Neue Perspektiven – neues Format! Wir laden Sie herzlich zu unserem Deutschen Insolvenzverwalterkongress vom 5.-7. November 2025 in Berlin ein – ein Event, das neue Maßstäbe setzt! Das Programm und weitere Informationen finden Sie hier: https://www.vid.de/veranstaltungen-vid/deutscher-insolvenzverwalterkongress-2025/
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Mit dem am 22.9.2025 vorgelegten Referentenentwurf werden zahlreiche unterschiedliche Reformmaßnahmen im Bereich der rechtsberatenden Berufe umgesetzt. Die hier vorgelegte Stellungnahme konzentriert sich auf Maßnahmen, die einen direkten Bezug zur Insolvenzpraxis enthalten.
Aktuell hat das BMJV einen Referentenentwurf zum Berufsrecht der InsolvenzverwalterInnen und SachwalterInnen angekündigt, der voraussichtlich noch in diesem Jahr veröffentlicht werden soll.
Eine weitergehende Stellungnahme zu allen berufsrechtlichen Reformmaßnahmen des hier behandelten Referentenentwurfs erscheint vor diesem Hintergrund nicht geboten, da derzeit nicht absehbar ist, ob in dem geplanten Referentenentwurf zum Berufsrecht der InsolvenzverwalterInnen und SachwalterInnen abweichende Regelungen getroffen werden. Soweit wegen der notwendigen Konsistenz berufsrechtlicher Regelungen eine entwurfsübergreifende, auch das zukünftige Berufsrecht der InsolvenzverwalterInnen und SachwalterInnen prägende Gestaltung anzunehmen ist, werden die Maßnahmen des hier zu besprechenden Referentenentwurfs in die Stellungnahme mit einbezogen.
II. Zu Art. 1 – Änderungen der Bundesrechtsanwaltsordnung
1. Zu Art. 1 Ziff. 4 b): § 31 Abs. 4 Nr. 14 (neu) BRAO Zugleich zu Art. 2 Ziff. 5 b)
Nach § 31 Abs. 4 Nr. 14 sollen die Rechtsanwaltskammern in ihre Verzeichnisse zu jeder zugelassenen Berufsausübungsgesellschaft zukünftig „im Fall der Auflösung: die Auflösung, den Grund der Auflösung sowie zu den Liquidatoren und zu einem Insolvenzverwalter den Familiennamen, den oder die Vornamen und den Beruf“ eintragen.
Die Tätigkeit als Insolvenzverwalter wird seit der ersten Entscheidung des BVerfG im Jahr 2004 (vgl. BVerfGE 73, 280 <296>; BVerfG, NJW 2004, S. 1935) in ständiger Rechtsprechung als eigenständiger Beruf i. S. d. Art. 12 GG anerkannt. Seine gesetzliche Regulierung, die bislang nur in einigen Vorschriften der Insolvenzordnung Niederschlag gefunden hat, soll demnächst in einem eigenständigen Berufsrechts erfolgen (s. Einleitung). Vor diesem Hintergrund ist es unverständlich, warum die Rechtsanwaltskammern neben dem Familiennamen und Vornamen des Insolvenzverwalters noch einen (sonstigen?) Beruf erfassen sollen.
2. Zu Art. 1 Ziff.4 c) und Ziff.18: § 31 Abs. 7 und § 59h Abs.1 (neu) BRAO Zugleich zu Art.2 Ziff.5 c), Art. 3 Ziff. 9a)
Mit § 31 Abs.7 Satz 2 BRAO sollen künftig die Liquidatoren, der Abwickler und der Insolvenzverwalter einer eingetragenen Berufsausübungsgesellschaft verpflichtet werden, die Beendigung einer Berufsausübungsgesellschaft der Rechtsanwaltskammer mitzuteilen. Diese Pflicht obliegt bisher den in die Verzeichnisse nach Absatz 1 Satz 1 aufzunehmenden Rechtsanwälten und Berufsausübungsgesellschaften.
Die neue Regelung reagiert auf die ebenfalls neue Vorschrift in § 59h Abs. 1 BRAO (Art. 1 Ziff. 18 a), nach der im Fall der Auflösung einer Berufsausübungsgesellschaft deren Zulassung erst mit der Beendigung der Gesellschaft erlöschen soll.
Nach § 59 h Abs. 3 Ziff. 2 BRAO ist die Zulassung einer Berufsausübungsgesellschaft zu widerrufen, wenn sie in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Ein Vermögensverfall nach Satz 1 Nummer 2 wird dabei vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Berufsausübungsgesellschaft eröffnet ist oder die Berufsausübungsgesellschaft in das Schuldnerverzeichnis (§ 882b ZPO) eingetragen ist.
Die Begründung des Referentenentwurfs führt dazu aus (S. 150):
„Bisher sehen § 59h Absatz 1 Satz 1 BRAO, § 52h Absatz 1 Satz 1 PAO und § 55 Absatz 1 StBerG das Erlöschen der Zulassung einer Berufsausübungsgesellschaft durch ihre Auflösung vor. Um die Postulationsfähigkeit künftig auch nach der Auflösung bis zu dem Zeitpunkt zu erhalten, in dem die Gesellschaft beendet ist, sollen § 59h Absatz 1 Satz 1 BRAO, § 52h Absatz 1 Satz 1 PAO und § 55 Absatz 1 StBerG dahingehend angepasst werden, dass die Zulassung erst mit Beendigung der Gesellschaft erlischt. Auf diese Weise können die Gesellschafterinnen und Gesellschafter die Mandate für die Gesellschaft fortführen. Voraussetzung für die Mandatsfortführung ist allerdings, dass die Verfügungsbefugnis über das Gesellschaftsvermögen auf Rechtsanwältinnen oder -anwälte, Patentanwältinnen oder -anwälte beziehungsweise zur unbeschränkten geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugte Personen übergeht (vergleiche die §§ 59k, 59l Absatz 2 BRAO, § 52k PAO, § 3 StBerG).
Nach der bisherigen Regelung entfällt die Zulassung einer Berufsausübungsgesellschaft im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens automatisch, da mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Gesellschaft aufgelöst wird (vergleiche § 60 Absatz 1 Nummer 4 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung – GmbHG, § 262 Absatz 1 Nummer 3 des Aktiengesetzes – AktG, § 729 Absatz 1 Nummer 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs – BGB, § 138 Absatz 1 Nummer 2 des Handelsgesetzbuchs – HGB). Dasselbe gilt für die Auflösung der Gesellschaft durch Beschluss. Dies erschwert jedoch sowohl die Abwicklung als auch eine mögliche Sanierung der Gesellschaft, da auch bei einer Fortsetzung der Gesellschaft die Zulassung neu beantragt werden müsste. Durch die Änderung erlischt die Zulassung einer Berufsausübungsgesellschaft im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens künftig nicht mehr automatisch. Im Fall der Insolvenz sollen künftig allein § 59h Absatz 3 Satz 1 Nummer 2, Satz 2 BRAO, § 52h Absatz 3 Satz 1 Nummer 2, Satz 2 PAO und § 55 Absatz 3 Satz 1 Nummer 2, Satz 2 StBerG Anwendung finden. Danach ist die Zulassung bei Vermögensverfall zu widerrufen, es sei denn, dass durch den Vermögensverfall die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind.
Die vorstehenden Neuregelungen sollen durch Bestimmungen zur Ergänzung der Berufsträgerregister um die Auflösung, deren Grund sowie die Personen der Liquidatorinnen und Liquidatoren und – sofern bestellt – einer Insolvenzverwalterin oder eines Insolvenzverwalters flankiert werden. Zudem werden für die Liquidatorinnen und Liquidatoren und – sofern bestellt – eine Abwicklerin oder einen Abwickler und eine Insolvenzverwalterin oder einen Insolvenzverwalter Mitteilungspflichten zu den registerpflichtigen Angaben vorgesehen.“
Die Neuregelung ist uneingeschränkt zu begrüßen. Sie liegt nicht nur im Interesse der beteiligten Berufsträger, sondern vor allem auch im Interesse der Rechtssuchenden, die in Insolvenzverfahren nicht mehr mit problematischen Abbruchreaktionen konfrontiert werden müssen.
