabgabenansprüche besitzen, die Einziehung von Erlangtem – hier: ersparte Steuern und Sozialabgaben – als Pflichtprogramm für die Strafjustiz vorsieht“.

Es steht zu befürchten, dass bei Nichtzahlung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen über einen längeren Zeitraum, bzw. bei Nichtzahlung in einer wiederholten Anzahl von Fällen, die Möglichkeit einer Einziehung nach § 73 StGB-RegE wegen des Verdachts der Verwirklichung des § 266a StGB, bzw. § 370 AO dazu führen wird, dass Fiskus und Sozialkassen versuchen werden, die letzten finanziellen Mittel des Beitrags-, bzw. Steuerschuldners/-pflichtigen unter Zuhilfenahme der Staatsanwaltschaft insolvenzanfechtungsfest zu erlangen. Ein solches Anfechtungsrisiko besteht derzeit in den Fällen, in denen Fiskus und Sozialkassen nach Fälligkeit und Nichtzahlung offener Sozialversicherungsbeiträge und Steuern selbst Titel schaffen und im kritischen Zeitraum aus diesen vollstrecken, bzw. der Betroffene sog. „Druckzahlungen“ leistet.

Auf die durch den Entwurf nicht vollständig geklärten Abgrenzungsstreitigkeiten zum sog. Bruttoprinzip, d.h. der Frage des tatsächlichen Umfangs  der  Abschöpfung der deliktisch erlangten Vermögenswerte, soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Die Beantwortung der Streitfragen wird jedoch (erheblichen) Einfluss auf den Umfang der Insolvenzmasse (§ 35 InsO) haben.

 

2. Kumulierte Wirkung der §§ 73, 73a, 76 a StGB-RegE und §§ 111b, 111d, 111e, 111h StPO-RegE

 Die kumulierte Wirkung der Neuregelungen des Entwurfs, d.h.

  • die Ausgestaltung der Einziehung als Regelfall für jede rechtswidrige Tat aufgrund derer der Täter oder Teilnehmer – vereinfacht – etwas erlangt (§§ 73, 73a, 76a StGB-RegE),
  • das Ausreichen eines Anfangsverdachts für eine Beschlagnahme (§ 111b StPO-RegE), bzw. einen Vermögensarrest (§ 111e StPO-RegE),
  • das Entfallen einer Befristung (§ 111b StPO-RegE)
  • und die Wirkung der Beschlagnahme und des Vermögensarrestes als Veräußerungsverbot (§§ 111d und 111h StPO-RegE)

erweitert die Möglichkeiten eines weitreichenden Eingriffs in die grundrechtlich geschützten Rechtsgüter des Beschuldigten /Täters. Ein effektiver Grundrechtsschutz durch Verfahren und eine sorgfältige Interessenabwägung sind daher zwingend erforderlich.

 

3. § 111d StPO-RegE

a) Allgemein

Der Bundesrat hat die geplante Neuregelung des § 111d StPO-E, mit der die Beschlagnahme ausnahmslos für insolvenz- und anfechtungsfest erklärt wird, als vollständige Umkehr des  bislang bestehenden Verhältnisses zwischen Insolvenzrecht und strafrechtlichen Beschlagnahmewirkungen bezeichnet (BR-Drs. 418/16 vom 23.09.2016, S. 5 – Ebenfalls kritisch hierzu mit ausführlicher Begründung Frind, NZI 2016,675 f., der zurecht auf die Unvereinbarkeit dieser Neuregelung mit dem insolvenzrechtlichen Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz hinweist). Eine solche Umkehr, die mit guten Gründen als Privilegierung von Opferansprüchen in der Insolvenz des Täters noch bei der Novelle des § 111i StPO (BT-Drs. 16/700 – s. auch Frind, a.a.O. S.677) abgelehnt wurde, begegnet erheblichen rechtlichen und praktischen Bedenken.   

b) Reichweite des Sicherungsrechtes

Mit Bittmann (ZinsO 2016, 873, 882) ist daher zunächst die Frage zu stellen, welche Reichweite das hier vorgesehene Sicherungsrecht bekommen soll.

Die hier gewählte Gleichstellung der bereits bisher qua Aussonderungsrecht privilegierten Gegenstände mit sonstigen (z.B. betrügerisch erlangten) Gegenständen erscheint sowohl unter rechtlichen wie auch unter praktischen Gesichtspunkten ungerechtfertigt.

Im Vorfeld einer Insolvenz werden oftmals Gegenstände unter Vortäuschung einer eigentlich nicht mehr bestehenden Zahlungsfähigkeit gekauft und übereignet (Eingehungsbetrug). Würden solche Fälle in Zukunft eine insolvenzsichere Beschlagnahmemöglichkeit eröffnen, dann wäre abzusehen, dass gut beratene Geschädigte sich in jedem Fall an die regelmäßig auch wegen Insolvenzverschleppung ermittelnde Staatsanwaltschaft mit der Bitte wenden würden, das im Kaufwege Übertragene zu beschlagnahmen.

Das BVerfG hat in seiner Entscheidung vom 17.4.2015 (2 BvR 1986 / 14) zur Schutzfunktion des Eigentums ausgeführt (Rz.12):

„Art. 14 Abs. 1 GG schützt nicht nur den Bestand der Eigentumsposition, sondern auch deren Nutzung. Die Entziehung von deliktisch erlangtem Eigentum als Nebenfolge einer strafrechtlichen Verurteilung beruht auf der Bestimmung des Inhalts und der Schranken des Eigentums durch das Strafgesetzbuch (vgl. BVerfGE 110, 1 <24 f.>). Sicherungsmaßnahmen des strafprozessualen Arrests zur Rückgewinnungshilfe sind von Verfassungs wegen nicht grundsätzlich ausgeschlossen. An die Zumutbarkeit und an das Verfahren einer Anordnung nach §§ 111 ff. StPO sind aber besondere Anforderungen zu stellen. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass das möglicherweise strafrechtlich erlangte Vermögen zu einem Zeitpunkt sichergestellt wird, in dem lediglich ein Tatverdacht besteht und noch nicht über die Strafbarkeit entschieden worden ist. Das Eigentumsgrundrecht verlangt in diesen Fällen eine Abwägung des Sicherstellungsinteresses des Staates mit der Eigentumsposition des von der Maßnahme Betroffenen. Je intensiver der Staat schon allein mit Sicherungsmaßnahmen in den vermögensrechtlichen Freiheitsbereich des Einzelnen eingreift, desto höher sind die Anforderungen an die Rechtfertigung dieses Eingriffs. Im Hinblick darauf, dass es sich um eine lediglich vorläufige Maßnahme aufgrund eines Tatverdachts handelt, steigen die Anforderungen mit der Dauer der Nutzungs- und Verfügungsbeschränkung (vgl. BVerfGK 5, 292 <301>). Wird im Wege vorläufiger Sicherungsmaßnahmen das gesamte oder nahezu das gesamte Vermögen der Verfügungsbefugnis des Einzelnen entzogen, fordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht lediglich eine Vermutung, dass es sich um strafrechtlich erlangtes Vermögen handelt. Vielmehr bedarf es einer besonders sorgfältigen Prüfung und einer eingehenden Darlegung der dabei maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen in der Anordnung, damit der Betroffene gegen diese Rechtsschutz suchen kann (vgl. BVerfGK 5, 292 <301>).“  

Die hier durch das BVerfG betonte Schutzfunktion des Eigentums ist demnach in Verfahren nach den §§ 111b ff. StPO zu beachten und darf nicht dazu führen, dass Vermögenswerte lediglich auf der Basis einer Vermutung der Verfügungsbefugnis des Einzelnen entzogen werden.

Im Zusammenhang mit einer Insolvenz wird dieser Umstand bedeutsam, wenn die entzogenen Vermögenswerte, die nun regelmäßig dem Insolvenzbeschlag unterliegen, durch eine entsprechende Beschlagnahme mit einem Veräußerungsverbot belegt werden, das die Fortführung eines Unternehmens behindern oder sogar verhindern kann.

Ein solcher Effekt würde auch alle anderen Gläubiger des insolventen Schuldners treffen.  Er könnte Stör- und Erpressungspotential für einzelne Gläubiger eröffnen, das durch die Erhebung der Beschlagnahme bei Vorliegen dringender Gründe zum gesetzlichen Regelfall (s. Entwurfsbegründung S. 87) wesentlich vergrößert wird. Die Schwelle des § 111b Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO-RegE wäre in diesem Zusammenhang wohl noch nicht geeignet, Missbrauch zu verhindern:

„Ist die Annahme begründet, dass die Voraussetzungen der Einziehung oder Unbrauchbarmachung eines Gegenstandes vorliegen, so kann er zur Sicherung der Vollstreckung beschlagnahmt werden. Liegen dringende Gründe für diese Annahme vor, so soll die Beschlagnahme angeordnet werden. […]“   

c) Klarstellung zum Geldwäscheverdacht

Der in der Begründung (S. 88) angesprochenen Gefahr einer Inkriminierung des Insolvenzverwalters  (Geldwäsche)  sollte in diesem Zusammenhang zwingend durch eine entsprechende Klarstellung des Gesetzgebers begegnet werden.

 

4. § 111h StPO-RegE

 a) Klarstellung

Nach § 111h Abs. 1 StPO-RegE i. V. m. § 80 Abs. 2 Satz 2 InsO bleiben die Vorschriften über die Wirkungen einer Pfändung oder einer Beschlagnahme im Wege der Zwangsvollstreckung unberührt, wenn infolge eines Vermögensarrests ein Sicherungsrecht an Vermögensgegenständen des Arrestschuldners entsteht. Die hierdurch herbeigeführte Klarstellung ist zu begrüßen.

Die in § 111h Abs. 2 Satz 1 StPO-RegE ausgesprochene Unzulässigkeit der Einzelzwangsvollstreckung in Gegenstände, die im Wege der Arrestvollziehung gepfändet worden sind, erscheint insoweit folgerichtig

b) Fiskusprivileg

Mit Blick auf die nun durch § 111h Abs. 2 Satz 2 (und § 111e Abs. 6) StPO-RegE vorgesehene Privilegierung des Fiskus stößt die geplante Neuregelung jedoch auf erhebliche Bedenken. In ihrer Konsequenz würde eine doppelte Privilegierung des Steuerfiskus geschaffen – zum einen durch die bereits bestehende Möglichkeit der sog. Eigentitulierung und zum anderen durch die Möglichkeit der Vollstreckung vor Rechtskraft des Strafurteils (s. hierzu Bittmann, NZWiSt 2016, 131 ff. und ZInsO 2016, 873 ff. sowie Köllner/Cyrus/Mück, NZI 2016, 329 ff.).

Hier erscheint auch fraglich, ob dem § 324 AO die Wertung zu entnehmen ist, die ihm die Begründung des Entwurfes zuschreibt. In der Rechtsprechung wird der Arrestvollziehung nach § 324 AO die Möglichkeit der Aussetzung nach § 69 AO ausdrücklich auch ohne Sicherheitsleistung zugeordnet.

Der BFH (Beschluss vom 6.2.2013; XI B 125/12 – Rz. 23ff.) hat hierzu ausgeführt:

 „Der Senat teilt nicht die von Finanzgerichten vertretene Auffassung (vgl. auch Beschlüsse des Hessischen FG vom 4. Oktober 1973 B VI 15/73, EFG 1974, 25; des FG München vom 4. Oktober 1979 III 153/79 Aus Arr, EFG 1980, 110; des FG Hamburg vom 2. August 1999 IV 87/99, juris; vom 2. August 2007  2 V 167/07, juris), dass eine Aufhebung der Vollziehung –wie auch eine Aussetzung der Vollziehung vor Ablauf der Vollziehungsfrist gemäß § 324 Abs. 3 Satz 1 AO – grundsätzlich nur gegen Leistung einer Sicherheit in Betracht komme, weil andernfalls selbst im Falle der Bestätigung der Arrestanordnung im Hauptsacheverfahren eine erneute Vollziehung nicht mehr möglich wäre und damit der Sicherungszweck des Arrests endgültig beseitigt würde (vgl. auch Tormöhlen in Beermann/Gosch, AO § 324 Rz 66; Hohrmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 324 AO Rz 91; Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 324 AO Rz 48 dazu, dass eine Aussetzung „in der Regel“ nur gegen Sicherheitsleistung in Betracht komme, wobei Kruse in Tipke/Kruse, a.a.O., § 324 AO Rz 48 darauf hinweist, dass die Gefahr des Steuerausfalls vermindert sei, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit ein für den Steuerpflichtigen günstiger Prozessausgang zu erwarten sei).

 Diese Auffassung des FG entspricht weder der gesetzlichen Regelung des § 69 Abs. 3 FGO noch den Anforderungen an die nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich gebotene Gewährleistung effektiven (vorläufigen) Rechtsschutzes. Sind dem Richter im Interesse einer angemessenen Verfahrensgestaltung Ermessensbefugnisse eingeräumt, so müssen diese im konkreten Fall im Blick auf die Grundrechte ausgelegt und angewendet werden. Sie dürfen nicht zu einer Verkürzung des grundrechtlich gesicherten Anspruchs auf einen effektiven Rechtsschutz führen (vgl. BVerfG-Beschluss in HFR 2010, 70). Dabei ist zu berücksichtigen, dass, anders als im zivilprozessualen Arrestverfahren, der dingliche Arrest nach der Abgabenordnung von der Steuerverwaltung und nicht durch ein Gericht angeordnet wird. Die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung unter der Bedingung einer Sicherheitsleistung stellt eine teilweise Ablehnung i.S. von § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO dar (vgl. BFH-Beschluss vom 20. März 2002 IX S 27/00, BFH/NV 2002, 809), gegen die vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren ist. Dies gilt auch, soweit sich der Antragsteller gegen eine Arrestanordnung gemäß § 324 AO wendet. Dem FA verbleiben die Möglichkeiten einer beschleunigten (ggf. unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden) Steuerfestsetzung – im Streitfall der Erlass eines Haftungsbescheides gegen den Antragsteller – sowie einer raschen Vollstreckung (vgl. Verfügung der Oberfinanzdirektion Frankfurt vom 15. März 2006 S 0545-A-2-St II 4.04).

Ein Vorrang der Arrestvollziehung aus § 324 AO lässt sich vor diesem Hintergrund nicht rechtfertigen. Er sollte deshalb in diesem Zusammenhang auch nicht festgeschrieben werden.

 

5. § 111i StPO-RegE

a) Allgemein

Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme (BR-DS 418/16 vom 23.09.2016, S. 5 f.) bereits darauf verwiesen, dass § 111i StPO-E Sonderregelungen für das Erlöschen des insolvenzfesten Sicherungsrechts bei Taten mit Individualgeschädigten enthält. Dies führt dazu, dass (lediglich) der Fiskus im Falle seiner alleinigen Schädigung stets im Genuss des Sicherungsrechts bleibt. Zu Recht verweist der Bundesrat darauf, dass die daraus resultierende Stärkung der Position des Fiskus bei gleichzeitiger Schwächung der Stellung der strafgeschädigten Opfer sowie der durch das Insolvenzverfahren „bloß“ wirtschaftlich Benachteiligten den Zielen des Gesetzgebers der Stärkung des Opferschutzes widerspricht und eine unterschiedliche Behandlung widersprüchlich erscheint.

b) Insolvenzgründe

Nach der vorstehenden Begründung (S. 91, 93) regelt § 111i StPO-RegE die Folgen der Zahlungsunfähigkeit des von der Vollziehung des Arrestes Betroffenen für das strafprozessuale Sicherungsrecht (Arrestpfandrecht/-hypothek). Mit dem Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit ist jedoch nur § 17 InsO angesprochen.

Der Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) oder der Überschuldung (§ 19 InsO) bleiben in der von § 111i  Abs. 1 StPO-RegE geregelten Konstellation einer Insolvenzantragstellung durch den Betroffenen unberührt. Da der Wortlaut des § 111i Abs. 1 StPO-RegE nicht nach Insolvenzgründen differenziert, ist davon auszugehen, dass seine Wirkungen auch bei einer Insolvenzeröffnung aufgrund festgestellter drohender Zahlungsunfähigkeit  und/oder Überschuldung eintreten sollen.

c) Insolvenzantrag

Nach der Regelung des § 111i Abs. 2 StPO-RegE soll die Staatsanwaltschaft im festgestellten Mangelfall als von den Verletzten ermächtigt gelten, den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arrestschuldners zu stellen.

Diese gesetzliche Fiktion einer Antragsermächtigung muss wohl so verstanden werden, dass sie eine Ermächtigung nur zuspricht, solange nicht ein oder mehrere Verletzte einer Antragstellung widersprochen haben. Die Begründung (S. 92 ff. (93)) führt insoweit folgerichtig aus: „Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist ein Gläubigerantrag, weil die Staatsanwaltschaft nicht aus eigenem Recht, sondern für die Verletzten (Gläubiger) handelt.“

Damit ist u.a. die Frage aufgeworfen, ob der Antrag durch einen (oder alle?) Verletzungsgläubiger zurückgenommen werden kann (Ausführlich zu den weiteren problematischen Fragen im Zusammenhang mit dieser Neuregelung Frind, a.a.O., S.678 ff. m.w.N.). Gilt der Antrag der Staatsanwaltschaft als Antrag aller Verletzten, so umfasst er nicht alle möglichen Gläubiger des Arrestschuldners. Die Zahl der Verletzten kann im Vergleich zu der Zahl aller übrigen Gläubiger des Arrestschuldners relativ gering sein. Dies würde dafür sprechen, dass Eröffnungsanträge der Staatsanwaltschaft nur von allen Verletzungsgläubigern gemeinsam und nicht von einzelnen Verletzungsgläubigern zurückgenommen werden können. Gesetzliche Klarstellung erscheint hier sinnvoll.

d) Amtsermittlung durch Sachverständige

Eine weitere Frage stellt sich bei der Wirkung der durch die Staatsanwaltschaft festgestellten Vermögensumstände des Arrestschuldners. Die Begründung zu § 111i Abs. 2 StPO-RegE (S. 93 f.) geht davon aus, dass der Staatsanwaltschaft aufgrund ihrer Ermittlungsmöglichkeiten ein ausreichender Überblick über die Vermögenssituation des Arrestschuldners möglich ist:

Die Glaubhaftmachung des Eröffnungsgrundes (Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 InsO) ist der Staatsanwaltschaft ebenfalls in aller Regel aufgrund der für die strafrechtliche Aufklärung notwendigen Ermittlungen möglich. Zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit i. S. d. § 17 InsO sind die fälligen Zahlungsverpflichtungen (hier: die Forderungen der Verletzten im oben beschriebenen Sinn) mit den verfügbaren und kurzfristig (innerhalb von drei Wochen) liquidierbaren Zahlungsmitteln gegenüberzustellen. Es ist mithin nicht erforderlich, ein vollständiges Vermögensverzeichnis des Betroffenen (Tatbeteiligter oder Drittbegünstigter) zu erstellen. Es müssen vielmehr nur die verfügbaren und kurzfristig liquidierbaren Zahlungsmittel (etwa Bargeld, Schecks, Bankguthaben, Kreditmittel) und sonstige Vermögensgegenstände (Aktienbesitz, Uhrensammlung o. Ä.) festgestellt werden. Diese Vermögengegenstände werden typischerweise bei den in der Regel ohnehin zu führenden Finanzermittlungen festgestellt und im weiteren Verlauf gesichert.“

Die so ausermittelte Vermögenssituation würde eine weitere gutachterliche Feststellung von (weiteren) Insolvenzgründen regelmäßig überflüssig machen.

Eine entsprechende Klarstellung im Regelungstext erscheint sachgerecht. Bislang führt die Begründung des Regierungsentwurfes (S. 94) lediglich aus: Die Entscheidung darüber, ob die materiellen Voraussetzungen für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorliegen, obliegt allein dem Insolvenzgericht. […] Die Situation nach einem Antrag der Staatsanwaltschaft unterscheidet sich mithin nicht von der nach einem sonstigen (Eigen- oder Fremd-)Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Auf die Prüfung der Insolvenzgründe durch einen vom Insolvenzgericht bestellten Sachverständigen sollte nicht verzichtet werden. Sie stellt ein notwendiges Korrektiv dar, weil die Staatsanwaltschaft einen Gläubigerantrag (s.o. unter b) stellt und damit keine neutrale Position einnimmt.

 

6. § 111p StPO-RegE

Im Rahmen der Notveräußerung erscheint es sinnvoll, auf die Wirkung des § 89 Abs. 1 InsO hinzuweisen, der nach h. M. auch Maßnahmen der Vermögenssicherstellung nach den §§ 111b ff. StPO unterliegen (Vgl. Uhlenbruck/Mock, § 89 Rz.20 m. w. N.).

Lediglich bei bereits entstandenen dinglichen Sicherungen „greift § 89 Abs. 1 InsO nicht mehr ein, da insoweit ein insolvenzfestes Absonderungsrecht entstanden ist, das nur noch im Wege der Rückschlagsperre (§88) oder der Insolvenzanfechtung (§129ff.) beseitigt werden kann“ (Uhlenbruck/Mock, a.a.O. Rz.25).

Gerade bei den hier angesprochenen verderblichen Gütern wird die Rückschlagsperre bedeutsam, weil sie auch im Eröffnungsverfahren gilt (vgl. Uhlenbruck/Mock, § 88 Rz.59).  Eine Notveräußerung von soeben arrestierten Gegenständen könnte durch einen sich unmittelbar anschließenden – nicht von der Staatsanwaltschaft gestellten – Insolvenzantrag zwar wirksam aber anfechtbar werden.

Die Begründung (S. 99) führt zum erheblichen Wertverlust nach § 111 p Abs. 1 Satz 1 StPO-RegE aus: „Nach Satz 1 kann die Notveräußerung künftig bereits erfolgen, wenn ein „erheblicher“ Wertverlust droht. Die Grenze ist jedenfalls bei einem drohenden Wertverlust von zehn Prozent erreicht. Vor allem bei elektronischen Geräten und Kraftfahrzeugen ist damit eine frühzeitige Verwertung geboten.“

 Legt man diese Maßstäbe zugrunde, dann dürften in Zukunft trotz der Änderungen im Regierungsentwurf („kann“ statt „soll“) zahlreiche Konfliktfälle der geschilderten Art entstehen. Dies insbesondere auch in solchen Fällen, in denen sich die Justiz eigener elektronischer Verwertungskanäle (z.B. justiz-auktion.de) bedient, die eine Verwertung deutlich beschleunigen.  

 

Fazit

Die mit dem Regierungsentwurf vorgesehenen Änderungen stellen das Prinzip der Gläubigergleichbehandlung und auch den Erhalt sanierungsfähiger Unternehmen in Frage. Besonders das in § § 111 h Abs. 2 Satz 2 und § 111e Abs. 6 StPO RegE vorgesehene Privileg für den Fiskus verdeutlicht, dass derartige Eingriffe mit den vorgenannten Prinzipien nicht vereinbar sind und somit nur auf Kosten der übrigen am Insolvenzverfahren beteiligten Gläubiger durchgesetzt werden. Der grundsätzlich richtige Ansatz, das Recht der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung zu reformieren, kann daher nur unterstützt werden, wenn die wesentlichen Grundprinzipien des deutschen Insolvenzrechtes vollumfänglich beachtet werden.

 

Stellungnahme des VID zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren

A. Vorbemerkung

Mit dem vorliegenden Entwurf (im Folgenden RefE) soll die Verordnung (EU) 2015/848 (im Folgenden: EuInsVO) in das deutsche Recht eingepasst werden. Diese Einpassung ist sinnvoll und notwendig, gerade wegen der im Vergleich zur Vorgängerverordnung erheblich erweiterten Regelungen, die in wesentlichen Teilen auch auf deutsche Anregungen zurückgehen.

Im Zusammenhang mit diesen Anpassungen ergeben sich aus der Perspektive der Praxis einige Vorschläge für Änderungen und Ergänzungen.

Bereits mit Nachricht des BMJV vom 27.04.2016 wurden die beteiligten Verbände auch um eine Stellungnahme zu dem Entwurf der Europäischen Kommission für Standardformulare nach den Artikeln 55 Abs. 1, 64 Abs. 2 der EuInsVO gebeten. Dieser Entwurf unterstreicht, ebenso wie die umfangreichen Regelungen zur Errichtung und Vernetzung von Insolvenzregistern in den Art. 24 ff. EuInsVO, die erheblich gestiegene Bedeutung elektronischer Information und Kommunikation, die weit über den Rahmen grenzüberschreitender Verfahren hinausweist.

Gerade im Zusammenhang solcher Verfahren wird jedoch die Notwendigkeit eines einfachen elektronischen Verfahrenszugangs besonders augenfällig. Zentrale Bedeutung erlangt in diesem Zusammenhang die Regelung des Art. 53 EuInsVO: „Jeder ausländische Gläubiger kann sich zur Anmeldung seiner Forderungen in dem Insolvenzverfahren aller Kommunikationsmittel bedienen, die nach dem Recht des Staats der Verfahrenseröffnung zulässig sind. Allein für die Anmeldung einer Forderung ist die Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder sonstigen Rechtsbeistand nicht zwingend.“ Damit wird das Verfahrensrecht auch hier zum Vergleichsmaßstab für die Attraktivität von Insolvenzrechtsordnungen in Europa, die gerade bei großen Verfahren mit zahlreichen Gläubigern durch die Festlegung auf traditionelle (schriftliche) Kommunikationsmittel erhebliche Zusatzkosten generieren können.

