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Stellungnahme:

22.02.2016

Stellungnahme des VID zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz, BT-Drucksache 18/7054

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A. Vorbemerkung

 

Das deutsche Insolvenzrecht hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten eindrucksvoll gezeigt, dass es einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt von Unternehmen, damit auch zum Erhalt von Arbeitsplätzen, leisten kann. In jüngster Zeit haben das Gesetz zur erleichterten Sanierung von Unternehmen, ESUG[1], und auch der Ansatz der Europäischen Kommission den Sanierungsansatz des Insolvenzrechts und somit eine zweite Chance für Unternehmer nochmals deutlich hervorgehoben und gestärkt. Nicht ohne Grund hebt die Weltbank in ihrer letzten Erhebung[2] hervor, dass Deutschland im Bereich Insolvenz und Reorganisation eine weltweit führende Rolle einnimmt.

Das bis heute Erreichte und die Entwicklung dahin waren jedoch keine Selbstläufer. Vielmehr sind sie Produkt einer langen Reformdiskussion und auch das Ergebnis der Vereinheitlichung der beiden deutschen Rechtssysteme nach 1989. Bis dahin galten vor allem in der Konkursordnung über Jahrzehnte gewachsene und sehr umfangreiche Vorrechte, die nicht nur häufig die Eröffnung eines Konkursverfahrens, sondern in der Folge auch den Erhalt des Unternehmens unmöglich machten.

„Sanieren statt liquidieren“ mag man als Überschrift über die Insolvenzordnung schreiben. Der Sanierungsgedanke, zumindest als alternativer Verwertungsweg zur Unternehmenszerschlagung, wird bereits in § 1 der Insolvenzordnung ausdrücklich genannt. Sanierung bedeutet Unternehmenserhalt und Unternehmenserhalt bedeutet Arbeitsplatzerhalt. Die Sanierung von Unternehmen ist aber nur dort möglich, wo die insolventen oder insolvenzbedrohten Unternehmen zumindest noch über ein Mindestmaß an finanziellen Mitteln verfügen, um im Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung die zwingend notwendigen Maßnahmen zur Sicherung der Betriebsfortführung zu finanzieren.

Ein zentrales Instrument der Sicherung der finanziellen Basis für ein Insolvenzverfahren ist das Anfechtungsrecht, welches die große Insolvenzreform von 1994 deshalb ausdrücklich und sehr weitgehend gestärkt hat. Mit dem Anfechtungsrecht soll in erster Linie der Wettlauf zwischen den Gläubigern unterbunden oder zumindest frühzeitig beendet werden. Ein Wettlauf, der ohnehin in Bezug auf die Finanzbehörden, die Sozialversicherungsträger, Berufsgenossenschaften etc. mit ungleichen Mitteln ausgetragen wurde und wird. Als Selbsttitulierer können diese nicht nur schneller die Voraussetzung für die Vollstreckung ihrer Forderung schaffen, sondern sie verfügen in der Regel auch über eigene Vollstreckungsabteilungen, welche zudem auch über weitergehende Einsichtsrechte in die finanziellen Verhältnisse der insolvenzgefährdeten Unternehmen verfügen.

Diesen Wettlauf zu unterbinden führt nicht nur dazu, dass geleistete Zahlungen und Vermögensverfügungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens rückgängig gemacht werden. Eine ganz wesentliche Wirkung des Insolvenzanfechtungsrechts besteht auch darin, präventiv zu wirken. Dem Rechtsverkehr wird von vornherein signalisiert, dass ein starkes Anfechtungsrecht und eine zunehmend professionalisierte Insolvenzverwaltung eine Sicherung eigener Ansprüche zu Lasten der übrigen Gläubiger noch kurz vor der Insolvenzantragstellung nicht sinnvoll erscheinen lassen.

Aber selbst da, wo eine Sanierung des insolventen Unternehmens nicht mehr möglich ist, wird durch Anfechtungsansprüche häufig zumindest die Deckung der Verfahrenskosten sichergestellt. Erst hierdurch wird die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ermöglicht. Auch diese sogenannten Ordnungsverfahren liegen im Interesse der Allgemeinheit. Nur so wird ein geordneter Marktaustritt des insolventen Unternehmens sichergestellt.

Gerade Arbeitnehmer, in Bezug auf Arbeitszeugnisse, Verdienstbescheinigungen, Rentenbescheinigungen etc. wissen, wie wichtig ein Insolvenzverwalter als kompetenter Ansprechpartner ist. Aber auch Vertragspartner werden die geordnete Rückgabe von Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaften schätzen oder Banken und Vermieter die Verwertung von Sicherheiten und die Herausgabe von angemieteten Räumlichkeiten als wichtig erachten.

Mit dem Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz (im Folgenden: RegE), den die Bundesregierung unter dem Stand vom 29.09.2015 veröffentlicht hat[3], geht ein von Beginn an kontrovers diskutiertes Reformvorhaben in die parlamentarischen Beratungen.[4]

Ein zu starker Eingriff in das Anfechtungsrecht wird nicht nur die Sanierung von Unternehmen, den Erhalt von Arbeitsplätzen und damit auch die zweite Chance für gescheiterte Unternehmer gefährden, sondern auch die Zahl der eröffneten Insolvenzverfahren sehr deutlich sinken lassen. Ein solcher Nebeneffekt, vor allem bedingt durch die im Regierungsentwurf vorgesehenen Regelungen der Zwangsvollstreckungen in § 131 RegE und zur Lohnsteuer sowie zu Sozialversicherungsbeiträgen in § 142 RegE dürfen aber nicht als Kollateralschaden sehenden Auges hingenommen werden.

 

B. Beispiele aus der Praxis

 

Schon heute gelingt es nur mit größter Anstrengung, den laufenden Geschäftsbetrieb insolventer Unternehmen zu stabilisieren. Keine Seltenheit sind selbst größere mittelständische Unternehmen mit einigen hundert Arbeitnehmern, welche im Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung nur über geringste liquide Mittel von einigen tausend Euro verfügen, welche trotz Sicherung der Gehälter über das Insolvenzausfallgeld nicht einmal annähernd ausreichen, um die wesentlichen Maßnahmen der Betriebsfortführung, wie etwa der Einkauf von Rohstoffen oder aber die Bezahlung der Spediteure und sonstigen Dienstleister, sicherzustellen.

Ein Beispiel aus meiner eigenen Berufspraxis ist etwa die Insolvenz eines traditionsreichen Industriebäckers. Dieser musste im Jahr 2014 an seinen vier Produktionsstätten und mit insgesamt fast 800 Arbeitnehmern Insolvenzantrag stellen. Bei einem Jahresumsatz von € 89 Mio. verfügte das Kernunternehmen im Zeitpunkt der Antragstellung über kein Guthaben bei Banken. Das Vorratsvermögen reichte nur noch für zwei Produktionstage, um die Großkunden des deutschen Discounteinzelhandels zu beliefern.

Aber auch bei kleineren mittelständischen Unternehmen, wie etwa einem technischen Dienstleister für die Stahl- und Chemieindustrie, war mit insgesamt 70 Arbeitnehmern im Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung im Herbst 2015 die Situation ähnlich extrem. Dort war lediglich noch eine Barkasse von € 134,00 vorhanden.

In diesen beiden, und vielen weiteren Fällen aus der Praxis der Mitglieder unseres Berufsverbandes handelt es sich um Produktions- und Dienstleistungsbetriebe, welche mitten im wirtschaftlichen Leben standen. Neben einer immer mehr zunehmenden Fremdfinanzierung der Unternehmen über Leasing und die Besicherung des Betriebsvermögens zugunsten der finanzierenden Banken, ist auch die Furcht der Geschäftsführer und der Vorstände vor einer persönlichen Haftung bei Nichtzahlung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen für die Situation verantwortlich.

Im zweiten Beispiel des Dienstleisters für die Stahl- und Chemieindustrie, hat der Geschäftsführer am Tag der Antragstellung rückständige Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von € 186 000 zur Anweisung gebracht und somit die letzten finanziellen Reserven zugunsten nur eines einzigen Gläubigers verwendet.

Hier dürfte deutlich sein, dass die Sanierung solcher Betriebe wenn nicht unmöglich, so doch durch einen stärkeren Eingriff in das Anfechtungsrecht erschwert wird. Dies schon bei heutiger Rechtslage und der Kenntnis der wichtigen Gläubiger, dass die Entgegennahme von Zahlungen kurz vor der Insolvenzantragstellung und in Kenntnis des Zahlungsempfängers von der Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens im höchsten Maße anfechtbar sind.

Dieser Entwicklung muss mit allen erdenklichen Möglichkeiten, vor allem auch im Hinblick auf eine frühere Antragstellung durch die Geschäftsführer, entgegengewirkt werden. Keinesfalls darf der heute schon unbefriedigende Zustand durch eine Entschärfung des Anfechtungsrechts und zudem durch Privilegien zugunsten einzelner Gläubigergruppen noch weiter verschlechtert werden. Ohne Geld keine Sanierung. Dann heißt es liquidieren statt sanieren.

 

C. Rechtliche Würdigung[5]

 

1. Keine Privilegierung öffentlicher Gläubiger durch §131Abs. 1 Satz 2 RegE

 

„Eine Rechtshandlung wird nicht allein dadurch zu einer solchen nach Satz 1, dass die Sicherung oder Befriedigung durch Zwangsvollstreckung erwirkt oder zu deren Abwendung bewirkt worden ist.“

 Mit dieser vorgeschlagenen Fassung des § 131 Abs.  1 Satz 2 fällt der RegE deutlich hinter die Diskussion des § 131 InsO und den Referentenentwurf des BMJV vom 16.03.2015 zurück. Man gewinnt den Eindruck, dass dieser Rückfall nunmehr ungeschminkt die öffentlichen Kassen als eigentliche „Gewinner“ dieser Reform sichtbar macht.