Aus Sicht der Insolvenzpraxis empfehlen sich in diesem Kontext lediglich drei Ergänzungen:
a) Es sollte klargestellt werden, dass nur der bestellte Insolvenzverwalter nach § 56 InsO (nicht der vorläufige Insolvenzverwalter) von den Mitteilungspflichten nach § 31 Abs.7 Satz 2 BRAO-(neu), § 29 Abs. 7 PAO (neu), § 76c Abs. 1 Nr. 2 StBerG (neu) erfasst ist.
b) Wenn die Zulassung einer Rechtsanwaltsgesellschaft mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht automatisch erlischt, bestehen Mandate fort, nach der aktuellen und auch weiterhin vorgesehenen (vgl. Art. 16 Ziff. 4 des Referentenentwurfs) Fassung des § 244 Abs. 1 ZPO kommt es aber nicht mehr zu einer Unterbrechung von Rechtsstreiten, in denen die Rechtsanwaltsgesellschaft Prozessvertreter ist. § 240 ZPO greift auch nicht, weil das Insolvenzverfahren ja nicht über das Vermögen einer Partei eröffnet wird. Die Prozesshandlungen eines Prozessvertreters werden der Partei nach § 85 Abs.1 ZPO zugerechnet. Dazu gehört auch das Verschulden des Anwalts, welches der Partei gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet wird, z.B. bei Fristversäumnissen. Damit sich der Insolvenzverwalter der Rechtsanwaltsgesellschaft zunächst einen Überblick verschaffen kann und nicht mit laufenden Fristen konfrontiert ist, von denen er möglicherweise noch gar keine Kenntnis hat, sollte daher § 244 Abs. 1 ZPO dahingehend ergänzt werden, dass auch im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Prozessvertreters oder bei Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen auf einen Insolvenzverwalter eine Unterbrechung des Rechtsstreits erfolgt. Dies gebietet auch der Schutz der Rechtssuchenden, da in der Insolvenz der Rechtsanwaltsgesellschaft sonst Gefahr bestünde, dass laufende gesetzliche oder gerichtliche Fristen nicht eingehalten werden.
c) Der Insolvenzverwalter sollte in der Lage sein, unwirtschaftliche Mandatsverhältnisse zu beenden. Grundsätzlich findet auf laufende Mandatsverhältnisse das Wahlrecht nach § 103 InsO Anwendung, so dass es insoweit keiner gesetzlichen Regelung bedarf. Das in der Rechtsprechung entwickelte und auf § 627 Abs. 2 BGB gestützte Institut der Kündigung zur Unzeit legt aber eine gesetzliche Klarstellung, hilfsweise zumindest Ausführungen in der Gesetzesbegründung nahe. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass unwirtschaftliche Mandatsverhältnisse zu Lasten aller beteiligten Gläubiger im Zweifel fortgeführt werden müssen, um Haftungsgefahren zu vermeiden.
III. Fazit
Der vorgelegte Referentenentwurf unternimmt eine umfassende und wichtige Reform an zahlreichen Details des Berufsrechts der rechtsberatenden Berufe. Dieser Ansatz ist zu begrüßen. Er sollte im Sinne einer besseren Sanierungsperspektive für Berufsausübungsgesellschaften im Insolvenzverfahren sowie zum Schutz der Rechtssuchenden lediglich geringfügig ergänzt werden. Die anstehende Weiterentwicklung des Berufsrechts der InsolvenzverwalterInnen sollte den hier vorgestellten Entwicklungsstand aufnehmen.
Berlin, 29.10.2025
Kontakt:
Verband Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands e.V. (VID)
Am Zirkus 3
10117 Berlin
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Mit dem vorgelegten Entwurf macht das Land Bremen von der Ermächtigung in § 5 Abs. 4 S. 2 InsO Gebrauch und trifft im Wege der Rechtsverordnung nähere Bestimmungen über die Führung der Tabellen und Verzeichnisse, ihre elektronische Einreichung sowie die elektronische Einreichung der dazugehörigen Dokumente und deren Aufbewahrung.
Der VID hat bereits umfangreich zu den Entwürfen von entsprechenden Rechtsakten der Länder Niedersachen[1] und Rheinland-Pfalz[2] Stellung genommen. Auf diese Stellungnahmen dürfen wir an dieser Stelle Bezug nehmen.
II. Zu Artikel 1 § 1
Die Verordnung soll die maschinelle Führung der Tabellen nach § 175 Abs. 1 InsO sowie die elektronische Einreichung der Tabellen und der dazugehörigen Dokumente bei den Insolvenzgerichten des Landes Bremen nur für Verfahren regeln, die ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung eröffnet wurden.
Die bisher geltende Verordnung über die elektronische Führung der Tabelle in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. September 2017 (Im Folgenden: alte Verordnung) soll nach Artikel 2, zeitgleich mit dem Inkrafttreten der vorgelegten Neufassung (Im Folgenden: neue Verordnung – dort Artikel 3), am 1. November 2025 außer Kraft treten.
Unklar bleibt hier, ob und ggfls. wie Verfahren, die vor dem 1. November 2025 eröffnet wurden, auf die neuen Maßgaben umgestellt werden können. Diese Frage stellt sich insbesondere bei den in der Praxis häufigen Nachmeldungen von Forderungen zur Tabelle (§ 177 InsO) oder deren Berichtigung nach dem Prüfungstermin. Hier erscheint es wenig sinnvoll, die Grenze von 100 Forderungsanmeldungen aus der bisher geltenden Verordnung (§ 1 Abs. 1 S. 2), unberücksichtigt zu lassen.
Wenn dieser Schwellenwert durch Nachmeldungen überschritten werden kann, sollte eine elektronische Tabellenführung nach den Maßgaben der neuen Verordnung die Regel der alten Verordnung auch dann ablösen, wenn das entsprechende Verfahren vor dem 1. November 2025 eröffnet wurde und deshalb zunächst noch nicht der Pflicht zur elektronischen Tabellenführung unterlag.
Auch in anderen Fällen kann es sinnvoll sein, die nach den Maßgaben der alten Verordnung geführte Tabelle auf die Maßgaben der neuen Verordnung umzustellen. Die alte Verordnung sah in § 3 dazu eine Befugnis des Insolvenzgerichts vor, in Insolvenzverfahren, die bis zum Ablauf des 21. September 2017 bereits eröffnet waren, die elektronische Führung der Tabelle bis spätestens eine Woche vor Niederlegung der Tabelle gem. § 15 Abs.1 Satz 2 zu beschließen.
III. Zu Artikel 1 § 2
Im Unterschied zu anderen Länderregelungen (vgl. etwa Niedersachsen[3]) enthält die neue Verordnung keine Hinweise auf anzuwendende Maßgaben des Datenschutzes. Der Verordnungstext sollte zwingend um entsprechende Hinweise ergänzt werden.
Der in Artikel 1 § 2 Abs.3 erteilte pauschale Hinweis auf das Dateiformat PDF wirft in der Praxis erhebliche Probleme auf (vgl. hierzu die Stellungnahme des VID zur E-Justiz VO[4]).
Die in Artikel 1 § 2 Abs. 4 formulierte Verpflichtung zur Übertragung in Papierform eingehender Dokumente in ein elektronisches Dokument wird ergänzt durch eine parallele Einreichungspflicht für die Dokumente in Papierform.
Diese Maßgabe weicht nicht nur von den Regelungen anderer Bundesländer (vgl. § 3 der E-Justiz VO RP) ab. Die Begründung der neuen Verordnung weist zudem darauf hin, dass die Einreichung in Papierform notwendig sei, weil der Scanprozess in den meisten Fällen nicht den Anforderungen „BSI TR-03138 Ersetzendes scannen (RESISCAN)“ entspreche. Die Gerichte müssten die schriftlich eingereichten Forderungsanmeldungen daher parallel in Papierform zum Zwecke der Nachprüfbarkeit aufbewahren oder selbst nach der jeweils geltenden BSII Technische Richtlinie 03138 digitalisieren.