Der hier vorgelegte Entwurf sollte deshalb auch dazu genutzt werden um weitere Erleichterungen dieses Verfahrenszugangs im deutschen Insolvenzrecht zu verankern und damit auf eine Modernisierung des Verfahrens hin zu einem Insolvenzverfahren 4.0[1] hinzuwirken. Im Fall der oben erwähnten Standardformulare für die Forderungsanmeldung nach Art. 55 Abs. 1 EuInsVO, deren Anwendung nach dem Wortlaut der Regelung auf ausländische Gläubiger in inländischen Verfahren begrenzt ist, drängt sich ein solcher Schritt schon zur Vermeidung einer sog. Inländerdiskriminierung in diesen Verfahren auf. Darüber hinaus sollte auch die Unterrichtungspflicht nach Art. 54 Abs. 1 EuInsVO dazu Anlass geben, über einfachere Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation zwischen Verwaltern und (ausländischen) Gläubigern nachzudenken, die wegen der hier notwendigen Rechtssicherheit für alle Beteiligten gesetzlich verankert werden sollten.

B. Im Einzelnen

1. Art. 3 Änderung des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung zu Artikel 102c

 a) Teil 1 – Allgemeine Bestimmungen

 aa) §2 Vermeidung von Kompetenzkonflikten

Mit der Regelung in § 2 Abs. 1 Satz 1 RefE soll ein Kompetenzkonflikt bei paralleler Antrag-stellung (Hauptinsolvenzverfahren) in verschiedenen Mitgliedstaaten vermieden werden.

Art. 3 Abs. 3 EuInsVO sieht für diesen Fall (wieder) vor, dass jedes zeitlich nachfolgend er-öffnete Verfahren als Sekundärinsolvenzverfahren zu gelten hat. Die noch in der Vorgängervorschrift als Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 enthaltene Einschränkung, dass es sich bei diesem Verfahren um ein Liquidationsverfahren handeln müsse, ist nun weggefallen.

Eine Qualifizierungsmöglichkeit entsprechender Anträge als unzulässig, wie es der RefE nun wieder (in Fortsetzung des bisherigen Art. 102§ 3 Abs. 1 Satz 1 EGInsO) vorsieht, erscheint vor diesem Hintergrund nicht notwendig und im Einzelfall sogar kontraproduktiv, weil sie die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens verzögern könnte.

Da wegen der Regelung des Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Satz 1 der EuInsVO in jedem Fall durch das angerufene Gericht festgestellt werden muss, welcher Antrag zeitlich früher gestellt wurde, entfällt auch jede rechtliche Unsicherheit über Inhalt und Ziel des gestellten Antrages. Er ist bei entsprechender zeitlicher Reihenfolge entweder als Hauptinsolvenzantrag oder als Sekundärinsolvenzantrag zu werten. Diese Einordnung erscheint auch mit Blick auf die Antragsteller sinnvoll. Die Gefahr einer kostenträchtigen Zurückweisung wegen Unzulässigkeit könnte ansonsten in zeitlich eng beieinander liegenden Fällen vom Antragsteller kaum vermieden werden. Im Übrigen spricht der Erwägungsgrund 38 der EuInsVO davon, dass diese Verordnung Antragsrechte nach Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens nicht einschränken soll. Auch im Rahmen der durch einen Insolvenzantrag ausgelösten Anfechtungsfrist ist eine sofortige Klärung dringend geboten.

Vor diesem Hintergrund erscheint auch die in § 2 Abs. 1 Satz 2 RefE angesprochene Einstellung des Verfahrens fraglich. Ist ein später gestellter Antrag in jedem Fall als Antrag auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens zu werten, dann bleibt nur die an gleicher Stelle geregelte Alternative der Fortführung in dieser Verfahrensart. Eine gerichtliche Interpretation von Anträgen als bedingte Antragstellung etwa in dem Sinne, dass ein Insolvenzverfahren nur eröffnet werden solle, wenn es als Hauptinsolvenzverfahren eröffnet werden könne, wäre nicht möglich. Sie soll auch gerade durch die eindeutige Regelung des Art. 3 Abs. 3 EuInsVO ausgeschlossen werden. Den hierdurch evtl. notwendigen Vorkehrungen zum Schutz des Hauptinsolvenzverfahrens wird an anderer Stelle (Art. 36 ff.) Rechnung getragen.

bb) § 3 Einstellung des Insolvenzverfahrens zugunsten eines anderen Mitgliedstaats

Entsprechend der oben vorgeschlagenen regelhaften Fortführung als Sekundärverfahren wäre eine Beschränkung des in § 3 Abs. 1 RefE geregelten Anhörungsrechts auf den Fall der Fortführung notwendig:

„Vor der Einstellung eines bereits eröffneten Insolvenzverfahrens Fortführung als Sekundärverfahren nach § 2 Absatz 1 Satz 2 soll das Insolvenzgericht den Insolvenzverwalter oder Sachwalter, den Gläubigerausschuss, wenn ein solcher bestellt ist, und den Schuldner hören.

 

Soweit es bei der Regelung zur Einstellung (§ 2 Abs. 1 Satz 2 RefE) verbleiben soll, wären die Fortführung als weiterer Fall der Anhörung sowie der Sachwalter als Anzuhörender in § 3 Abs. 1 Satz 1 RefE zu ergänzen:

 

„Vor der Einstellung eines bereits eröffneten Insolvenzverfahrens oder Fortführung als Sekundärverfahren nach § 2 Absatz 1 Satz 2 soll das Insolvenzgericht den Insolvenzverwalter oder Sachwalter, den Gläubigerausschuss, wenn ein solcher bestellt ist, und den Schuldner hören.“

cc) § 4 Rechtsmittel nach Artikel 5 der Verordnung (EU) 2015/848

Die Regelung will neben dem Schuldner und jedem Gläubiger auch dem Verwalter eines ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens die Möglichkeit geben, vorläufige Sicherungsmaß-nahmen nach § 21 InsO anzugreifen. Sie geht damit über Art. 5 Abs. 1 EuInsVO hinaus, was aus folgenden Gründen bedenklich und im Ergebnis auch nicht erforderlich ist:

Wenn die Regelung effektiv sein soll, muss für die Beschwerdebefugnis des Verwalters eines ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens dessen formale Stellung ausreichen, unabhängig davon, ob die Eröffnung des ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens zutreffend war und bereits rechtskräftig feststeht. In Fällen eines hinsichtlich des Ausgangs noch offenen Streits darüber, in welchem Staat das Hauptinsolvenzverfahren richtigerweise zu eröffnen ist, könnte dann ggf. der materiell „falsche“ ausländische Hauptinsolvenzverwalter die Sicherungsmaßnahmen angreifen und damit ein ggf. „richtiges“ deutsches Hauptinsolvenzverfahren torpedieren. Insbesondere wenn das Recht des Staats, in dem das vermeintliche Hauptinsolvenzverfahren eröffnet wurde, ein umgekehrtes Rechtsmittel für den deutschen Verwalter nicht vorsieht, besteht auch keine Waffengleichheit.

Die dieser Argumentation zugrunde liegende Befürchtung, die Eröffnung ausländischer Hauptinsolvenzverfahren und das Verhalten ausländischer Verwalter könnte – aufgrund unzulänglicher Entscheidungsgrundlage oder auch bewusst – objektiv unzutreffend und nicht verordnungskonform sein, mag zwar mit Blick auf den Grundsatz gegenseitigen Vertrauens problematisch erscheinen. Allerdings ist eine kritiklose Akzeptanz ausländischer Entscheidungen und Verwalterhandlungen im Licht der Historie grenzüberschreitender Verfahren unter Geltung der EuInsVO nicht angezeigt, und eine gesunde Skepsis legen auch die EuInsVO selbst (Erwägungsgrund 46) und der RefE (Art. 3 § 13 nebst Begründung) nahe.

Eine zusätzliche Beschwerdebefugnis des ausländischen Hauptinsolvenzverwalters ist letztlich auch nicht erforderlich. Denn sollten Sicherungsmaßnahmen gemäß § 21 InsO im Licht eines im Ausland bereits laufenden Insolvenzverfahrens dem Gläubigerinteresse zuwider laufen, kann davon ausgegangen werden, dass der Schuldner oder ein Gläubiger, die bereits nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO beschwerdebefugt sind, ein Rechtsmittel einlegen – ggf. mit faktischer Unterstützung des ausländischen Verwalters.

dd) § 7 Öffentliche Bekanntmachung

§ 7Abs. 3 Satz 3 RefE sieht vor, dass bei bekannt gemachter Eröffnung des (ausländischen) Insolvenzverfahrens dessen Beendigung in gleicher Weise bekannt zu machen ist. Die öffentliche Bekanntmachung der Verfahrensbeendigung ist an sich sinnvoll. Die vorgeschlagene Regelung entspricht im Prinzip auch dem bereits geltenden Art. 102 § 5 Abs. 2 Satz 2 EGInsO, unterscheidet sich aber in einem nicht unwesentlichen Punkt und birgt ein Umsetzungsproblem:

Nach Art. 102 § 5 Abs. 2 Satz 1 EGInsO erfolgt die öffentliche Bekanntmachung von Amts wegen, wenn der Schuldner im Inland eine Niederlassung hat. Eine amtswegige öffentliche Bekanntmachung sieht § 7 Abs. 3 Satz 3 RefE nicht vor, und auch die relevante Bestimmung in Art. 28 Abs. 1 EuInsVO verlangt einen Antrag des Insolvenzverwalters oder des Schuldners in Eigenverwaltung.

Zumindest in Verfahren, die dem deutschen Insolvenzverfahren entsprechen, endet mit Beendigung des Verfahrens das Amt des Insolvenzverwalters und die Insolvenzmasse ist verteilt. In ausländischen Verfahren mit entsprechendem Mechanismus existiert somit nach Verfahrensbeendigung die Person nicht mehr, die den Antrag auf öffentliche Bekanntmachung der Verfahrensbeendigung stellen könnte bzw. müsste, um eine Bekanntmachung zu erreichen, wenn eine solche von Amts wegen nicht möglich ist. Selbst wenn der ausländische Verwalter – z. B. aufgrund nachwirkender Befugnisse – die rechtliche Möglichkeit zur Antragstellung hätte, ist nicht ersichtlich, wie er dazu angehalten werden sollte, wenn er von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch macht. § 7 Abs. 3 Satz 3 RefE sollte daher die Möglichkeit einer öffentlichen Bekanntmachung von Amts vorsehen.

Kosten der öffentlichen Bekanntmachung der Verfahrensbeendigung und insbesondere einer Übersetzung der Entscheidung nach § 3 Abs. 3 Satz 1 RefE wird man i.S.v. Art. 30 EuInsVO als Verfahrenskosten betrachten können. Allerdings wird die Aufbringung solcher Kosten aus der Insolvenzmasse nicht mehr möglich sein, wenn diese vor der Verfahrensbeendigung bereits verteilt ist.

b) Teil 2- Sekundärinsolvenzverfahren

 aa) allgemein

Die §§ 11 ff. RefE regeln Konstellationen bei Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren, bringen allerdings nicht explizit zum Ausdruck, welche Konstellation jeweils angesprochen ist, was nicht durchgehend klar aus dem Kontext hervorgeht. Die §§  11, 12 RefE, die Art. 102 §§ 9, 10 EGInsO entsprechen, gelten für den Fall eines inländischen Sekundärinsolvenzverfahrens.[2] Demgegenüber können die §§ 13, 14 RefE offenkundig nur Anwendung finden im Fall eines deutschen Hauptinsolvenzverfahrens. Die §§ 15 bis 16 RefE wiederum ergeben nur Sinn, wenn sie ausschließlich im Fall eines im Ausland eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens gelten. §  18 RefE könnte sowohl den Fall eines inländischen, als auch den eines ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens betreffen. § 19 Abs. 1 und 2 RefE können nur im Fall eines deutschen Hauptinsolvenzverfahrens gelten, während Abs. 3 der Bestimmung wieder nur die Konstellation eines ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens betreffen kann. Es wäre wünschenswert und würde der Übersichtlichkeit und Klarheit dienen, wenn die jeweils geregelte Konstellation durch die Systematik und/oder im Wortlaut der Regelungen zweifelsfrei und unmittelbar erkennbar gemacht wird.

In den Regelungen in den §§ 13 ff. RefE über die Zusicherung zur Vermeidung eines (ausländischen) Sekundärinsolvenzverfahrens setzt sich ein Problem fort, das bereits in den diesbezüglichen Regelungen der EuInsVO (neu) angelegt ist: In einem „synthetischen Sekundärinsolvenzverfahren“ sollen einerseits die lokalen Gläubiger nicht schlechter gestellt werden, als sie in einem „realen“ Sekundärinsolvenzverfahren stünden (vgl. Begründung RefE A.I.1.e), andererseits sollen aber auch die anderen Gläubiger nicht schlechter stehen. Um dies vermeintlich sicherzustellen, werden dem zusichernden Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens umfangreiche Darlegungen auferlegt, die eine potentielle Sekundärinsolvenzmasse und das fiktive Ergebnis ihrer Verwertung betreffen, und die Zusicherung wird – in Abweichung von § 164 InsO – unter den Vorbehalt der Zustimmung nach den §§ 160 f. InsO gestellt. Der hierbei geschaffene bürokratische Aufwand lässt zweifelhaft erscheinen, ob synthetische Sekundärinsolvenzverfahren jemals Praxisrelevanz erlangen können. Denn um von einem Sekundärinsolvenzantrag nicht „überholt“ zu werden, müsste die Zusicherung im Zweifel schon sehr frühzeitig im (Haupt-) Verfahren abgegeben und somit bei Insolvenzantragstellung bereits vorbereitet sein. Selbst dann ist aber fraglich, ob ein Sekundärinsolvenzverfahren tatsächlich durch die Regelungen der EuInsVO und des RefE hinreichend realistisch simuliert (dargestellt) werden könnte. Denn wenn z.B. die Verwertungsbefugnisse – etwa hinsichtlich anfechtbarer Rechtshandlungen – nach der jeweiligen lex concursus des Haupt- und potentiellen Sekundärinsolvenzverfahrensstaats unterschiedlich weitreichend ausgestaltet sind, kann eine hinreichende Verteilungsanpassung u.U. nicht stattfinden, ohne dass dies nach den Regelungen der EuInsVO oder des RefE transparent würde.

Ebenfalls unberücksichtigt und vermutlich auch kaum realistisch und transparent abzubilden ist der Vergleich aller Kosten eines synthetischen mit den fiktiven eines realen Sekundärinsolvenzverfahrens. Bürokratische Hürden im Rahmen der Zusicherung gemäß Art. 36 EuInsVO, die nicht nur die Unattraktivität des Verfahrens steigern, sondern tatsächlich der Transparenz dienen sollen, werden den letztgenannten Zweck verfehlen und bestenfalls „window dressing“ bleiben. Erfolgversprechender stellt sich dann im Zweifel die Möglichkeit dar, bei Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens den Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens – soweit nach den lokalen Bestimmungen möglich – auch zum Sekundärinsolvenzverwalter zu bestellen (vgl. Erwägungsgrund 50 der EuInsVO).

In der bisherigen Praxis unter Geltung der EuInsVO hat sich gezeigt, dass es einen gewissen Wettbewerb der Jurisdiktionen um das attraktivste Sanierungsumfeld in der Insolvenzsituation gibt. Der deutsche Gesetzgeber hat darauf schon verschiedentlich reagiert und – z. B. mit dem ESUG – bei erkannten „Wettbewerbsnachteilen“ des deutschen Rechts gegengesteuert. Bei der Regelungen zur Umsetzung der EuInsVO-Neufassung sollte bedacht werden, dass die Einführung von Anforderungen, die über die EuInsVO hinausgehen, zu einem Wettbewerbsnachteil des deutschen Rechts führen kann, indem Gestaltungsspielräume insbesondere bei der Abwicklung wirtschaftlich bedeutsamer Groß- und Gruppeninsolvenzen zum Nachteil des Standorts Deutschland ausgenutzt werden, wenn andere Mitgliedstaaten pragmatischere Verfahren anbieten.

Im Einzelnen ist zu den §§ 11 ff. RefE Folgendes festzuhalten:

 
bb) §11 Insolvenzplan

Ergänzungsvorschlag (zur Klarstellung, s.o.):

„Sieht ein Insolvenzplan in einem inländischen Sekundärinsolvenzverfahren …“

Die Vorbildvorschrift in Art. 102 § 9 EGInsO wirft diverse Fragen auf, z. B. inwieweit die §§ 245 f. und § 254 Abs. 1 InsO modifiziert und eingeschränkt werden und wer die „betroffenen“ Gläubiger sind.[3] Der RefE könnte insoweit Klarheit schaffen, lässt diese Fragen aber ungelöst.

cc) § 12 Aussetzung der Verwertung

 

Nach der Begründung (S. 27) greift § 12 RefE die Regelung aus Art. 102 § 10 EGInsO auf und passt sie an Art. 46 Abs. 1 EuInsVO an. Gegenüber Art. 102 § 10 EGInsO wurde indes ein Wort gestrichen, das der Klarstellung dienen würde (s.o.) und daher wieder aufgenommen werden sollte:

Wird auf Antrag des Verwalters des Hauptinsolvenzverfahrens nach Artikel 46 der Verordnung (EU) 2015/848 in einem inländischen Sekundärinsolvenzverfahren …“

dd) § 13 Inhalt und öffentliche Bekanntmachung der Zusicherung

 

Nach § 13 Abs. 1 RefE soll der Verwalter auch Angaben machen, welche Gegenstände er nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einen anderen Staat verbracht hat. In der Begründung (S. 28 oben) heißt es hierzu, der Verwalter solle Angaben machen, welche Gegenstände er vor Verfahrenseröffnung in einen anderen Staat verbracht hat. Als Begründung für die Regelung wird auf Erwägungsgrund 46 der EuInsVO verwiesen, nach dem es dem Hauptinsolvenzverwalter nicht möglich sein sollte, missbräuchlich Gegenstände aus einem anderen Mitgliedstaat wegzuschaffen, wenn dies in der Absicht geschieht, die wirksame Befriedigung lokaler Interessen für den Fall eines späteren Sekundärinsolvenzverfahrens zu vereiteln.

Die vorgeschlagene Regelung und ihre Begründung sind in mehrfacher Hinsicht kritikwürdig, was teilweise aber in der EuInsVO selbst angelegt ist:

Zunächst ist darauf zu verweisen, dass nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, so die Formulierung in §  13 Abs. 1 RefE, die Zeit nach Insolvenzeröffnung mit umfasst, vor Verfahrenseröffnung, so die Formulierung in der Begründung, demgegenüber aber nicht. Insoweit ist die Begründung ungenau und korrekturwürdig.

Auch § 13 Abs. 1 RefE ist indes ungenau, wenn die Zeit des Antragsverfahrens erfasst wird, aber dem Wortlaut nach nur Handlungen des Verwalters offenzulegen sind. Denn soweit nicht die volle Verfügungsbefugnis nach § 22 Abs. 1 Satz  1 InsO auf einen vorläufigen Insolvenzverwalter übergegangen ist, ist es nicht dieser der ggf. Gegenstände in einen anderen Staat verbringt, sondern der Schuldner. Auch eine etwaige Zustimmung macht einen vorläufigen Insolvenzverwalter oder Sachwalter nicht zum Handelnden. Es darf aber unterstellt werden, dass auch eine Verbringung von Gegenständen durch den Schuldner von der Vorschrift erfasst werden soll, weil sie anderenfalls im Antragsverfahren leer liefe. In der Eigenverwaltung ist auch nach Insolvenzeröffnung der Schuldner Handelnder. Da er Verwalteraufgaben wahrnimmt, könnte man ihn über Auslegung als Verwalter i.S.v. § 13 RefE betrachten; eine Klarstellung wäre gleichwohl sinnvoll. Dies gilt auch dann, wenn man der Ansicht folgt, dass in Eigenverwaltungsverfahren keine Zusicherung gemäß Art.  36 EuInsVO abgegeben werden kann.[4] Denn wie im deutschen Recht kann die Möglichkeit bestehen, dass ein zunächst in Eigenverwaltung eröffnetes Verfahren später mit einem Insolvenzverwalter weitergeführt wird.

Die Überlegungen, die für eine Offenlegung sprechen, welche Gegenstände ggf. vor der Zusicherung aus dem Staat des potentiellen Sekundärinsolvenzverfahrens in einen anderen Staat verbracht wurden, sind zwar auf den ersten Blick nachvollziehbar, auf den zweiten Blick ist die Regelung aber verfehlt und schießt selbst vor dem Hintergrund des Erwägungsgrunds 46 der EuInsVO über das Ziel hinaus.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Art. 36 Abs. 6 EuInsVO richtigerweise nur Gegenstände bzw. deren Wert der Masse eines Sekundärinsolvenzverfahrens zuweist, die der Hauptinsolvenzverwalter nach seiner Zusicherung aus dem betroffenen Hoheitsgebiet entfernt und ggf. bereits verwertet hat. Erwägungsgrund 46 der EuInsVO adressiert ausdrücklich nur missbräuchliches Verhalten des Hauptinsolvenzverwalters. Demgegenüber sieht § 13 Abs. 1 RefE – überobligatorisch – eine Offenlegung auch für die Zeit vor der Zusicherung und unabhängig von Missbrauch vor.

Dem mag die Überlegung zugrunde liegen, dass den Betroffenen eine Überprüfung ermöglicht werden soll, ob ein Missbrauch im Sinne des Erwägungsgrunds 46 der EuInsVO vorliegt. Dabei wird aber übersehen, dass der Appell dieses Erwägungsgrunds in den weiteren Regelungen der EuInsVO keine weitere Umsetzung bzw. der adressierte Missbrauch keine Sanktion erfährt. Vielmehr unterliegen vor Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens Gegenstände außerhalb des Staats der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens dessen Insolvenzbeschlag und der Hauptinsolvenzverwalter ist nach Art. 21 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO befugt und im Zweifel auch verpflichtet, Gegenstände aus anderen Mitgliedstaaten in den Staat des Hauptinsolvenzverfahrens zu bringen. Kommt es zur Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens kann der dort bestellte Verwalter nach Art. 21 Abs. 2 Satz 1 EuInsVO Gegenstände zurückholen, die nach Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens in einen anderen Mitgliedstaat verbracht wurden. Für Gegenstände, die vor Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens weggebracht wurden, steht ihm diese Befugnis nicht zu, soweit nicht i.S.v. Art.  21 Abs. 2 Satz 2 EuInsVO eine Anfechtungsmöglichkeit eröffnet ist. Eine Anfechtung gegenüber dem Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens dürfte aber schon mangels Benachteiligung der (identischen) Gläubigergesamtheit ausscheiden[5], und die Frage der Zugehörigkeit eines Anfechtungsanspruchs zur Masse des Haupt- oder Sekundärinsolvenzverfahrens ist nicht notwendigerweise verknüpft mit einer Rückholung von Gegenständen.[6]

Es zeigt sich also, dass die Verlagerung von Gegenständen durch den Hauptinsolvenzverwalter vor der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens zum einen nicht per se den Anschein des Missbrauchs trägt, sondern vielmehr mit den Vorgaben der EuInsVO konform ist, und zum anderen auch bei späterer Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens nicht rückgängig gemacht werden kann. Auch für eine Verlagerung mit Missbrauchsabsicht sieht – trotz Missbilligung in Erwägungsgrund 46 der EuInsVO– weder die EuInsVO eine Sanktion oder ein Rückholungsrecht des Sekundärinsolvenzverwalters vor, noch § 13 Abs. 1 RefE. Es ist auch zweifelhaft, ob ein nationaler Gesetzgeber ein solches Rückholungsrecht wirksam schaffen könnte.

Wenn angesichts dessen selbst eine missbräuchliche Verlagerung von Gegenständen vor Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens auch im Fall der Eröffnung nicht rückgängig gemacht werden kann, geht eine Offenlegung i.S.v. §  13 Abs. 1 RefE ins Leere.

Zu § 13 Abs. 2 RefE ist noch darauf hinzuweisen, dass für den Fall der Eigenverwaltung geregelt werden sollte, ob dem Schuldner oder dem Sachwalter die öffentliche Bekanntmachung und Zustellung obliegt. Es liegt nahe, diese Aufgaben demjenigen zuzuweisen, der auch zur Abgabe der Zusicherung befugt ist. Mit einer Regelung würde natürlich eine Festlegung erfolgen, dass Zusicherungen gemäß Art. 36 EuInsVO auch in der Eigenverwaltung für möglich erachtet werden.[7] Diese Festlegung enthält allerdings bereits § 14 Abs. 2 RefE.

ee) §14 Voraussetzungen für die Abgabe der Zusicherung

Nach der Begründung (S. 29) hat § 14 RefE nur deklaratorischen Charakter, soweit die Abgabe einer Zusicherung als zustimmungsbedürftige Maßnahme nach den §§ 160, 161 InsO erachtet wird. Über die Bestimmungen der InsO geht die Regelung insoweit hinaus, als – entgegen § 164 InsO – eine ohne Zustimmung abgegebene Zusicherung nicht nur haftungsrelevant, sondern auch unwirksam sein soll. Allerdings soll dies nach §  14 Abs. 1 RefE nicht gelten, wenn die Zusicherung nicht von besonderer Bedeutung ist, was laut Begründung dann nicht der Fall sein soll, wenn eine völlig unbedeutende Niederlassung betroffen ist und die Vermögenswerte im Niederlassungsstaat im Verhältnis zur Gesamtmasse vernachlässigbar sind.

Es ist schon fraglich, ob unter den Voraussetzungen, unter denen das Zustimmungserfordernis hiernach entfallen soll, der für eine Zusicherung gemäß Art.  36 EuInsVO zu betreibende Aufwand überhaupt jemals gerechtfertigt sein kann. Die Regelung und die Begründung schaffen aber angesichts des konstitutiven Zustimmungserfordernisses in § 14 Abs. 1 Satz 3 RefE Rechtsunsicherheit.