Wie bereits beim Referentenentwurf überrascht die Aufnahme dieser Regelung auch im Regierungsentwurf. Sie entspricht nämlich nicht dem Prüfauftrag des Koalitionsvertrages. Die dort genannten Fallgestaltungen (Planungssicherheit und Arbeitnehmerschutz) sind erkennbar auf eine Prüfung des § 133 InsO und nicht auf § 131 InsO gerichtet.

Die Planungssicherheit des Geschäftsverkehrs wird durch § 131 InsO nur mittelbar berührt, weil diese Regelung auf bereits durch Vollstreckungsmaßnahmen erlangte Deckungen zielt. Der weitere Einbehalt dieser Deckungen ist nicht mehr von einem künftigen Verhalten des Gläubigers abhängig. Eine Änderung des § 131 InsO kann deshalb auch nicht zur gesetzlichen Steuerung dieses Verhaltens dienen, sondern lediglich eine Privilegierung früheren Verhaltens festschreiben.

Für künftiges Verhalten schafft diese Änderung nur dort Planungssicherheit, wo die Vollstreckung als Option offen steht und trotz der oftmals bereits eingetretenen Zahlungsschwierigkeiten des Schuldners und der regelmäßig früheren Vollstreckungsbemühungen der öffentlichen Gläubiger noch erfolgreich ist. Auch bereits ausgezahlte Löhne werden durch § 131 InsO nicht erfasst. Das Vertrauen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auf den Einbehalt von Löhnen wird durch § 131 InsO nur in den insgesamt sehr seltenen Fällen berührt, in denen Arbeitnehmer gegen ihren Arbeitgeber wegen ausgebliebener Lohnzahlungen vollstrecken und diese Vollstreckungen im Zeitraum von drei Monaten vor Insolvenzantragsstellung erfolgreich waren. Eine Auszahlung hat in diesen Fällen aber gerade nicht stattgefunden, weil es sonst nicht zur Vollstreckung gekommen wäre.

Im starken Gegensatz zu dieser Ausgangslage stehen die tatsächlichen Wirkungen, die mit der nun vorgeschlagenen Ergänzung von § 131 InsO verbunden wären. Diese Ergänzung erinnert an einen früheren Versuch zur Änderung der Insolvenzanfechtung, der mit dem Entwurf eines „Gesetzes zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge und zur Anpassung des Rechts der Insolvenzanfechtung“ bereits 2006 im Deutschen Bundestag gescheitert war[6]. Im Rahmen des § 131 InsO war damals folgende Änderung vorgesehen:

„Eine Rechtshandlung wird nicht dadurch zu einer solchen nach Satz 1, dass der Gläubiger die Sicherung oder Befriedigung durch Zwangsvollstreckung erlangt.“

Die noch im Referentenentwurf vorgeschlagene Ergänzung des § 131 InsO wandelte diesen früheren Vorschlag ab, indem sie nur solche Deckungen einbezog, die auf der Basis eines in einem gerichtlichen Verfahren erlangten Titels erlangt werden. Damit sollten erkennbar Fiskus und Sozialversicherungsträger ausgeschlossen werden, die überwiegend auf der Basis selbst geschaffener Titel vollstrecken. Auch gegen diese noch eingeschränkte Art der Privilegierung zwangsvollstreckender Gläubiger in der Insolvenz wurden schon starke Bedenken formuliert[7].

Finanzbehörden und Sozialversicherungsträger sind sogenannte Selbsttitulierer. Diese können ohne ein langwieriges gerichtliches Verfahren eigene Vollstreckungstitel schaffen, welche sie zudem noch mit eigenen Vollstreckungsbeamten zwangsweise durchsetzen können – ein entscheidender zeitlicher Vorteil, welcher von keiner anderen Gläubigergruppe jemals eingeholt werden kann.

Die nun durch den RegE wieder hervorgeholte Idee einer umfassenden Privilegierung von Zwangsvollstreckungen wäre aus Sicht der Insolvenzpraxis gleichzusetzen mit der Aufgabe des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung im Insolvenzverfahren. Gleichzeitig wäre diese Entwicklung geeignet, die seit Inkrafttreten der Insolvenzordnung deutlich gestiegenen Eröffnungsquoten signifikant zu reduzieren und damit in Zustände zurückzuführen, die vor 1999 allgemein als „Konkurs des Konkurses“ beklagt wurden. Eine Rückkehr zu der im Referentenentwurf vorgeschlagenen einseitigen Privilegierung des auf der Basis gerichtlicher Titel Erlangten ist aus den gleichen Gründen keine gangbare Alternative.[8]

Mit dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung hat die Insolvenzordnung eine zentrale Ratio moderner Insolvenzverfahren auch im deutschen Insolvenzrecht verankert. Der Verzicht auf die Privilegierung einzelner Gläubiger oder Gläubigergruppen wäre allerdings unvollkommen, würde er nicht durch ein Insolvenzanfechtungsrecht unterstützt, das den Ausgleich von erlangten Sondervorteilen einzelner Gläubiger auch auf die Zeit vor Antragstellung erstreckt.[9] Solche Sondervorteile werden auch durch Zwangsvollstreckung erlangt und so kann es nicht verwundern, dass diese durch Zwangsvollstreckung erhaltenen Deckungen auch schon zu Zeiten der Konkursordnung der Anfechtung unterfielen.

Wird dieser Grundsatz für bestimmte Formen der Zwangsvollstreckung durchbrochen, dann führt dies zu einer massiven Umsteuerung des Gläubigerverhaltens durch den Gesetzgeber. Jeder Gläubiger, der von einer Zahlungskrise seines Schuldners Kenntnis erlangt oder eine solche Krise vermutet, wird künftig aus wohl verstandenem Eigeninteresse sofort den Weg der Zwangsvollstreckung einschlagen, um seine Außenstände anfechtungsfest beizutreiben.

Die zuletzt mit dem ESUG verfolgte Intention eines sanierungsfreundlichen Insolvenzrechts wird dadurch in ihr Gegenteil verkehrt. Außergerichtliche Verhandlungen und Stundungen werden nur noch solche Gläubiger gewähren, die befürchten müssen, durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einen Kunden zu verlieren. Damit sind typischerweise die großen Lieferanten im Vorteil, die ohne solche Rücksichten agieren können, weil sie genügend Kunden haben. Kleine Unternehmen und Handwerker werden dagegen benachteiligt, weil sie solche Rücksichten nehmen müssen.

Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen verfügen heute bei Antragstellung oft nicht mehr über ausreichende Mittel, um die Verfahrenseröffnung sicherzustellen. Zentrale Vermögensgegenstände sind regelmäßig wertausschöpfend mit Sicherungsrechten belastet und die verbliebenen liquiden Mittel sind in der Krise dramatisch verringert worden. In sehr vielen Fällen bleibt festzustellen, dass diese Unternehmen, die die absolute Mehrzahl der Unternehmensinsolvenzfälle in Deutschland bilden, bereits seit Monaten oder sogar Jahren insolvenzreif waren, bevor sie einen Insolvenzantrag stellen oder durch Fremdanträge in die Insolvenz geschickt werden. Haftungsansprüche gegen die Verantwortlichen für solche Insolvenzverschleppungen gehen dennoch oftmals ins Leere, weil auch dort alle Vermögensgegenstände bis zuletzt als Sicherung für Unternehmenskredite hingegeben wurden. Es bleiben damit heute in vielen Fällen nur die Insolvenzanfechtungsansprüche, um die Ausfälle der Gläubigergemeinschaft zu reduzieren und genügend Masse für eine Verfahrenseröffnung zu generieren.

Diesen Zusammenhang hatte schon der Regierungsentwurf zur Insolvenzordnung vom 15.04.1992 formuliert:[10]

„Die Massearmut der heutigen Konkursverfahren geht zu einem erheblichen Teil darauf zurück, daß Schuldner im Vorfeld einer herannahenden, oftmals geradezu geplanten, Insolvenz erhebliche Vermögenswerte auf Dritte übertragen und so ihren Gläubigern entziehen. Die Tatbestände des Anfechtungsrechts sollen deshalb so ausgestaltet werden, daß die Durchsetzung von Anfechtungsansprüchen wesentlich erleichtert wird, soweit nicht Erfordernisse der Rechtssicherheit und des Verkehrsschutzes entgegenstehen. Von der Verschärfung des Anfechtungsrechts sind eine wesentliche Anreicherung der Insolvenzmassen und damit auch eine Erleichterung der Verfahrenseröffnung zu erwarten.“

Eine Verfahrenseröffnung ist die Voraussetzung einer geordneten Abwicklung und Aufarbeitung des Insolvenzfalles. Kommt es nicht zu einer Eröffnung, bleiben alle Gläubiger darauf verwiesen, selbst ihre Befriedigung in Einzelzwangsvollstreckungen, meistens ohne ausreichende Informationen oder Erfolgsaussichten, zu versuchen.

Arbeitnehmer erhalten regelmäßig nur über den Weg der Verfahrenseröffnung die Hoffnung auf einen Sozialplan und eine angemessene Abwicklung ihrer Arbeitsverhältnisse einschließlich der wichtigen Fragen zu Rentenversicherung, Lohnbescheinigungen und Zeugnissen. Effektive strafrechtliche Ermittlungen gegen die handelnden Personen setzen regelmäßig die ermittelnde Vorarbeit eines Insolvenzverwalters voraus. Aber auch die übrigen Vertragspartner des insolventen Unternehmens profitieren von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Leasinggeber sind auf die geordnete Herausgabe des Leasinggutes, Handwerker auf die kurzfristige Herausgabe von Gewährleistungs- und Vertragserfüllungsbürgschaften durch den Insolvenzverwalter angewiesen. Auch die ansonsten gut gesicherten Banken werden häufig nur über einen Insolvenzverwalter eine freihändige Veräußerung ihres Sicherungsgutes erreichen können. Selbst öffentliche Stellen wie Staatsanwaltschaften, Finanzbehörden und Sozialversicherungsträger sind bei der Aufarbeitung von haftungsrelevanten Sachverhalten in der Regel auf die Unterstützung des Insolvenzverwalters angewiesen. Auf eine solche Unterstützung werden sie zukünftig in vielen Fällen verzichten müssen, wenn es aufgrund der gesetzlichen Änderung zu deutlich weniger eröffneten Insolvenzverfahren kommen sollte.