Es bleibt unverständlich, wieso die Verpflichtung zu einer offenbar unzureichenden Übertragung in ein elektronisches Dokument mit genauen Vorgaben zur Auflösung versehen wird, obwohl bereits erkannt ist, dass diese Maßgaben den gerichtlichen Anforderungen nicht genügen und im Zweifel eine gerichtliche Wiederholung der Übertragung notwendig machen.
Die Lesbarkeit ist bei in Papierform eingereichten Dokumenten nach einem Scan nicht nur von der gewählten Auflösung (empfohlen wird mindestens 300 dpi) sondern auch von der Qualität und den Einstellungen des Monitors abhängig. Ein pauschaler Verweis auf höhere Auflösungen führt deshalb an dieser Stelle voraussichtlich nicht zu der notwendigen Klarheit und Eindeutigkeit.
IV. Zu Artikel 1 § 3
Unklar bleibt hier, ob auch bei einer Ersatzeinreichung die Pflicht zur Einreichung in Papierform nach Artikel 1 § 2 Abs. 4 gelten soll. Der Verordnungstext spricht hier nur davon, dass bei einer Ersatzeinreichung die Tabellen und die dazugehörigen Dokumente auf einem Datenträger eingereicht werden können. Hier sollte ggfls. klargestellt werden, dass Artikel 1 § 2 Abs. 4 bei einer Ersatzeinreichung entsprechende Anwendung findet.
V. Fazit
Mit dem vorgelegten Entwurf werden wichtige Fragen der elektronischen Tabellenführung im Land Bremen neu, aber nicht ausreichend geregelt. Gleichzeitig zeigt sich bei dieser, wie auch bei vergleichbaren Regelungen anderer Bundesländer, eine ausgeprägte Divergenz des Regelungsumfangs und der Regelungsinhalte. Dies führt insbesondere in den Insolvenzverwalterkanzleien zu Problemen, die länderübergreifend tätig sind. Im Land Bremen wird dieser Fall die Regel bilden, weil hier nur zwei Insolvenzgerichte mit der neuen Rechtsverordnung angesprochen sind. Im Interesse einer regionalen Konsistenz sollte deshalb zumindest ein enger Abgleich mit dem entsprechenden Regelwerk des Landes Niedersachsen stattfinden. Eine bundeseinheitliche Regelung wäre jedoch der noch deutlich bessere Weg.
Berlin, 07.10.2025
Kontakt:
Verband Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands e.V. (VID)
Am Zirkus 3
10117 Berlin
Tel.: 030/ 20 45 55 25
[1] Stellungnahme des VID – Verband Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands e.V. zum Entwurf einer Verordnung über die Einreichung und Führung der Tabellen über die angemeldeten Forderungen gemäß § 175 Insolvenzordnung in maschineller Form (Niedersachsen): https://www.vid.de/stellungnahmen/nminsotabvo/ (zuletzt abgerufen am 07.10.2025).
[2] Stellungnahme des VID – Verband Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands e.V. zur Landesverordnung über den elektronischen Rechtsverkehr und die elektronische Aktenführung, eJustizVO RP (Rheinland-Pfalz): https://www.vid.de/stellungnahmen/e-justizvo-rp/(zuletzt abgerufen am 07.10.2025).
[3] Stellungnahme des VID – Verband Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands e.V. zum Entwurf einer Verordnung über die Einreichung und Führung der Tabellen über die angemeldeten Forderungen gemäß § 175 Insolvenzordnung in maschineller Form (Niedersachsen): https://www.vid.de/stellungnahmen/nminsotabvo/ (zuletzt abgerufen am 07.10.2025).
[4] Stellungnahme des VID – Verband Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands e.V. zur Landesverordnung über den elektronischen Rechtsverkehr und die elektronische Aktenführung, eJustizVO RP (Rheinland-Pfalz): https://www.vid.de/stellungnahmen/e-justizvo-rp/(zuletzt abgerufen am 07.10.2025).
Mit der vorgestellten Initiative soll nach der Beschreibung des politischen Kontextes durch die federführende GD Justiz und Verbraucher ein 28. Rechtsrahmen als Teil eines umfassenden Maßnahmenpakets zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft geschaffen werden, damit innovative Unternehmen von einem harmonisierten, EU-weiten Regelwerk profitieren können, das perspektivisch alle relevanten Elemente des Gesellschafts-, Insolvenz-, Arbeits- und Steuerrechts einschließt.
Die Initiative basiert auf Vorschlägen im Letta-Report vom 17.04.2024 (“Much more than a market”) und im Draghi-Report vom 09.09.2024 („The future of European competitiveness”), welche die Europäische Kommission in dem im Januar 2024 vorgestellten “Kompass für Wettbewerbsfähigkeit” aufgegriffen hat. Der 28. Rechtsrahmen soll insbesondere innovative Unternehmen in der Start-up-Phase und der Scale-up-Phase ansprechen und im europäischen Binnenmarkt Investitionen in solche Unternehmen attraktiver machen. Hierfür sollen geltende Vorschriften vereinfacht und die Kosten beim Scheitern eines Unternehmens reduziert werden, indem spezifische Aspekte im Gesellschafts-, Insolvenz-, Arbeits- und Steuerrecht überarbeitet werden. Zeitlich strebt die Europäische Kommission an, bereits im 1. Quartal 2026 einen Vorschlag für einen 28. Rechtsrahmen zu unterbreiten.
Der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments hat am 30.06.2025 den Entwurf eines Berichts mit Empfehlungen zu einem 28. Rechtsrahmen vorgelegt. Dieser Entwurf beschränkt sich im Wesentlichen auf gesellschaftsrechtliche Aspekte eines 28. Rechtsrahmens und verweist hinsichtlich des Arbeitsrechts auf nationales und existierendes europäisches Recht. Auf die Bereiche des Steuer- und insbesondere des Insolvenzrechts geht der Berichtsentwurf nicht ein. Dies verwundert angesichts der Tatsache, dass die Anregungen im Letta- und im Draghi-Report sowie der “Kompass für Wettbewerbsfähigkeit” eine Abdeckung auch dieser Rechtsbereiche vorsehen. Zudem wurde und wird bei den bisherigen Bestrebungen zur Harmonisierung des Insolvenz- und Restrukturierungsrechts in Europa jeweils dessen Bedeutung für grenzüberschreitende Investitionen hervorgehoben und es wird zusammen mit dem inhomogenen Steuerrecht mitverantwortlich dafür gemacht, dass bisherige Harmonisierungsbestrebungen im Sinne der Überlegungen zum 28. Rechtsrahmen nicht erfolgreich waren (vgl. die Präsentationen im Workshop des Europäischen Parlaments zum 28. Rechtsrahmen am 05.06.2025).
Die Auslassungen im Berichtsentwurf des Rechtsausschusses vom 30.06.2025 könnten dem Umstand geschuldet sein, dass angesichts der hohen Komplexität jeder einzelnen Materie und insbesondere des Insolvenz- und Steuerrechts selbst ein grober Entwurf eines umfassenden 28. Rechtsrahmens innerhalb des ambitionierten Zeitplans – 1. Quartal 2026 – realistischerweise nicht darstellbar ist. Dadurch wird ein Problem des gesamten Projekts deutlich: Einerseits heben die erwähnten Berichte von Letta und Draghi zurecht hervor, wie dringlich die Veränderung der Rahmenbedingungen für Investitionen in Europa ist. Dem versucht die Europäische Kommission mit ihrem Zeitplan wohl Rechnung zu tragen. Andererseits dürfte nur ein 28. Rechtsrahmen, der alle relevanten Rechtsgebiete umfasst, geeignet sein, die hinreichend vorhersehbaren und rechtssicheren Rahmenbedingungen zu schaffen, die für Investoren attraktiv sind. Die Schaffung eines umfassenden neuen Rechtsrahmens wird aber mehr Zeit erfordern als von der Europäischen Kommission bislang eingeplant, da mit ihm tiefgreifende Eingriffe in etablierte nationale und europäische Regelungen erforderlich werden. Dieser Zwiespalt sollte unseres Erachtens nicht zugunsten schneller Teilergebnisse gelöst werden. Denn ein erst sukzessive erstellter Rechtsrahmen birgt zum einen die Gefahr, dass er inkohärent wird. Zum anderen indiziert die unzureichende Marktresonanz z.B. bei bisherigen (Überlegungen zu) europäischen Gesellschaftsformen (SE, SPE, SUP, ECS, EEIG), das bloße Teillösungen keine hinreichende Akzeptanz erfahren, was einen Reputationsschaden nach sich ziehen kann.