Die Regelung in § 14 Abs. 1 Satz 3 RefE kann aber ohnehin nicht befürwortet werden. Sie ist geprägt von dem erstaunlichen, explizit (Begründung S. 29, dritter Absatz) geäußerten Zweifel, ob ein in einem deutschen Hauptinsolvenzverfahren bestellter Insolvenzverwalters sich ohne Beteiligung der Gläubiger deren Interessen gemäß verhält.[8] Sollte ein solches Misstrauen objektiv gerechtfertigt sein, ist nicht nachvollziehbar, warum es für andere für das Verfahren bedeutsame – evtl. bedeutsamere – Maßnahmen bei der Regelung des § 164 InsO bleiben soll. Des Weiteren ist nicht nachvollziehbar, warum der Normzweck des § 164 InsO, die Meidung von Unsicherheit im Geschäftsverkehr[9], gerade für den Fall einer Zusicherung nach Art. 36 EuInsVO zurücktreten soll – zumal der Wortlaut von § 14 Abs. 1 RefE sowie die Begründung selbst konstatieren, dass eine Zusicherung gemäß Art.  36 EuInsVO für das Verfahren von unterschiedlich großer Bedeutung sein kann.

Auch ein vorläufiger Insolvenzverwalter soll eine Zusicherung abgeben können (vgl. Begründung zu §  13 a.  E., S. 28). Für den Schuldner im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren dürfte dies ebenfalls gelten, § 14 Abs. 2 RefE (und Begründung hierzu S. 29 unten). In § 14 Abs. 1 Satz 2 RefE ist vorgesehen, dass der vorläufige Insolvenzverwalter die Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses nach § 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO einzuholen hat, wenn noch kein Gläubigerausschuss bestellt ist. Das zwingende Zustimmungserfordernis in § 14 Abs. 1 Satz 3 RefE würde hiernach dazu führen, dass allein für eine Zusicherung nach Art. 36 EuInsVO in Verfahren ein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt werden muss, in denen die Bestellung ansonsten weder gemäß § 22a InsO zwingend, noch geboten, noch von den Beteiligten gewünscht oder objektiv zweckmäßig ist.

In der Gesamtschau überzeugt die Regelung in §  14 RefE nicht. Sie ist unschädlich, soweit sie nur den in der Begründung dargestellten deklaratorischen Charakter hat. In jedem Fall sollte aber die konstitutive Wirkung der Zustimmung in § 14 Abs. 1 Satz 3 RefE ersatzlos gestrichen werden.

ff) § 15 Abstimmung über die Zusicherung

Die Regelung kann nach Inhalt und Begründung nur die Konstellation betreffen, dass lokale Gläubiger in Deutschland über die Zusicherung des Verwalters eines im Ausland eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens zur Vermeidung eines deutschen Sekundärinsolvenzverfahrens abstimmen. Die Regelung legt das Verfahren der Abstimmung über die Zusicherung weitestgehend in die Hände des ausländischen Verwalters. Gerichtliche Entscheidungen sollen nach §  15 Abs. 1 Satz 2 RefE nur in Fällen ergehen, in denen die Verordnung oder dieses Gesetz dies ausdrücklich anordnen. Im RefE sind gerichtliche Entscheidungen nur in Bezug auf das Stimmrecht (§ 16 Abs. 1 RefE) vorgesehen, zur Anwendung des Obstruktionsverbots und wenn der Verwalter einen Antrag auf Minderheitenschutz ablehnt (§ 17 Abs. 1 RefE).

Die Unterstellung der Begründung zu §  15 (S. 30, erster Absatz), der ausländische Verwalter habe die erforderlichen Kenntnisse, bzw. der Appell, er habe sich mit dem Abstimmungsmodus vertraut zu machen, darf als sehr optimistisch eingestuft werden. So ist z. B. schwer nachvollziehbar, warum die Gruppenbildung nach § 222 InsO durch einen ausländischen Verwalter nicht als kontrollbedürftig erachtet wird, wenn sie nach §  231 Abs. 1 Nr. 1 InsO der amtswegigen Prüfung durch das Insolvenzgericht bedarf, wenn ein deutscher Insolvenzverwalter einen Insolvenzplan vorlegt. Auch die in § 15 Abs. 2 RefE dem ausländischen Verwalter auferlegten Informationspflichten sollen offenbar keiner Kontrolle unterliegen, ihre Verletzung demnach auch keiner Sanktion.

Unabhängig davon lässt der RefE diverse verfahrenstechnische Fragen offen: So ist etwa ungeregelt, mit welcher Mindestfrist die Ladung zu erfolgen hat und wo die Abstimmung stattfindet. Eine Teilnahme des Insolvenzrichters an der Versammlung scheint nicht vorgesehen zu sein, obwohl dieser nach §  16 Abs. 1 Satz 3 RefE ggf. zur Stimmrechtsentscheidung und nach § 17 RefE zur Durchsetzung des Obstruktionsverbots und Entscheidung über einen Antrag auf Minderheitenschutz berufen ist. Wenn er entsprechend befasst wird und hierbei feststellt, dass Verfahrensgrundsätze – wie eine ordnungsgemäße Gruppenbildung, Ladung und Information – nicht eingehalten wurden, ist unklar, inwieweit sich dies auf seine Entscheidung auswirken muss. Eine Grundlage für die Verweigerung einer Stimmrechtsentscheidung ist nicht ersichtlich, so dass der Richter ggf. sehenden Auges eine nicht ordnungsgemäß zustande gekommene Abstimmung zulassen muss. Entscheidungen über das Obstruktionsverbot oder Minderheitenschutz werden im Zweifel bei erkannten schwerwiegenden Verfahrensmängeln zu Lasten der Bestätigung der Zusicherung ausfallen müssen (vgl. Begründung zu §  17, S. 32), was in der Sache dem Insolvenzzweck und Gläubigerinteresse zuwider laufen kann. Vorzugswürdig wäre daher, das Gericht von Anfang an einzubeziehen – im Idealfall als konstruktive Kontrollinstanz, um Verfahrensfehler frühzeitig zu vermeiden.

 
gg) § 17 Bestätigung der Zusicherung

 

Ergänzend zu den obigen Ausführungen ist nur folgende Ergänzung von Abs.  2 vorzuschlagen:

Das Gericht soll vor der Entscheidung über die Bestätigung den Insolvenzverwalter, im Fall der Eigenverwaltung den Schuldner, und die lokalen Gläubiger hören, die der Zusicherung entsprechend § 251 der Insolvenzordnung widersprochen haben.

 

Der RefE unterstellt (vgl. insbesondere § 14 Abs.  2), dass eine Zusicherung auch im Eigenverwaltungsverfahren möglich ist, daher ist die vorgeschlagene Ergänzung geboten.

 

 hh) § 18 Verfahren nach der Abstimmung

In der Begründung wird fälschlich § 18 Absatz 7 Satz 1 genannt. Gemeint ist Art. 36 Absatz 7 Satz 1.

 ii) § 20 Haftung des Insolvenzverwalters bei einer Zusicherung

 

Eine Regelung zur Haftung des eigenverwaltenden Schuldners bzw. seiner Organe fehlt. Jedenfalls für ein in Deutschland anhängiges Insolvenzverfahren dürfte die fehlende Erwähnung des eigenverwaltenden Schuldners in Art. 36 Abs. 10 EuInsVO keinen Hinderungsgrund für eine nationale Haftungsregelung darstellen.

 

 jj) § 22 Zusammenarbeit und Kommunikation der Gerichte

Es wird folgende Ergänzung vorgeschlagen:

„(…) nach Artikel 42 Absatz 1 Satz 2 oder Artikel 57 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2 der Verordnung (…)“

In der Begründung werden Übersetzer als zur Überwindung von Sprachbarrieren (beispielhaft?) geeignete, unabhängige Personen im Sinne der Vorschrift genannt. Für Gerichte ohne vertiefte Kenntnisse des internationalen Insolvenzrechts bzw. ausländischer Insolvenzrechtssysteme kann auch die Bestellung einer Person sinnvoll sein, die nicht nur über Sprach-, sondern auch einschlägige Rechtskenntnisse verfügt.

c) Teil 3 – Insolvenzverfahren über das Vermögen von Mitgliedern einer Unternehmensgruppe

§ 24 Beteiligung des Gläubigerausschusses

 

Nach der Begründung (S. 36 oben) bindet § 24 RefE den Verwalter nach den allgemeinen Bestimmungen der §§  160, 161 InsO an die Zustimmung des Gläubigerausschusses.

Der Wortlaut und die Trennung der Regelungen in den Sätzen 1 und 2 von §  24 Abs. 1 RefE legen demgegenüber nahe, dass bei Fehlen eines Gläubigerausschusses eine Beschlussfassung der Gläubigerversammlung herbeizuführen ist, allerdings nur einem Gläubigerausschuss die Unterlagen gemäß § 24 Abs. 1 Satz  2 RefE vorzulegen sind. Sollte bei Fehlen eines Gläubigerausschusses keine Beteiligung der Gläubigerversammlung beabsichtigt sein, würde sich eine Klarstellung bzw. andere Formulierung der Regelung empfehlen.

Darüber hinaus würde sich folgende Ergänzung in Abs. 1 anbieten:

„Beabsichtigt der Verwalter oder der eigenverwaltende Schuldner, die Einleitung …“

 

 2. Artikel 4 Änderung des Gerichtskostengesetzes

§ 23GKG soll in Abs.  5 um eine Regelung zur Tragung des Kosten des Gruppen-Koordinationsverfahrens ergänzt werden. Die Regelung erfasst nach ihrem Wortlaut nicht den Fall, dass die Einleitung des Gruppen-Koordinationsverfahrens von einem eigenverwaltenden Schuldner beantragt wurde – unterstellt, dass dies trotz fehlender Nennung in Art.  61 Abs.  1 EuInsVO für zulässig erachtet wird.

Des Weiteren ist unklar, ob die Regelung nur zur Anwendung kommt, wenn ein deutsches Gericht Koordinationsgericht i.S.v. Art.  66 EuInsVO wird oder auch für alle Kosten geltend soll, die beim Gericht im Zusammenhang mit einem der Zuständigkeit eines anderen Gerichts unterliegenden Koordinationsverfahrens entstehen, z. B. Übersetzungskosten.

[1] INDat-Report 04_2016, 14 ff; Handelsblatt vom 19.07.2016.

[2] Vgl. für Art. 102 § 9 EGInsO Thole, in: MüKo-InsO, 3. Aufl., eben da Rz. 5 m.w.N.

[3] Vgl. die Kommentierung von Thole, in: MüKo-InsO, 3. Aufl., Art. 102 § 9 InsO m.w.N.

[4] So Reinhart, in: MüKo-InsO, 3. Aufl., Art. 36 EuInsVO Rz. 18.

[5] Vgl. Brinkmann, in: Karsten Schmidt, InsO, 19. Aufl., Art. 18 EuInsVO Rz. 10.

[6] Vgl. Thole, in: MüKo-InsO, 3. Aufl., Art. 18 EuInsVO (alt) Rz. 14 ff. m.w.N.

[7] A.A. Reinhart, in: MüKo-InsO, 3. Aufl., Art. 36 EuInsVO Rz. 18.

[8] Wenn der Gesetzgeber ein solches Misstrauen für angezeigt erachtet, wären auch Überlegungen angebracht, in die Bestellpraxis der Gerichte regelnd dahingehend einzugreifen, dass die Bestellung von Verwaltern motiviert wird, die sich Compliance-Regeln und Qualitätssicherungsstandards unterwerfen.

[9] Begr. z. § 183 RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 175.

Stellungnahme des VID zum Referentenentwurf eines Änderungsvorschlags zur Neufassung des § 104 InsO vom 26.7.2016

A. Vorbemerkung

Mit Anschreiben vom 26.7.2016 hat das BMJV den Entwurf eines Änderungsgesetzes zu § 104 InsO (im Folgenden: InsO-E) vorgelegt.

Das Ministerium sieht diesen InsO-E veranlasst durch das Urteil des BGH vom 9.6.2016 (IX ZR 314/14). Der BGH hat zu diesem Urteil folgenden Leitsatz formuliert:

„Treffen Parteien von Aktienoptionsgeschäften, die dem deutschen Recht unterliegen, für den Fall der Insolvenz einer Partei eine Abrechnungsvereinbarung, die § 104 InsO widerspricht, ist diese insoweit unwirksam und die Regelung des § 104 InsO unmittelbar anwendbar.“

Bemerkenswert ist hier zunächst die Eile, mit der hier auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes reagiert wird. Ebenso bemerkenswert ist auch der Umfang der vorgeschlagenen Änderung.

Das Begleitschreiben zum Entwurf (S. 1) führt dazu aus:

„Durch die in dem Änderungsvorschlag vorgesehene Neufassung des § 104 der Insolvenzordnung (InsO) sollen die rechtlichen Grundlagen für das vertragliche Liquidationsnetting klargestellt und präzisiert werden. So soll sichergestellt werden, dass die auf den deutschen, europäischen und internationalen Finanzmärkten üblichen Liquidationsnettingklauseln in Rahmenvereinbarungen im Einklang mit den an sie gestellten aufsichtsrechtlichen Anforderungen weiterhin in insolvenzfester Weise vereinbart werden können.“

Damit scheint das Vorhaben zunächst auf die Finanzmärkte begrenzt zu sein. Dies wäre grundsätzlich sinnvoll. Mit dem vorliegenden InsO-E reagiert das BMJV damit (auch) auf die Befürchtungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die sich am Tag der Verkündung des Leitsatzes des Urteils (9.6.2016) veranlasst sah, eine Allgemeinverfügung nach § 4a WpHG zur Sicherstellung der Rechtssicherheit von Nettingvereinbarungen im Anwendungsbereich des deutschen Insolvenzrechts (GZ: ED WA-Wp 1000-2016/0001) bekannt zu machen. In der Begründung der Allgemeinverfügung führte die BaFin aus: „Vor dem Hintergrund, dass die Tragweite des Urteilsspruchs des Bundesgerichtshofs noch nicht abschließend eingeschätzt werden kann und dass sich hierdurch zahlreiche Fragestellungen im Hinblick auf die Anwendung europarechtlicher Vorgaben stellen, die zu einer erheblichen Verunsicherung der Finanzmarktakteure und damit zu einer Erschütterung des Vertrauens in die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte führen können, hat sich die Bundesanstalt entschieden, die vorstehende Allgemeinverfügung zu erlassen, um einen dadurch entstehenden Missstand zu verhindern und das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte wieder herzustellen und negative Auswirkungen auf die Finanzmarktstabilität zu vermeiden.“

Die auf Seite 2 des Begleitschreibens geschilderten bankaufsichtsrechtlichen Implikationen weisen jedoch bereits auf eine grundlegende Problematik dieses Entwurfs hin: Die besondere Regulierung bestimmter Märkte, die Risiken der Allgemeinheit vermindern soll, schafft zugleich neue Belastungen für die Markteilnehmer. Um diese Belastungen nicht untragbar werden zu lassen greift der Gesetzgeber an anderer Stelle (hier: im Insolvenzrecht) ein und schafft dort rechtliche Vorteile (hier: in § 104 InsO), die masseschützende (und damit gläubigerschützende) Regelungen (hier: grds. Verbot von insolvenzrechtlichen Lösungsklauseln) zugunsten der Marktteilnehmer einschränken. Diese Vorgehensweise erfordert zumindest eine unbedingte Beschränkung auf das zwingend Notwendige.

Schon auf Seite 3 des Begleitschreibens wird jedoch angedeutet, dass die hier vorgeschlagene Änderung nicht auf die Finanzmärkte beschränkt bleiben soll. Namentlich erwähnt werden der Energiegroßhandelsmarkt und der Rohstoffhandel.

Mit dieser Erweiterung ist die Frage nach dem Schutzzweck des § 103 InsO berührt, der durch § 104 InsO eingeschränkt wird. § 104 InsO stellt als lex specialis zu § 103 InsO eine Ausnahmeregelung dar, die nur in bestimmten Fällen das Wahlrecht des Insolvenzverwalters ausschalten und so eine Fixierung der Rechtslage erreichen soll. Jede Ausweitung des § 104 InsO muss deshalb so angelegt sein, dass sie die Regel des § 103 InsO nicht ganz oder teilweise aushöhlt und den engen Anwendungsbereich einer Ausnahmeregelung präzise definiert.

Die Begründung des Regierungsentwurfs zur Insolvenzordnung (BT Drs. 12/ 2443) erläutert den Zweck des dort noch als § 118 InsO bezeichneten späteren § 104 InsO (auf S. 145) wie folgt:

„Bei einem Fixgeschäft im Sinne von § 361 BGB und § 376 HGB, das die Lieferung von Waren mit einem Börsen- oder Marktpreis zum Gegenstand hat, erscheint das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nicht sinnvoll. Der Vertragspartner ist hier besonders an einer schnellen Klärung der Rechtslage interessiert; der Verwalter hat, wenn er die Ware zur Fortführung des Unternehmens des Schuldners benötigt, ohne Schwierigkeiten die Möglichkeit, sich anderweitig einzudecken. Durch Absatz 1 wird das Wahlrecht daher in diesem Fall in Anlehnung an § 18 Abs. 1 KO ausgeschlossen. Satz 2 ist ergänzt, um klarzustellen, daß die Vorschrift auch für Wertpapiergeschäfte gilt.

 Absatz 2 enthält eine ergänzende Regelung für Devisen- und Finanztermingeschäfte (sog. Swap-Geschäfte). Bisher ist zweifelhaft, ob § 18 KO auf diese Art von Geschäften Anwendung findet.

 Die Regelung betrifft Geschäfte über künftige Geldleistungen, die entweder in ausländischer Währung zu erbringen sind (Nummer 1, Devisentermingeschäfte) oder deren Höhe durch einen Wechselkurs, durch einen Zinssatz oder durch den Preis von Waren oder Leistungen bestimmt wird (Nummer 2, Finanztermingeschäfte). Auch bei diesen Geschäften ist es sachgerecht, das Wahlrecht des Verwalters auszuschließen, um Unsicherheiten und Spekulationen über die künftige Entwicklung zu vermeiden. Dies gilt auch dann, wenn diese Geschäfte keine Fixgeschäfte in dem Sinne sind, daß sie ihren Zweck verfehlen, wenn sie nicht pünktlich erbracht werden. Abweichend von Absatz 1 wird in Absatz 2 daher nicht verlangt, daß die Leistung „genau“ zu einer „fest“ bestimmten Zeit oder innerhalb einer „fest“ bestimmten Frist zu erbringen ist.

 An die Stelle des Wahlrechts des Verwalters tritt sowohl in den Fällen des Absatzes 1 als auch in denen des Absatzes 2 einheitlich die Rechtsfolge, daß der Vertrag nicht mehr erfüllt werden muß, sondern nur der Ausgleich des Unterschieds zwischen dem vereinbarten Preis und dem Markt- oder Börsenpreis am zweiten Werktag nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verlangt werden kann. Steht diese Ausgleichsforderung dem anderen Teil zu, so kann er sie nur als Insolvenzgläubiger geltend machen (Absatz 3). Das entspricht der Regelung in § 18 Abs. 2, § 26 Satz 2 KO.

 Sind mehrere Swap-Geschäfte zwischen dem Schuldner und dem anderen Teil geschlossen worden, so können die gegenseitigen Ausgleichsforderungen regelmäßig gegeneinander aufgerechnet werden.“

 Schon mit dieser Begründung wird deutlich, dass der Regierungsentwurf von 1992 den Ausnahmecharakter der Vorschrift durch eng gefasste Definitionen ihres Anwendungsbereichs betont. Hervorgehoben wird auch die besondere Situation, die eine Einschränkung des Wahlrechts aus § 103 InsO zulässt ohne auf den Schutz der Masse zu verzichten.

B. Ableitungen aus dem Urteil des BGH vom 9.6.2016

Ebenfalls im Begleitschreiben des InsO-E (S. 3) wird ausgeführt:

„Die Begründung des Urteils führt zu Zweifeln, ob die im Finanzmarkt gängigen Liquidationsnettingklauseln wirksam sind.“

Demgegenüber einschränkend betont der BGH schon in seinem Leitsatz (s. o.), dass solche Liquidationsnettingklauseln nur insoweit unwirksam sind wie sie dem § 104 InsO widersprechen. Eine vollständige Unwirksamkeit solcher Klauseln ist damit gerade nicht indiziert.

Der BGH lässt ausdrücklich offen, ob „die abweichend von § 104 InsO bereits für den Fall des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens getroffene Vereinbarung der auflösenden Bedingung wirksam ist, weil sie als solche die in § 104 InsO vorgesehenen Rechtsfolgen nicht ändert.“ (Rn. 55)

Im entschiedenen Fall führt er dazu aus (Rn. 56):

„Die Vereinbarung ist jedenfalls unwirksam, soweit die darin vorgesehene Berechnungsmethode für den Ausgleichsanspruch im Insolvenzfall von § 104 Abs. 2 und 3 InsO abweicht.“

Der eigenen Bewertung folgend unternimmt der InsO-E dennoch in den neu gefassten § 104 Abs. 2-5 InsO eine vollständige Überarbeitung des bisherigen § 104 Abs. 3 InsO und integriert den bisherigen § 104 Abs. 2 InsO in einen neu gefassten § 104 Abs. 1 InsO-E.

C. Im Einzelnen

 I. zu §104Abs. 1 InsO-E

a) Die hier eingeführten Änderungen betreffen im Wesentlichen die Inklusion der Finanzinstrumente im Sinne des Artikels 4 Abs. 1 Nummer 15 der Richtlinie 2014/65/EU vom 15.5.2014.

In Artikel 4 Abs.1 Nr. 15 wird auf die die in Anhang I Abschnitt C der Richtlinie genannten Instrumente verwiesen. Im Einzelnen sind dies:

  1. Übertragbare Wertpapiere;
  2. Geldmarktinstrumente;
  3. Anteile an Organismen für gemeinsame Anlagen;
  4. Optionen, Terminkontrakte (Futures), Swaps, außerbörsliche Zinstermingeschäfte (Forward Rate Agreements) und alle anderen Derivatkontrakte in Bezug auf Wertpapiere, Währungen, Zinssätze oder -erträge, Emissionszertifikate oder andere Derivat-Instrumente, finanzielle Indizes oder Messgrößen, die effektiv geliefert oder bar abgerechnet werden können;
  5. Optionen, Terminkontrakte (Futures), Swaps, Termingeschäfte (Forwards) und alle anderen Derivatkontrakte in Bezug auf Waren, die bar abgerechnet werden müssen oder auf Wunsch einer der Parteien bar abgerechnet werden können, ohne dass ein Ausfall oder ein anderes Beendigungsereignis vorliegt;
  6. Optionen, Terminkontrakte (Futures), Swaps und alle anderen Derivatkontrakte in Bezug auf Waren, die effektiv geliefert werden können, vorausgesetzt, sie werden an einem geregelten Markt, über ein MTF oder über ein OTF gehandelt; ausgenommen davon sind über ein OTF gehandelte Energiegroßhandelsprodukte, die effektiv geliefert werden müssen;
  7. Optionen, Terminkontrakte (Futures), Swaps, Termingeschäfte (Forwards) und alle anderen Derivatkontrakte in Bezug auf Waren, die effektiv geliefert werden können, die sonst nicht in Nummer 6 dieses Abschnitts genannt sind und nicht kommerziellen Zwecken dienen, die die Merkmale anderer derivativer Finanzinstrumente aufweisen;
  8. Derivative Instrumente für den Transfer von Kreditrisiken;
  9. Finanzielle Differenzgeschäfte;
  10. Optionen, Terminkontrakte (Futures), Swaps, außerbörsliche Zinstermingeschäfte (Forward Rate Agreements) und alle anderen Derivatkontrakte in Bezug auf Klimavariablen, Frachtsätze, Inflationsraten oder andere offizielle Wirtschaftsstatistiken, die bar abgerechnet werden müssen oder auf Wunsch einer der Parteien bar abgerechnet werden können, ohne dass ein Ausfall oder ein anderes Beendigungsereignis vorliegt, sowie alle anderen Derivatkontrakte in Bezug auf Vermögenswerte, Rechte, Obligationen, Indizes und Messwerte, die sonst nicht im vorliegenden Abschnitt C genannt sind und die die Merkmale anderer derivativer Finanzinstrumente aufweisen, wobei unter anderem berücksichtigt wird, ob sie auf einem geregelten Markt, einem OTF oder einem MTF gehandelt werden;
  11. Emissionszertifikate, die aus Anteilen bestehen, deren Übereinstimmung mit den Anforderungen der Richtlinie 2003/87/EG (Emissionshandelssystem) anerkannt ist.

Es fällt zunächst auf, dass die in § 104 Abs. 2 Nr. 2 InsO enthaltene Einschränkung („…soweit nicht der Erwerb einer Beteiligung an einem Unternehmen zur Herstellung einer dauernden Verbindung zu diesem Unternehmen beabsichtigt ist…“) hier nicht mehr aufgenommen wird.

Diese Einschränkung war ursprünglich auf Empfehlung des Rechtsauschusses in den damaligen § 118 InsO des Regierungsentwurfs 1992 aufgenommen worden (Vgl. BT Drs. 12/7320, S. 43). Zur Begründung führte der Rechtsausschuss (a.a.O. S. 168) aus:

„Ausdrücklich ausgenommen werden in Nummer 2 Wertpapiergeschäfte, die dem Erwerb einer dauerhaften Beteiligung an einem Unternehmen dienen; in einem solchen Fall geht es nicht um ein Finanzgeschäft, sondern um den Erwerb eines Unternehmensanteils.“

Auch im weiteren Regelungszusammenhang der Richtlinie wird diese Einschränkung nicht aufgenommen. Insbesondere die Einschränkung ihres Anwendungsbereichs auf Wertpapierfirmen in Art. 1 Abs. 1 führt durch die weite Definition der Wertpapierfirma in Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie nicht zu einer Einschränkung i. S. d. § 104 Abs. 2 Nr. 2 InsO:

Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:

„1. „Wertpapierfirma“ jede juristische Person, die im Rahmen ihrer üblichen beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit gewerbsmäßig eine oder mehrere Wertpapierdienstleistungen für Dritte erbringt und/oder eine oder mehrere Anlagetätigkeiten ausübt.“

Die hier beschriebene Anlagetätigkeit kann auch ein Beteiligungserwerb sein, der zur Herstellung einer dauernden Verbindung durchgeführt wird. Damit wird dieser Erwerb, anders als bisher, durch den InsO-E den das Wahlrecht ausschließenden Wirkungen des (unveränderten) § 104 Abs. 1 InsO unterworfen.