Deshalb war die Anhebung der Eröffnungsquote ein zentrales Anliegen der Insolvenzreform von 1999. Sie ist gelungen, und die aktuelle Eröffnungsquote hat mit derzeit ca. 66 % die nur 36 %ige Eröffnungsquote aus dem letzten Jahr der Konkursordnung (1998) nahezu verdoppelt.

Quelle: Statistisches Bundesamt „Wirtschaft und Statistik“ 4/2008 sowie aktuelle Auskunft vom 21.10.2015 unter dem Geschäftszeichen: 368275 / 508649 (E 105 / 35241100).

Vor diesem Hintergrund ist dringend von einer Privilegierung der Zwangsvollstreckung in § 131 InsO abzuraten. Eine einseitige Privilegierung für Zwangsvollstreckungen auf der Basis gerichtlich erlangter Titel vermag nicht zu überzeugen. Sie wirft mit Blick auf andere Formen der Titelerlangung (z. B. durch notarielle Urkunden) ein Gleichbehandlungsproblem auf, das einer verfassungsrechtlichen Prüfung mit großer Wahrscheinlichkeit nicht standhalten wird. Dieser Umstand war wohl auch der Grund für die gegenüber dem Referentenentwurf erweiterte Fassung des Regierungsentwurfs.

 

2. Vorsatzanfechtung, §133RegE

 

2.1. Fristverkürzung: Rechtssicherheit durch § 133 Abs. 2 RegE nicht für Verdachtsfälle

 

Eine erste, bereits aus dem Referentenentwurf bekannte Änderung ist die Fristverkürzung des neuen § 133 Abs. 2 RegE auf vier Jahre, wenn die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt hat. Diese Verkürzung war im Vorfeld vielfach gefordert worden. Sie trägt aus Gläubigersicht tatsächlich zu mehr Rechtssicherheit bei, weil ihre Formulierung eindeutig ist und den Risikozeitraum von bisher pauschal 10 Jahren für Insolvenzanfechtungen deutlich einschränkt.

In ihrer Beschränkung auf Rechtshandlungen, die dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, erscheint sie auf den ersten Blick auch als zielgerechte Maßnahme zur zweifellos notwendigen Aufrechterhaltung der 10-jährigen Missbrauchskontrolle. Die Begründung des RegE (S. 10) spricht hier die paradigmatischen Fälle der Vorsatzanfechtung z. B. zur Rückgängigmachung von Bankrotthandlungen und Vermögensverschiebungen an, die weiterhin der zehnjährigen Frist unterliegen sollen.

In der Praxis werden jedoch gerade solche Vermögensverschiebungen oftmals in der äußeren Form eines ansonsten unverdächtig erscheinenden Rechtsgeschäfts vollzogen. Fallgestaltungen als Kaufvertrag, Beratungsvertrag oder Gesellschaftsvertrag sind auch in prominenten Fällen der jüngeren Vergangenheit bekannt geworden. Eine Anfechtung nach § 134 InsO scheidet in solchen Fällen bereits heute aus, wenn sie im Zeitpunkt des Eröffnungsantrages schon länger als vier Jahre zurückliegen. Auch die Regelung des bisherigen § 133 Abs. 2 InsO (entgeltliche Verträge mit nahestehenden Personen) ist in diesem Zusammenhang wegen ihrer zeitlichen Begrenzung (Anfechtbarkeit nur im Zeitraum von zwei Jahren vor Eröffnungsantrag) kein wirksames Instrument.

§ 133InsO erfüllt hier bislang eine Auffangfunktion für diejenigen Fälle, die zweifellos als Missbrauch zu werten sind, auf anderem Wege aber nicht mehr korrigiert werden können.

Der Referentenentwurf hatte dieses Problem ebenfalls bereits gesehen. Er wollte den § 133 InsO durch das Merkmal der Unangemessenheit einschränken, betonte in seiner Begründung jedoch sofort, dass jedenfalls die auch nun wieder paradigmatisch zitierten Bankrotthandlungen und Vermögensverschiebungen in jedem Fall als unangemessene Benachteiligungen der Gläubiger zu gelten hätten.

Im Ergebnis sollte deshalb zumindest solchen Sicherungen oder Befriedigungen die kurze 4-Jahres Frist des neuen § 133 Abs. 2 RegE versagt bleiben, die erkennbar zur Verschleierung von Vermögensverschiebungen dienen. Dies könnte etwa durch den Ausschluss nahestehender Personen nach § 138 InsO als möglicher Empfänger solcher Sicherungen oder Befriedigungen geschehen.

 

2.2. Drohende Zahlungsunfähigkeit: Herausnahme durch § 133 Abs. 3 Satz 1 RegE im Einzelfall kritisch

 

Eine zweite Veränderung mag auf den ersten Blick demgegenüber marginal erscheinen. Sie ist es aber nicht. Die Rede ist von der Beschränkung des § 133 Abs. 3 Satz 1 RegE, der im Fall der bereits angesprochenen Sicherung oder Befriedigung bei einer späteren Anfechtung die Kenntnis des Zahlungsempfängers vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners nur noch dann vermutet, wenn er von dessen Zahlungsunfähigkeit (bisher: drohenden Zahlungsunfähigkeit) wusste. Diese Einschränkung bringt zunächst wieder mehr Rechtssicherheit. Zahlungsunfähigkeit und drohende Zahlungsunfähigkeit sind in der Rechtsprechung des BGH ausdifferenziert worden und heute in ihren Umrissen hinreichend klar definiert. Die drohende Zahlungsunfähigkeit greift deutlich weiter aus als die Zahlungsunfähigkeit. Sie ist damit im Zusammenhang der Anfechtung ein zeitlich betrachtet längeres Schwert, das nun deutlich verkürzt wird.[11]

Ein erstes Zwischenergebnis fällt an dieser Stelle aus der Perspektive der Gläubiger positiv aus. Die Planungssicherheit des Geschäftsverkehrs wird im Rahmen der Insolvenzanfechtung vor allem durch mögliche Anfechtungsrisiken beeinträchtigt. Eine gesetzliche Beschränkung von Anfechtungsfristen und von gesetzlichen Vermutungen zu Lasten der Gläubiger verringert diese Risiken.

 

2.3. Zahlungserleichterung: Vermutung gem. § 133 Abs. 3 Satz 2 RegE nur für substantielle Erleichterung

 

Es bleibt nun die Frage, ob auch die in § 133 Abs. 3 Satz 2 RegE vorgeschlagene gesetzliche Vermutung zugunsten der Gläubiger positiv wirken wird. Auf den ersten Blick scheint nichts gegen eine solche Wirkung zu sprechen. Im Fall einer Zahlungsvereinbarung oder sonstigen Zahlungserleichterung soll zugunsten des Zahlungsempfängers vermutet werden, dass er im Zeitpunkt der Handlung (Zahlung) die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte. Diese neue gesetzliche Vermutung wendet sich erkennbar gegen eine BGH-Rechtsprechung, die bereits seit langem neben der Zahlung für die Ausräumung der im Einzelfall schädlichen Kenntnis auch den Nachweis der Wiederaufnahme von Zahlungen an alle Gläubiger verlangte. Dieser Rechtsprechung war immer wieder vorgehalten worden, dass der einzelne Gläubiger einen solchen Nachweis praktisch nicht erbringen könne. Schließlich habe er keinen Zugriff auf die Buchhaltung des Schuldners, mit deren Hilfe allein ein solcher Nachweis zu führen sei.

So vernünftig dieser Einwand klingt, so klar ist andererseits auch, dass § 133 InsO seine Funktion als Instrument der Missbrauchskontrolle nur dann wirksam erfüllen kann, wenn die einmal erlangte Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht durch jede noch so kleine Zahlungserleichterung beseitigt werden kann. Sonst wäre die Umgehung der Kontrolle einfach. Es würde reichen, eine minimale Zahlungserleichterung z. B. in Form eines kleinen Teilverzichts auf die eigene Forderung zu vereinbaren, um die bestehende Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners und damit eine spätere Anfechtung nach § 133 InsO im Zeitpunkt der später erfolgenden Zahlung auszuschließen.[12]

Interessanterweise versucht nun der Regierungsentwurf, genau diese Konsequenz durch eine gesetzliche Vermutung herbeizuführen. Als gesetzliche Vermutung steht dieser Versuch allerdings auf vergleichsweise schwachen Füßen.[13] Gesetzliche Vermutungen können durch den Vortrag gegenteiliger Tatsachen erschüttert werden.[14] Diese Tatsachen herauszuarbeiten ist Aufgabe der Rechtsprechung.

Man kann bereits jetzt annehmen, dass die Rechtsprechung eine Aushöhlung der Missbrauchskontrolle des § 133 InsO nicht zulassen wird. Dies wird besonders für Fälle gelten, bei denen zur vermeintlichen Mitnahme der gesetzlichen Vermutungswirkung nur minimale Zahlungserleichterungen für den Schuldner vereinbart werden, die ohne das Hinzutreten weiterer Umstände eine Beseitigung der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit nicht wahrscheinlich machen.