Konkretere Vorschläge, wie das Insolvenzrecht eines 28. Rechtsrahmens gestaltet werden könnte, unterbreiteten kürzlich insbesondere Garcimartin/Paulus (The 28th insolvency law: Reflections on a lex concursus europe, Int Insolv Rev 2025;1 20). Diese Vorschläge geben einen guten Überblick über regelungsbedürftige Themenbereiche, bewegen sich aber überwiegend noch auf hoher Abstraktionsebene und sind ausdrücklich nur als Grundlage für weitere Diskussionen formuliert. Solcher Diskussionen wird es sowohl hinsichtlich der grundsätzlichen Ausrichtung eines europäischen Insolvenz- und Restrukturierungsrechts als auch hinsichtlich der Praktikabilität noch konkreter Regelungen bedürfen. Das Insolvenzrecht ist gerade bei der Verbesserung der Aussichten von Start-up- und Scale-up-Unternehmen in der EU wichtig, weil hier regelmäßig Begleitumstände vorliegen, die im Bereich der Finanzierung und Ertragskraft von denen bereits am Markt etablierter Unternehmen signifikant abweichen. Im Bereich der Finanzierung dominiert häufig privates Kapital, das durch Business Angels oder VC-Investoren aufgebracht wird. Daneben gibt es nicht selten einen hohen Anteil öffentlicher Förderung, die in vielen Fällen mit der verpflichtenden Einhaltung detaillierter Förderbedingungen verbunden wird. Vielfach sind vor allem Start-up- und Scale-up-Unternehmen zunächst auf öffentliche Förderung angewiesen; erst mit deren Gewährung legen Business Angels oder VC-Investoren eine dem europäischen Markt eigene Zurückhaltung ab und gewähren Risikokapital. Eine Ertragskraft im Sinne der eigenständigen Fähigkeit, langfristig Gewinne zu erzielen, ist in diesem Stadium nicht vorhanden und oftmals nur als Projektion eines geplanten Umsatzwachstums darstellbar. Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft werden nur Verluste erwirtschaftet und das eingeworbene Kapital zur Verlustdeckung eingesetzt.
Vor diesem Hintergrund werden im Insolvenzrecht insbesondere zwei Aspekte bedeutsam, die leider in den jüngeren Vorschlägen zur Harmonisierung des Insolvenzrechts, namentlich dem 2022 vorgelegten Entwurf einer Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts (COM (2022) 702 final) ausgeklammert wurden:
Die europaweit anzutreffenden Unterschiede bei der Regelung von Insolvenzgründen und die Rangfolgen der Gläubigerforderungen sind gerade bei Start-up- und Scale-up-Unternehmen von besonderer Bedeutung. Auf diese Aspekte soll mit Blick auf insolvenzrechtliche Regelungen eines 28. Rechtsrahmens nachfolgend näher eingegangen werden.
II. Unterschiede bei den Insolvenzgründen
Der Umstand, dass unterschiedliche und unterschiedlich definierte Insolvenzgründe nach den nationalen Regeln stark abweichende Vorgaben zur Einleitung eines Insolvenzverfahrens machen, führt zu einer europaweit uneinheitlichen Wettbewerbssituation für Start-up- und Scale-up-Unternehmen. Können solche Unternehmen in dem einen Mitgliedstaat in einem vergleichbaren Krisenstadium zunächst weiterarbeiten, während sie in einem anderen Mitgliedstaat sofort ein Insolvenzverfahren einleiten müssen, so verzerrt dies die Wettbewerbssituation und lädt zu forum-shopping ein.
Die gesetzliche Vermutung des Art. 3 Abs. 1 Satz 3 der Verordnung (EU) 2015/84 – EuInsVO – geht bis zum Beweis des Gegenteils bei Gesellschaften oder juristischen Personen davon aus, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort ihres Sitzes ist. Da der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO auch die internationale gerichtliche Zuständigkeit für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens begründet, indiziert die Wahl des Sitzes das anwendbare nationale Insolvenzrecht und damit strengere oder nachsichtigere Insolvenzdefinitionen und -antragspflichten.
Diese unterschiedlichen Rahmenbedingungen können gerade innovative Unternehmen besonders ausnutzen, die nicht an einen konkreten Standort gebunden sind und ihre Arbeit vernetzt organisieren können. Eine digital erleichterte Gründung aus jedem Mitgliedstaat heraus wird die Hürden für ein forum-shopping weiter absenken. Wäre auch eine einfache Sitzverlegung in einen anderen Mitgliedstaat möglich, um bei Krisenanzeichen den strengeren Insolvenzkriterien im Gründungsstaat zu entgehen, würde dies mit großer Wahrscheinlichkeit die Attraktivität von Sitzverlagerungen zur Insolvenzvermeidung noch steigern.
Die als Reaktion hierauf naheliegende Gegensteuerung durch nationale Förderrichtlinien könnte wiederum die Komplexität von Gründungsprozessen steigern und widerspricht dem erklärten Ziel eines vereinfachten und harmonisierten Rahmens für die Gründung und den Betrieb von Unternehmen sowie für die Mobilisierung von Investitionen.
Der jüngst zum bereits erwähnten Richtlinienvorschlag zur Harmonisierung des Insolvenzrechts diskutierte Kompromiss für Antragspflichten im Insolvenzfall (Art. 36) wird diese Situation nicht verbessern. Er überlässt es weiterhin den Mitgliedstaaten, wie sie Insolvenzgründe gesetzlich definieren und trägt damit nicht zur Lösung des geschilderten Problems bei.
Ein eigenständiges Insolvenzverfahren nach dem Muster, wie es ursprünglich Titel VI des Vorschlags einer Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts vorsah, würde das geschilderte Problem ebenfalls nicht lösen, wenn es auf uneinheitlichen nationalen Regelungen der Insolvenzgründe und -antragspflichten aufsetzt und keine eigenständige gesetzliche Definition einführt.
Im Kontext eines 28. Rechtsrahmens sollte eine eigenständige, sektorale Definition der Zahlungsunfähigkeit und eine – notwendig damit verbundene – harmonisierte Antragspflicht entwickelt werden. Zudem sollte auch eine unionseinheitliche Regelung zur Überschuldung getroffen werden. Sie ist als Insolvenzgrund in einer Reihe von Mitgliedstaaten gesetzlich verankert (vgl. hierzu Piekenbrock, KTS 2017, S. 333-363) und erlangt gerade bei Start-up- und Scale-up-Unternehmen in Deutschland besondere Bedeutung, weil sie nach der deutschen Definition die Insolvenzantragspflicht mit einer Fortführungsprognose verknüpft, die sich nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO auf die nächsten zwölf Monate erstreckt. Sind in diesem Zeitraum absehbar neue Finanzierungsrunden notwendig und bleibt deren Ausgang ungewiss, so steht derzeit die notwendige positive Fortführungsprognose in Frage.
Losgelöst von der Frage, ob Überschuldung allgemein als Insolvenzeröffnungsgrund beibehalten werden soll, mag dies für Unternehmen, die ihre Start-up- oder Scale-up-Phase hinter sich gelassen haben, angemessen sein. Start-up- und Scale-up-Unternehmen mit Aussicht auf öffentliche Fördermittel und erst darauf aufbauend oder daran anknüpfend Finanzierungen durch Business Angels oder VC-Investoren können in dieser Phase naturgemäß aber noch nicht seriös die Ertragsfähigkeit planen. Ihnen ist mit einem EU-einheitlichen Rechtsrahmen nicht gedient, der sie in dieser Phase bereits in ein Insolvenzverfahren zwingt. Im Gegenteil: ein EU-Rechtsrahmen müsste die dargestellten, regelmäßig länger andauernden Verhältnisse ihrer Finanzierung gesondert in den Blick nehmen.