Diese Erstreckung begegnet rechtlichen und praktischen Bedenken. Es mag im Einzelfall schwierig sein, den beabsichtigten dauerhaften Erwerb einer Unternehmensbeteiligung von kurzfristig angelegter Spekulation zu unterscheiden. Dieser Umstand darf jedoch nicht dazu führen, dass solche Unternehmensbeteiligungen durch Wertpapierfirmen anderen Regelungen unterworfen werden. Dies umso mehr, als durch eine solche Gestaltung das bisherige Regelungskonzept des § 104 grundlegend in Frage gestellt würde. Es stellt bislang auf die Art des Geschäfts und nicht auf die rechtliche Einordnung der Vertragsparteien ab. Dies entspricht der Rolle des § 104 InsO als Ausnahmeregelung zu § 103 InsO.

b) Weiterführende rechtliche Bedenken verbinden sich auch mit der Befugnis der Kommission, die Inhalte der in § 104 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 in Bezug genommenen Finanzinstrumente im Rahmen delegierter Rechtsakte zu verändern. In Artikel 4 Abs. 2 der Richtlinie wird der Kommission die durch Art. 89 näher ausgestaltete Befugnis zum Erlass delegierter Rechtsakte übertragen: „Der Kommission wird die Befugnis übertragen, delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 89 zu erlassen, um einige technische Elemente der Begriffsbestimmungen in Absatz 1 zu bestimmen, mit dem Ziel, sie an die Marktentwicklungen, die technologischen Entwicklungen und die Erfahrungen mit nach der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 verbotenen Tätigkeiten anzupassen und die einheitliche Anwendung dieser Richtlinie sicherzustellen.“

In ihrer Wirkung auf den § 104 Abs.1 Satz 3 Nr. 2 InsO-E entspricht diese Befugnis einer Ermächtigung, die nach deutschem Recht (Art. 80 GG) nur durch eine Verordnungsermächtigung übertragen werden kann. Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG können in dieser Weise nur die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen ermächtigt werden. Zudem muss die Ermächtigung nach Inhalt, Zweck und Ausmaß im Gesetz bestimmt werden (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG).

Die rechtlichen Bedenken werden gestützt durch die Annahme einer delegierten Verordnung (EU) vom 25.04.2016 zur Ergänzung der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die organisatorischen Anforderungen an Wertpapierfirmen und die Bedingungen für die Ausübung ihrer Tätigkeit sowie in Bezug auf die Definition bestimmter Begriffe für die Zwecke der genannten Richtlinie (C (2016) 2398 final) durch die Kommission.

Die von der Kommission angenommene Verordnung „soll insbesondere die Vorschriften festlegen, die sich auf eine Befreiung, die organisatorischen Anforderungen für Wertpapierfirmen, Datenbereitstellungsdienste, Wohlverhaltensregeln bei der Erbringungen von Wertpapierdienstleistungen, die kundengünstigste Ausführung von Aufträgen, die Bearbeitung von Kundenaufträgen, die KMU-Wachstumsmärkte, die Grenzwerte, ab denen die Pflichten zur Meldung von Positionen gelten, und die Kriterien, nach denen sich bestimmt, ob die Geschäfte eines Handelsplatzes in einem Aufnahmemitgliedstaat als von wesentlicher Bedeutung für das Funktionieren der Wertpapiermärkte und den Anlegerschutz angesehen werden können, beziehen. (http://ec.europa.eu/finance/securities/isd/mifid2/index_de.htm)

Dies zeigt, dass nicht nur „einige technische Elemente der Begriffsbestimmungen“, sondern vielmehr auch Regelungen zur grundsätzlichen Anwendbarkeit getroffen werden sollen.

Zuletzt in 2 BvR 414/08, Rz.39 hat das BVerfG hierzu ausgeführt: „In der Rechtsprechung des BVerfG zu Art 80 GG ist geklärt, dass zur näheren Bestimmung von Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung auch Rechtsakte außerhalb der eigentlichen Verordnungsermächtigung, insbesondere auch Rechtsakte anderer Normgeber, herangezogen werden können (vgl. BVerfGE 19, 17 <31> ) Der Gesetzgeber kann in einer Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen grundsätzlich auch auf Normen und Begriffe des Rechts der Europäischen Union verweisen. Unionsrecht und nationales Recht der Mitgliedstaaten sind zwar zwei verschiedene Rechtsordnungen. Die beiden Rechtsordnungen stehen jedoch nicht unverbunden nebeneinander, greifen vielmehr auf mannigfache Weise ineinander. Diese vielfältige Verschränkung von Unionsrecht und nationalem Recht verbietet es, Verweisungen auf Unionsrecht anders zu beurteilen als Verweisungen auf nationales Recht (vgl. BVerfGE 29, 198 <210>).“

Das BVerfG führt weiter (a.a.O. Rz.40) aus:

„Grenzen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers können sich aus den allgemeinen rechtsstaatlichen Anforderungen an den Einsatz von Verweisungen ergeben. Verweisungen sind als vielfach übliche und notwendige gesetzestechnische Methode anerkannt, sofern die Verweisungsnorm hinreichend klar erkennen lässt, welche Vorschriften im Einzelnen gelten sollen und wenn die in Bezug genommenen Vorschriften dem Normadressaten durch eine frühere ordnungsgemäße Veröffentlichung zugänglich sind (vgl. BVerfGE 47, 285 <311> ). Auch dynamische Verweisungen sind nicht schlechthin ausgeschlossen, wenngleich ein besonders strenger Prüfungsmaßstab im Einzelfall geboten sein kann. Bei fehlender Identität der Gesetzgeber bedeutet eine dynamische Verweisung mehr als eine bloße gesetzestechnische Vereinfachung; sie führt zur versteckten Verlagerung von Gesetzgebungsbefugnissen und kann daher Bedenken unter bundesstaatlichen, rechtsstaatlichen und demokratischen Gesichtspunkten ausgesetzt sein ( BVerfGE 47, 285 <312> ).“

Eine Verweisung auf Unionsrecht wäre deshalb im Zusammenhang mit der vorgeschlagenen Änderung des § 104 Abs. 2 Satz 2 Nr.2 InsO nicht von vorneherein ausgeschlossen. Die Verfassungsmäßigkeit einer solchen Verweisung setzt jedoch im vorliegenden Fall eine erteilte Ermächtigung i. s. d. Art 80 Abs. 1 Satz 1 GG voraus. Diese legitimationsbegründende Einschaltung fehlt hier.

II. zu §104Abs. 2 InsO-E

In § 104 Abs. 2 InsO-E nimmt die Regelung des § 104 Abs. 3 InsO auf und modifiziert sie. Die Begründung des Entwurfs (S. 9) führt dazu aus:

„Er (Anm.: § 104 Abs. 2 InsO-E) übernimmt und konkretisiert dabei den Regelungsgehalt des § 104 Absatz 3 InsO, nicht aber dessen Wortlaut, der – historisch bedingt – auf die Besonderheiten des in § 104 Absatz 1 InsO geregelten Fixhandelskaufs zugeschnitten ist und daher bei derivativen Instrumenten wie z. B. Optionen und Swaps zu Auslegungsschwierigkeiten und Unklarheiten führt. Aus diesem Grund stellt § 104 Absatz 2 InsO-E auf den Markt- und Börsenwert des Geschäfts ab, anstatt wie bisher auf die Differenz zwischen dem vereinbarten und dem Markt- und Börsenpreis. In der Sache ändert sich damit nichts, da auch bislang davon auszugehen war, dass es im Ergebnis auf den Preis eines hypothetischen Ersatzgeschäfts und damit auf den Wert der Position ankommt, die durch das in Wegfall geratene Geschäft vermittelt wurde.“

Die Begründung (a.a.O.) kommt deshalb zu dem Schluss, dass eine Behebung der angesprochenen Schwierigkeiten ohne Rückgriff auf rechtsgeschäftliche Konkretisierungen in den einschlägigen Vertragsdokumentationen kaum verlässlich möglich sei und deshalb die Parteien auch privatautonome Regelungen zur näheren Bestimmung des maßgeblichen Markt- und Börsenwerts treffen können müssten, wie dies § 104 Absatz 4 InsO-E nunmehr klarstelle.

Der BGH (a. a. O. Rn. 60) sieht in § 104 Abs. 3 InsO eine dezidiert masseschützende Funktion:

„Es wäre widersprüchlich, wenn einerseits die Masse durch § 104 Abs. 2 InsO geschützt werden soll, indem diese Vorschrift kein Insolvenzverwalterwahlrecht vorsieht, andererseits die Parteien gerade diesen Zweck des Masseschutzes durch individualvertragliche Vereinbarungen umgehen könnten, die eine von § 104 Abs. 3 InsO zu Lasten der Masse abweichende Berechnungsweise des Ausgleichsanspruchs vorsehen. Insbesondere die von den Klägerinnen reklamierte und im Rahmenvertrag, nicht jedoch in § 104 Abs. 3 InsO vor gesehene Beschränkung eines von der solventen Partei auszugleichenden finanziellen Vorteils auf den von der insolventen Partei erlittenen Schaden (Nr. 8 Abs. 2 Satz 1 Rahmenvertrag) wäre geeignet, das durch § 104 Abs. 3 InsO gewährleistete Niveau des Masseschutzes abzusenken. Der Umstand, dass in § 104 Abs. 2 Satz 3 InsO Rahmenverträge über Finanzleistungen erwähnt werden, eröffnet nicht die Möglichkeit, über den in dieser Vorschrift vorgesehenen Regelungsrahmen hinaus Abweichungen von § 104 InsO vertraglich vorzusehen.“

 Die hier angesprochene Frage des Masseschutzes wird nun durch § 104 Abs. 4 InsO-E zugunsten derogativer Vereinbarungen beantwortet. § 104 Abs. 4 Satz1 InsO-E sieht dabei noch eine Wahrung der wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung vor, ohne diese allerdings konkret zu benennen. In der Begründung (S. 11) wird hierzu ausgeführt:

„Im Unterschied zu den §§ 103, 105 ff. InsO schützt § 104 InsO in erster Linie nicht die Insolvenzmasse, sondern die Fähigkeit der Parteien, Marktrisiken zu steuern. Daher kann es den Parteien überlassen bleiben, zweckentsprechende Vereinbarungen privatautonom zu treffen, um für ein gleichermaßen praktikables wie rechtssicheres Verfahren zur Durchführung des Lösungsmechanismus zu sorgen.“

Zum Inhalt der gesetzlichen Grundgedanken führt die Begründung (a.a.O.) tautologisch aus:

„Grundsätzlich eröffnet § 104 Absatz 4 InsO-E die Möglichkeit, von den gesetzlichen Bestimmungen abzuweichen, soweit dies mit dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, vereinbar ist. Damit wird klargestellt, dass es bei der Prüfung, ob eine von § 104 InsO-E abweichende vertragliche Regelung nach § 119 InsO unwirksam ist, nur auf solche Abweichungen ankommt, die mit den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Bestimmung nicht vereinbar sind.“

Demgegenüber hat der BGH (a.a.O. Rn. 61 ff.) überzeugend dargelegt, dass die Anwendung des § 104 InsO in seiner bisherigen Fassung nicht zu einem unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten untragbaren Ergebnis führt. Die Annahme, § 104 InsO schütze nicht in erster Linie die Insolvenzmasse, wird außerdem durch den Blick auf die Begründung des Regierungsentwurfs 1992 (s. oben) nicht bestätigt. Die dort betonte Verhinderung von Unsicherheit und Spekulation wird als gesetzliche Zweckrichtung nur wirksam, weil sie nach der Annahme des Gesetzgebers keine Nachteile für die Masse auslöst. Der Verwalter habe, wenn er die Ware zur Fortführung des Unternehmens des Schuldners benötige, ohne Schwierigkeiten die Möglichkeit, sich anderweitig einzudecken. Systematisch ist eine solche Stellung des § 104 InsO ohnehin nicht anzunehmen. Als Ausnahmeregelung zu § 103 InsO steht er in engem Bezug zum Wahlrecht des Insolvenzverwalters das wiederum eindeutig masseschützenden Zwecken dient. Im Ergebnis vermag deshalb die durch den InsO-E vorgeschlagene Lösung nicht zu überzeugen.

III. zu § 104 Abs. 3 InsO-E

 aa) §104 3 Satz 1 InsO-E

Die Regelung des § 104 Abs. 2 Satz 3 InsO wird als § 104 Abs. 3 Satz 1 Inso-E in die Neufassung nahezu wortgleich übernommen. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang aber die Einbeziehung von Warentermingeschäften in die bislang nur auf Geschäfte über Finanzleistungen bezogene Regelung.

Die Begründung des Entwurfs (S. 11) sieht hier keine grundlegende Erweiterung der Ausnahmeregelung des § 104 InsO:

„In der Einbeziehung auch der Warentermingeschäfte des § 104 Absatz 1 InsO liegt nur vordergründig eine Neuerung gegenüber der bisherigen auf Finanzleistungsverträge beschränkten Regelung in § 104 Absatz 2 Satz 3 InsO. Zum einen sind Warentermingeschäfte mittlerweile auch in den Finanzinstrumentebegriff des Artikels 4 Absatz 15 der neugefassten Finanzmarktrichtlinie einbezogen worden, so dass sie nach den zur Begründung der Neufassung des § 104 Absatz 1 InsO-E angestellten Überlegungen über weite Strecken bereits als Finanzleistungsverträge gelten.“

Das Begleitschreiben (S. 3) zum InsO-E betont demgegenüber die Bedeutung der Erweiterung für die Absicherung weiterer Märkte:

„Im Energiegroßhandelsmarkt und im Rohstoffhandel sind Liquidationsnettingklauseln ebenfalls von besonderer Bedeutung. Denn auch bei Optionen über Warentermingeschäfte verhindert das Liquidationsnetting, dass der Vertragsgegner der insolventen Partei Marktpreisrisiken ausgesetzt ist.“

Hierin liegt eine bedeutsame Erweiterung des Ausnahmecharakters von § 104 InsO, die durch die von der Begründung des InsO-E zitierte Umsetzung der Richtlinie nicht gedeckt ist. Dort wird in Art. 1 Abs. 1 Satz 1 der Anwendungsbereich auf Wertpapierfirmen beschränkt (s.o.). Die von der Begründung des InsO-E zitierten bankaufsichtsrechtlichen Implikationen finden sich hier nicht.

Die außerhalb des Finanzmarktes zur Absicherung von Marktpreisrisiken abgeschlossenen Rahmenvereinbarungen werden vor allem auf der Großhandelsstufe genutzt um Einzelabschlüsse für Bezug und Verkauf von Rohstoffen zu erleichtern. Rechtsunsicherheiten über ihre Wirksamkeit bringen ohne Zweifel Wettbewerbsnachteile in Form eingeschränkter Handelsmöglichkeiten mit sich (vgl. hierzu die gem. Erklärung von bdew et al. vom 13.8.2014). Aus den in bestimmten Märkten üblichen Vereinbarungen zur Minimierung von Kreditrisiken kann jedoch nicht der allgemeine Grundsatz abgeleitet werden, dass solche Vereinbarungen auch insolvenzrechtlich privilegiert werden müssen. Dies gilt zumindest solange in diesen Märkten keine regulativen Eingriffe stattfinden, die in ihren Auswirkungen ansonsten (etwa durch erhöhte Eigenkapitalanforderungen) eine entsprechende Entlastung begründen können.

bb) §104 3 Satz 2 und 3 InsO-E

In § 104 Abs. 3 Satz 2 und 3 InsO-E finden sich Ergänzungen des bisherigen Regelungsgehalts, die als klarstellende Regelungen sinnvoll erscheinen.

IV. zu §104Abs. 4 Inso-E

In § 104 Abs. 4 InsO-E wird der vertraglichen Derogation des § 104 ein breiter Spielraum eingeräumt (s.o.). Dieser breite Spielraum soll als Antwort auf die einschränkende Auslegung durch den BGH insbesondere einen Eintritt der Wirkungen des § 104 Abs. 1 InsO schon bei Verfahrenseröffnung möglich machen.

Damit wird die vom BGH judizierte (Rn.58 unter Verweis auf BGH, Urteil vom 15. November 2012 – IX ZR 169/11, BGHZ 195, 348 Rn. 19) Vorwirkung des § 119 InsO umgangen, die zentrale Bedeutung für den Masseschutz entfaltet: „Könnte eine Lösungsklausel wirksam an die Insolvenzantragstellung anknüpfen, würde in der Praxis die Eröffnung des Insolvenzverfahrens selbst als Anknüpfung für nur dann als unwirksam anzusehende Lösungsklauseln jede Bedeutung verlieren (BGH, aaO). Der vor §§ 104, 119 InsO beabsichtigte Masseschutz könnte ohne weiteres ausgeschlossen und der Zweck der Vorschrift unterlaufen werden (BGH, aaO).“

Bedenklich erscheint in diesem Zusammenhang auch die Möglichkeit, auf das Vorliegen eine Eröffnungsgrundes abzustellen. Die Feststellung, zu welchem Zeitpunkt ein Eröffnungsgrund vorliegt, kann selbst in großen Verfahren erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Vielfach wird in solchen Fällen deshalb auf die Angabe eines genauen Datums verzichtet und lediglich ausgeführt, dass ein Eröffnungsgrund „spätestens zum….“ vorgelegen habe. Ein Abstellen auf das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes kann deshalb im hier betroffenen Regelungszusammenhang zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten und erheblicher Rechtsunsicherheit führen.

Für die Ermittlung des Markt-und Börsenpreises soll in § 104 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 InsO-E nun ein maßgeblicher Zeitpunkt oder Zeitraum vereinbar werden. Auch diesem Vorschlag ist die vom BGH überzeugend begründete Vorwirkung des § 119 InsO entgegen zu halten. Zu Recht weist der BGH (a.a.O.Rn.60) auch auf die Widersprüchlichkeit einer entsprechenden Regelung hin: „Es wäre widersprüchlich, wenn einerseits die Masse durch § 104 Abs. 2 InsO geschützt werden soll, indem diese Vorschrift kein Insolvenzverwalterwahlrecht vorsieht, andererseits die Parteien gerade diesen Zweck des Masseschutzes durch individualvertragliche Vereinbarungen umgehen könnten, die eine von § 104 Abs. 3 InsO zu Lasten der Masse abweichende Berechnungsweise des Ausgleichsanspruchs vorsehen.“

 Auch für § 104 Abs. 4 Satz 2 Nr.2 InsO-E gelten im Übrigen wegen der Verweisung auf den in Nr.1 möglichen Zeitpunkt des Vorliegens eines Eröffnungsgrundes die bereits dort geschilderten Bedenken.

Im Ergebnis sollte auf die Änderungen des § 104 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 und 2 InsO-E verzichtet werden. Eine vertragliche Derogation der gesetzlichen Regelung des § 104 InsO erscheint jedenfalls in der hier angelegten breiten Anwendung nicht gerechtfertigt.

V.

Der vorliegende Entwurf lässt an wichtigen Stellen Fragen offen. Das mit ihm verfolgte Ziel einer Verbesserung der Rechtssicherheit ist, soweit es den engeren Bereich der Kreditwirtschaft betrifft, durchaus sinnvoll aber in Bezug auf die aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung keinesfalls zwingend erforderlich. Eine Erweiterung der durch § 104 InsO geregelten Ausnahme vom Grundsatz des § 103 InsO zu Gunsten anderer Wirtschaftsbereiche erscheint durch aufsichtsrechtliche Implikationen nicht geboten.

Im Übrigen ist zweifelhaft ob die gewählten Termini des InsO-E geeignet sind, die gerade im Bereich des Finanzmarktes notwendige Rechtssicherheit herstellen zu können. Beispielhaft sei dabei verwiesen auf § 104 Abs. 2 InsO-E („Als Markt- oder Börsenwert gilt der Markt- oder Börsenpreis für ein Ersatzgeschäft, das unverzüglich abgeschlossen wird oder hätte abgeschlossen werden können“) und § 104 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 InsO-E („Sie können insbesondere vereinbaren, (…) dass für die Ermittlung des Markt- und Börsenwerts des Geschäfts ein Zeitpunkt oder ein Zeitraum maßgeblich ist, der zwischen dem Eintritt der Wirkungen nach Absatz 1 oder einem nach Nummer 1 vereinbarten Zeitpunkt und dem fünften oder, sofern dies zum Zwecke einer wertschonenden Abwicklung erforderlich ist, dem zehnten darauf folgenden Werktag liegt.“). Den Vertragspartnern werden damit Gestaltungsspielräume hinsichtlich des tatsächlichen Zeitpunktes und der Berechnungsmethode eröffnet. Schon aus diesem Grund erscheint die mit dem InsO-E gewählte Lösung bedenklich.

Stellungnahme des VID zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz, BT-Drucksache 18/7054

A. Vorbemerkung

 

Das deutsche Insolvenzrecht hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten eindrucksvoll gezeigt, dass es einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt von Unternehmen, damit auch zum Erhalt von Arbeitsplätzen, leisten kann. In jüngster Zeit haben das Gesetz zur erleichterten Sanierung von Unternehmen, ESUG[1], und auch der Ansatz der Europäischen Kommission den Sanierungsansatz des Insolvenzrechts und somit eine zweite Chance für Unternehmer nochmals deutlich hervorgehoben und gestärkt. Nicht ohne Grund hebt die Weltbank in ihrer letzten Erhebung[2] hervor, dass Deutschland im Bereich Insolvenz und Reorganisation eine weltweit führende Rolle einnimmt.

Das bis heute Erreichte und die Entwicklung dahin waren jedoch keine Selbstläufer. Vielmehr sind sie Produkt einer langen Reformdiskussion und auch das Ergebnis der Vereinheitlichung der beiden deutschen Rechtssysteme nach 1989. Bis dahin galten vor allem in der Konkursordnung über Jahrzehnte gewachsene und sehr umfangreiche Vorrechte, die nicht nur häufig die Eröffnung eines Konkursverfahrens, sondern in der Folge auch den Erhalt des Unternehmens unmöglich machten.

„Sanieren statt liquidieren“ mag man als Überschrift über die Insolvenzordnung schreiben. Der Sanierungsgedanke, zumindest als alternativer Verwertungsweg zur Unternehmenszerschlagung, wird bereits in § 1 der Insolvenzordnung ausdrücklich genannt. Sanierung bedeutet Unternehmenserhalt und Unternehmenserhalt bedeutet Arbeitsplatzerhalt. Die Sanierung von Unternehmen ist aber nur dort möglich, wo die insolventen oder insolvenzbedrohten Unternehmen zumindest noch über ein Mindestmaß an finanziellen Mitteln verfügen, um im Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung die zwingend notwendigen Maßnahmen zur Sicherung der Betriebsfortführung zu finanzieren.

Ein zentrales Instrument der Sicherung der finanziellen Basis für ein Insolvenzverfahren ist das Anfechtungsrecht, welches die große Insolvenzreform von 1994 deshalb ausdrücklich und sehr weitgehend gestärkt hat. Mit dem Anfechtungsrecht soll in erster Linie der Wettlauf zwischen den Gläubigern unterbunden oder zumindest frühzeitig beendet werden. Ein Wettlauf, der ohnehin in Bezug auf die Finanzbehörden, die Sozialversicherungsträger, Berufsgenossenschaften etc. mit ungleichen Mitteln ausgetragen wurde und wird. Als Selbsttitulierer können diese nicht nur schneller die Voraussetzung für die Vollstreckung ihrer Forderung schaffen, sondern sie verfügen in der Regel auch über eigene Vollstreckungsabteilungen, welche zudem auch über weitergehende Einsichtsrechte in die finanziellen Verhältnisse der insolvenzgefährdeten Unternehmen verfügen.

Diesen Wettlauf zu unterbinden führt nicht nur dazu, dass geleistete Zahlungen und Vermögensverfügungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens rückgängig gemacht werden. Eine ganz wesentliche Wirkung des Insolvenzanfechtungsrechts besteht auch darin, präventiv zu wirken. Dem Rechtsverkehr wird von vornherein signalisiert, dass ein starkes Anfechtungsrecht und eine zunehmend professionalisierte Insolvenzverwaltung eine Sicherung eigener Ansprüche zu Lasten der übrigen Gläubiger noch kurz vor der Insolvenzantragstellung nicht sinnvoll erscheinen lassen.

Aber selbst da, wo eine Sanierung des insolventen Unternehmens nicht mehr möglich ist, wird durch Anfechtungsansprüche häufig zumindest die Deckung der Verfahrenskosten sichergestellt. Erst hierdurch wird die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ermöglicht. Auch diese sogenannten Ordnungsverfahren liegen im Interesse der Allgemeinheit. Nur so wird ein geordneter Marktaustritt des insolventen Unternehmens sichergestellt.

Gerade Arbeitnehmer, in Bezug auf Arbeitszeugnisse, Verdienstbescheinigungen, Rentenbescheinigungen etc. wissen, wie wichtig ein Insolvenzverwalter als kompetenter Ansprechpartner ist. Aber auch Vertragspartner werden die geordnete Rückgabe von Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaften schätzen oder Banken und Vermieter die Verwertung von Sicherheiten und die Herausgabe von angemieteten Räumlichkeiten als wichtig erachten.