Hier stellt sich bereits die Frage nach der Eignung solcher Vereinbarungen zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners. Eine solche Eignung wird man schon deshalb fordern müssen, um die angesprochenen Umgehungsversuche durch minimale Zahlungserleichterungen auszuschließen. Es kann im Einzelfall also nur um substantielle Zugeständnisse des jeweiligen Gläubigers gehen, die zudem geeignet sind, eine zum Zeitpunkt ihrer Verabredung bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu beseitigen. Dort, wo dies durch eine Vereinbarung mit einem einzelnen Gläubiger nicht geleistet werden kann, braucht es die weitergehende Gewissheit, dass die getroffene Vereinbarung zumindest im Zusammenwirken mit anderen, ähnlichen Vereinbarungen diese Wirkung herbeiführt. Der Gläubiger wäre dann bei der Berufung auf die neue gesetzliche Vermutung des § 133 Abs. 3 Satz 2 RegE wahrscheinlich aufgefordert, auch zu diesem Punkt vorzutragen. Kann er dies nicht in hinreichender Weise leisten, wird man der vereinbarten Zahlungserleichterung eine Eignung zur Begründung der neuen gesetzlichen Vermutung des § 133 Abs. 3 Satz 2 RegE von vornherein absprechen müssen.

Soweit dann Beweisanzeichen auf eine fortbestehende Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hindeuten, wird es auch in Zukunft Sache des Anfechtungsgegners sein, seine Unkenntnis durch eigenen individuellen Tatsachenvortrag glaubwürdig zu machen. Der Insolvenzverwalter wäre gehalten, diesem Vortrag durch eigenen Gegenvortrag zu begegnen.

Im letztgenannten Fall erhöht die Neuregelung die Vortragslast des anfechtenden Insolvenzverwalters, schließt bei entsprechendem Vortrag aber eine Anfechtung nach § 133 InsO nicht aus. Die in der Diskussion immer wieder beklagten Textbausteine der Insolvenzverwalter mögen hierdurch teilweise verdrängt werden. Am Ergebnis wird sich wenig ändern. In der Praxis zeigt sich nämlich, dass sich in vielen Anfechtungsfällen durch entsprechenden – oftmals elektronischen – Schriftverkehr die entscheidenden Nachweise führen lassen. Da eine solche Nachweisführung durch den Insolvenzverwalter selten mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden kann, bleibt ein erheblicher Unsicherheitsfaktor für die Gläubiger. Dies gilt insbesondere bei größeren Zahlungserleichterungen, die in den wenigsten Fällen ohne entsprechenden Schriftwechsel ablaufen. Eine interne Abrede zur Vermeidung solcher schriftlichen Spuren wird dabei wenig Hilfe bringen. Sie wird gerade bei bedeutsameren Zugeständnissen an den Schuldner oftmals von internen oder externen Dokumentationspflichten des gewährenden Gläubigers überlagert.

Mit einigem Recht kann man deshalb festhalten, dass die vorgeschlagene Regelung des § 133 Abs. 3 Satz 2 RegE die beklagte Rechtsunsicherheit nicht nachhaltig beseitigen wird. Damit wird sie auch keinen Beitrag zur Planungssicherheit der betroffenen Gläubiger leisten können. Der Gesetzgeber sollte hier durch eine einschränkende Formulierung klarstellen, dass nur solche Zahlungsvereinbarungen oder Zahlungserleichterungen die spätere Vermutungswirkung des § 133 Abs. 3 Satz 2 RegE auslösen können, die geeignet sind, im Zeitpunkt ihrer Vereinbarung eine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu beseitigen.

 

3. Bargeschäft: Keine neue Rechtsunsicherheit durch §142Abs. 1 RegE

 

Die Defizite des § 133 Abs. 3 Satz 2 RegE hat wohl auch die Bundesregierung gesehen. Mit der Neuformulierung des § 142 Abs. 1 RegE ist deshalb eine wesentliche Veränderung verbunden, die zunächst auch die regulierende Wirkung der Missbrauchsvorschrift des § 133 InsO zu verdrängen scheint. Das Bargeschäft soll in seinem Anwendungsbereich stark erweitert und gegenüber Anfechtungen nach § 133 InsO widerstandsfähiger gemacht werden.

Die dazu – im Vergleich zur bisherigen Rechtsprechung – offenbar beabsichtigte Erweiterung der Unmittelbarkeit des Leistungsaustausches wird durch den RegE unter den Vorbehalt der „Art der ausgetauschten Leistungen“ und „der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs“ gestellt. Ein enger zeitlicher Zusammenhang kann demnach zukünftig je nach Art der Leistung und Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs zwischen 4 Wochen (bisherige BGH-Rechtsprechung)[15] und drei Monaten (§ 142 Abs. 2 Satz 2 RegE) liegen. Die genaue Bestimmung bleibt den Gerichten überlassen.

Schon diese Erweiterung, die, obwohl diskutiert, aus guten Gründen 1994 nicht in die Gesetzesfassung der Insolvenzordnung übernommen wurde, könnte eine Ausweitung der Ausnahmereglung des § 142 InsO mit sich bringen.

Mit Blick auf die bisherige Rechtsprechung könnte man aber durchaus gespannt sein, ob dieses Kalkül des Regierungsentwurfs aufgehen würde. Insbesondere die Art der Leistung (typischerweise eine Geldleistung des Schuldners) wird regelmäßig noch keinen Anlass zu einer Änderung dieser Rechtsprechung geben. Die im Einzelfall abweichenden Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs können zwar behauptet, müssen dann aber auch bewiesen werden. Sie sind als Maßstab jedenfalls dort nicht geeignet, wo sie zur Begründung missbräuchlicher Gestaltungen dienen sollen. Schließlich wird man nicht annehmen dürfen, dass die Neufassung des § 142 auch solche Gestaltungen mit dem Bargeschäftsprivileg schützen will.

Im Zusammenwirken mit dem zusätzlichen, bisher unbekannten Kriterium einer notwendigen Kenntnis des Dritten (Anfechtungsgegner) von der Unlauterkeit des schuldnerischen Handelns wäre das Bargeschäftsprivileg in seiner neuen Form ansonsten gleichbedeutend mit einer weitgehenden Entwertung des § 133 InsO als Missbrauchskontrollvorschrift. Anders als bisher soll ein Bargeschäft nämlich nur noch dann den Missbrauchsregeln des § 133 InsO unterfallen, wenn „der andere Teil erkannt hat, dass der Schuldner unlauter handelte.“ (§ 142 Abs.  1 RegE).

Eine solche Einschränkung lädt geradezu dazu ein, die Missbrauchskontrolle des § 133 InsO künftig durch Bargeschäfte zu umgehen. Entscheidend für diese Umgehung wäre dabei die Frage, in welchen Fällen die offenbar notwendige positive Kenntnis des anderen Teils von der Unlauterkeit des Schuldners anzunehmen wäre. Nur wenn diese Kenntnis in allen Missbrauchsfällen des § 133 InsO anzunehmen sein sollte, wäre die Gefahr einer Entwertung dieser Vorschrift ausgeschlossen. Dies entspricht allerdings nicht der Intention des RegE. Dort liest man (S. 18):

„Ein unlauteres Verhalten des Schuldners setzt mehr voraus als die Vornahme der Rechtshandlung in dem Bewusstsein, nicht mehr in der Lage zu sein, alle Gläubiger befriedigen zu können. Unter den Bedingungen eines Bargeschäfts, bei dem der Abfluss des Leistungsgegenstands aus dem schuldnerischen Vermögen zeitnah durch den Zufluss der Gegenleistung kompensiert wird, müssen hinreichend gewichtige Umstände hinzutreten, um in dem vollzogenen Austausch einen besonderen Unwert zu erkennen.“

 Damit wird zusätzlich zu den Voraussetzungen des § 133 Abs.  1 InsO ein weitergehender Unwertgehalt des schuldnerischen Handelns (quasi ein „Missbrauch+“) zur Voraussetzung einer Vorsatzanfechtung gemacht. Nur wenn das Bargeschäft auch diesen zusätzlichen Unwertgehalt aufweist, soll es in Zukunft noch der Missbrauchskontrolle des § 133 InsO zugänglich sein. Worin dieser zusätzliche Unwertgehalt liegen soll, bleibt allerdings offen. Der RegE schreibt dazu in seiner Begründung (S. 18):

„Ein unlauteres Handeln liegt bei gezielter Benachteiligung von Gläubigern vor, wie sie etwa gegeben ist, wenn es dem Schuldner in erster Linie darauf ankommt, durch die Befriedigung des Leistungsempfängers andere Gläubiger zu schädigen. Unlauter handelt ein Schuldner bei Kenntnis der eigenen Zahlungsunfähigkeit auch, wenn er Vermögen für Leistungen verschleudert, die den Gläubigern unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt nutzen können, wie dies etwa bei Ausgaben für flüchtige Luxusgüter der Fall ist. Auch das Abstoßen von Betriebsvermögen, das zur Aufrechterhaltung des Betriebs unverzichtbar ist, kann unlauter sein, wenn der Schuldner den vereinnahmten Gegenwert seinen Gläubigern entziehen will.“

 Die genannten Fälle werden überwiegend bereits heute von der Missbrauchskontrolle des § 133 InsO erfasst. Sie sind damit ungeeignet für die Definition eines zusätzlichen Unwertgehalts. Zudem sind sie regelmäßig für den Dritten (Anfechtungsgegner) nicht erkennbar. Wie soll etwa ein Käufer von Betriebsvermögen in jedem Einzelfall beurteilen, ob das Betriebsvermögen für das Unternehmen des Verkäufers unverzichtbar ist? Auch wird die Intention des Schuldners bei solchen Geschäften regelmäßig für den Käufer nicht erkennbar sein.

Es deutet sich damit scheinbar an, dass die Missbrauchskontrolle des § 133 InsO zukünftig nach dem Konzept des RegE durch Bargeschäfte ohne weitere Schwierigkeit umgangen werden könnte. Notfalls könnte es die sehr großzügige Formulierung des § 142 RegE sogar erlauben, mit dem Verweis auf die Art der Leistung und die Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs auch solche Geschäfte als Bargeschäft zu deklarieren, die nach den bisher ausgebildeten Kriterien der höchstrichterlichen Rechtsprechung nie unter diese Ausnahmeregelung gefallen wären. Im Bestreitensfall würden langwierige gerichtliche Auseinandersetzungen folgen, in denen insbesondere die Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs nur durch gutachterliche Untersuchungen geklärt werden könnten. Schließlich würde sich der Anfechtungsgegner immer darauf berufen, dass er die Unlauterkeit des Schuldners nicht gekannt habe und auch nicht kennen konnte.