Eine sektorale Begrenzung der Insolvenzgründe im 28. Rechtsrahmen auf den Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit könnte sich indes wieder wettbewerbsverzerrend auswirken, wenn man zulässt, dass den 28. Rechtsrahmen zur Umgehung strengerer nationaler Vorschriften Unternehmen in Anspruch nehmen, für die er nicht gedacht ist. Bei einem vereinfachten und digital beschleunigten Gründungsprozess innerhalb von 48 Stunden dürfte eine gründliche Prüfung der Gründungsvoraussetzungen durch nationale Registergerichte oder Behörden schwierig sein. Eine gründliche Prüfung der Eignung für die Inanspruchnahme des 28. Rechtsrahmens schon beim Einstieg ist aber notwendig, denn anderenfalls würde sich ein diesbezüglicher Missbrauch erst zeigen, wenn die Insolvenzgerichte befasst werden. Die Folgen wären rechtliche Unklarheiten – gelten die Regeln des 28. Rechtsrahmens auch bei missbräuchlicher Inanspruchnahme? – und ein Reputationsverlust des 28. Rechtsrahmens.
Zur Vermeidung der angesprochenen Probleme wäre eine zusätzliche sektorale Definition der Überschuldung im Rahmen des 28. Rechtsrahmens denkbar. Sie würde jedoch in Mitgliedstaaten, die diesen Insolvenzgrund bislang nicht vorsehen, eine für Gründer, Gläubiger und Gerichte neue Situation schaffen (vgl. zur komplexen Ermittlung der Überschuldung in Deutschland https://www.vid.de/initiativen/vid-empfehlungen-zum-insolvenzrecht-ermittlung-der-ueberschuldung/).
Die Möglichkeit, dass der 28. Rechtsrahmen weitergehende Insolvenzantragspflichten vorsieht als nationales Recht, spricht dafür, zur Vermeidung von Umgehungsversuchen kein Opt-out für Unternehmen zuzulassen, die sich für den 28. Rechtsrahmen entschieden haben. Die Möglichkeit, den 28. Rechtsrahmen in der Krise wieder zu verlassen, wenn seine Vorteile ausgeschöpft sind und nationales Recht den Handelnden in der Krisensituation attraktiver erscheint, würde auch dem Sinn des 28. Rechtsrahmens zuwiderlaufen, für alle Beteiligten auch und gerade für den Krisenfall Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit zu schaffen. Die vorstehenden Überlegungen deuten die Herausforderungen an, die eine sektoral begrenzte Definition von Insolvenzgründen im Rahmen eines 28. Rechtsrahmens mit sich bringen würde. Die bereits wissenschaftlich vorbereitete Harmonisierung von Insolvenzgründen (vgl. Bork/Veder/Schuijling, Definition of Insolvency, Cambridge/ Antwerp/ Chicago 2024) mag derzeit aus politischen Gründen schwer durchsetzbar erscheinen. Sie wäre einer sektoralen Definition jedoch unbedingt vorzuziehen.
III. Rangfolge von Gläubigern
Eine ähnliche Situation ergibt sich für das Problem der Rangfolge von Gläubigerforderungen in Insolvenzverfahren. Gerade bei Start-up- und Scale-up-Unternehmen treten neben private Investoren regelmäßig auch öffentliche Gläubiger, die durch die bereits erwähnten Förderprogramme unterstützend tätig werden. Diese Förderprogramme existieren in Deutschland auf vielen Ebenen (Kommunen, Länder und Bundesebene) und enthalten eine Vielzahl von teilweise sehr unterschiedlichen Förderbedingungen und Kriterien. Eine Förderung wird dabei nicht nur in Form direkter Finanzhilfen, sondern auch durch steuerliche oder abgabenrechtliche Unterstützung gewährt. Die Initiativen zum 28. Rechtsrahmen sprechen deshalb zurecht auch das Steuerrecht als einschlägigen legislativen Bereich an, der integriert werden sollte.
Die Rangfolge der Forderungen öffentlicher Gläubiger aus der Zeit vor Verfahrenseröffnung ist im Insolvenzrecht der europäischen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich geregelt. Während einige Mitgliedstaaten (darunter Deutschland) einen Vorrang öffentlicher Forderungen (sog. Fiskusprivileg) weitgehend abgeschafft haben, ist ein solcher Vorrang in anderen Mitgliedstaaten weiterhin gesetzlich verankert (vgl. zum Stand der internationalen Rechtsentwicklung Fries, Fiskusprivilegien, Eine rechtsvergleichende Betrachtung der Behandlungen von Steuerforderungen in der Unternehmensinsolvenz, Diss. München, Köln 2020).
Ähnlich divers ist die Situation in Bezug auf die Forderungen von Arbeitnehmern, inklusive der Forderungen von Sozialversicherungsträgern. Auch hier reicht die Bandbreite in den Mitgliedstaaten von einem Gleichrang mit den Forderungen sonstiger, nicht am Vermögen des Schuldners besicherter Gläubiger, bis hin zu mehrfach abgestuften Rangfolgen.
Gläubigern, deren ungesicherten Forderungen in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Rangprivilegien eingeräumt werden, stehen insbesondere Gesellschafter gegenüber, deren Darlehensforderungen z.B. in Deutschland im Insolvenzverfahren ein Nachrang auferlegt wird. Auch hier ist die Behandlung in den Mitgliedstaaten uneinheitlich.
Die im Rahmen der Harmonisierungsbestrebungen immer wieder betonte Bedeutung des Insolvenzrechts für Investitionsentscheidungen, wird, sofern diese Prämisse zutrifft, auch durch das Bestehen und den Umfang von Privilegien anderer Gläubiger und der Einstufung der eigenen Forderungen von Investoren maßgeblich beeinflusst. Denn der Vorrang anderer Gläubigerforderungen reduziert die Quotenaussichten der Gläubiger nicht vorrangiger oder gar nachrangiger Forderungen.
Die angestrebte Mobilisierung von Investitionen für Unternehmen nach dem 28. Rechtsrahmen wäre vor diesem Hintergrund problematisch, weil Investoren im Insolvenzfall je nach Mitgliedstaat auf sehr unterschiedliche Bedingungen treffen würden. Dies könnte, wie schon bei den oben geschilderten Insolvenzgründen, zu Wettbewerbsverzerrungen führen oder Investitionsentscheidungen grundsätzlich in Frage stellen. Der Vorteil eines europaweit einheitlichen 28. Rechtsrahmens wäre erneut durch fehlende Harmonisierungsmaßnahmen im Insolvenzrecht in Frage gestellt.
IV. Vereinfachte Liquidationsverfahren
Die Europäische Kommission erwähnt die Option, neben der Gründung von Unternehmen nach dem 28. Rechtsrahmen auch andere Verfahren – darunter auch die Schließung solcher Unternehmen – durch digitale Lösungen und Instrumente schneller und effizienter zu gestalten. Ein erster Vorschlag mit ähnlicher Zielsetzung war das im Rahmen der Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts als Titel VI vorgestellte vereinfachte Liquidationsverfahren für Kleinstunternehmen. Dieser Vorschlag stieß in der Insolvenzpraxis auf erhebliche Kritik (vgl. u.a. https://www.vid.de/stellungnahmen/proposal-for-a-directive-of-the-european-parliament-and-of-the-council-on-the-harmonisation-of-certain-aspects-of-insolvency-law-com-2022-702-final/) und fand in Rat und Parlament keine Zustimmung.
Eine Übertragung des Vorschlags auf den 28. Rechtsrahmen wäre problematisch, weil hier einer vereinfachten Liquidation regelmäßig Umstände entgegenstehen, die bei Kleinstunternehmen mit überschaubaren Vermögenverhältnissen nicht anzutreffen sind.