Mit dem Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz (im Folgenden: RegE), den die Bundesregierung unter dem Stand vom 29.09.2015 veröffentlicht hat[3], geht ein von Beginn an kontrovers diskutiertes Reformvorhaben in die parlamentarischen Beratungen.[4]

Ein zu starker Eingriff in das Anfechtungsrecht wird nicht nur die Sanierung von Unternehmen, den Erhalt von Arbeitsplätzen und damit auch die zweite Chance für gescheiterte Unternehmer gefährden, sondern auch die Zahl der eröffneten Insolvenzverfahren sehr deutlich sinken lassen. Ein solcher Nebeneffekt, vor allem bedingt durch die im Regierungsentwurf vorgesehenen Regelungen der Zwangsvollstreckungen in § 131 RegE und zur Lohnsteuer sowie zu Sozialversicherungsbeiträgen in § 142 RegE dürfen aber nicht als Kollateralschaden sehenden Auges hingenommen werden.

 

B. Beispiele aus der Praxis

 

Schon heute gelingt es nur mit größter Anstrengung, den laufenden Geschäftsbetrieb insolventer Unternehmen zu stabilisieren. Keine Seltenheit sind selbst größere mittelständische Unternehmen mit einigen hundert Arbeitnehmern, welche im Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung nur über geringste liquide Mittel von einigen tausend Euro verfügen, welche trotz Sicherung der Gehälter über das Insolvenzausfallgeld nicht einmal annähernd ausreichen, um die wesentlichen Maßnahmen der Betriebsfortführung, wie etwa der Einkauf von Rohstoffen oder aber die Bezahlung der Spediteure und sonstigen Dienstleister, sicherzustellen.

Ein Beispiel aus meiner eigenen Berufspraxis ist etwa die Insolvenz eines traditionsreichen Industriebäckers. Dieser musste im Jahr 2014 an seinen vier Produktionsstätten und mit insgesamt fast 800 Arbeitnehmern Insolvenzantrag stellen. Bei einem Jahresumsatz von € 89 Mio. verfügte das Kernunternehmen im Zeitpunkt der Antragstellung über kein Guthaben bei Banken. Das Vorratsvermögen reichte nur noch für zwei Produktionstage, um die Großkunden des deutschen Discounteinzelhandels zu beliefern.

Aber auch bei kleineren mittelständischen Unternehmen, wie etwa einem technischen Dienstleister für die Stahl- und Chemieindustrie, war mit insgesamt 70 Arbeitnehmern im Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung im Herbst 2015 die Situation ähnlich extrem. Dort war lediglich noch eine Barkasse von € 134,00 vorhanden.

In diesen beiden, und vielen weiteren Fällen aus der Praxis der Mitglieder unseres Berufsverbandes handelt es sich um Produktions- und Dienstleistungsbetriebe, welche mitten im wirtschaftlichen Leben standen. Neben einer immer mehr zunehmenden Fremdfinanzierung der Unternehmen über Leasing und die Besicherung des Betriebsvermögens zugunsten der finanzierenden Banken, ist auch die Furcht der Geschäftsführer und der Vorstände vor einer persönlichen Haftung bei Nichtzahlung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen für die Situation verantwortlich.

Im zweiten Beispiel des Dienstleisters für die Stahl- und Chemieindustrie, hat der Geschäftsführer am Tag der Antragstellung rückständige Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von € 186 000 zur Anweisung gebracht und somit die letzten finanziellen Reserven zugunsten nur eines einzigen Gläubigers verwendet.

Hier dürfte deutlich sein, dass die Sanierung solcher Betriebe wenn nicht unmöglich, so doch durch einen stärkeren Eingriff in das Anfechtungsrecht erschwert wird. Dies schon bei heutiger Rechtslage und der Kenntnis der wichtigen Gläubiger, dass die Entgegennahme von Zahlungen kurz vor der Insolvenzantragstellung und in Kenntnis des Zahlungsempfängers von der Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens im höchsten Maße anfechtbar sind.

Dieser Entwicklung muss mit allen erdenklichen Möglichkeiten, vor allem auch im Hinblick auf eine frühere Antragstellung durch die Geschäftsführer, entgegengewirkt werden. Keinesfalls darf der heute schon unbefriedigende Zustand durch eine Entschärfung des Anfechtungsrechts und zudem durch Privilegien zugunsten einzelner Gläubigergruppen noch weiter verschlechtert werden. Ohne Geld keine Sanierung. Dann heißt es liquidieren statt sanieren.

 

C. Rechtliche Würdigung[5]

 

1. Keine Privilegierung öffentlicher Gläubiger durch §131Abs. 1 Satz 2 RegE

 

„Eine Rechtshandlung wird nicht allein dadurch zu einer solchen nach Satz 1, dass die Sicherung oder Befriedigung durch Zwangsvollstreckung erwirkt oder zu deren Abwendung bewirkt worden ist.“

 Mit dieser vorgeschlagenen Fassung des § 131 Abs.  1 Satz 2 fällt der RegE deutlich hinter die Diskussion des § 131 InsO und den Referentenentwurf des BMJV vom 16.03.2015 zurück. Man gewinnt den Eindruck, dass dieser Rückfall nunmehr ungeschminkt die öffentlichen Kassen als eigentliche „Gewinner“ dieser Reform sichtbar macht.

Wie bereits beim Referentenentwurf überrascht die Aufnahme dieser Regelung auch im Regierungsentwurf. Sie entspricht nämlich nicht dem Prüfauftrag des Koalitionsvertrages. Die dort genannten Fallgestaltungen (Planungssicherheit und Arbeitnehmerschutz) sind erkennbar auf eine Prüfung des § 133 InsO und nicht auf § 131 InsO gerichtet.

Die Planungssicherheit des Geschäftsverkehrs wird durch § 131 InsO nur mittelbar berührt, weil diese Regelung auf bereits durch Vollstreckungsmaßnahmen erlangte Deckungen zielt. Der weitere Einbehalt dieser Deckungen ist nicht mehr von einem künftigen Verhalten des Gläubigers abhängig. Eine Änderung des § 131 InsO kann deshalb auch nicht zur gesetzlichen Steuerung dieses Verhaltens dienen, sondern lediglich eine Privilegierung früheren Verhaltens festschreiben.

Für künftiges Verhalten schafft diese Änderung nur dort Planungssicherheit, wo die Vollstreckung als Option offen steht und trotz der oftmals bereits eingetretenen Zahlungsschwierigkeiten des Schuldners und der regelmäßig früheren Vollstreckungsbemühungen der öffentlichen Gläubiger noch erfolgreich ist. Auch bereits ausgezahlte Löhne werden durch § 131 InsO nicht erfasst. Das Vertrauen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auf den Einbehalt von Löhnen wird durch § 131 InsO nur in den insgesamt sehr seltenen Fällen berührt, in denen Arbeitnehmer gegen ihren Arbeitgeber wegen ausgebliebener Lohnzahlungen vollstrecken und diese Vollstreckungen im Zeitraum von drei Monaten vor Insolvenzantragsstellung erfolgreich waren. Eine Auszahlung hat in diesen Fällen aber gerade nicht stattgefunden, weil es sonst nicht zur Vollstreckung gekommen wäre.

Im starken Gegensatz zu dieser Ausgangslage stehen die tatsächlichen Wirkungen, die mit der nun vorgeschlagenen Ergänzung von § 131 InsO verbunden wären. Diese Ergänzung erinnert an einen früheren Versuch zur Änderung der Insolvenzanfechtung, der mit dem Entwurf eines „Gesetzes zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge und zur Anpassung des Rechts der Insolvenzanfechtung“ bereits 2006 im Deutschen Bundestag gescheitert war[6]. Im Rahmen des § 131 InsO war damals folgende Änderung vorgesehen:

„Eine Rechtshandlung wird nicht dadurch zu einer solchen nach Satz 1, dass der Gläubiger die Sicherung oder Befriedigung durch Zwangsvollstreckung erlangt.“

Die noch im Referentenentwurf vorgeschlagene Ergänzung des § 131 InsO wandelte diesen früheren Vorschlag ab, indem sie nur solche Deckungen einbezog, die auf der Basis eines in einem gerichtlichen Verfahren erlangten Titels erlangt werden. Damit sollten erkennbar Fiskus und Sozialversicherungsträger ausgeschlossen werden, die überwiegend auf der Basis selbst geschaffener Titel vollstrecken. Auch gegen diese noch eingeschränkte Art der Privilegierung zwangsvollstreckender Gläubiger in der Insolvenz wurden schon starke Bedenken formuliert[7].

Finanzbehörden und Sozialversicherungsträger sind sogenannte Selbsttitulierer. Diese können ohne ein langwieriges gerichtliches Verfahren eigene Vollstreckungstitel schaffen, welche sie zudem noch mit eigenen Vollstreckungsbeamten zwangsweise durchsetzen können – ein entscheidender zeitlicher Vorteil, welcher von keiner anderen Gläubigergruppe jemals eingeholt werden kann.

Die nun durch den RegE wieder hervorgeholte Idee einer umfassenden Privilegierung von Zwangsvollstreckungen wäre aus Sicht der Insolvenzpraxis gleichzusetzen mit der Aufgabe des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung im Insolvenzverfahren. Gleichzeitig wäre diese Entwicklung geeignet, die seit Inkrafttreten der Insolvenzordnung deutlich gestiegenen Eröffnungsquoten signifikant zu reduzieren und damit in Zustände zurückzuführen, die vor 1999 allgemein als „Konkurs des Konkurses“ beklagt wurden. Eine Rückkehr zu der im Referentenentwurf vorgeschlagenen einseitigen Privilegierung des auf der Basis gerichtlicher Titel Erlangten ist aus den gleichen Gründen keine gangbare Alternative.[8]

Mit dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung hat die Insolvenzordnung eine zentrale Ratio moderner Insolvenzverfahren auch im deutschen Insolvenzrecht verankert. Der Verzicht auf die Privilegierung einzelner Gläubiger oder Gläubigergruppen wäre allerdings unvollkommen, würde er nicht durch ein Insolvenzanfechtungsrecht unterstützt, das den Ausgleich von erlangten Sondervorteilen einzelner Gläubiger auch auf die Zeit vor Antragstellung erstreckt.[9] Solche Sondervorteile werden auch durch Zwangsvollstreckung erlangt und so kann es nicht verwundern, dass diese durch Zwangsvollstreckung erhaltenen Deckungen auch schon zu Zeiten der Konkursordnung der Anfechtung unterfielen.

Wird dieser Grundsatz für bestimmte Formen der Zwangsvollstreckung durchbrochen, dann führt dies zu einer massiven Umsteuerung des Gläubigerverhaltens durch den Gesetzgeber. Jeder Gläubiger, der von einer Zahlungskrise seines Schuldners Kenntnis erlangt oder eine solche Krise vermutet, wird künftig aus wohl verstandenem Eigeninteresse sofort den Weg der Zwangsvollstreckung einschlagen, um seine Außenstände anfechtungsfest beizutreiben.

Die zuletzt mit dem ESUG verfolgte Intention eines sanierungsfreundlichen Insolvenzrechts wird dadurch in ihr Gegenteil verkehrt. Außergerichtliche Verhandlungen und Stundungen werden nur noch solche Gläubiger gewähren, die befürchten müssen, durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einen Kunden zu verlieren. Damit sind typischerweise die großen Lieferanten im Vorteil, die ohne solche Rücksichten agieren können, weil sie genügend Kunden haben. Kleine Unternehmen und Handwerker werden dagegen benachteiligt, weil sie solche Rücksichten nehmen müssen.

Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen verfügen heute bei Antragstellung oft nicht mehr über ausreichende Mittel, um die Verfahrenseröffnung sicherzustellen. Zentrale Vermögensgegenstände sind regelmäßig wertausschöpfend mit Sicherungsrechten belastet und die verbliebenen liquiden Mittel sind in der Krise dramatisch verringert worden. In sehr vielen Fällen bleibt festzustellen, dass diese Unternehmen, die die absolute Mehrzahl der Unternehmensinsolvenzfälle in Deutschland bilden, bereits seit Monaten oder sogar Jahren insolvenzreif waren, bevor sie einen Insolvenzantrag stellen oder durch Fremdanträge in die Insolvenz geschickt werden. Haftungsansprüche gegen die Verantwortlichen für solche Insolvenzverschleppungen gehen dennoch oftmals ins Leere, weil auch dort alle Vermögensgegenstände bis zuletzt als Sicherung für Unternehmenskredite hingegeben wurden. Es bleiben damit heute in vielen Fällen nur die Insolvenzanfechtungsansprüche, um die Ausfälle der Gläubigergemeinschaft zu reduzieren und genügend Masse für eine Verfahrenseröffnung zu generieren.

Diesen Zusammenhang hatte schon der Regierungsentwurf zur Insolvenzordnung vom 15.04.1992 formuliert:[10]

„Die Massearmut der heutigen Konkursverfahren geht zu einem erheblichen Teil darauf zurück, daß Schuldner im Vorfeld einer herannahenden, oftmals geradezu geplanten, Insolvenz erhebliche Vermögenswerte auf Dritte übertragen und so ihren Gläubigern entziehen. Die Tatbestände des Anfechtungsrechts sollen deshalb so ausgestaltet werden, daß die Durchsetzung von Anfechtungsansprüchen wesentlich erleichtert wird, soweit nicht Erfordernisse der Rechtssicherheit und des Verkehrsschutzes entgegenstehen. Von der Verschärfung des Anfechtungsrechts sind eine wesentliche Anreicherung der Insolvenzmassen und damit auch eine Erleichterung der Verfahrenseröffnung zu erwarten.“

Eine Verfahrenseröffnung ist die Voraussetzung einer geordneten Abwicklung und Aufarbeitung des Insolvenzfalles. Kommt es nicht zu einer Eröffnung, bleiben alle Gläubiger darauf verwiesen, selbst ihre Befriedigung in Einzelzwangsvollstreckungen, meistens ohne ausreichende Informationen oder Erfolgsaussichten, zu versuchen.

Arbeitnehmer erhalten regelmäßig nur über den Weg der Verfahrenseröffnung die Hoffnung auf einen Sozialplan und eine angemessene Abwicklung ihrer Arbeitsverhältnisse einschließlich der wichtigen Fragen zu Rentenversicherung, Lohnbescheinigungen und Zeugnissen. Effektive strafrechtliche Ermittlungen gegen die handelnden Personen setzen regelmäßig die ermittelnde Vorarbeit eines Insolvenzverwalters voraus. Aber auch die übrigen Vertragspartner des insolventen Unternehmens profitieren von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Leasinggeber sind auf die geordnete Herausgabe des Leasinggutes, Handwerker auf die kurzfristige Herausgabe von Gewährleistungs- und Vertragserfüllungsbürgschaften durch den Insolvenzverwalter angewiesen. Auch die ansonsten gut gesicherten Banken werden häufig nur über einen Insolvenzverwalter eine freihändige Veräußerung ihres Sicherungsgutes erreichen können. Selbst öffentliche Stellen wie Staatsanwaltschaften, Finanzbehörden und Sozialversicherungsträger sind bei der Aufarbeitung von haftungsrelevanten Sachverhalten in der Regel auf die Unterstützung des Insolvenzverwalters angewiesen. Auf eine solche Unterstützung werden sie zukünftig in vielen Fällen verzichten müssen, wenn es aufgrund der gesetzlichen Änderung zu deutlich weniger eröffneten Insolvenzverfahren kommen sollte.

Deshalb war die Anhebung der Eröffnungsquote ein zentrales Anliegen der Insolvenzreform von 1999. Sie ist gelungen, und die aktuelle Eröffnungsquote hat mit derzeit ca. 66 % die nur 36 %ige Eröffnungsquote aus dem letzten Jahr der Konkursordnung (1998) nahezu verdoppelt.

Quelle: Statistisches Bundesamt „Wirtschaft und Statistik“ 4/2008 sowie aktuelle Auskunft vom 21.10.2015 unter dem Geschäftszeichen: 368275 / 508649 (E 105 / 35241100).

Vor diesem Hintergrund ist dringend von einer Privilegierung der Zwangsvollstreckung in § 131 InsO abzuraten. Eine einseitige Privilegierung für Zwangsvollstreckungen auf der Basis gerichtlich erlangter Titel vermag nicht zu überzeugen. Sie wirft mit Blick auf andere Formen der Titelerlangung (z. B. durch notarielle Urkunden) ein Gleichbehandlungsproblem auf, das einer verfassungsrechtlichen Prüfung mit großer Wahrscheinlichkeit nicht standhalten wird. Dieser Umstand war wohl auch der Grund für die gegenüber dem Referentenentwurf erweiterte Fassung des Regierungsentwurfs.

 

2. Vorsatzanfechtung, §133RegE

 

2.1. Fristverkürzung: Rechtssicherheit durch § 133 Abs. 2 RegE nicht für Verdachtsfälle

 

Eine erste, bereits aus dem Referentenentwurf bekannte Änderung ist die Fristverkürzung des neuen § 133 Abs. 2 RegE auf vier Jahre, wenn die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt hat. Diese Verkürzung war im Vorfeld vielfach gefordert worden. Sie trägt aus Gläubigersicht tatsächlich zu mehr Rechtssicherheit bei, weil ihre Formulierung eindeutig ist und den Risikozeitraum von bisher pauschal 10 Jahren für Insolvenzanfechtungen deutlich einschränkt.

In ihrer Beschränkung auf Rechtshandlungen, die dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, erscheint sie auf den ersten Blick auch als zielgerechte Maßnahme zur zweifellos notwendigen Aufrechterhaltung der 10-jährigen Missbrauchskontrolle. Die Begründung des RegE (S. 10) spricht hier die paradigmatischen Fälle der Vorsatzanfechtung z. B. zur Rückgängigmachung von Bankrotthandlungen und Vermögensverschiebungen an, die weiterhin der zehnjährigen Frist unterliegen sollen.

In der Praxis werden jedoch gerade solche Vermögensverschiebungen oftmals in der äußeren Form eines ansonsten unverdächtig erscheinenden Rechtsgeschäfts vollzogen. Fallgestaltungen als Kaufvertrag, Beratungsvertrag oder Gesellschaftsvertrag sind auch in prominenten Fällen der jüngeren Vergangenheit bekannt geworden. Eine Anfechtung nach § 134 InsO scheidet in solchen Fällen bereits heute aus, wenn sie im Zeitpunkt des Eröffnungsantrages schon länger als vier Jahre zurückliegen. Auch die Regelung des bisherigen § 133 Abs. 2 InsO (entgeltliche Verträge mit nahestehenden Personen) ist in diesem Zusammenhang wegen ihrer zeitlichen Begrenzung (Anfechtbarkeit nur im Zeitraum von zwei Jahren vor Eröffnungsantrag) kein wirksames Instrument.

§ 133InsO erfüllt hier bislang eine Auffangfunktion für diejenigen Fälle, die zweifellos als Missbrauch zu werten sind, auf anderem Wege aber nicht mehr korrigiert werden können.

Der Referentenentwurf hatte dieses Problem ebenfalls bereits gesehen. Er wollte den § 133 InsO durch das Merkmal der Unangemessenheit einschränken, betonte in seiner Begründung jedoch sofort, dass jedenfalls die auch nun wieder paradigmatisch zitierten Bankrotthandlungen und Vermögensverschiebungen in jedem Fall als unangemessene Benachteiligungen der Gläubiger zu gelten hätten.

Im Ergebnis sollte deshalb zumindest solchen Sicherungen oder Befriedigungen die kurze 4-Jahres Frist des neuen § 133 Abs. 2 RegE versagt bleiben, die erkennbar zur Verschleierung von Vermögensverschiebungen dienen. Dies könnte etwa durch den Ausschluss nahestehender Personen nach § 138 InsO als möglicher Empfänger solcher Sicherungen oder Befriedigungen geschehen.

 

2.2. Drohende Zahlungsunfähigkeit: Herausnahme durch § 133 Abs. 3 Satz 1 RegE im Einzelfall kritisch

 

Eine zweite Veränderung mag auf den ersten Blick demgegenüber marginal erscheinen. Sie ist es aber nicht. Die Rede ist von der Beschränkung des § 133 Abs. 3 Satz 1 RegE, der im Fall der bereits angesprochenen Sicherung oder Befriedigung bei einer späteren Anfechtung die Kenntnis des Zahlungsempfängers vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners nur noch dann vermutet, wenn er von dessen Zahlungsunfähigkeit (bisher: drohenden Zahlungsunfähigkeit) wusste. Diese Einschränkung bringt zunächst wieder mehr Rechtssicherheit. Zahlungsunfähigkeit und drohende Zahlungsunfähigkeit sind in der Rechtsprechung des BGH ausdifferenziert worden und heute in ihren Umrissen hinreichend klar definiert. Die drohende Zahlungsunfähigkeit greift deutlich weiter aus als die Zahlungsunfähigkeit. Sie ist damit im Zusammenhang der Anfechtung ein zeitlich betrachtet längeres Schwert, das nun deutlich verkürzt wird.[11]

Ein erstes Zwischenergebnis fällt an dieser Stelle aus der Perspektive der Gläubiger positiv aus. Die Planungssicherheit des Geschäftsverkehrs wird im Rahmen der Insolvenzanfechtung vor allem durch mögliche Anfechtungsrisiken beeinträchtigt. Eine gesetzliche Beschränkung von Anfechtungsfristen und von gesetzlichen Vermutungen zu Lasten der Gläubiger verringert diese Risiken.

 

2.3. Zahlungserleichterung: Vermutung gem. § 133 Abs. 3 Satz 2 RegE nur für substantielle Erleichterung

 

Es bleibt nun die Frage, ob auch die in § 133 Abs. 3 Satz 2 RegE vorgeschlagene gesetzliche Vermutung zugunsten der Gläubiger positiv wirken wird. Auf den ersten Blick scheint nichts gegen eine solche Wirkung zu sprechen. Im Fall einer Zahlungsvereinbarung oder sonstigen Zahlungserleichterung soll zugunsten des Zahlungsempfängers vermutet werden, dass er im Zeitpunkt der Handlung (Zahlung) die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte. Diese neue gesetzliche Vermutung wendet sich erkennbar gegen eine BGH-Rechtsprechung, die bereits seit langem neben der Zahlung für die Ausräumung der im Einzelfall schädlichen Kenntnis auch den Nachweis der Wiederaufnahme von Zahlungen an alle Gläubiger verlangte. Dieser Rechtsprechung war immer wieder vorgehalten worden, dass der einzelne Gläubiger einen solchen Nachweis praktisch nicht erbringen könne. Schließlich habe er keinen Zugriff auf die Buchhaltung des Schuldners, mit deren Hilfe allein ein solcher Nachweis zu führen sei.

So vernünftig dieser Einwand klingt, so klar ist andererseits auch, dass § 133 InsO seine Funktion als Instrument der Missbrauchskontrolle nur dann wirksam erfüllen kann, wenn die einmal erlangte Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht durch jede noch so kleine Zahlungserleichterung beseitigt werden kann. Sonst wäre die Umgehung der Kontrolle einfach. Es würde reichen, eine minimale Zahlungserleichterung z. B. in Form eines kleinen Teilverzichts auf die eigene Forderung zu vereinbaren, um die bestehende Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners und damit eine spätere Anfechtung nach § 133 InsO im Zeitpunkt der später erfolgenden Zahlung auszuschließen.[12]

Interessanterweise versucht nun der Regierungsentwurf, genau diese Konsequenz durch eine gesetzliche Vermutung herbeizuführen. Als gesetzliche Vermutung steht dieser Versuch allerdings auf vergleichsweise schwachen Füßen.[13] Gesetzliche Vermutungen können durch den Vortrag gegenteiliger Tatsachen erschüttert werden.[14] Diese Tatsachen herauszuarbeiten ist Aufgabe der Rechtsprechung.

Man kann bereits jetzt annehmen, dass die Rechtsprechung eine Aushöhlung der Missbrauchskontrolle des § 133 InsO nicht zulassen wird. Dies wird besonders für Fälle gelten, bei denen zur vermeintlichen Mitnahme der gesetzlichen Vermutungswirkung nur minimale Zahlungserleichterungen für den Schuldner vereinbart werden, die ohne das Hinzutreten weiterer Umstände eine Beseitigung der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit nicht wahrscheinlich machen.

Hier stellt sich bereits die Frage nach der Eignung solcher Vereinbarungen zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners. Eine solche Eignung wird man schon deshalb fordern müssen, um die angesprochenen Umgehungsversuche durch minimale Zahlungserleichterungen auszuschließen. Es kann im Einzelfall also nur um substantielle Zugeständnisse des jeweiligen Gläubigers gehen, die zudem geeignet sind, eine zum Zeitpunkt ihrer Verabredung bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu beseitigen. Dort, wo dies durch eine Vereinbarung mit einem einzelnen Gläubiger nicht geleistet werden kann, braucht es die weitergehende Gewissheit, dass die getroffene Vereinbarung zumindest im Zusammenwirken mit anderen, ähnlichen Vereinbarungen diese Wirkung herbeiführt. Der Gläubiger wäre dann bei der Berufung auf die neue gesetzliche Vermutung des § 133 Abs. 3 Satz 2 RegE wahrscheinlich aufgefordert, auch zu diesem Punkt vorzutragen. Kann er dies nicht in hinreichender Weise leisten, wird man der vereinbarten Zahlungserleichterung eine Eignung zur Begründung der neuen gesetzlichen Vermutung des § 133 Abs. 3 Satz 2 RegE von vornherein absprechen müssen.