Gerade wegen dieser möglichen Gefahr wird man damit zu rechnen haben, dass der BGH einer solchen Umgehungsmöglichkeit der Missbrauchskontrolle nach § 133 InsO enge Grenzen setzen wird. Als Ausnahmevorschrift ist das Bargeschäft schon methodisch kein Ort für erweiternde Auslegungsversuche. Das neue Qualifizierungskriterium der Lauterkeit ist, einmal abgesehen von seiner rechtlichen Unschärfe, auch als Erweiterungsinstrument ungeeignet. Weil die Kenntnis von der Unlauterkeit des Schuldners regelmäßig vom empfangenden Gläubiger abgestritten werden wird, darf man auch hier mit Beweisanzeichen rechnen, mit denen die Rechtsprechung offensichtlich missbräuchlichen Gestaltungen begegnen wird, wenn nicht schon ihre fortgesetzt einschränkende Definition der Unmittelbarkeit solchen Gestaltungen Grenzen setzt.

Im Ergebnis wird die Planungssicherheit des Geschäftsverkehrs durch die vorgeschlagenen Änderungen der § 131,  133 und 142 InsO nicht gestärkt. Sie eröffnen stattdessen die konkrete Gefahr einer erheblichen Reduzierung der eröffneten Unternehmensinsolvenzverfahren und damit eines Rückfalls in die unhaltbaren Zustände welche vor nunmehr über 22 Jahren den Anstoß zur Reform des Konkursrechts gegeben hatten.

 

4. Schutz der Arbeitnehmer – ohne öffentliche Trittbrettfahrer in §142Abs.  2 Satz 2 RegE

 

Dort, wo die Formulierung des § 142 RegE gerichtliche Auseinandersetzungen durch eindeutige Formulierung noch nachhaltiger verhindern will, schafft sie gleichzeitig einen weiteren Bruch mit dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung.

§ 142Abs. 2 Satz 2 RegE übernimmt dazu die Rechtsprechung des BAG[16], der ausschließlich Arbeitnehmer und diese nur insoweit vor Insolvenzanfechtungen schützen wollte, als diese Anfechtungen nicht als Missbrauchskontrolle gem. § 133 InsO notwendig werden. Genauere Zahlen zum Umfang dieser Anfechtungen liegen, insbesondere für die Zeit nach der ausweitenden Rechtsprechung des BAG, nicht vor. Für die Zeit vor 2009 berichtet der DGB von insgesamt 10 bekannten Verfahren.[17]

Nun geht der RegE aber noch weit über diesen Schutz hinaus: In der durch den RegE vorgeschlagenen Formulierung erstreckt sich dieser Schutz nun auch auf das dem Arbeitnehmer gewährte Arbeitsentgelt. Die Begründung des RegE führt hierzu aus: „Der Begriff ‚Arbeitsentgelt‘ ist im sozialversicherungsrechtlichen Sinn zu verstehen (vgl. § 14 Absatz 1 Satz 1 SGB IV).“

§ 14Abs. 1 Satz 1 SGB IV definiert das Arbeitsentgelt wie folgt:

„Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden.“

Mit dieser Definition sind im Regelfall auch die Lohnsteuer und die Arbeitnehmerbeiträge[18] zur Sozialversicherung vom Schutzbereich des neuen Bargeschäftsprivilegs umfasst. Es findet damit nicht lediglich eine Privilegierung der Arbeitnehmer statt, vielmehr werden auch Fiskus und Sozialversicherungsträger in diese Privilegierung mit einbezogen.

Dies widerspricht der bisherigen Auslegung des § 142 InsO, die aus der Formulierung „für die“ zu Recht ableitet, dass eine Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung durch Parteivereinbarung stattgefunden haben muss.[19] Ein Merkmal, das bei der Zahlung von Lohnsteuern an den Fiskus oder von Sozialversicherungsbeiträgen an die Kassen nicht erfüllt ist.[20]

Daneben ist auch das zur Annahme eines Bargeschäfts regelmäßig notwendige Merkmal der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung nicht erfüllt weil keine dem Zugriff der übrigen Gläubiger offen stehende Gegenleistung des Fiskus oder der Sozialkasse in das Vermögen des Schuldners gelangt.[21]

Die Formulierung des Regierungsentwurfs, die schon bei der Dreimonatsfrist eine Ausnahme für Arbeitsentgelt schafft, deutet durch den mit der Entwurfsbegründung in Bezug genommenen gesetzlichen Begriff des Arbeitsentgelts aus § 14 SGB IV an, dass hier mit Blick auf die eigentlich notwendige Verknüpfung durch eine Parteivereinbarung und die Gleichwertigkeit eine weitere Ausnahme geschaffen werden soll.

Der Bundesrat nimmt diesen Hinweis in seiner Stellungnahme auf und fordert eine noch deutlichere Klarstellung des gesetzgeberischen Willens.[22] Zur Begründung führt er aus:

„Die Lohnsteuer und die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung sind nämlich als Teil des Bruttolohns zugleich auch Teil der im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Gegenleistung für die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers; der arbeitsrechtliche  Anspruch des Arbeitnehmers umfasst den gesamten Bruttolohn.“

Verlässt man die bislang notwendige Grundlage einer Parteivereinbarung nun im Zusammenhang mit der Zahlung von Lohnsteuern und Kassenbeiträgen ist überdies auch fraglich, ob in Zukunft auch inkongruente, also durch Zwangsvollstreckung (oder ihre Androhung) erlangte Zahlungen dieser Art unter das neue Bargeschäftsprivileg fallen würden. Bislang wurde mit der Notwendigkeit einer Parteivereinbarung auch der Ausschluss solcher Zahlungen vom Schutz des Bargeschäfts begründet.[23]

Dieser Ansatz geht weit über die vom BAG erwogene Grenze des Existenzminimums hinaus und versucht – wieder einmal gleichsam durch die Hintertür – eine Privilegierung herzustellen, die bereits früher mit anderen Mitteln angestrebt und zu Recht durch den BGH[24] abgelehnt wurde. Der BGH hat dabei im Zusammenhang mit der Regelung des § 28e Abs.1 Satz 2 SGB IV bereits Zweifel an der Klarheit der dort gewählten Formulierung geäußert. Er hat diese Zweifel zum Anlass für den Hinweis genommen, dass für die mögliche Ausgestaltung der Zahlungen des Arbeitgebers als mittelbare Zuwendung eine Anwendung eines Bargeschäftsprivilegs abzulehnen ist.[25] Die Alternative einer Zahlungsmittlerfunktion des Arbeitgebers hat er mit Blick auf die dadurch verursachte Gefährdung der Arbeitnehmer für zweifelhaft gehalten.[26]

Diesen Zweifeln soll nun ganz offensichtlich in einem erneut systemwidrigen Anlauf die Grundlage entzogen werden.

Die Privilegierung von Fiskus und Kassen durch eine solche systemwidrige Erweiterung des Bargeschäftsprivilegs würde zu einer erheblichen Verringerung der nach § 133 InsO gegenüber Fiskus und Kassen ausgebrachten Anfechtungen führen, weil die Zahlungen an Fiskus und Kassen nach der geplanten Änderung des § 142 Abs.1 RegE InsO (s. o.) wohl nicht als unlauter zu werten und damit auch nach § 133 InsO unanfechtbar wären. Zudem würde er auch Anfechtungen nach den §§ 130 und 131 InsO ausschließen, soweit die Zahlungen an Fiskus und Kassen innerhalb von drei Monaten nach Arbeitsleistung erfolgt wären.

Eine so umfassende Privilegierung von Fiskus und Kassen hätte gerade in diesem Zeitraum massive Auswirkungen auf die Eröffnungsquoten der Insolvenzverfahren. Mit den Anfechtungen nach den §§ 130 und 131 InsO bilden die Anfechtungen nach § 133 InsO den häufigsten Anfechtungstatbestand bei den institutionellen Gläubigern. Nach Untersuchungen des GKV-Spitzenverbandes für die Jahre 2012 und 2013 verteilte sich in diesem Zeitraum das Volumen der aufgrund Insolvenzanfechtung ausgekehrten Beträge bei den Kassen je ca. zur Hälfte auf die §§ 130/131 und 133.[27] Bei ca. 99 % der Unternehmensinsolvenzen, die kleine und mittlere Unternehmen betreffen, verteilen sich diese Beträge auf tausende von Verfahren und pro Verfahren regelmäßig (abhängig von der Zahl der versicherungspflichtig Beschäftigten) auf viele einzelne Kassen.

Die Bedeutung eines Bargeschäftsprivilegs wie es der § 142 Abs. 2 Satz 2 RegE nun vorschlägt, erschließt sich auch durch einen Blick auf die durchschnittlichen Volumina der verspätet geleisteten Zahlungen an Fiskus und Kassen und das Zahlungsverhalten der Unternehmen.

Das Bundesversicherungsamt als Verwalter des Gesundheitsfonds veröffentlicht seit dem Jahr 2014 Übersichten über das Beitragsaufkommen und die Beitragsrückstände in der Sozialversicherung.[28]

Mittelpunkt der laufenden Diskussion ist der sog. Gesamtsozialversicherungsbeitrag, d.h. die Summe der Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zur gesetzlichen Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und sozialen Pflegeversicherung aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung.

Das Bundesversicherungsamt weist bezüglich des (Gesamt-) Beitragsaufkommens die sog. Soll-Ist-Quote aus. Dabei werden die Sollstellungen aller Kassen[29] zusammengefasst und den tatsächlich gezahlten Beiträgen gegenübergestellt.