Unternehmen im Start-up- oder Scale-up-Bereich planen regelmäßig mit hohen Wachstumszielen. Sie verbinden diese Ziele oft schon in einer frühen Phase mit hohem Ressourcenwachstum, insbesondere im Bereich Personal, um die geplante Geschwindigkeit ihres Wachstums umsetzen zu können. Eine Einordnung als Kleinstunternehmen würde dem nicht gerecht und ggf. zu vorschnellen Liquidationen führen.
Gerade bei Start-up- und Scale-Up-Unternehmen sollte eine vorschnelle Liquidation vermieden werden, denn wenn das Produkt an sich zukunftsfähig ist und die Krise z.B. nur auf strategischen Fehlentscheidungen oder Unstimmigkeiten im bisherigen Gesellschafter- oder Investorenkreis beruht, kann ein Insolvenzverfahren das geeignete Instrument zur Sanierung darstellen.
Auch eine marktgerechte Verwertung der Insolvenzmasse durch ein Gericht oder eine Behörde ist im Bereich innovativer Unternehmen schwer vorstellbar. Die in diesem Bereich geschaffenen Werte sind oftmals immaterieller Natur. Entwicklungsleistungen, Patente, Urheberrechte oder ähnliche geistige Eigentumsrechte entziehen sich standardisierten Verwertungen und bedürfen der Möglichkeit einer hinreichenden Due Diligence. Elektronische Auktionssysteme, deren Verwertungserfolg an eine Mindestzahl von Kaufinteressenten geknüpft ist, würden an der Komplexität der Materie und der geringen Zahl von Interessenten scheitern. Da Ideen und Konzepte in vielen Fällen den Kern des Unternehmenswerts bilden, müsste in jedem Einzelfall sichergestellt werden, dass sie nicht im Zuge eines Verkaufs von Konkurrenten kopiert werden, die nur an ihrem Inhalt aber nicht am Erwerb interessiert sind.
Die bereits erwähnte Präsenz öffentlicher Förderungen bei vielen innovativen Unternehmen bedingt einen besonders sorgfältigen Umgang mit den ausgereichten Fördermitteln. Im Insolvenzfall führt dies zu der Notwendigkeit, die Gründe für den Verlust eingesetzter öffentlicher Gelder in einem geordneten Verfahren aufzuklären und alle Instrumente für eine zumindest teilweise Rückgewinnung einzusetzen. Ein pauschaler Verzicht auf Anfechtungsklagen, wie ihn das vereinfachte Liquidationsverfahren des ursprünglichen Richtlinienvorschlags als Option zur Verfahrensbeschleunigung vorsah, wäre hier kontraproduktiv.
Die geschilderten Umstände machen deutlich, dass ein vereinfachtes Liquidationsverfahren untauglich wäre für einen 28. Rechtsrahmen, der auf Start-up- und Scale-up-Unternehmen ausgerichtet ist. Die Idee, es in diesem Bereich als singuläre Verfahrensform einzuführen, würde nicht nur die nationalen Justizbehörden überfordern. Sie wäre auch nicht durch eine Verbesserung der Verfahrenseffizienz oder höhere Verwertungserfolge zu rechtfertigen.
V. Fazit
Die von der Europäischen Kommission angestoßene Diskussion zur Einführung eines 28. Rechtsrahmens für Start-up- oder Scale-up Unternehmen ist grundsätzlich zu begrüßen. Ein solcher Rechtsrahmen muss aber konsequenterweise umfassend und aus einem Guss von Beginn an alle adressierten Rechtsbereiche umfassen: Neben dem Gesellschaftsrecht auch das Arbeits-, Steuer- und insbesondere das Insolvenzrecht. Ein Rechtsrahmen, der keine umfassende und rechtssichere Perspektive für Investoren zulässt, sondern sich auf Teilbereiche beschränkt, trägt, wie ähnliche Ansätze der Vergangenheit zeigen, u.a. das Risiko ausbleibender Marktakzeptanz.
Die Diskussion lenkt den Blick aber auch erneut auf Lücken in der europäischen Harmonisierung des Insolvenzrechts, die sich gerade bei den Unternehmen, die Zielgruppe des 28. Rechtsrahmens sein sollen, deutlich bemerkbar machen. Insbesondere die Lücken bei der Definition von Insolvenzgründen und -antragspflichten sowie eine fortbestehende Privilegierung der ungesicherten Forderungen bestimmter Gläubiger im Insolvenzverfahren stellen die erfolgreiche Etablierung eines 28. Rechtsrahmens für Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen. Werden diese Lücken nicht zuvor geschlossen, droht dem 28. Rechtsrahmen das gleiche Schicksal wie früheren Ansätzen zur Etablierung europäischer Gesellschaftsformen. Von der Schaffung eines vereinfachten Liquidationsverfahrens für Unternehmen des 28. Rechtsrahmens nach dem Muster der Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts sollte abgesehen werden.
Berlin, 30.09.2025
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Der vorgestellte Referentenentwurf enthält umfangreiche und zahlreiche Änderungen des Kreditwesengesetzes, des Sanierungs- und Abwicklungsgesetzes, des Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetzes sowie weiterer Gesetze und Verordnungen im regulatorischen Umfeld der Finanz- und Versicherungswirtschaft. Die nachfolgende Stellungnahme konzentriert sich auf diejenigen Änderungsvorschläge, die einen direkten Bezug zur Tätigkeit von InsolvenzverwalterInnen oder SachwalterInnen enthalten.
II. Zu Art.1 Ziff.15 – § 9 Abs.1 S.1 KWG
Mit der vorgeschlagenen Änderung werden erstmals auch gerichtlich bestellte SachwalterInnen in die Verschwiegenheitspflichten des § 9 KWG mit einbezogen. Sie dürfen die ihnen bei ihrer Tätigkeit bekanntgewordenen Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse des Instituts, der zuständigen Behörden oder eines Dritten liegt, insbesondere Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, nicht unbefugt offenbaren oder verwerten, auch wenn sie nicht mehr im Dienst sind oder ihre Tätigkeit beendet ist.
Nach § 5 Abs. 6 InsO kann auch ein gerichtlich bestellter Sachwalter die in § 5 Abs. 5 InsO näher beschriebene Gläubigerinformation über ein von ihm geführtes System bereitstellen, soweit nicht der Schuldner selbst dazu in der Lage ist. In der Praxis sind SchuldnerInnen sehr selten in der Lage, die von § 5 Abs. 5 InsO geforderten Informationen jedem Insolvenzgläubiger, der eine Forderung angemeldet hat, in einem elektronischen Gläubigerinformationssystem unverzüglich in einem gängigen Dateiformat zum Abruf zur Verfügung zu stellen. In Verfahren der Eigenverwaltung ist die Bereitstellung durch den Sachwalter oder die Sachwalterin der Regelfall.
Die nachvollziehbare Einbeziehung der gerichtlich bestellten SachwalterInnen in den Pflichtenkreis des § 9 Abs.1 S.1 KWG schafft vor diesem Hintergrund erhebliche rechtliche Unsicherheiten und Haftungsgefahren, die durch entsprechende Klarstellungen des Gesetzgebers ausgeräumt werden sollten.
Die elektronische Gläubigerinformation soll nach der erklärten Absicht des Gesetzgebers, die Insolvenzgerichte entlasten. Sie formuliert deshalb eine umfangreiche Informationspflicht, die alle Entscheidungen des Insolvenzgerichts, alle Rechtsmittelentscheidungen, alle an das Insolvenzgericht übersandten Berichte einer potenziellen Vielzahl von Insolvenzgläubigern elektronisch zugänglich machen soll. Der beschriebene Umfang hat bereits zahlreiche Fragen aufgeworfen und ist in weiten Bereichen umstritten.