Soweit dann Beweisanzeichen auf eine fortbestehende Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hindeuten, wird es auch in Zukunft Sache des Anfechtungsgegners sein, seine Unkenntnis durch eigenen individuellen Tatsachenvortrag glaubwürdig zu machen. Der Insolvenzverwalter wäre gehalten, diesem Vortrag durch eigenen Gegenvortrag zu begegnen.

Im letztgenannten Fall erhöht die Neuregelung die Vortragslast des anfechtenden Insolvenzverwalters, schließt bei entsprechendem Vortrag aber eine Anfechtung nach § 133 InsO nicht aus. Die in der Diskussion immer wieder beklagten Textbausteine der Insolvenzverwalter mögen hierdurch teilweise verdrängt werden. Am Ergebnis wird sich wenig ändern. In der Praxis zeigt sich nämlich, dass sich in vielen Anfechtungsfällen durch entsprechenden – oftmals elektronischen – Schriftverkehr die entscheidenden Nachweise führen lassen. Da eine solche Nachweisführung durch den Insolvenzverwalter selten mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden kann, bleibt ein erheblicher Unsicherheitsfaktor für die Gläubiger. Dies gilt insbesondere bei größeren Zahlungserleichterungen, die in den wenigsten Fällen ohne entsprechenden Schriftwechsel ablaufen. Eine interne Abrede zur Vermeidung solcher schriftlichen Spuren wird dabei wenig Hilfe bringen. Sie wird gerade bei bedeutsameren Zugeständnissen an den Schuldner oftmals von internen oder externen Dokumentationspflichten des gewährenden Gläubigers überlagert.

Mit einigem Recht kann man deshalb festhalten, dass die vorgeschlagene Regelung des § 133 Abs. 3 Satz 2 RegE die beklagte Rechtsunsicherheit nicht nachhaltig beseitigen wird. Damit wird sie auch keinen Beitrag zur Planungssicherheit der betroffenen Gläubiger leisten können. Der Gesetzgeber sollte hier durch eine einschränkende Formulierung klarstellen, dass nur solche Zahlungsvereinbarungen oder Zahlungserleichterungen die spätere Vermutungswirkung des § 133 Abs. 3 Satz 2 RegE auslösen können, die geeignet sind, im Zeitpunkt ihrer Vereinbarung eine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu beseitigen.

 

3. Bargeschäft: Keine neue Rechtsunsicherheit durch §142Abs. 1 RegE

 

Die Defizite des § 133 Abs. 3 Satz 2 RegE hat wohl auch die Bundesregierung gesehen. Mit der Neuformulierung des § 142 Abs. 1 RegE ist deshalb eine wesentliche Veränderung verbunden, die zunächst auch die regulierende Wirkung der Missbrauchsvorschrift des § 133 InsO zu verdrängen scheint. Das Bargeschäft soll in seinem Anwendungsbereich stark erweitert und gegenüber Anfechtungen nach § 133 InsO widerstandsfähiger gemacht werden.

Die dazu – im Vergleich zur bisherigen Rechtsprechung – offenbar beabsichtigte Erweiterung der Unmittelbarkeit des Leistungsaustausches wird durch den RegE unter den Vorbehalt der „Art der ausgetauschten Leistungen“ und „der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs“ gestellt. Ein enger zeitlicher Zusammenhang kann demnach zukünftig je nach Art der Leistung und Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs zwischen 4 Wochen (bisherige BGH-Rechtsprechung)[15] und drei Monaten (§ 142 Abs. 2 Satz 2 RegE) liegen. Die genaue Bestimmung bleibt den Gerichten überlassen.

Schon diese Erweiterung, die, obwohl diskutiert, aus guten Gründen 1994 nicht in die Gesetzesfassung der Insolvenzordnung übernommen wurde, könnte eine Ausweitung der Ausnahmereglung des § 142 InsO mit sich bringen.

Mit Blick auf die bisherige Rechtsprechung könnte man aber durchaus gespannt sein, ob dieses Kalkül des Regierungsentwurfs aufgehen würde. Insbesondere die Art der Leistung (typischerweise eine Geldleistung des Schuldners) wird regelmäßig noch keinen Anlass zu einer Änderung dieser Rechtsprechung geben. Die im Einzelfall abweichenden Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs können zwar behauptet, müssen dann aber auch bewiesen werden. Sie sind als Maßstab jedenfalls dort nicht geeignet, wo sie zur Begründung missbräuchlicher Gestaltungen dienen sollen. Schließlich wird man nicht annehmen dürfen, dass die Neufassung des § 142 auch solche Gestaltungen mit dem Bargeschäftsprivileg schützen will.

Im Zusammenwirken mit dem zusätzlichen, bisher unbekannten Kriterium einer notwendigen Kenntnis des Dritten (Anfechtungsgegner) von der Unlauterkeit des schuldnerischen Handelns wäre das Bargeschäftsprivileg in seiner neuen Form ansonsten gleichbedeutend mit einer weitgehenden Entwertung des § 133 InsO als Missbrauchskontrollvorschrift. Anders als bisher soll ein Bargeschäft nämlich nur noch dann den Missbrauchsregeln des § 133 InsO unterfallen, wenn „der andere Teil erkannt hat, dass der Schuldner unlauter handelte.“ (§ 142 Abs.  1 RegE).

Eine solche Einschränkung lädt geradezu dazu ein, die Missbrauchskontrolle des § 133 InsO künftig durch Bargeschäfte zu umgehen. Entscheidend für diese Umgehung wäre dabei die Frage, in welchen Fällen die offenbar notwendige positive Kenntnis des anderen Teils von der Unlauterkeit des Schuldners anzunehmen wäre. Nur wenn diese Kenntnis in allen Missbrauchsfällen des § 133 InsO anzunehmen sein sollte, wäre die Gefahr einer Entwertung dieser Vorschrift ausgeschlossen. Dies entspricht allerdings nicht der Intention des RegE. Dort liest man (S. 18):

„Ein unlauteres Verhalten des Schuldners setzt mehr voraus als die Vornahme der Rechtshandlung in dem Bewusstsein, nicht mehr in der Lage zu sein, alle Gläubiger befriedigen zu können. Unter den Bedingungen eines Bargeschäfts, bei dem der Abfluss des Leistungsgegenstands aus dem schuldnerischen Vermögen zeitnah durch den Zufluss der Gegenleistung kompensiert wird, müssen hinreichend gewichtige Umstände hinzutreten, um in dem vollzogenen Austausch einen besonderen Unwert zu erkennen.“

 Damit wird zusätzlich zu den Voraussetzungen des § 133 Abs.  1 InsO ein weitergehender Unwertgehalt des schuldnerischen Handelns (quasi ein „Missbrauch+“) zur Voraussetzung einer Vorsatzanfechtung gemacht. Nur wenn das Bargeschäft auch diesen zusätzlichen Unwertgehalt aufweist, soll es in Zukunft noch der Missbrauchskontrolle des § 133 InsO zugänglich sein. Worin dieser zusätzliche Unwertgehalt liegen soll, bleibt allerdings offen. Der RegE schreibt dazu in seiner Begründung (S. 18):

„Ein unlauteres Handeln liegt bei gezielter Benachteiligung von Gläubigern vor, wie sie etwa gegeben ist, wenn es dem Schuldner in erster Linie darauf ankommt, durch die Befriedigung des Leistungsempfängers andere Gläubiger zu schädigen. Unlauter handelt ein Schuldner bei Kenntnis der eigenen Zahlungsunfähigkeit auch, wenn er Vermögen für Leistungen verschleudert, die den Gläubigern unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt nutzen können, wie dies etwa bei Ausgaben für flüchtige Luxusgüter der Fall ist. Auch das Abstoßen von Betriebsvermögen, das zur Aufrechterhaltung des Betriebs unverzichtbar ist, kann unlauter sein, wenn der Schuldner den vereinnahmten Gegenwert seinen Gläubigern entziehen will.“

 Die genannten Fälle werden überwiegend bereits heute von der Missbrauchskontrolle des § 133 InsO erfasst. Sie sind damit ungeeignet für die Definition eines zusätzlichen Unwertgehalts. Zudem sind sie regelmäßig für den Dritten (Anfechtungsgegner) nicht erkennbar. Wie soll etwa ein Käufer von Betriebsvermögen in jedem Einzelfall beurteilen, ob das Betriebsvermögen für das Unternehmen des Verkäufers unverzichtbar ist? Auch wird die Intention des Schuldners bei solchen Geschäften regelmäßig für den Käufer nicht erkennbar sein.

Es deutet sich damit scheinbar an, dass die Missbrauchskontrolle des § 133 InsO zukünftig nach dem Konzept des RegE durch Bargeschäfte ohne weitere Schwierigkeit umgangen werden könnte. Notfalls könnte es die sehr großzügige Formulierung des § 142 RegE sogar erlauben, mit dem Verweis auf die Art der Leistung und die Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs auch solche Geschäfte als Bargeschäft zu deklarieren, die nach den bisher ausgebildeten Kriterien der höchstrichterlichen Rechtsprechung nie unter diese Ausnahmeregelung gefallen wären. Im Bestreitensfall würden langwierige gerichtliche Auseinandersetzungen folgen, in denen insbesondere die Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs nur durch gutachterliche Untersuchungen geklärt werden könnten. Schließlich würde sich der Anfechtungsgegner immer darauf berufen, dass er die Unlauterkeit des Schuldners nicht gekannt habe und auch nicht kennen konnte.

Gerade wegen dieser möglichen Gefahr wird man damit zu rechnen haben, dass der BGH einer solchen Umgehungsmöglichkeit der Missbrauchskontrolle nach § 133 InsO enge Grenzen setzen wird. Als Ausnahmevorschrift ist das Bargeschäft schon methodisch kein Ort für erweiternde Auslegungsversuche. Das neue Qualifizierungskriterium der Lauterkeit ist, einmal abgesehen von seiner rechtlichen Unschärfe, auch als Erweiterungsinstrument ungeeignet. Weil die Kenntnis von der Unlauterkeit des Schuldners regelmäßig vom empfangenden Gläubiger abgestritten werden wird, darf man auch hier mit Beweisanzeichen rechnen, mit denen die Rechtsprechung offensichtlich missbräuchlichen Gestaltungen begegnen wird, wenn nicht schon ihre fortgesetzt einschränkende Definition der Unmittelbarkeit solchen Gestaltungen Grenzen setzt.

Im Ergebnis wird die Planungssicherheit des Geschäftsverkehrs durch die vorgeschlagenen Änderungen der § 131,  133 und 142 InsO nicht gestärkt. Sie eröffnen stattdessen die konkrete Gefahr einer erheblichen Reduzierung der eröffneten Unternehmensinsolvenzverfahren und damit eines Rückfalls in die unhaltbaren Zustände welche vor nunmehr über 22 Jahren den Anstoß zur Reform des Konkursrechts gegeben hatten.

 

4. Schutz der Arbeitnehmer – ohne öffentliche Trittbrettfahrer in §142Abs.  2 Satz 2 RegE

 

Dort, wo die Formulierung des § 142 RegE gerichtliche Auseinandersetzungen durch eindeutige Formulierung noch nachhaltiger verhindern will, schafft sie gleichzeitig einen weiteren Bruch mit dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung.

§ 142Abs. 2 Satz 2 RegE übernimmt dazu die Rechtsprechung des BAG[16], der ausschließlich Arbeitnehmer und diese nur insoweit vor Insolvenzanfechtungen schützen wollte, als diese Anfechtungen nicht als Missbrauchskontrolle gem. § 133 InsO notwendig werden. Genauere Zahlen zum Umfang dieser Anfechtungen liegen, insbesondere für die Zeit nach der ausweitenden Rechtsprechung des BAG, nicht vor. Für die Zeit vor 2009 berichtet der DGB von insgesamt 10 bekannten Verfahren.[17]

Nun geht der RegE aber noch weit über diesen Schutz hinaus: In der durch den RegE vorgeschlagenen Formulierung erstreckt sich dieser Schutz nun auch auf das dem Arbeitnehmer gewährte Arbeitsentgelt. Die Begründung des RegE führt hierzu aus: „Der Begriff ‚Arbeitsentgelt‘ ist im sozialversicherungsrechtlichen Sinn zu verstehen (vgl. § 14 Absatz 1 Satz 1 SGB IV).“

§ 14Abs. 1 Satz 1 SGB IV definiert das Arbeitsentgelt wie folgt:

„Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden.“

Mit dieser Definition sind im Regelfall auch die Lohnsteuer und die Arbeitnehmerbeiträge[18] zur Sozialversicherung vom Schutzbereich des neuen Bargeschäftsprivilegs umfasst. Es findet damit nicht lediglich eine Privilegierung der Arbeitnehmer statt, vielmehr werden auch Fiskus und Sozialversicherungsträger in diese Privilegierung mit einbezogen.

Dies widerspricht der bisherigen Auslegung des § 142 InsO, die aus der Formulierung „für die“ zu Recht ableitet, dass eine Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung durch Parteivereinbarung stattgefunden haben muss.[19] Ein Merkmal, das bei der Zahlung von Lohnsteuern an den Fiskus oder von Sozialversicherungsbeiträgen an die Kassen nicht erfüllt ist.[20]

Daneben ist auch das zur Annahme eines Bargeschäfts regelmäßig notwendige Merkmal der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung nicht erfüllt weil keine dem Zugriff der übrigen Gläubiger offen stehende Gegenleistung des Fiskus oder der Sozialkasse in das Vermögen des Schuldners gelangt.[21]

Die Formulierung des Regierungsentwurfs, die schon bei der Dreimonatsfrist eine Ausnahme für Arbeitsentgelt schafft, deutet durch den mit der Entwurfsbegründung in Bezug genommenen gesetzlichen Begriff des Arbeitsentgelts aus § 14 SGB IV an, dass hier mit Blick auf die eigentlich notwendige Verknüpfung durch eine Parteivereinbarung und die Gleichwertigkeit eine weitere Ausnahme geschaffen werden soll.

Der Bundesrat nimmt diesen Hinweis in seiner Stellungnahme auf und fordert eine noch deutlichere Klarstellung des gesetzgeberischen Willens.[22] Zur Begründung führt er aus:

„Die Lohnsteuer und die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung sind nämlich als Teil des Bruttolohns zugleich auch Teil der im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Gegenleistung für die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers; der arbeitsrechtliche  Anspruch des Arbeitnehmers umfasst den gesamten Bruttolohn.“

Verlässt man die bislang notwendige Grundlage einer Parteivereinbarung nun im Zusammenhang mit der Zahlung von Lohnsteuern und Kassenbeiträgen ist überdies auch fraglich, ob in Zukunft auch inkongruente, also durch Zwangsvollstreckung (oder ihre Androhung) erlangte Zahlungen dieser Art unter das neue Bargeschäftsprivileg fallen würden. Bislang wurde mit der Notwendigkeit einer Parteivereinbarung auch der Ausschluss solcher Zahlungen vom Schutz des Bargeschäfts begründet.[23]

Dieser Ansatz geht weit über die vom BAG erwogene Grenze des Existenzminimums hinaus und versucht – wieder einmal gleichsam durch die Hintertür – eine Privilegierung herzustellen, die bereits früher mit anderen Mitteln angestrebt und zu Recht durch den BGH[24] abgelehnt wurde. Der BGH hat dabei im Zusammenhang mit der Regelung des § 28e Abs.1 Satz 2 SGB IV bereits Zweifel an der Klarheit der dort gewählten Formulierung geäußert. Er hat diese Zweifel zum Anlass für den Hinweis genommen, dass für die mögliche Ausgestaltung der Zahlungen des Arbeitgebers als mittelbare Zuwendung eine Anwendung eines Bargeschäftsprivilegs abzulehnen ist.[25] Die Alternative einer Zahlungsmittlerfunktion des Arbeitgebers hat er mit Blick auf die dadurch verursachte Gefährdung der Arbeitnehmer für zweifelhaft gehalten.[26]

Diesen Zweifeln soll nun ganz offensichtlich in einem erneut systemwidrigen Anlauf die Grundlage entzogen werden.

Die Privilegierung von Fiskus und Kassen durch eine solche systemwidrige Erweiterung des Bargeschäftsprivilegs würde zu einer erheblichen Verringerung der nach § 133 InsO gegenüber Fiskus und Kassen ausgebrachten Anfechtungen führen, weil die Zahlungen an Fiskus und Kassen nach der geplanten Änderung des § 142 Abs.1 RegE InsO (s. o.) wohl nicht als unlauter zu werten und damit auch nach § 133 InsO unanfechtbar wären. Zudem würde er auch Anfechtungen nach den §§ 130 und 131 InsO ausschließen, soweit die Zahlungen an Fiskus und Kassen innerhalb von drei Monaten nach Arbeitsleistung erfolgt wären.

Eine so umfassende Privilegierung von Fiskus und Kassen hätte gerade in diesem Zeitraum massive Auswirkungen auf die Eröffnungsquoten der Insolvenzverfahren. Mit den Anfechtungen nach den §§ 130 und 131 InsO bilden die Anfechtungen nach § 133 InsO den häufigsten Anfechtungstatbestand bei den institutionellen Gläubigern. Nach Untersuchungen des GKV-Spitzenverbandes für die Jahre 2012 und 2013 verteilte sich in diesem Zeitraum das Volumen der aufgrund Insolvenzanfechtung ausgekehrten Beträge bei den Kassen je ca. zur Hälfte auf die §§ 130/131 und 133.[27] Bei ca. 99 % der Unternehmensinsolvenzen, die kleine und mittlere Unternehmen betreffen, verteilen sich diese Beträge auf tausende von Verfahren und pro Verfahren regelmäßig (abhängig von der Zahl der versicherungspflichtig Beschäftigten) auf viele einzelne Kassen.

Die Bedeutung eines Bargeschäftsprivilegs wie es der § 142 Abs. 2 Satz 2 RegE nun vorschlägt, erschließt sich auch durch einen Blick auf die durchschnittlichen Volumina der verspätet geleisteten Zahlungen an Fiskus und Kassen und das Zahlungsverhalten der Unternehmen.

Das Bundesversicherungsamt als Verwalter des Gesundheitsfonds veröffentlicht seit dem Jahr 2014 Übersichten über das Beitragsaufkommen und die Beitragsrückstände in der Sozialversicherung.[28]

Mittelpunkt der laufenden Diskussion ist der sog. Gesamtsozialversicherungsbeitrag, d.h. die Summe der Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zur gesetzlichen Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und sozialen Pflegeversicherung aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung.

Das Bundesversicherungsamt weist bezüglich des (Gesamt-) Beitragsaufkommens die sog. Soll-Ist-Quote aus. Dabei werden die Sollstellungen aller Kassen[29] zusammengefasst und den tatsächlich gezahlten Beiträgen gegenübergestellt.

Danach wurden im Gesamtjahr 2014 99,61 % der Beiträge zur Sozialversicherung pünktlich gezahlt. Im Jahr 2015 betrug die Soll-Ist-Quote 99,56 % im 1. Quartal, 99,55 % im 2. Quartal und 99,66 % im 3. Quartal. Die durchschnittlich lfd. offenen Rückstände betragen damit am Beispiel des Jahres 2014 lediglich 0,39 % vom (Gesamt-) Beitragsaufkommen.[30]

Verspätet geleistete Zahlungen an die Kassen sind also im Vergleich zum Gesamtvolumen eine klare Ausnahmeerscheinung. Aufgrund der bei Fiskus und Kassen schnelleren Vollstreckungsmöglichkeiten gelingt in diesen Ausnahmefällen zudem eine zügige Reduzierung der lfd. offenen Rückstände durch Vollstreckung oder die Androhung von Vollstreckungsmaßnahmen. Diese Beitreibung erstreckt sich typischerweise über einen Zeitraum von 6-12 Wochen nach Eintritt der Säumnis und führt nach Schätzungen aus der Kassenpraxis zum Zufluss von ca. 50 % der noch ausstehenden Beträge. Mittelfristig offen sind somit nur noch ca. 0,20 % (2 Promille).

Ein ähnlicher prozentualer Anteil entfiele auf den nun durch § 142 Abs.2 Satz 2 RegE definierten Zeitraum von drei Monaten. In diesem Zeitraum geleistete Zahlungen an Fiskus und Kassen sind bisher nach Maßgabe des § 133 InsO anfechtbar.

In seiner Rechtsprechung hat der BGH die Voraussetzungen der Anfechtbarkeit (säumig) geleisteter Zahlungen gegenüber den Kassen näher ausdifferenziert. Danach ist die Möglichkeit der Vorsatzanfechtung gemäß § 133 InsO eröffnet, sobald Gesamtsozialversicherungsbeiträge über mehrere Monate hinweg verspätet abgeführt werden.[31] Eine schleppende Bezahlung der Beiträge kann ein Indiz für eine Zahlungseinstellung sein.[32] Ein erkennendes Tatgericht kann jedoch auch bei einer regelmäßig säumigen Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen über einen Zeitraum von zehn Monaten noch zu der Würdigung gelangen, dass der Sozialversicherungsträger allein aus diesem Umstand nicht auf eine Zahlungseinstellung des Schuldners schließen musste.[33]

Diese Ausdifferenzierung verhindert eine Entgrenzung der Anfechtungsrisiken jedenfalls dort, wo die Sozialversicherungsträger solche Risiken beherrschen können und nicht aufgrund anderer rechtlicher Rahmenbedingung hierin behindert werden.

Die Beurteilung eines erweiterten Bargeschäftsprivilegs macht deshalb auch einen Blick auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen der Beitreibung durch Fiskus und Kassen notwendig. Diese haben sich insbesondere im Bereich der Kassen gewandelt.

Gemäß § 76 Abs.  1 SGB IV sind die Einnahmen rechtzeitig und vollständig zu erheben; Ansprüche dürfen nur gestundet werden, wenn (die sofortige Einziehung mit erheblichen Härten für die Anspruchsgegner verbunden wäre und) der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet wird (§ 76 Abs. 2 Satz 1 Nr.  1). Nach § 76 Abs.  3 SGB IV ist eine Stundung von Kassenbeiträgen (deren Höhe die Bezugsgröße übersteigt) innerhalb eines Zeitraums von 2 Monaten ohne weitere Einschaltung von Bundesagentur oder der zuständigen Rentenversicherungsträger möglich.

In einer fortschreitenden Entwicklung wurden die kassenindividuellen Überprüfungsmöglichkeiten mit Blick auf das Zahlungsverhalten der Beitragsschuldner eingeschränkt bzw. wurde der Prozess der Informationsbeschaffung/Überprüfung verändert: Seit dem 01.01.1999 ist nach einer dreijährigen Übergangszeit die gesetzliche Aufgabe der Betriebsprüfungen von den Krankenkassen auf die Deutsche Rentenversicherung übergegangen. Aufgrund des 2. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt wurden danach § 28k Abs. 2 und 3 SGB IV zum 01.04.2003 aufgehoben. Damit entfiel der sog. Summenabgleich, d.h. der mindestens einmal jährlich durchgeführte Abgleich der gemeldeten Beiträge zur Rentenversicherung mit den gemeldeten Arbeitsentgelten. Ab 01.01.2014 wurden alle Beitragseinnahmen der Krankenversicherung an den Gesundheitsfonds (GF) weitergeleitet. Im Gegenzug erhielten die Krankenkassen dann ausschließlich aus dem GF je nach Morbidität der Versicherten Zuweisungen für die Leistungsausgaben. Ab diesem Termin wurde auch der Korrektur-Beitragsnachweis überflüssig und ist nicht mehr Bestandteil der Datenübermittlung. Eine entsprechende Anpassung der „Gemeinsamen Grundsätze zum Aufbau der Datensätze für die Übermittlung von Beitragsnachweisen durch Datenübertragung“ trat zu diesem Zeitpunkt in Kraft.

Sowohl die verschiedenen Krankenkassen als auch die Prüfbehörden sind zur gegenseitigen Amtshilfe verpflichtet. Diese ist zudem grundsätzlich kostenlos und gebührenfrei. Im Wege der Amtshilfe könnten und sollten die Kassen deshalb trotz dieser veränderten gesetzlichen Rahmenbedingungen auch heute noch ausreichend Informationen über die Beitragsschuldner gewinnen. In der Praxis unterbleibt dieses Vorgehen allerdings so häufig, dass zwischenzeitlich sogar der BGH diesen Umstand aufgegriffen hat:

„Soweit es um die Vollstreckung geht, tritt die ersuchte Vollstreckungsbehörde nicht neutral gegenüber allen Beteiligten auf, sondern rückt in die Gläubigerstellung der Behörde ein, in deren Auftrag sie vollstreckt. Kenntnisse, die sie hinsichtlich einer eventuellen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners aufgrund dieser Stellung erlangt, sind gegebenenfalls für die ersuchende Behörde zu sammeln und an diese weiterzuleiten.“[34]

Die so immer wieder eingeleitete Vollstreckung der Kassen führt regelmäßig im Zeitraum von 6-10 Wochen nach Eintritt der Fälligkeit zu Vollstreckungshandlungen. Dies ermöglicht den Schuldnern regelmäßig eine Abwendung der Zwangsvollstreckung durch Zahlung selbst dann, wenn eine Zwangsvollstreckung bereits eingeleitet worden ist. Sie müssen dabei auch nicht befürchten, dass ihre Zahlung auf etwaige jüngere Zahlungsrückstände angerechnet wird, weil § 4 der Beitragsverrechnungsverordnung insoweit eine gesetzliche Tilgungsbestimmung enthält.