Danach wurden im Gesamtjahr 2014 99,61 % der Beiträge zur Sozialversicherung pünktlich gezahlt. Im Jahr 2015 betrug die Soll-Ist-Quote 99,56 % im 1. Quartal, 99,55 % im 2. Quartal und 99,66 % im 3. Quartal. Die durchschnittlich lfd. offenen Rückstände betragen damit am Beispiel des Jahres 2014 lediglich 0,39 % vom (Gesamt-) Beitragsaufkommen.[30]

Verspätet geleistete Zahlungen an die Kassen sind also im Vergleich zum Gesamtvolumen eine klare Ausnahmeerscheinung. Aufgrund der bei Fiskus und Kassen schnelleren Vollstreckungsmöglichkeiten gelingt in diesen Ausnahmefällen zudem eine zügige Reduzierung der lfd. offenen Rückstände durch Vollstreckung oder die Androhung von Vollstreckungsmaßnahmen. Diese Beitreibung erstreckt sich typischerweise über einen Zeitraum von 6-12 Wochen nach Eintritt der Säumnis und führt nach Schätzungen aus der Kassenpraxis zum Zufluss von ca. 50 % der noch ausstehenden Beträge. Mittelfristig offen sind somit nur noch ca. 0,20 % (2 Promille).

Ein ähnlicher prozentualer Anteil entfiele auf den nun durch § 142 Abs.2 Satz 2 RegE definierten Zeitraum von drei Monaten. In diesem Zeitraum geleistete Zahlungen an Fiskus und Kassen sind bisher nach Maßgabe des § 133 InsO anfechtbar.

In seiner Rechtsprechung hat der BGH die Voraussetzungen der Anfechtbarkeit (säumig) geleisteter Zahlungen gegenüber den Kassen näher ausdifferenziert. Danach ist die Möglichkeit der Vorsatzanfechtung gemäß § 133 InsO eröffnet, sobald Gesamtsozialversicherungsbeiträge über mehrere Monate hinweg verspätet abgeführt werden.[31] Eine schleppende Bezahlung der Beiträge kann ein Indiz für eine Zahlungseinstellung sein.[32] Ein erkennendes Tatgericht kann jedoch auch bei einer regelmäßig säumigen Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen über einen Zeitraum von zehn Monaten noch zu der Würdigung gelangen, dass der Sozialversicherungsträger allein aus diesem Umstand nicht auf eine Zahlungseinstellung des Schuldners schließen musste.[33]

Diese Ausdifferenzierung verhindert eine Entgrenzung der Anfechtungsrisiken jedenfalls dort, wo die Sozialversicherungsträger solche Risiken beherrschen können und nicht aufgrund anderer rechtlicher Rahmenbedingung hierin behindert werden.

Die Beurteilung eines erweiterten Bargeschäftsprivilegs macht deshalb auch einen Blick auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen der Beitreibung durch Fiskus und Kassen notwendig. Diese haben sich insbesondere im Bereich der Kassen gewandelt.

Gemäß § 76 Abs.  1 SGB IV sind die Einnahmen rechtzeitig und vollständig zu erheben; Ansprüche dürfen nur gestundet werden, wenn (die sofortige Einziehung mit erheblichen Härten für die Anspruchsgegner verbunden wäre und) der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet wird (§ 76 Abs. 2 Satz 1 Nr.  1). Nach § 76 Abs.  3 SGB IV ist eine Stundung von Kassenbeiträgen (deren Höhe die Bezugsgröße übersteigt) innerhalb eines Zeitraums von 2 Monaten ohne weitere Einschaltung von Bundesagentur oder der zuständigen Rentenversicherungsträger möglich.

In einer fortschreitenden Entwicklung wurden die kassenindividuellen Überprüfungsmöglichkeiten mit Blick auf das Zahlungsverhalten der Beitragsschuldner eingeschränkt bzw. wurde der Prozess der Informationsbeschaffung/Überprüfung verändert: Seit dem 01.01.1999 ist nach einer dreijährigen Übergangszeit die gesetzliche Aufgabe der Betriebsprüfungen von den Krankenkassen auf die Deutsche Rentenversicherung übergegangen. Aufgrund des 2. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt wurden danach § 28k Abs. 2 und 3 SGB IV zum 01.04.2003 aufgehoben. Damit entfiel der sog. Summenabgleich, d.h. der mindestens einmal jährlich durchgeführte Abgleich der gemeldeten Beiträge zur Rentenversicherung mit den gemeldeten Arbeitsentgelten. Ab 01.01.2014 wurden alle Beitragseinnahmen der Krankenversicherung an den Gesundheitsfonds (GF) weitergeleitet. Im Gegenzug erhielten die Krankenkassen dann ausschließlich aus dem GF je nach Morbidität der Versicherten Zuweisungen für die Leistungsausgaben. Ab diesem Termin wurde auch der Korrektur-Beitragsnachweis überflüssig und ist nicht mehr Bestandteil der Datenübermittlung. Eine entsprechende Anpassung der „Gemeinsamen Grundsätze zum Aufbau der Datensätze für die Übermittlung von Beitragsnachweisen durch Datenübertragung“ trat zu diesem Zeitpunkt in Kraft.

Sowohl die verschiedenen Krankenkassen als auch die Prüfbehörden sind zur gegenseitigen Amtshilfe verpflichtet. Diese ist zudem grundsätzlich kostenlos und gebührenfrei. Im Wege der Amtshilfe könnten und sollten die Kassen deshalb trotz dieser veränderten gesetzlichen Rahmenbedingungen auch heute noch ausreichend Informationen über die Beitragsschuldner gewinnen. In der Praxis unterbleibt dieses Vorgehen allerdings so häufig, dass zwischenzeitlich sogar der BGH diesen Umstand aufgegriffen hat:

„Soweit es um die Vollstreckung geht, tritt die ersuchte Vollstreckungsbehörde nicht neutral gegenüber allen Beteiligten auf, sondern rückt in die Gläubigerstellung der Behörde ein, in deren Auftrag sie vollstreckt. Kenntnisse, die sie hinsichtlich einer eventuellen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners aufgrund dieser Stellung erlangt, sind gegebenenfalls für die ersuchende Behörde zu sammeln und an diese weiterzuleiten.“[34]

Die so immer wieder eingeleitete Vollstreckung der Kassen führt regelmäßig im Zeitraum von 6-10 Wochen nach Eintritt der Fälligkeit zu Vollstreckungshandlungen. Dies ermöglicht den Schuldnern regelmäßig eine Abwendung der Zwangsvollstreckung durch Zahlung selbst dann, wenn eine Zwangsvollstreckung bereits eingeleitet worden ist. Sie müssen dabei auch nicht befürchten, dass ihre Zahlung auf etwaige jüngere Zahlungsrückstände angerechnet wird, weil § 4 der Beitragsverrechnungsverordnung insoweit eine gesetzliche Tilgungsbestimmung enthält.

Innerhalb des Zeitraumes von 6-12 Wochen nach Arbeitsleistung ist deshalb eine wiederholte Verzögerung der Zahlungen für die Schuldner weitgehend folgenlos. Auch die Kassen sind in dieser Situation nicht durch den Gesetzgeber zu eigenen Nachforschungen angehalten, obwohl die Rechtsprechung des BGH selbstverständlich bei mehrfachen, aufeinander folgenden Vollstreckungen die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners für erwiesen hält.[35]

Diese Umstände führen regelmäßig zu erhöhten Anfechtungsrisiken für die Kassen wenn sie über einen längeren Zeitraum trotz wiederholter Zwangsvollstreckungen keine weitergehenden Maßnahmen zur Aufklärung der Zahlungsfähigkeit säumiger Schuldner ergreifen (z. B.: Schutz des Arbeitnehmers durch Arbeitnehmerbefragungen zu rückständigen Gehalts- und Lohnzahlungen). Nur eine frühzeitige Sachaufklärung könnte weitergehende Anfechtungsrisiken verhindern. Sie ermöglicht frühere Gespräche zur Schuldenbereinigung bzw. frühe Insolvenzanträge und damit ein Eingreifen zum Schutz aller Gläubiger. Wird stattdessen das Anfechtungsrisiko durch ein Bargeschäftsprivileg der Kassen und des Fiskus im Bereich der Arbeitsentgelte ausgeschaltet, werden diese institutionellen Gläubiger noch zusätzlich begünstigt und zum „privilegierten Durchvollstrecken“ aufgefordert, weil sie das Erlangte auch in der anschließenden Insolvenz des Schuldners behalten dürfen, während alle ungesicherten Gläubiger also auch Arbeitnehmer leer ausgehen.