Eine nach der InsO geforderte Gläubigerinformation könnte, soweit sie als unbefugte Offenbarung nach § 9 Abs.1 S.1 KWG eingeordnet würde, zu einer unlösbaren Pflichtenkollision für SachwalterInnen führen. Insbesondere die an das Insolvenzgericht übersandten Berichte enthalten regelmäßig Informationen, deren Geheimhaltung zwar möglicherweise im Interesse des betroffenen Instituts, der zuständigen Behörden oder eines Dritten, nicht aber im gesetzlich indizierten Interesse der Gläubiger liegt.
In dieser Situation kann es nicht genügen, die Befugnis zur Offenbarung pauschal anzunehmen und SachwalterInnen auf eine mögliche gerichtliche Klärung zu verweisen, an deren Ende auch die persönliche Haftung und existenzgefährdende Zweifel an der weiteren beruflichen Eignung der SachwalterInnen stehen können. Notwendig ist vielmehr eine gesetzliche Klarstellung, die deutlich macht, dass elektronische Gläubigerinformationen nach den Vorgaben des § 5 InsO in keinem Fall zu einer unbefugten Offenbarung i. S. d. § 9 Abs.1 KWG führen können.
III. Zu Art.1 Ziff. 36 – § 22l Abs.1 KWG
Der Entwurf sieht eine Streichung des nach § 22l Abs.1 S.2 KWG bisher vorgesehenen Rechts der Insolvenzgerichte vor, vom Sachwaltervorschlag der Bundesanstalt abzuweichen, wenn dies zur Sicherstellung einer sachgerechten Zusammenarbeit zwischen Insolvenzverwalter und Sachwalter erforderlich erscheint. Stattdessen sollen die Insolvenzgerichte künftig verpflichtet werden, in jedem Fall dem Vorschlag der Bundesanstalt Folge zu leisten. Eine Abweichungsmöglichkeit, wie sie § 56a Abs. 2 S.1 InsO für den Fall vorsieht, dass das Insolvenzgericht die vorgeschlagene Person für ungeeignet hält, ist nicht vorgesehen.
Diese Gestaltung stößt auf erhebliche rechtliche Bedenken.
Nach § 274 Abs.1 i. v. m. 56 Abs.1 InsO hat das Insolvenzgericht eine für den jeweiligen Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige natürliche Person zu bestellen, die aus dem Kreis aller zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen bereiten Personen auszuwählen ist. Wer als Restrukturierungsbeauftragter oder Sanierungsmoderator in einer Restrukturierungssache des Schuldners tätig war, kann, wenn der Schuldner mindestens zwei der drei in § 22a Absatz 1 genannten Voraussetzungen erfüllt, nur dann zum Insolvenzverwalter bestellt werden, wenn der vorläufige Gläubigerausschuss zustimmt.
Diese gesetzlichen Voraussetzungen sollen sicherstellen, dass nur Personen bestellt werden, deren Eignung zuvor gerichtlich überprüft wurde. War die vorgeschlagene Person zuvor in anderer Funktion bereits mit dem Fall befasst, erhöht dies regelmäßig die Anforderungen an die Eignungsprüfung. Eine Vorbefassung kann zwar auch nach der InsO unbedenklich sein (vgl. § 56 Abs.1 S.4 Nr. 2 InsO). Sie muss dazu aber als gesetzlicher Ausnahmefall formuliert und klar definiert werden. Selbst die Vorbefassung als ebenfalls gerichtlich bestellter Restrukturierungsbeauftragter, kann, wenn keine weiteren Gründe gegen die Eignung des vormaligen Restrukturierungsbeauftragten sprechen, nur mit Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses überwunden werden.
Eine zentrale Rolle kommt bei der gerichtlichen Prüfung neben der fachlichen Eignung auch der Unabhängigkeit zu. Sie muss in jedem Fall vorab geprüft werden, um sowohl allgemeine wie fallspezifische Zweifel an der Integrität der bestellten Personen auszuschließen.
Der Entwurf begründet seine Abkehr von der gerichtlichen Eignungsprüfung an anderer Stelle (S. 257 – zu Nummer 54, Buchstabe b) mit einer anekdotischen Wiedergabe von Zweifeln an ihrer Effektivität:
„Ein Einschreiten der Bundesanstalt gegen unerlaubte Geschäfte führt oftmals zur Insolvenz der betroffenen Unternehmen. In diesem Fall muss ein Insolvenzverwalter bestellt werden. Dieser sollte als gesetzlicher Regelfall, der von der Bundesanstalt bestellte und überwachte Abwickler sein, soweit dieser die allgemeinen Voraussetzungen für eine Tätigkeit als Insolvenzverwalter erfüllt. Trotz seiner Befugnisse als Abwickler, die denen eines Geschäftsführers des abwicklungspflichtigen Unternehmens entsprechen, ist der Abwickler gerade kein Organ dieses Unternehmens und bietet daher in aller Regel die für einen Insolvenzverwalter erforderliche Neutralität. Bereits nach der aktuellen Rechtslage wäre es folgerichtig, den Abwickler auch zum Gutachter, zum vorläufigen und nach Verfahrenseröffnung zum endgültigen Insolvenzverwalter zu bestellen. Gleichwohl bestellen die Insolvenzgerichte aufgrund der Sorge, dass der Abwickler von einem Gläubigerausschuss als befangen abgelehnt werden könnte, bislang regelmäßig eine andere Person zum Insolvenzverwalter. Dabei zeigten sich die bestellten Insolvenzverwalter und Gutachter, die an die Stelle des von der Bundesanstalt bestellten Abwicklers traten, wiederholt überrascht von der Verfahrenskomplexität und schienen angesichts der zum Teil aufgewendeten kriminellen Energie der Betreiber unerlaubter Geschäfte nicht selten auch überfordert.
Die neue Regelung soll zu einer erheblichen Beschleunigung, Vereinfachung und Kostensenkung führen. Aufgrund seiner Tätigkeit als Abwickler sind ihm die Verhältnisse des Unternehmens sowie die Umstände, die zur Insolvenz geführt haben, bekannt. Durch die Nutzung seiner wertvollen Vorarbeiten würden bei Bestellung des Abwicklers zum Insolvenzverwalter Synergieeffekte erreicht.“
Die hier geäußerte Annahme, ein Abwickler werde „in aller Regel die für einen Insolvenzverwalter erforderliche Neutralität bieten“ verkennt den Umstand, dass er als Insolvenzverwalter auch über die eigene Haftung als Abwickler zu befinden hätte. Gerade weil seine Befugnisse als Abwickler denen eines Geschäftsführers des abwicklungspflichtigen Unternehmens entsprechen sind möglicherweise haftungsbegründende Vorgänge im Rahmen seiner Tätigkeit gesondert und gegebenenfalls auch gerichtlich zu überprüfen.
Nach § 38 Abs. 2a) S. 1 KWG erhält der Abwickler für seine Tätigkeit von der Bundesanstalt eine angemessene Vergütung und den Ersatz seiner Aufwendungen. Er ist demnach auch wirtschaftlich von einem Auftraggeber abhängig, der ihn in einem späteren Insolvenzverfahren vorschlagen soll. Nach § 38 Abs. 2 a) S. 2 u. 3 KWG sind die gezahlten Beträge der Bundesanstalt von der betroffenen juristischen Person oder Personenhandelsgesellschaft gesondert zu erstatten und auf Verlangen der Bundesanstalt vorzuschießen. Die Bundesanstalt kann die betroffene juristische Person oder Personenhandelsgesellschaft anweisen, den von der Bundesanstalt festgesetzten Betrag im Namen der Bundesanstalt unmittelbar an den Abwickler zu leisten, wenn dadurch keine Beeinflussung der Unabhängigkeit des Abwicklers zu besorgen ist. Die im Vorfeld einer Insolvenz auf diesem Wege angewiesenen Beträge können der Insolvenzanfechtung unterliegen. Der bestellte ehemalige Abwickler hätte in diesem Fall die eigene Vergütung an sich selbst als Insolvenzverwalter herauszugeben. § 45 Abs. 1 Nr. 2 BRAO formuliert in diesem Fall ein Tätigkeitsverbot für RechtsanwälteInnen, das wegen des Fehlens einer eigenständigen berufsrechtlichen Regelung im Bereich der InsolvenzverwalterInnen nach ständiger Rechtsprechung des BGH (AnwZ (Brfg) 24/14) lückenfüllend Anwendung fände, wenn, so wie in den meisten Fällen, RechtsanwältInnen als Abwickler und Insolvenzverwalter tätig werden würden.