Innerhalb des Zeitraumes von 6-12 Wochen nach Arbeitsleistung ist deshalb eine wiederholte Verzögerung der Zahlungen für die Schuldner weitgehend folgenlos. Auch die Kassen sind in dieser Situation nicht durch den Gesetzgeber zu eigenen Nachforschungen angehalten, obwohl die Rechtsprechung des BGH selbstverständlich bei mehrfachen, aufeinander folgenden Vollstreckungen die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners für erwiesen hält.[35]

Diese Umstände führen regelmäßig zu erhöhten Anfechtungsrisiken für die Kassen wenn sie über einen längeren Zeitraum trotz wiederholter Zwangsvollstreckungen keine weitergehenden Maßnahmen zur Aufklärung der Zahlungsfähigkeit säumiger Schuldner ergreifen (z. B.: Schutz des Arbeitnehmers durch Arbeitnehmerbefragungen zu rückständigen Gehalts- und Lohnzahlungen). Nur eine frühzeitige Sachaufklärung könnte weitergehende Anfechtungsrisiken verhindern. Sie ermöglicht frühere Gespräche zur Schuldenbereinigung bzw. frühe Insolvenzanträge und damit ein Eingreifen zum Schutz aller Gläubiger. Wird stattdessen das Anfechtungsrisiko durch ein Bargeschäftsprivileg der Kassen und des Fiskus im Bereich der Arbeitsentgelte ausgeschaltet, werden diese institutionellen Gläubiger noch zusätzlich begünstigt und zum „privilegierten Durchvollstrecken“ aufgefordert, weil sie das Erlangte auch in der anschließenden Insolvenz des Schuldners behalten dürfen, während alle ungesicherten Gläubiger also auch Arbeitnehmer leer ausgehen.

Die vorstehenden Ausführungen zeigen, dass bei allem Verständnis für einen stärkeren Schutz der Arbeitnehmerrechte im Insolvenzverfahren, dieser keinesfalls im Anfechtungsrecht gesetzlich verankert werden darf. Dies führt nicht nur zu einem folgenschweren Systembruch, sondern eröffnet für die öffentlichen Kassen als Trittbrettfahrer der Anfechtungsreform den Weg den lang gehegten Wunsch nach einer Privilegierung zu realisieren.[36] Dies schadet in ganz besonderer Weise den Interessen der von der Insolvenz betroffenen Arbeitnehmer. Die zukünftig an Fiskus und Sozialversicherungsträger fließenden bzw. dort verbleibenden Mittel fehlen nicht nur bei der Sanierung sondern auch bei der sozialverträglichen Schließung des Geschäftsbetriebes. Die über Jahrzehnte zu Recht etablierten Arbeitnehmerrechte werden dann in den meisten Fällen ins Leere laufen:

  • Sanierung heißt Unternehmenserhalt, Unternehmenserhalt bedeutet Arbeitsplatzerhalt, vor allem auch der Erhalt sozialversicherungspflichtiger Arbeitsverhältnisse. Der gesetzliche Kündigungsschutz gilt daher auch in der Insolvenz des Arbeitgebers. Wo aber die finanziellen Mittel fehlen und eine Sanierung unmöglich wird, können keine Arbeitsplätze erhalten werden, läuft auch der Kündigungsschutz ins Leere. Ist das gewollt?
  • Die arbeitnehmerschützenden Regelungen zum Betriebsübergang, §613 a BGB, gelten auch und gerade in der Insolvenz. Über die eingeschränkten Kündigungsmöglichkeiten hinaus wird damit vor allem der soziale Status der Arbeitnehmer in Bezug auf Gehalt, Betriebszugehörigkeit, Kündigungsschutz etc. erhalten. Dieser Schutzmechanismus kann sich aber nur da entfalten, wo auch die finanzielle Basis für eine Sanierung erhalten bleibt. Wird diese mit der Reform des Anfechtungsrechts entzogen, dann sind die Arbeitnehmer nicht nur vom Arbeitsplatzverlust betroffen, sondern Sie fangen bei Ihrem neuen Arbeitgeber in Bezug auf Betriebszugehörigkeit und Kündigungsschutz wieder bei Null an. Ist das gewollt?
  • Die Zahlungen an die Arbeitnehmer sind nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über §55 InsO selbst bei einer Betriebsschließung als sogenannte Masseverbindlichkeit vorrangig zu zahlen. Dies kann aber nur dort greifen, wo genügend Insolvenzmasse vorhanden ist. Wird diese aber zukünftig durch die Privilegierung von Fiskus und Sozialversicherungsträgern geschmälert, kommt es zum „Konkurs im Konkurs“, der sog. Masseunzulänglichkeit nach §§ 208,209  Dann erhalten die Arbeitnehmer für den Kündigungszeitraum in der Regel keine Gehaltszahlung, sondern nur Arbeitslosengeld. Dies führt nicht nur zu finanziellen Einbußen, sondern der zeitlich begrenzte Bezugszeitraum des Arbeitslosengeldes beginnt schon mit dem Ausspruch der Kündigung und verkürzt sich so um bis zu 3 Monate. Ist das gewollt?
  • Auch die Ansprüche aus einem Sozialplan genießen im Insolvenzverfahren trotz ihrer betragsmäßigen Begrenzung als Masseverbindlichkeit nach §123 2 InsO besondere Priorität. Danach wird vor der Verteilung an die Insolvenzgläubiger bis zu einem Drittel der zur Verteilung stehenden Insolvenzmasse auf den Sozialplan und damit an die vom Arbeitsplatzverlust betroffenen Arbeitnehmer gezahlt. Aber da wo Fiskus und Sozialversicherung zukünftig anfechtungsgeschützt auf die Masse zugreifen können wird es weniger oder auch gar keine Zahlungen mehr auf den Sozialplan geben. Ist das gewollt?
  • Ein wichtiges Mittel zum Unternehmenserhalt einerseits und zum sozialverträglichen Personalabbau anderseits sind die sogenannten Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften. Damit werden zwar mit Unterstützung der öffentlichen Hand aber auch immer mit einem erheblich Finanzierungsbeitrag aus der Insolvenzmasse alternative Wege der Personalanpassung im Sinne des Arbeitsplatzerhalts bei dem zu sanierenden Unternehmen und einer deutlichen Abfederung der finanzielle Nachteile der ausscheidenden Arbeitnehmer eröffnet. Bei weniger finanziellen Mitteln in der Insolvenzmasse wird die zwingend erforderliche Beteiligung der Insolvenzmasse nicht mehr möglich sein. Damit scheitern häufig nicht nur der Erhalt von Unternehmensteilen oder des Unternehmenskerns, sondern die Folgen einer Kündigung sind für die vom Arbeitsplatzverlust betroffenen Arbeitnehmer deutlich stärker. Ist das gewollt?
  • Von der vorgesehenen gesetzlichen Regelung in §142 2 RegE werden zukünftig auch Spitzenmanager profitieren. Gerade diese haben aufgrund ihrer Führungsposition nicht nur einen besonderen Einblick in die wirtschaftliche Entwicklung des in der Krise befindlichen Unternehmens, sondern sie erhalten hohe Gehaltszahlungen und zum Teil auch erhebliche Boni, die weit über dem liegen, was zur Sicherung der Existenz erforderlich ist. Selbst Bonuszahlungen am Tag vor der Insolvenz wären nach den vorliegenden Reformansätzen zukünftig geschützt. Ist dies gewollt?
  • Im Jahr 2014 waren von der Insolvenz ihres Arbeitgebers 126.681 Arbeitnehmer betroffen.[37] Demgegenüber gibt selbst der DGB die Zahl der vor 2009 von Lohnanfechtungen betroffenen Arbeitnehmer mit 10 an.[38] Um diese – ungeachtet ihrer zugegebenerweise individuellen Betroffenheit – kleine Gruppe in ihren Rechten zu stärken, werden die Aussichten auf den Arbeitsplatzerhalt oder zumindest eine bestmögliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses sehr vieler Arbeitnehmer gefährdet. Ist dies gewollt?

Die Nachteile für die Arbeitnehmer liegen wie gezeigt auf der Hand. Die aus einem zukünftigen anfechtungsrechtlichen Privileg vereinnahmten Beiträge und Steuern kommen nicht etwa mittelbar oder unmittelbar den vom Arbeitsplatzverlust betroffenen Arbeitnehmern zu, sondern sie fließen in den großen und kaum überschaubaren Topf der öffentlichen Kassen. Weder Gewerkschaften noch Parteien die sich den Schutz von Arbeitnehmerrechten verschrieben haben, können diese Umverteilung zu Lasten der betroffenen Arbeitnehmer ernstlich wollen.

Systemkonform könnten die Rechte der Arbeitnehmer in der Insolvenz über eine Anpassung der Regelungen zum Insolvenzgeld nach §§ 165 ff.  SGB III gestärkt werden. Für die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder Nichteröffnung mangels Masse erhalten die Arbeitnehmer aus einem von allen Arbeitgebern finanzierten und von der Bundesagentur für Arbeit verwalteten Fond den Ausgleich ihrer Nettogehaltsansprüche bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze. Ein sehr guter Schutz, der immer die Gehaltszahlungen in den letzten drei Monaten des Arbeitsverhältnisses vor der Insolvenz absichert. Bei den deutlich vor der Insolvenz ausgeschiedenen Mitarbeitern ist diese Klarstellung von Bedeutung, da auch die Arbeitnehmer geschützt werden, deren Arbeitsverhältnis vor der Insolvenz beendet wurde.

Gerade die ausgeschiedenen Mitarbeiter klagen gegen ihren alten Arbeitgeber und dürften dann das Gros der ohnehin kleinen Gruppe der von der Anfechtung betroffenen Arbeitnehmer stellen. Mit der erfolgreichen Anfechtung laufen die Arbeitnehmer dann allerdings bei der Bundesagentur für Arbeit mit ihrem Insolvenzgeldanspruch ins Leere. Ausschlaggebend ist die nach § 324 Abs.  3 SGB III ohnehin unverhältnismäßig kurze Ausschlussfrist zur Geltendmachung der Ansprüche von nur 2 Monaten. Würde diese Ausschlussfrist deutlich verlängert und zudem nicht an das Insolvenzereignis sondern im Fall der Anfechtung über insolvenzgeldfähige Gehaltszahlungen an die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung geknüpft, wäre schon viel zur Stärkung der Arbeitnehmerrechte getan ohne das es eines Eingriffs in die Systematik des Anfechtungsrechts bedarf. Ein positiver Begleiteffekt wäre auch eine Stärkung der Rechte von solchen Arbeitnehmern, bei denen das Insolvenzverfahren über das Vermögen ihres Arbeitgebers mangels Masse nicht eröffnet wurde. Diese sind ohnehin häufig auf sich allein gestellt und von der kurzen Ausschlussfrist des § 324 Abs.  3 SGB III besonders betroffen.

Im Ergebnis enthält § 142 Abs.  2 Satz 2 RegE damit einen drastischen Eingriff in das Insolvenzanfechtungsrecht. Er geht weit über das zum Schutz der Arbeitnehmer gebotene Maß hinaus. In seiner Wirkung würde dieser Eingriff vor allem zu einer erheblichen Verringerung von Insolvenzanfechtungen insbesondere gegenüber Fiskus und Sozialversicherungsträgern führen. Er würde damit auch die Zahl der Insolvenzeröffnungen noch deutlicher verringern als dies durch § 131 Abs. 1 Satz 2 RegE zu erwarten wäre. Um diese Wirkung auszuschließen sollte im Text der Vorschrift zumindest eine Einschränkung auf das Nettoarbeitsentgelt erfolgen.

 

5. Insolvenzanträge: Frühere Aufklärung durch frühere Anträge nach §14Abs.  1 RegE

 

Durch § 14 Abs. 1 Satz 2 RegE wird die Möglichkeit insbesondere der öffentlichen Gläubiger verbessert, durch eine frühe Antragstellung frühzeitige Sachstandsklärung (die allen Gläubigern nutzt) einzuleiten und die eigenen Anfechtungsrisiken (und damit gleichzeitig auch die Anfechtungsrisiken aller anderen Gläubiger) deutlich zu reduzieren. Hier wird die Hand endlich an die Wurzel des Problems gelegt. Massenhafte Insolvenzverschleppung begünstigt Insolvenzanfechtungen und führt vor allem über § 133 InsO zu hohen Anfechtungsrisiken. Öffentlichen Gläubigern fällt in diesem Zusammenhang durch ihre bereits heute existierenden besonderen Einsichts- und Vollstreckungsmöglichkeiten eine besondere Verantwortung zu. Es wird Zeit, dass sie diese Verantwortung auch wahrnehmen. Dazu darf aber nicht wieder die Hintertür ihrer Privilegierung geöffnet werden. Dies würde vielmehr in der gegenteiligen Richtung zu einem Zuwarten öffentlicher Gläubiger führen, da diese nunmehr nicht mehr die Anfechtung der an sie geleisteten Zahlungen fürchten müssen.

Eine zusätzliche Belastung der Insolvenzgerichte durch vermehrte Insolvenzanträge ist in diesem Zusammenhang jedenfalls nur kurzfristig zu erwarten. Die Antragstellung setzt weiterhin in der Praxis vieler Insolvenzgerichte den Nachweis mehrmonatigen Beitragsrückstandes voraus.[39] In der Folge einer konsequenten Nutzung der erweiterten Antragsmöglichkeit dürfte der Arbeitsaufwand insbesondere bei Insolvenzgerichten deutlich zurückgehen, da die aktuelle Praxis vielfach hintereinander gestellter Insolvenzanträge („Stapelanträge“) beendet würde.[40]

 

Fazit

 

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass im Rahmen des § 133 InsO ein minimalinvasiver Eingriff, d.h. eine Verkürzung der Vorsatzanfechtung auf vier Jahre, § 133 Abs. 2 RegE, eine Änderung der Verzinsung des Anfechtungsanspruchs § 143 Abs. 1 RegE und die Privilegierung einer im Wesen als substantiell definierten Zahlungserleichterung, § 133 Abs. 3 Satz 2 RegE akzeptabel erscheinen.

Im Rahmen des Bargeschäfts sollte auf den Begriff der Unlauterkeit verzichtet werden. Er schafft zusätzliche Rechtsunsicherheit und bietet kein greifbares Differenzierungskriterium gegenüber der notwendigen Missbrauchskontrolle des § 133 InsO.

Der Wunsch nach einer Stärkung der Arbeitnehmerrechte in der Insolvenz ist nachvollziehbar, führt aber auf der Ebene des Anfechtungsrechts zu gravierenden und nachhaltigen Nachteilen für die von der Insolvenz ihres Arbeitgebers betroffenen Arbeitnehmer. Der vermeintliche Schutz der Arbeitnehmer und in Folge dessen die Privilegierung von Fiskus und Sozialversicherungsträgern wird zu deutlich weniger Verfahrenseröffnungen und Sanierungen führen. In Folge dessen können nicht nur weniger Arbeitsplätze erhalten, sondern wesentliche in der Insolvenz bestehende Vorrechte der Arbeitnehmer in Bezug auf die Regelungen zu § 613a BGB, den Kündigungsschutz, die Sozialplanansprüche, die Finanzierung von Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften, etc. faktisch nicht mehr oder nur noch deutlich eingeschränkt greifen. Eine Stärkung der Arbeitnehmerrechte auf der Ebene des Insolvenzgeldes könnte zumindest in Teilbereichen die gewünschte Abhilfe schaffen und zugleich auch die Rechte von Arbeitnehmern verbessern, bei denen das Insolvenzverfahren über das Vermögen ihres früheren Arbeitgebers mangels Masse nicht eröffnet wurde.

Aber auch gerade für mittelständische Unternehmen wird ein deutlicher Rückgang der Sanierungen nachhaltige Spuren hinterlassen. Ohne Fortsetzung ihres Geschäftsbetriebes über einen Insolvenzplan oder über eine Nachfolgegesellschaft wird ihnen die Lebensgrundlage entzogen. Da sie in der Regel nicht in die Arbeitslosenversicherung haben einzahlen können, steht ihnen häufig nur Unterstützung zum Lebensunterhalt, d.h. Hartz IV, zur Verfügung. Dies kann verhindert werden, wenn Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in § 131 InsO nicht geschützt und Zahlungen an Sozialversicherungsträger und den Fiskus über § 142 InsO nicht zu Lasten der übrigen Gläubiger privilegiert werden.

Die Änderung des § 14 InsO wäre für sich genommen bereits ausreichend und wirksam um den öffentlichen Gläubigern mit geringem Aufwand die Möglichkeit zur substantiellen Reduzierung ihres Anfechtungsrisikos zu geben. Sie sollte deshalb in jedem Fall umgesetzt werden.

 

Berlin, den 22.02.2016

Dr. Christoph Niering

[1] Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7. Dezember 2011, Bundesgesetzblatt Jahrgang 2011 Teil I Nr. 64, S.2582ff.

[2] http://www.doingbusiness.org/reports/global-reports/doing-business-2016

[3] BT Drs. 18/7054

[4] Zur Absichtserklärung des Koalitionsvertrages s. Bork, ZIP 2014,797 ff.; Fawzy/Köchling, ZInsO 2014,1073 ff.; Frind, ZInsO 2014, 1985 ff.; Kayser, ZIP 2014, 1966 ff.; Knospe, ZInsO 2014, 748 ff.;   Marotzke, ZInsO 2014, 417 ff.; Zum sog. Eckpunktepapier s. Bork, ZIP 2014, 1905 ff.; Paschen, ZInsO    2014, 2485 ff.; Priebe, ZInsO 2015, 425 ff. Zum Referentenentwurf des BMJV s. Jungclaus/Keller, NZI 2015, 297 ff.; Dahl/Schmitz, VIA 2015, 65 ff.; Grotebrune/Rüppell, NZI 2015, 832 ff.; Ganter, WM 2015,  905 ff.; Blank / Blank, ZInsO 2015, 1705 ff.; Würdinger, KTS 2015, 315 ff.;  Raebel, KTS 2015, 285 ff.;  Huber, ZInsO 2015, 713 ff.; Frind, ZInsO 2015, 1001 ff.; Kollbach, ZInsO 2015, 1422 ff., Sämisch, ZInsO 2015, 1658 ff.; Jacobi / Böhme, ZInsO 2015, 721ff. ; Hölzle, ZIP 2015, 662 ff.; Lange, Malitz, Stehfest, INDat Report, 03/2015, 11 ff.; Zum Regierungsentwurf s. Becker, DZWIR 2016, 1 ff.; Ganter, WM 2015, 2117 ff ; Berner, ZInsO 2015, 2457 ff.; Wagner, ZInsO 2015, 2171 f.; Marotzke, ZInsO 2015, 2397 ff.; Dahl/ Schmitz / Taras, ZInsO 2016, 20 ff.; Hacker, NZI 2015, 873 ff.; Huber, ZInsO 2015, 2297 ff.; Laroche, ZInsO  2015, 2511ff.; Maier, ZinsO 2015, 2262 ff.; Schmidt, ZInsO 2015, 2473 ff.; Schmittmann, INDat Report 07/2015, 6; Wimmer, jurisPR-InsR 1/2016 Anm.1.; Pape, ZinsO 2016,125,127

[5] Die nachfolgenden Ausführungen basieren auf dem Aufsatz Niering/Bergner, zfm 2015, 179 ff.

[6] Näher dazu Huber, ZIP 2007, 501

[7] Ausführlich hierzu Huber, ZinsO 2015,715

[8] Siehe hierzu Huber, ZinsO 2015,713,715 m. w. N

[9] Ausführlich hierzu und zu den Hintergründen der in der InsO gewählten Gestaltung Jäger, ZVI 2015,401 ff. m. w. N.

[10] BT Drs.12/2443, S.82

[11] Vgl. hierzu aktuell BGH IX ZR 84/13

[12] Instruktiv Maier, a.a.O.

[13] Vgl. die Kritik bei Huber, ZinsO 2015, 2297, 2299 f.

[14] Wimmer, a.a.O., wertet die nun gewählte Form als Tatsachenvermutung, deren Vermutungsbasis allerdings nicht überzeuge

[15] Zusammenfassend und kritisch zur Ausweitung durch das BAG: BGH IX ZR 192/13 m. w. N.

[16] 6 AZR 262/10

[17] BT Drs. 16/11928, S.4

[18] Dagegen Knospe, ZinsO 2014,748,753., der weitergehend und gegen die Rspr. des BSG auch die Einbeziehung der Arbeitgeberanteile für geboten hält

[19] BT Drs. 12/2443, S. 167

[20] Vgl. Ede/Hirte in Uhlenbruck InsO, 14.Aufl., § 142 Rz.19. m.w.N. sowie ausführlich unter Bezug auf damalige Ansätze des BFH Kayser, ZIP 2007, 49 ff.; dagegen Knospe, a.a.O. 751 f.

[21] Kayser a.a.O., S.53

[22] BR Drs. 495/15 (Beschluss), S.9. Ähnlich bereits Knospe, a.a.O. 753 f.

[23] Ausführlich LAG Brandenburg, ZinsO 2013, 91, 94

[24] IX ZR 233/08 zur Regelung des § 28e Abs.1 Satz 2 SGB IV

[25] a.a.O. Rz. 14 f.

[26] a.a.O. Rz.16 ff.

[27] INDAT-Report 3/2015, S. 6

[28] http://www.bundesversicherungsamt.de/gesundheitsfonds/beitragsaufkommen-und-rueckstaende.html

[29] als Einzugsstelle der Gesamtsozialversicherungsbeiträge

[30] Davon zu unterscheiden ist die vom Bundesversicherungsamt ebenfalls veröffentlichte Rückstandsquote (Jahr 2014: 5,72 %). Bei der Rückstandsquote wird das Beitragssoll (eines Monats) ins Verhältnis zu den laufenden Rückständen gesetzt. Damit wird also ein Monats- einem kumulierten Bestandswert gegenübergestellt.

[31] BGH IX ZR 95/14

[32] BGH IX ZR 228/03

[33] BGH IX ZR 49/13

[34] BGH ZR IX 95/14, Rz. 23

[35] BGH IX ZR 143/12

[36] s. Fn. 6

[37] Statistisches Bundesamt Wiesbaden

[38] s. Fn. 17

[39] Vgl. ausführlich zur Praxis der Antragstellung durch Sozialversicherungsträger Kollbach, a.a.O.

[40] s. hierzu Kollbach a.a.O.m.w.N. sowie schon Kollbach/Lodyga/Zanthoff, NZI 2010, 932ff.

Grundsätze eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens

 Vorbemerkung

 

Im Rahmen der Bestrebungen zur Schaffung einer Kapitalmarktunion hat die EU-Kommission am 12.03.2014 u. a. ihre Empfehlung „für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen“ (C (2014) 1.500 final) abgegeben und dazu unter dem 30.09.2015 eine erste Evaluation über den Stand deren Umsetzung veröffentlicht. Die Empfehlung der EU-Kommission enthält u. a. detaillierte Maßgaben zur Ausgestaltung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens. Der Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e.V. (VID) hat hierzu erste Grundsätze aus deutscher Sicht entwickelt.

Seit Beginn der Wirtschaftskrise, aber auch im Hinblick auf Regelungen in anderen EU-Mitgliedstaaten, ist eine starke Tendenz zur Sanierung von Unternehmen in einem frühen Stadium festzustellen, in welchem eine materielle Insolvenz nach deutschem Recht (§§ 17–19 InsO) noch nicht vorliegt. Dabei ist der Fokus auf eine Neuordnung von Verbindlichkeiten gerichtet (finanzwirtschaftliche Sanierung).

Der deutsche Gesetzgeber hat bereits mit dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) vom 07.12.2011 (BGBl I S 2582; in Kraft getreten am 01.03.2012) das mit Inkrafttreten der Insolvenzordnung am 01.01.1999 geschaffenen Institut der Eigenverwaltung gestärkt, um insbesondere die Anreize für den sanierungswilligen Schuldner zur Einleitung eines Sanierungsverfahrens unter eigener Leitung bereits bei drohender Zahlungsunfähigkeit zu erhöhen.

Gesetzliche Regelungen zu einer frühzeitigen finanzwirtschaftlichen Sanierung innerhalb oder außerhalb eines Insolvenzverfahrens erübrigen unter dem Postulat einer nachhaltigen Sanierung allerdings nicht leistungswirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen, sobald Defizite in den betrieblichen Abläufen festgestellt werden.

Ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren muss gegenüber den bereits vorhandenen Verfahren des geltenden Rechts abgegrenzt werden.

1. Der Schuldner im vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren muss sanierungsbedürftig und sanierungswürdig sein. Dies setzt voraus:

 

(1) Er darf sich noch nicht in einer Situation materieller Insolvenz (§§ 17, 19 InsO) befinden. Vielmehr muss er nachweisen, noch mindestens sechs Monate zahlungsfähig sein zu können; in diesem Fall wird eine positive Fortführungsprognose vermutet, solange das Verfahren mit Aussicht auf Erfolg betrieben wird[1].

(2) Sanierungsbedürftigkeit setzt voraus, dass das Unternehmen des Schuldners sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet, die kurz- bis mittelfristig geeignet sind, den Bestand des Unternehmens zu gefährden.[2]

(3)Das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren steht nur Schuldnern offen, deren laufende Buchführungs- und Bilanzierungspflichten ordnungsgemäß erfüllt sind (Sanierungswürdigkeit)[3] und bei denen keine Zahlungsrückstände gegenüber dem Fiskus oder Sozialversicherungsträgern bestehen.

(4) Zwangsvollstreckungsmaßnahmen jeglicher Art finden gegenüber dem Schuldner nicht statt.[4]

 

2. Die Sanierung im Wege des vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens erfolgt mittels eines Sanierungsplanes des Schuldners, der der Zustimmung der beteiligten Gläubiger unterliegt und der gerichtlichen Bestätigung bedarf:

(1) Der Sanierungsplan besteht aus einem darstellenden und einem gestaltenden Teil.

(2) Im darstellenden Teil beschreibt der Sanierungsplan, – bezogen auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage – die wirtschaftliche Ausgangssituation des Schuldners, aus welcher die mit dem Sanierungsplan beabsichtigten finanzwirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen abgeleitet werden.

(3) Im darstellenden Teil ist abschließend anzugeben, welche Gläubiger mit ihren Forderungen (Grund, Höhe) am vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren teilnehmen. Das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren beinhaltet keine Forderungsfeststellung entsprechend §§ 174 ff. InsO.