Die vorstehenden Ausführungen zeigen, dass bei allem Verständnis für einen stärkeren Schutz der Arbeitnehmerrechte im Insolvenzverfahren, dieser keinesfalls im Anfechtungsrecht gesetzlich verankert werden darf. Dies führt nicht nur zu einem folgenschweren Systembruch, sondern eröffnet für die öffentlichen Kassen als Trittbrettfahrer der Anfechtungsreform den Weg den lang gehegten Wunsch nach einer Privilegierung zu realisieren.[36] Dies schadet in ganz besonderer Weise den Interessen der von der Insolvenz betroffenen Arbeitnehmer. Die zukünftig an Fiskus und Sozialversicherungsträger fließenden bzw. dort verbleibenden Mittel fehlen nicht nur bei der Sanierung sondern auch bei der sozialverträglichen Schließung des Geschäftsbetriebes. Die über Jahrzehnte zu Recht etablierten Arbeitnehmerrechte werden dann in den meisten Fällen ins Leere laufen:

  • Sanierung heißt Unternehmenserhalt, Unternehmenserhalt bedeutet Arbeitsplatzerhalt, vor allem auch der Erhalt sozialversicherungspflichtiger Arbeitsverhältnisse. Der gesetzliche Kündigungsschutz gilt daher auch in der Insolvenz des Arbeitgebers. Wo aber die finanziellen Mittel fehlen und eine Sanierung unmöglich wird, können keine Arbeitsplätze erhalten werden, läuft auch der Kündigungsschutz ins Leere. Ist das gewollt?
  • Die arbeitnehmerschützenden Regelungen zum Betriebsübergang, §613 a BGB, gelten auch und gerade in der Insolvenz. Über die eingeschränkten Kündigungsmöglichkeiten hinaus wird damit vor allem der soziale Status der Arbeitnehmer in Bezug auf Gehalt, Betriebszugehörigkeit, Kündigungsschutz etc. erhalten. Dieser Schutzmechanismus kann sich aber nur da entfalten, wo auch die finanzielle Basis für eine Sanierung erhalten bleibt. Wird diese mit der Reform des Anfechtungsrechts entzogen, dann sind die Arbeitnehmer nicht nur vom Arbeitsplatzverlust betroffen, sondern Sie fangen bei Ihrem neuen Arbeitgeber in Bezug auf Betriebszugehörigkeit und Kündigungsschutz wieder bei Null an. Ist das gewollt?
  • Die Zahlungen an die Arbeitnehmer sind nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über §55 InsO selbst bei einer Betriebsschließung als sogenannte Masseverbindlichkeit vorrangig zu zahlen. Dies kann aber nur dort greifen, wo genügend Insolvenzmasse vorhanden ist. Wird diese aber zukünftig durch die Privilegierung von Fiskus und Sozialversicherungsträgern geschmälert, kommt es zum „Konkurs im Konkurs“, der sog. Masseunzulänglichkeit nach §§ 208,209  Dann erhalten die Arbeitnehmer für den Kündigungszeitraum in der Regel keine Gehaltszahlung, sondern nur Arbeitslosengeld. Dies führt nicht nur zu finanziellen Einbußen, sondern der zeitlich begrenzte Bezugszeitraum des Arbeitslosengeldes beginnt schon mit dem Ausspruch der Kündigung und verkürzt sich so um bis zu 3 Monate. Ist das gewollt?
  • Auch die Ansprüche aus einem Sozialplan genießen im Insolvenzverfahren trotz ihrer betragsmäßigen Begrenzung als Masseverbindlichkeit nach §123 2 InsO besondere Priorität. Danach wird vor der Verteilung an die Insolvenzgläubiger bis zu einem Drittel der zur Verteilung stehenden Insolvenzmasse auf den Sozialplan und damit an die vom Arbeitsplatzverlust betroffenen Arbeitnehmer gezahlt. Aber da wo Fiskus und Sozialversicherung zukünftig anfechtungsgeschützt auf die Masse zugreifen können wird es weniger oder auch gar keine Zahlungen mehr auf den Sozialplan geben. Ist das gewollt?
  • Ein wichtiges Mittel zum Unternehmenserhalt einerseits und zum sozialverträglichen Personalabbau anderseits sind die sogenannten Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften. Damit werden zwar mit Unterstützung der öffentlichen Hand aber auch immer mit einem erheblich Finanzierungsbeitrag aus der Insolvenzmasse alternative Wege der Personalanpassung im Sinne des Arbeitsplatzerhalts bei dem zu sanierenden Unternehmen und einer deutlichen Abfederung der finanzielle Nachteile der ausscheidenden Arbeitnehmer eröffnet. Bei weniger finanziellen Mitteln in der Insolvenzmasse wird die zwingend erforderliche Beteiligung der Insolvenzmasse nicht mehr möglich sein. Damit scheitern häufig nicht nur der Erhalt von Unternehmensteilen oder des Unternehmenskerns, sondern die Folgen einer Kündigung sind für die vom Arbeitsplatzverlust betroffenen Arbeitnehmer deutlich stärker. Ist das gewollt?
  • Von der vorgesehenen gesetzlichen Regelung in §142 2 RegE werden zukünftig auch Spitzenmanager profitieren. Gerade diese haben aufgrund ihrer Führungsposition nicht nur einen besonderen Einblick in die wirtschaftliche Entwicklung des in der Krise befindlichen Unternehmens, sondern sie erhalten hohe Gehaltszahlungen und zum Teil auch erhebliche Boni, die weit über dem liegen, was zur Sicherung der Existenz erforderlich ist. Selbst Bonuszahlungen am Tag vor der Insolvenz wären nach den vorliegenden Reformansätzen zukünftig geschützt. Ist dies gewollt?
  • Im Jahr 2014 waren von der Insolvenz ihres Arbeitgebers 126.681 Arbeitnehmer betroffen.[37] Demgegenüber gibt selbst der DGB die Zahl der vor 2009 von Lohnanfechtungen betroffenen Arbeitnehmer mit 10 an.[38] Um diese – ungeachtet ihrer zugegebenerweise individuellen Betroffenheit – kleine Gruppe in ihren Rechten zu stärken, werden die Aussichten auf den Arbeitsplatzerhalt oder zumindest eine bestmögliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses sehr vieler Arbeitnehmer gefährdet. Ist dies gewollt?

Die Nachteile für die Arbeitnehmer liegen wie gezeigt auf der Hand. Die aus einem zukünftigen anfechtungsrechtlichen Privileg vereinnahmten Beiträge und Steuern kommen nicht etwa mittelbar oder unmittelbar den vom Arbeitsplatzverlust betroffenen Arbeitnehmern zu, sondern sie fließen in den großen und kaum überschaubaren Topf der öffentlichen Kassen. Weder Gewerkschaften noch Parteien die sich den Schutz von Arbeitnehmerrechten verschrieben haben, können diese Umverteilung zu Lasten der betroffenen Arbeitnehmer ernstlich wollen.

Systemkonform könnten die Rechte der Arbeitnehmer in der Insolvenz über eine Anpassung der Regelungen zum Insolvenzgeld nach §§ 165 ff.  SGB III gestärkt werden. Für die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder Nichteröffnung mangels Masse erhalten die Arbeitnehmer aus einem von allen Arbeitgebern finanzierten und von der Bundesagentur für Arbeit verwalteten Fond den Ausgleich ihrer Nettogehaltsansprüche bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze. Ein sehr guter Schutz, der immer die Gehaltszahlungen in den letzten drei Monaten des Arbeitsverhältnisses vor der Insolvenz absichert. Bei den deutlich vor der Insolvenz ausgeschiedenen Mitarbeitern ist diese Klarstellung von Bedeutung, da auch die Arbeitnehmer geschützt werden, deren Arbeitsverhältnis vor der Insolvenz beendet wurde.

Gerade die ausgeschiedenen Mitarbeiter klagen gegen ihren alten Arbeitgeber und dürften dann das Gros der ohnehin kleinen Gruppe der von der Anfechtung betroffenen Arbeitnehmer stellen. Mit der erfolgreichen Anfechtung laufen die Arbeitnehmer dann allerdings bei der Bundesagentur für Arbeit mit ihrem Insolvenzgeldanspruch ins Leere. Ausschlaggebend ist die nach § 324 Abs.  3 SGB III ohnehin unverhältnismäßig kurze Ausschlussfrist zur Geltendmachung der Ansprüche von nur 2 Monaten. Würde diese Ausschlussfrist deutlich verlängert und zudem nicht an das Insolvenzereignis sondern im Fall der Anfechtung über insolvenzgeldfähige Gehaltszahlungen an die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung geknüpft, wäre schon viel zur Stärkung der Arbeitnehmerrechte getan ohne das es eines Eingriffs in die Systematik des Anfechtungsrechts bedarf. Ein positiver Begleiteffekt wäre auch eine Stärkung der Rechte von solchen Arbeitnehmern, bei denen das Insolvenzverfahren über das Vermögen ihres Arbeitgebers mangels Masse nicht eröffnet wurde. Diese sind ohnehin häufig auf sich allein gestellt und von der kurzen Ausschlussfrist des § 324 Abs.  3 SGB III besonders betroffen.

Im Ergebnis enthält § 142 Abs.  2 Satz 2 RegE damit einen drastischen Eingriff in das Insolvenzanfechtungsrecht. Er geht weit über das zum Schutz der Arbeitnehmer gebotene Maß hinaus. In seiner Wirkung würde dieser Eingriff vor allem zu einer erheblichen Verringerung von Insolvenzanfechtungen insbesondere gegenüber Fiskus und Sozialversicherungsträgern führen. Er würde damit auch die Zahl der Insolvenzeröffnungen noch deutlicher verringern als dies durch § 131 Abs. 1 Satz 2 RegE zu erwarten wäre. Um diese Wirkung auszuschließen sollte im Text der Vorschrift zumindest eine Einschränkung auf das Nettoarbeitsentgelt erfolgen.

 

5. Insolvenzanträge: Frühere Aufklärung durch frühere Anträge nach §14Abs.  1 RegE

 

Durch § 14 Abs. 1 Satz 2 RegE wird die Möglichkeit insbesondere der öffentlichen Gläubiger verbessert, durch eine frühe Antragstellung frühzeitige Sachstandsklärung (die allen Gläubigern nutzt) einzuleiten und die eigenen Anfechtungsrisiken (und damit gleichzeitig auch die Anfechtungsrisiken aller anderen Gläubiger) deutlich zu reduzieren. Hier wird die Hand endlich an die Wurzel des Problems gelegt. Massenhafte Insolvenzverschleppung begünstigt Insolvenzanfechtungen und führt vor allem über § 133 InsO zu hohen Anfechtungsrisiken. Öffentlichen Gläubigern fällt in diesem Zusammenhang durch ihre bereits heute existierenden besonderen Einsichts- und Vollstreckungsmöglichkeiten eine besondere Verantwortung zu. Es wird Zeit, dass sie diese Verantwortung auch wahrnehmen. Dazu darf aber nicht wieder die Hintertür ihrer Privilegierung geöffnet werden. Dies würde vielmehr in der gegenteiligen Richtung zu einem Zuwarten öffentlicher Gläubiger führen, da diese nunmehr nicht mehr die Anfechtung der an sie geleisteten Zahlungen fürchten müssen.

Eine zusätzliche Belastung der Insolvenzgerichte durch vermehrte Insolvenzanträge ist in diesem Zusammenhang jedenfalls nur kurzfristig zu erwarten. Die Antragstellung setzt weiterhin in der Praxis vieler Insolvenzgerichte den Nachweis mehrmonatigen Beitragsrückstandes voraus.[39] In der Folge einer konsequenten Nutzung der erweiterten Antragsmöglichkeit dürfte der Arbeitsaufwand insbesondere bei Insolvenzgerichten deutlich zurückgehen, da die aktuelle Praxis vielfach hintereinander gestellter Insolvenzanträge („Stapelanträge“) beendet würde.[40]

 

Fazit

 

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass im Rahmen des § 133 InsO ein minimalinvasiver Eingriff, d.h. eine Verkürzung der Vorsatzanfechtung auf vier Jahre, § 133 Abs. 2 RegE, eine Änderung der Verzinsung des Anfechtungsanspruchs § 143 Abs. 1 RegE und die Privilegierung einer im Wesen als substantiell definierten Zahlungserleichterung, § 133 Abs. 3 Satz 2 RegE akzeptabel erscheinen.

Im Rahmen des Bargeschäfts sollte auf den Begriff der Unlauterkeit verzichtet werden. Er schafft zusätzliche Rechtsunsicherheit und bietet kein greifbares Differenzierungskriterium gegenüber der notwendigen Missbrauchskontrolle des § 133 InsO.

Der Wunsch nach einer Stärkung der Arbeitnehmerrechte in der Insolvenz ist nachvollziehbar, führt aber auf der Ebene des Anfechtungsrechts zu gravierenden und nachhaltigen Nachteilen für die von der Insolvenz ihres Arbeitgebers betroffenen Arbeitnehmer. Der vermeintliche Schutz der Arbeitnehmer und in Folge dessen die Privilegierung von Fiskus und Sozialversicherungsträgern wird zu deutlich weniger Verfahrenseröffnungen und Sanierungen führen. In Folge dessen können nicht nur weniger Arbeitsplätze erhalten, sondern wesentliche in der Insolvenz bestehende Vorrechte der Arbeitnehmer in Bezug auf die Regelungen zu § 613a BGB, den Kündigungsschutz, die Sozialplanansprüche, die Finanzierung von Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften, etc. faktisch nicht mehr oder nur noch deutlich eingeschränkt greifen. Eine Stärkung der Arbeitnehmerrechte auf der Ebene des Insolvenzgeldes könnte zumindest in Teilbereichen die gewünschte Abhilfe schaffen und zugleich auch die Rechte von Arbeitnehmern verbessern, bei denen das Insolvenzverfahren über das Vermögen ihres früheren Arbeitgebers mangels Masse nicht eröffnet wurde.

Aber auch gerade für mittelständische Unternehmen wird ein deutlicher Rückgang der Sanierungen nachhaltige Spuren hinterlassen. Ohne Fortsetzung ihres Geschäftsbetriebes über einen Insolvenzplan oder über eine Nachfolgegesellschaft wird ihnen die Lebensgrundlage entzogen. Da sie in der Regel nicht in die Arbeitslosenversicherung haben einzahlen können, steht ihnen häufig nur Unterstützung zum Lebensunterhalt, d.h. Hartz IV, zur Verfügung. Dies kann verhindert werden, wenn Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in § 131 InsO nicht geschützt und Zahlungen an Sozialversicherungsträger und den Fiskus über § 142 InsO nicht zu Lasten der übrigen Gläubiger privilegiert werden.

Die Änderung des § 14 InsO wäre für sich genommen bereits ausreichend und wirksam um den öffentlichen Gläubigern mit geringem Aufwand die Möglichkeit zur substantiellen Reduzierung ihres Anfechtungsrisikos zu geben. Sie sollte deshalb in jedem Fall umgesetzt werden.

 

Berlin, den 22.02.2016

Dr. Christoph Niering

[1] Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7. Dezember 2011, Bundesgesetzblatt Jahrgang 2011 Teil I Nr. 64, S.2582ff.

[2] http://www.doingbusiness.org/reports/global-reports/doing-business-2016

[3] BT Drs. 18/7054

[4] Zur Absichtserklärung des Koalitionsvertrages s. Bork, ZIP 2014,797 ff.; Fawzy/Köchling, ZInsO 2014,1073 ff.; Frind, ZInsO 2014, 1985 ff.; Kayser, ZIP 2014, 1966 ff.; Knospe, ZInsO 2014, 748 ff.;   Marotzke, ZInsO 2014, 417 ff.; Zum sog. Eckpunktepapier s. Bork, ZIP 2014, 1905 ff.; Paschen, ZInsO    2014, 2485 ff.; Priebe, ZInsO 2015, 425 ff. Zum Referentenentwurf des BMJV s. Jungclaus/Keller, NZI 2015, 297 ff.; Dahl/Schmitz, VIA 2015, 65 ff.; Grotebrune/Rüppell, NZI 2015, 832 ff.; Ganter, WM 2015,  905 ff.; Blank / Blank, ZInsO 2015, 1705 ff.; Würdinger, KTS 2015, 315 ff.;  Raebel, KTS 2015, 285 ff.;  Huber, ZInsO 2015, 713 ff.; Frind, ZInsO 2015, 1001 ff.; Kollbach, ZInsO 2015, 1422 ff., Sämisch, ZInsO 2015, 1658 ff.; Jacobi / Böhme, ZInsO 2015, 721ff. ; Hölzle, ZIP 2015, 662 ff.; Lange, Malitz, Stehfest, INDat Report, 03/2015, 11 ff.; Zum Regierungsentwurf s. Becker, DZWIR 2016, 1 ff.; Ganter, WM 2015, 2117 ff ; Berner, ZInsO 2015, 2457 ff.; Wagner, ZInsO 2015, 2171 f.; Marotzke, ZInsO 2015, 2397 ff.; Dahl/ Schmitz / Taras, ZInsO 2016, 20 ff.; Hacker, NZI 2015, 873 ff.; Huber, ZInsO 2015, 2297 ff.; Laroche, ZInsO  2015, 2511ff.; Maier, ZinsO 2015, 2262 ff.; Schmidt, ZInsO 2015, 2473 ff.; Schmittmann, INDat Report 07/2015, 6; Wimmer, jurisPR-InsR 1/2016 Anm.1.; Pape, ZinsO 2016,125,127

[5] Die nachfolgenden Ausführungen basieren auf dem Aufsatz Niering/Bergner, zfm 2015, 179 ff.

[6] Näher dazu Huber, ZIP 2007, 501

[7] Ausführlich hierzu Huber, ZinsO 2015,715

[8] Siehe hierzu Huber, ZinsO 2015,713,715 m. w. N

[9] Ausführlich hierzu und zu den Hintergründen der in der InsO gewählten Gestaltung Jäger, ZVI 2015,401 ff. m. w. N.

[10] BT Drs.12/2443, S.82

[11] Vgl. hierzu aktuell BGH IX ZR 84/13

[12] Instruktiv Maier, a.a.O.

[13] Vgl. die Kritik bei Huber, ZinsO 2015, 2297, 2299 f.

[14] Wimmer, a.a.O., wertet die nun gewählte Form als Tatsachenvermutung, deren Vermutungsbasis allerdings nicht überzeuge

[15] Zusammenfassend und kritisch zur Ausweitung durch das BAG: BGH IX ZR 192/13 m. w. N.

[16] 6 AZR 262/10

[17] BT Drs. 16/11928, S.4

[18] Dagegen Knospe, ZinsO 2014,748,753., der weitergehend und gegen die Rspr. des BSG auch die Einbeziehung der Arbeitgeberanteile für geboten hält

[19] BT Drs. 12/2443, S. 167

[20] Vgl. Ede/Hirte in Uhlenbruck InsO, 14.Aufl., § 142 Rz.19. m.w.N. sowie ausführlich unter Bezug auf damalige Ansätze des BFH Kayser, ZIP 2007, 49 ff.; dagegen Knospe, a.a.O. 751 f.

[21] Kayser a.a.O., S.53

[22] BR Drs. 495/15 (Beschluss), S.9. Ähnlich bereits Knospe, a.a.O. 753 f.

[23] Ausführlich LAG Brandenburg, ZinsO 2013, 91, 94

[24] IX ZR 233/08 zur Regelung des § 28e Abs.1 Satz 2 SGB IV

[25] a.a.O. Rz. 14 f.

[26] a.a.O. Rz.16 ff.

[27] INDAT-Report 3/2015, S. 6

[28] http://www.bundesversicherungsamt.de/gesundheitsfonds/beitragsaufkommen-und-rueckstaende.html

[29] als Einzugsstelle der Gesamtsozialversicherungsbeiträge

[30] Davon zu unterscheiden ist die vom Bundesversicherungsamt ebenfalls veröffentlichte Rückstandsquote (Jahr 2014: 5,72 %). Bei der Rückstandsquote wird das Beitragssoll (eines Monats) ins Verhältnis zu den laufenden Rückständen gesetzt. Damit wird also ein Monats- einem kumulierten Bestandswert gegenübergestellt.

[31] BGH IX ZR 95/14

[32] BGH IX ZR 228/03

[33] BGH IX ZR 49/13

[34] BGH ZR IX 95/14, Rz. 23

[35] BGH IX ZR 143/12

[36] s. Fn. 6

[37] Statistisches Bundesamt Wiesbaden

[38] s. Fn. 17

[39] Vgl. ausführlich zur Praxis der Antragstellung durch Sozialversicherungsträger Kollbach, a.a.O.

[40] s. hierzu Kollbach a.a.O.m.w.N. sowie schon Kollbach/Lodyga/Zanthoff, NZI 2010, 932ff.

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