(4) Im gestaltenden Teil des Sanierungsplans wird festgelegt, wie die Rechtstellung der Beteiligten durch den Plan geändert werden soll.

(5) Der Sanierungsplan greift in die Forderungen aller oder bestimmter oder ausgewählter Gruppen von Gläubigern gleichartiger Forderungen ein.[5]

(6) Eingriffe in Rechte auch dissentierender Gläubiger werden in Anlehnung an das gerichtliche Zustimmungsersetzungsverfahrens des außergerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahrens (§ 309 InsO) ermöglicht.

(7) Sind Forderungen, in welche durch den Sanierungsplan eingegriffen wird, nach Grund oder Höhe streitig, nehmen sie mit dem Betrag am Sanierungsverfahren teil, der auch nach gerichtlicher Bestätigung des Sanierungsplans rechtskräftig oder bestandskräftig festgestellt wird oder auf den sich Gläubiger und Schuldner durch Vergleich einigen.

(8) Die Auswirkungen der im Sanierungsplan vorgesehenen Maßnahmen sind in einer integrierten Unternehmensplanung darzustellen, aus der sich ergibt, dass Zahlungsunfähigkeit in den auf die Bestätigung des Planes folgenden sechs Monaten nicht eintritt.[6]

(9) Eine gesetzliche Mindestquote, die der Sanierungsplan den Gläubigern zu gewähren hat, wird nicht vorgegeben.[7]

(10) Durch den Sanierungsplan darf kein Gläubiger gegen seinen Willen gegenüber seiner Stellung bei Liquidation[8] schlechter gestellt werden; dies ist durch eine Vergleichsrechnung[9] in dem Sanierungsplan nachzuweisen.

(12) Durch den Sanierungsplan erfolgen keine Eingriffe in Rechte der Gesellschafter des Schuldners. Der gestaltende Teil des Sanierungsplanes kann aber vorsehen, dass Gesellschafter oder Dritte freiwillige Leistungen erbringen; in diesem Fall ist dem Plan die Erklärung des Gesellschafters oder Dritten beizufügen.

 

3. Einleitung des vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens

(1) Die Einleitung des vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens erfolgt auf Antrag des Schuldners.

(2) In dem Antrag sind die an dem vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren teilnehmenden Gläubiger mit ihren Forderungen nach Grund und Höhe anzugeben.

(3) Mit dem Antrag macht der Schuldner durch Vorlage entsprechender Unterlagen das Vorliegen der unter Ziff. 1. aufgeführten Voraussetzungen glaubhaft.

(4) Der Nachweis der Zahlungsfähigkeit über einen Zeitraum von sechs Monaten (ab Antragstellung) erfolgt durch eine aus der aktuellen Buchführung abgeleiteten Liquiditätsrechnung (keine integrierte Unternehmensplanung).

(5) Das Gericht[10] prüft, ob die Antragsvoraussetzungen erfüllt sind.[11] Sind sie erfüllt, ist der Antrag durch Beschluss zuzulassen.

(6) Die Antragstellung und die Zulassung des Antrages werden, soweit der Schuldner dies nicht beantragt, nicht öffentlich bekannt gemacht.[12]

(7) Mit der Zulassung des Antrages setzt das Gericht dem Schuldner eine Frist von zwei Monaten zur Vorlage eines Sanierungsplanes. Diese Frist kann auf besonderen Antrag des Schuldners um einen Monat verlängert werden.[13]

(8) Das Gericht kann auf Antrag des Schuldners beschließen, dass am vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren teilnehmende Kreditgeber jeder Art wegen der Verfahrenseinleitung oder wegen der Verschlechterung der Vermögensverhältnisse von ihren Kündigungsrechten keinen Gebrauch machen. Weiter kann das Gericht auf Antrag des Schuldners ein Verbot der Verwertung von Sicherheiten beschließen. Diese Maßnahmen sind längstens auf drei Monate befristet und können jederzeit wieder aufgehoben werden.[14]

 

4. Sachwalter im vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren

(1) Mit der Zulassung des Antrages bestellt das Gericht einen Sachwalter.[15] Für die Auswahl des Sachwalters gilt § 56 InsO entsprechend. Berater des Schuldners erfüllen die für die Erledigung der Aufgaben des Sachwalters erforderliche Unabhängigkeit nicht.

(2) Der Sachwalter hat die Aufgabe der Moderation zwischen Schuldner und Gläubiger bei der Erstellung des Planes. Er gibt zu dem Sanierungsplan eine Stellungnahme als Grundlage für dessen Prüfung durch das Gericht ab. Er hat dem Gericht und den teilnehmenden Gläubigern anzuzeigen und zu berichten, sofern Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Schuldner das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren missbräuchlich in Anspruch nimmt, oder sollte der Schuldner während des Verfahrens zahlungsunfähig gem. § 17 InsO werden. In diesem Fall ist das Verfahren beendet[16], es sei denn, es wird auf Antrag des Schuldners durch Beschluss des Gerichts in ein Insolvenzeröffnungsverfahren übergeleitet. Für den Antrag des Schuldners gelten die §§ 13ff. InsO. Anträge nach §§ 270ff. InsO sind ausgeschlossen.

 

5. Entscheidung über den Sanierungsplan

(1) Der vom Schuldner eingereichte Sanierungsplan unterliegt der Vorprüfung durch das Gericht; die Prüfung beschränkt sich darauf, ob der Plan aussichtslos in dem Sinne ist, dass er den wirtschaftlichen Fortbestand des Schuldners nicht gewähr-leistet, und dass durch den Sanierungsplan kein Gläubiger gegenüber seiner Stellung bei Liquidation schlechter gestellt wird.[17]

(2) Zur Abstimmung über den Sanierungsplan ordnet das Gericht einen Termin an, der der Anhörung der durch den Sanierungsplan betroffenen Gläubiger, des Schuldners und des Sachwalters und der Abstimmung dient.

(3) Die Abstimmung über den Sanierungsplan erfolgt nach Gruppen, soweit der Sanierungsplan eine Gruppenbildung vorsieht. Erforderlich ist eine qualifizierte Mehrheit von 75 % nach Summen der Forderungen innerhalb einer Gruppe. Nicht anwesende Gläubiger können schriftlich abstimmen.

(4) Ist der Sanierungsplan mehrheitlich angenommen, wird er durch Beschluss des Gerichts bestätigt.[18]

(5)Der bestätigte Sanierungsplan hat die Wirkungen der § 254 InsO.[19]

 

6. Beendigung des Verfahrens, Rechtmittel

(1) Das Verfahren wird mit dem Bestätigungsbeschluss gem. Nr. 5 (4), der begründeten Anzeige des Sachwalters über den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit während des Verfahrens gem. Nr. 4 (2) oder wenn die Annahme des Planes aussichtslos ist, aufgehoben.

(2) Gläubigern, die dem Plan spätestens in dem Termin zur Abstimmung widersprochen, gegen den Plan gestimmt und glaubhaft gemacht haben, dass sie durch den Plan wesentlich schlechter gestellt werden, als sie bei Liquidation des Unter-nehmens stünden, steht gegen den Beschluss des Gerichts über die Bestätigung des Planes die sofortige Beschwerde zu.

 

7. Verortung einer gesetzlichen Regelung

Gesondertes Sanierungserleichterungsgesetz (SEG), das die Verfahren der vorinsolvenzlichen und gerichtlichen Sanierung enthält mit Regelungen

(1) zum vorgerichtliches Sanierungsverfahren

(2) des Schutzschirmverfahrens nach § 270 b InsO (herausgenommen aus InsO).[20]

 

 

[1] Damit erfolgt eine deutliche Abgrenzung zu den Sanierungsverfahren der Insolvenzordnung.

[2] Die Formulierung ist angelehnt an den Vorschlag von Bork, ZIP 2010, 397, 403.

[3] Fehlt es hieran, sind verlässliche Schlüsse, welche finanzwirtschaftlichen Maßnahmen zur frühzeitigen Sanierung des Schuldners erforderlich sind, nicht möglich.

[4] Sie würden indizieren, dass der Schuldner bereits nicht mehr in der Lage ist, fällige und titulierte Verbindlichkeiten zu bedienen, und dass mindestens Zahlungsunfähigkeit droht.

[5] Eingriffe durch den Sanierungsplan in die Rechte der Gläubiger erstrecken sich nicht zwingend auf alle Gläubiger, sondern werden in der Regel auf bestimmte Gläubiger oder Gläubigergruppen beschränkt sein. Es ist daher nicht notwendig alle Gläubiger an dem vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren zu beteiligen. Das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren kommt insbesondere zur Anwendung, wenn der Schuldner zwar in der Lage ist, die laufenden Verbindlichkeiten seines Geschäftsbetriebes zu bedienen, nicht aber hierüber hinausgehende Verbindlichkeiten, z. B. aus der Fremdfinanzierung des Unternehmens in ihren vielfältigsten Formen. Die finanzwirtschaftlichen Maßnahmen eines Sanierungsplanes sind vielfältig und umfassen z. B. die Neuordnung von Kreditverhältnissen, die Zuführung neuer Finanzmittel im Wege der Eigenkapital- oder Fremdkapitalfinanzierung oder der Finanzierung mittels hybrider Finanzierungsformen oder – in der Regel – den teilweisen oder vollständigen Erlass von Forderungen.

[6] Für den Antrag reicht eine Liquiditätsplanung (s. Nr. 3., 3. Spiegelstrich).

[7] Eine Mindestquote könnte als unzulässige Eingangsvoraussetzung im Sinne der Empfehlung der EU-Kommission vom 12.03.2014 angesehen werden. Sie ist aber auch deshalb nicht erforderlich, weil nach den Empfehlungen der EU-Kommission durch den Sanierungsplan keine Schlechterstellung dissentierender Gläubiger gegenüber deren Stellung bei Liquidation erfolgen darf, was als Bestandteil des Sanierungsplanes eine entsprechende Vergleichsrechnung erfordert.

[8] Die Liquidation umfasst auch die Veräußerung des Unternehmens im Wege der übertragenden Sanierung.

[9] Es wäre unzureichend, bei der Vergleichsrechnung nur auf den Fall der Liquidation durch Einzelverwertung abzustellen.

[10] Die Grundsätze lassen derzeit offen, welches Gericht für das Verfahren zuständig sein soll. Es kommt in Betracht, das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren bei den Insolvenzgerichten anzusiedeln; mit Blick auf vergleichbare Verfahren in anderen Rechtsordnungen ist aber auch denkbar, die Kammer für Handelssachen mit diesen Verfahren zu befassen.

[11] Die Prüfung der Antragsvoraussetzungen soll regelmäßig ohne Beauftragung eines Sachverständigen erfolgen. Der Eintritt in das Verfahren soll lediglich an niederschwellige Voraussetzungen geknüpft werden.

[12] Hierzu besteht keine Veranlassung, da die Zulassung des Antrages nur erfolgt, wenn noch keine Zwangsvoll-streckungsmaßnahmen stattfinden. Es bleibt dem Schuldner überlassen, ob und in welchem Umfange er seine Gläubiger über die Einleitung des vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens informiert.

[13] Das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren soll in Abgrenzung zum Insolvenzplanverfahren (Regelverfahren, Schutzschirmverfahren) ein schnelles Verfahren sein. Dem trägt die Zweimonatsfrist Rechnung. Der das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren ernsthaft in Anspruch nehmende Schuldner wird bereits bei Antragstellung Vorarbeiten zur Erstellung des Sanierungsplanes geleistet haben, die ihm seine Vorlage innerhalb der Frist er-möglichen, oder der Schuldner wird den Sanierungsplan bereits mit dem Antrag oder im unmittelbaren Anschluss an dessen Zulassung dem Gericht vorlegen.

[14] Damit soll sichergestellt werden, dass die bisherigen Kredite und die dafür bestellten Sicherheiten dem Schuldner während des vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens uneingeschränkte zur Fortsetzung seines Unternehmens zur Verfügung stehen und nicht abgezogen werden. Kreditkündigungen oder die Verwertung von Sicherheiten würden die Fortsetzung der unternehmerischen Tätigkeit des Schuldners in hohem Maße gefährden. Derartigen Eingriffen in Gläubigerrechte begegnen andererseits auch verfassungsrechtliche Bedenken. Solche bestehen erst recht für die Anordnung weitergehender Moratorien. Ein Bedarf für eine Einstellung der Zwangsvollstreckung wird nicht gesehen, weil der Zugang zu dem Verfahren voraussetzt, dass bei Antragstellung keine Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner betrieben wird.

[15] Unter einer anderen, zur Abgrenzung vom Sachwalter nach §§ 270c, 274 InsO noch festzulegenden Bezeichnung.

[16] Nach der Zulassung des Antrages gem. Nr. 3. (5) bedarf es zur Beendigung des Verfahrens im Sinne eines actus contrarius eines Beschlusses. Dabei wird aber auch zu erwägen sein, ob der Schuldner nicht vorher noch anzuhören ist.

[17] Die Prüfung soll gewährleisten, dass von vornherein aussichtslose Pläne nicht zur Abstimmung gelangen und dass dissentierende Gläubiger nicht schlechter gestellt werden gegenüber ihrer Stellung in einem gerichtlichen Insolvenzverfahren.

[18] Ein Beschluss erübrigt sich, wenn der Sanierungsplan nicht mehrheitlich angenommen wird.

[19] Für die formersetzende Wirkung des § 254a InsO wird kein Bedarf gesehen.

[20] Damit ist gleichzeitig die Chance eröffnet, durch gebotene Anpassungen das Eigenverwaltungsverfahren ohne Schutzschirm (§ 270 a InsO) gesetzlich näher zu konturieren.

Stellungnahme des VID zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit

 

Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz
Herrn Johannes Gerds
Referat RA2
Mohrenstraße 37
10117 Berlin

 

per Email: poststelle@bmjv.bund.de

Berlin, 28.08.2015

 

Stellungnahme des VID zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit

 

Sehr geehrter Herr Gerds,

die Zielsetzung des Referentenentwurfs unterstützen wir als Berufsverband der in Deutschland tätigen Insolvenzverwalter nachdrücklich. Die Unabhängigkeit des Sachverständigen, dessen Qualität und eine kürzere Verfahrensdauer sind auch für unsere Berufsgruppe von wesentlicher Bedeutung.

Bereits heute haben wir in den Berufsgrundsätzen der Insolvenzverwalter, den sogenannten Grundsätzen ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung, GOI, mehrere Regelungen zur Frage der Unabhängigkeit (III. Ziffer 1) und der Verpflichtung zur eigenen Fortbildung und zur Fortbildung der Mitarbeiter (II. Ziffern 6 u.7) aufgenommen. Überdies gibt es Mindeststandards für die Gutachtenerstellung (III. Ziffer 6), die vor allem an den Grundsätzen der Wesentlichkeit, Entscheidungsrelevanz, Wahrheit und Klarheit, Rechtzeitigkeit, Verlässlichkeit und Verständlichkeit geknüpft sind.

Darüber hinaus haben wir gemeinsam mit dem Bundesarbeitskreis Insolvenzgerichte e.V., BAKinso, einen Fragebogen entwickelt, welcher den zu bestellenden Sachverständigen bzw. vorläufigen Insolvenzverwalter zur aktiven Aufdeckung möglicher Interessenskonflikte verpflichtet.

Gerade die Frage der Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Neutralität ist für den Sachverständigen im Insolvenzverfahren, welcher regelmäßig auch als vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wird, von zentraler Bedeutung. Der (vorläufige) Insolvenzverwalter vertritt die Interessen aller am Insolvenzverfahren beteiligter Gläubiger. Gerade in einem konfliktreichen Umfeld eines Zwangsvollstreckungsverfahrens, mit der nicht vollständigen Befriedigung aller Gläubigerinteressen, dient die Integrität des Insolvenzverwalters und zugleich des gerichtlich bestellten Sachverständigen nicht nur der ordnungsgemäßen Abwicklung des Insolvenzverfahrens, sondern auch der Befriedigung der gegensätzlichen Interessenslagen der Gläubigergruppen. Auch nur der Anschein der fehlenden Unabhängigkeit würde diese zentrale Funktion für die Entwicklung des Insolvenzverfahrens und für die im Sachverständigengutachten für die richterliche Entscheidung zu ermittelnden Grundlagen mehr als gefährden.

Schließlich ist bei unseren nachstehenden Überlegungen und Anmerkungen auch zu berücksichtigen, dass bei jährlich mehr als 25.000 Unternehmensinsolvenzen und fast 100.000 Verbraucherinsolvenzverfahren regelmäßig Sachverständige nach § 5 Abs. 1 Satz 2 InsO bestellt werden. Damit kommt den durch den Referentenentwurf vorgesehenen Änderungen im Bereich der Insolvenzverfahren eine besondere Bedeutung zu. Dieser besonderen Bedeutung sollte der Referentenentwurf durch einige Klarstellungen unbedingt Rechnung tragen.

 

Unabhängigkeit

Zu Recht fordert der Referentenentwurf die Unabhängigkeit und Neutralität des gerichtlich bestellten Sachverständigen ein. Problematisch ist insoweit jedoch, dass die Begriffe Unabhängigkeit, Neutralität und Unparteilichkeit im Referentenentwurf synonym gebraucht werden. Der neu eingefügte Absatz 2 in § 407a RefZPO verwendet den Begriff der Unparteilichkeit. Im Referentenentwurf selbst werden zudem wiederholt die Begriffe der Unabhängigkeit und der Neutralität verwendet.

Auch die Insolvenzordnung kennt in § 56 Abs. 1 Satz 1 den Begriff der Unabhängigkeit. Wenngleich dieser mit dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, ESUG, in keiner Weise in Frage gestellt wurde, hat eine missverständliche Gesetzesbegründung eine Diskussion in Gang gesetzt, ob die Unabhängigkeit zur Disposition der Beteiligten steht. Auch wenn Praxis und Wissenschaft, wie zuletzt die Bundesministerin a.D. für Justiz, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, in ihrer Rede auf dem 10. Deutschen Insolvenzrechtstag am 14.3.2013 der Disponibilität eine klare Absage erteilt haben, offenbart dies die mit der Verwendung unklarer Begrifflichkeiten verbundenen Gefahren.

Somit sollte der in § 407a Abs. 2 RefZPO verwandte Begriff der Unparteilichkeit durchgängig sowohl in Zielsetzung und Begründung zum Referentenentwurf verwendet werden als auch das Verständnis der Unparteilichkeit im Sinne der Neutralität und der fehlenden Interessenskollision näher definiert werden. Denkbar wäre etwa, in § 56 Abs. 1 Satz 1 nach dem Wort unabhängige „und unparteiliche“ einzufügen. Damit wäre klargestellt, dass das Gebot der Unabhängigkeit auch die Unparteilichkeit und Neutralität gegenüber dem am Verfahren beteiligten Schuldner und Gläubigern versteht.

 

Sachverständiger und (vorläufiger) Insolvenzverwalter

Im Insolvenzeröffnungsverfahren wird der durch das Gericht bestellte Sachverständige regelmäßig auch als vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, für welchen die Regelungen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO und das dort verankerte Gebot der Unabhängigkeit gilt. Insoweit könnte in Frage gestellt werden, ob aufgrund der in § 4 InsO geregelten bedingten Anwendung der Zivilprozessordnung die mit dem Referentenentwurf verfolgte Zielsetzung im Insolvenzverfahren nicht verfehlt wird.

Dies zeigt etwa die Diskussion zur Frage der Ablehnung eines Sachverständigen nach § 406 ZPO. Auch nach Auffassung des Bundesgerichtshofs (BGH-Beschluss vom 25.01.2007, Aktenzeichen IX ZB 240/05, NZI 2007, 284 f.)ist die Ablehnung wegen Befangenheit grundsätzlich nicht möglich. Für das Insolvenzverfahren als Eilverfahren und die besondere Position des Sachverständigen als verlängerter Arm des Insolvenzgerichts im Sinne von § 5 Abs. 1 InsO, ist diese Einschränkung der Ablehnung der Befangenheit durchaus begründet.

Nicht akzeptabel wäre jedoch die Frage der Unparteilichkeit im Sinne des Referentenentwurfs in Frage zu stellen. Es ist insoweit nicht einsehbar, warum im Insolvenzverfahren an die Anforderungen des Sachverständigen bzw. des (vorläufigen) Insolvenzverwalters geringere Anforderungen an seine Unparteilichkeit, Unabhängigkeit bzw. Neutralität gestellt werden, als in anderen gerichtlichen Verfahren. Um dies auch für die Insolvenzordnung und somit für das Insolvenzverfahren klarzustellen, sollte § 5 Abs. 1 InsO um einen Satz 3 wie folgt ergänzt werden:

„Für den gerichtlich bestellten Sachverständigen, den Insolvenzverwalter und den Sachwalter gilt § 407 Abs. 2 ZPO entsprechend.“

Überdies wäre eine Klarstellung in der Gesetzesbegründung erforderlich, dass die in § 5 InsO vorgeschlagene Ergänzung der Klarstellung dient, da auch § 56 InsO für den Insolvenzverwalter und den Sachwalter die Unabhängigkeit im Sinne einer umfassenden Unparteilichkeit und Neutralität steht, welche weit über die schlichte Abhängigkeit von den Interessen einzelner Beteiligten hinausgeht.

 

Transparenzgebot

Die Verpflichtung des Sachverständigen, von sich aus die Parteilichkeit zu prüfen und dem Gericht dem entgegenstehende Gründe unverzüglich mitzuteilen, wird auch von den durch unseren Berufsverband entwickelten Grundsätzen ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung getragen. In III. 1. (Grundsatz 24) der GOI wird daher geregelt:

„Der Insolvenzverwalter hat sofort mögliche Interessenskollisionen – auch ungefragt – umfassend zu offenbaren. Das betrifft auch alle Umstände, die nur den Anschein begründen könnten, der Insolvenzverwalter sei nicht unparteiisch oder im Sinne des Gesetzes nicht unabhängig.“

In der Praxis ist der dem Berufsverband angehörige Insolvenzverwalter schon bei Annahme des Sachverständigenauftrages verpflichtet, mögliche Interessenskollisionen zu prüfen und ggf. auftretende Interessenskonflikte unverzüglich dem Insolvenzgericht mitzuteilen. Die Einhaltung dieser Verpflichtung wird durch unabhängige Zertifizierungsgesellschaften jährlich überprüft.

Zudem hat unser Berufsverband gemeinsam mit dem Bundesarbeitskreis Insolvenzgerichte einen Fragebogen zur Unabhängigkeit des Verwalters entwickelt. Mit dem in der Anlage beigefügten Fragebogen hat der zu bestellende Sachverständige und/oder vorläufige Insolvenzverwalter die näheren Hintergründe zu seiner Person und den vom Insolvenzverfahren betroffenen natürlichen und/oder juristischen Person zu offenbaren.

 

Anhörung der Parteien

Das Insolvenzverfahren ist als Eilverfahren im Zwangsvollstreckungsrecht ausgeprägt. Gerade bei dem Erhalt von laufenden Geschäftsbetrieben und bei der Gefährdung der zukünftigen Insolvenzmasse ist ein sofortiges Handeln des zuständigen Insolvenzgerichts innerhalb Minuten oder Stunden erforderlich. Insoweit wäre die obligatorische Anhörung der Parteien, wie es § 404 Abs. 1 Satz 2 RefZPO vorsieht, mehr als kontraproduktiv.

Hinzu kommt, dass das Insolvenzverfahren nicht als Parteiverfahren ausgeprägt ist. Das als Gesamtvollstreckungsverfahren ausgeprägte Insolvenzverfahren dient den Interessen aller beteiligten Gläubiger. Somit ist der Kreis der Beteiligten im Insolvenzverfahren nicht greifbar, erst recht nicht gleich zu Beginn des Insolvenzverfahrens. Daher kann eine Anhörung nicht vor der Ernennung des Sachverständigen durch das Insolvenzgericht verpflichtend eingeführt werden.

 

Fazit

Es liegt nahe, bezüglich der Ausgangssituation mit der Bestellung eines gerichtlichen Sachverständigen in anderen Verfahren, das Transparenzgebot nach § 407a Abs. 2 RefZPO künftig ausdrücklich auch auf Sachverständige im Insolvenzverfahren zu erstrecken. Darüber hinaus sollte vor dem Hintergrund der oben geschilderten Diskussion zum Inhalt des Unabhängigkeitsgebotes nach § 56 InsO auch der Begriff der Unabhängigkeit des (vorläufigen) Insolvenzverwalters gesetzlich durch den Begriff der Unparteilichkeit ergänzt werden.

Eine solche ausdrückliche Regelung korrespondiert auch mit europäischen Normierungsgrundsätzen für Sachverständige außerhalb gerichtlicher Verfahren (Europäischer Normentwurf „Sachverständigenleistungen – Allgemeine Anforderungen an Dienstleistungen im Sachverständigenwesen“, CEN/TS 405/prEN 16775:2014). Der europäische Regelungsansatz entspricht dem Referentenentwurf und reicht teilweise noch über ihn hinaus. In dem europäischen Regelungsansatz zur Schaffung von Mindeststandards wird ein Verhaltenskodex vorgeschlagen, der den Sachverständigen zur Unabhängigkeit, Unparteilichkeit, Objektivität und Integrität verpflichten soll.

Nicht möglich erscheint hingegen die Anhörung der Beteiligten vor der Benennung des Sachverständigen bzw. vorläufigen Insolvenzverwalter. Der Eilcharakter des Insolvenzverfahrens und die zwingende Verpflichtung zur Sicherung der späteren Insolvenzmasse stehen diesem durchaus berechtigten Ansinnen im Parteiverfahren entgegen.

 

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Christoph Niering

Vorsitzender