Von einem Verzicht auf die gerichtliche Eignungsprüfung ist unter diesen Umständen dringend abzuraten.
Im Kreditwesengesetz (§37 Abs. 2), Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz (§7 Abs. 3), Kreditzweitmarktgesetz (§ 38 Abs. 3), Kapitalanlagegesetzbuch (§15 Abs. 4) und Versicherungsaufsichtsgesetz (§308 Abs. 5) soll die bestehende Formulierung:
„Der Abwickler ist zum Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmens berechtigt.“
jeweils durch den folgenden Text ergänzt werden:
„Die vorangehende Tätigkeit als Abwickler und die Stellung des Insolvenzantrags durch den Abwickler stellen keine die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters ausschließende Vorbefassung dar. Soll der Abwickler nicht als Insolvenzverwalter bestellt werden, hat das zuständige Insolvenzgericht der Bundesanstalt Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.“
In Abweichung von der bereits zitierten Vorschrift des §56 Abs. 1 Nr. 2 InsO, der in dem Umstand der vorherigen Beratung allein noch keinen Ausschluss der Unabhängigkeit erkennt, wird in der hier vorgeschlagenen Formulierung die Vorbefassung als solche in Abrede gestellt.
Die Stellung eines Insolvenzantrags verstößt als Vorgehen gegen den Träger des verwalteten Vermögens gegen das oben bereits erwähnte Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 BRAO. Die bisher geltende Vorschrift sieht hier eine Berechtigung zur Antragstellung vor stellt damit eine Ausnahme zu § 45 Abs.1 Nr. 2 BRAO dar. Setzt der ehemalige Abwickler seine Tätigkeit nach dem Insolvenzantrag als Insolvenzverwalter fort, so steht seine Vorbefassung außer Frage. Soweit die vorgeschlagene Regelung zur Vorbefassung als erweiterte Ausnahmevorschrift zu § 45 Abs.1 Nr. 2 BRAO gedacht sein sollte, dürfte sie diesen Zweck verfehlen. Eine notwendig restriktive Auslegung würde die Unabhängigkeit nach Vorbefassung als Abwickler nicht pauschal unterstellen können. Stattdessen wäre in jedem Einzelfall zunächst eine gerichtliche Prüfung der Vorbefassung geboten, um Umstände auszuschließen, die einer Bestellung im konkreten Fall entgegenstehen. Wegen der Vielzahl möglicher Fallgestaltungen wird auch eine Umformulierung nach dem Muster des § 56 Abs. 1 Nr.2 InsO nicht in Frage kommen.
In der Praxis wäre die gewählte Formulierung hochproblematisch, weil sie zum Ausschluss der meisten geeigneten Berufsträger führen würde. Sie sollte deshalb ersatzlos gestrichen werden.
Der nachfolgende Hinweis auf die Möglichkeit einer vom Vorschlag der Bundesanstalt abweichenden gerichtlichen Bestellungsentscheidung ist deshalb zu begrüßen. Er indiziert den Fortbestand einer gerichtlichen Eignungsprüfung, die an anderer Stelle (s. o.) offenbar ausgeschlossen werden soll.
V. Fazit
Mit seinen Vorschlägen zur Umgestaltung und Einschränkung von insolvenzgerichtlichen Bestellungsentscheidungen stößt der Referentenentwurf auf erhebliche rechtliche Bedenken. Die entsprechenden Formulierungen sollten im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens kritisch überprüft und eingeschränkt werden, um rechtliche Unsicherheiten möglichst auszuschließen. Dies gilt auch für die Vorschläge zur Verschwiegenheit von SachwalterInnen, die dringend um einen einschränkenden Hinweis auf die Pflicht zur Gläubigerinformation nach § 5 InsO ergänzt werden sollten.
Berlin, 09.09.2025
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Am Zirkus 3
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Der Verband Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands e. V. (VID) begrüßt ausdrücklich die Initiative des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW), mit dem Entwurf des IDW ES 16 einen einheitlichen berufsständischen Standard für die Ausgestaltung der Krisenfrüherkennung (KFE) und des Krisenmanagements nach § 1 StaRUG für die Wirtschaftsprüfer vorzulegen.
Die im Entwurf enthaltenen Ausführungen leisten einen wichtigen Beitrag zur Konkretisierung gesetzlicher Anforderungen.
Gleichwohl sieht der VID in einigen Punkten Klarstellungs- und Präzisierungsbedarf.
II. Übergreifende Anmerkungen
1. Fehlende Mindestvorgaben zu Planungsinhalten
Der Entwurf lässt weitgehend offen, welche Mindestbestandteile eine Unternehmensplanung im Rahmen der Krisenfrüherkennung enthalten muss. Dies birgt die Gefahr, dass Unternehmen die Anforderungen durch eine isolierte Liquiditätsplanung als erfüllt ansehen. Aus Sicht des VID sollte angedeutet werden, dass in vielen Fällen – insbesondere in oder nahe einer Krisensituation – ein weitergehender Planungsansatz erforderlich sein kann, der über eine reine Liquiditätsplanung hinausgeht.
2. Abgrenzung „fortbestandsgefährdende Entwicklung“ und „Insolvenzgrund“
Der Entwurf sollte klarstellen, dass das Vorliegen eines Insolvenzeröffnungsgrundes (§§ 17–19 InsO) nicht zwingend gleichbedeutend mit einer fortbestandsgefährdenden Entwicklung ist, wohl aber regelmäßig eine solche indiziert. Auch Fälle, in denen eine Insolvenz nicht zur Betriebsschließung führt (z. B. Sanierung in Eigenverwaltung), sind in der Definition zu berücksichtigen.
3. Rolle der Überwachungsorgane
§ 1 Abs. 1 Satz 2 StaRUG verpflichtet ausdrücklich zur Information von Überwachungsorganen (Aufsichtsrat, Beirat). Diese Pflicht wird im Entwurf kaum thematisiert. Aus Sicht des VID sollte die Risikokommunikation als Element der Krisenfrüherkennung um klare Vorgaben zur Unterrichtung dieser Organe ergänzt werden.
4. Skalierung für KMU
Der Entwurf sieht für kleinere Unternehmen Erleichterungen vor, bis hin zu einer reinen Liquiditätsplanung. Der VID weist darauf hin, dass auch bei KMU im Regelfall ein weitergehender Planungsansatz angezeigt sein kann, wenn Risikolage oder Komplexität dies gebieten.
5. Haftung der Berater
Nicht schädlich wäre ein Hinweis, unter welchen Voraussetzungen sich der prüfende und der beratende Wirtschaftsprüfer haftbar machen könnte. In Ziffer 5. wird dieser Themenkreis angesprochen, ohne dass er dann in der Folge konkretisiert wird.
III. Einzelanmerkungen zum Entwurf
1. Zu Abschnitt 2 (Grundlagen, Tz. 10–13)
– In Tz. 10 sollte deutlicher hervorgehoben werden, dass in vielen Fällen – insbesondere bei Anzeichen einer Krise – ein Planungsansatz erforderlich ist, der mehr als nur die Liquiditätsplanung umfasst.
2. Zu Abschnitt 3 (Fortbestandsgefährdende Entwicklungen)
– In Tz. 18–23 ist klarzustellen, dass „fortbestandsgefährdend“ nicht mit „insolvenzreif“ gleichzusetzen ist, aber dass Insolvenzeröffnungsgründe typischerweise fortbestandsgefährdend wirken. Beispiele für nicht-insolvenzbedingte Fortbestandsgefährdungen (z. B. regulatorische Eingriffe, Schlüsselverlust von Lizenzen) sollten ergänzt werden.
3. Zu Abschnitt 4.2 (Unternehmensplanung)
– In Tz. 29–34 sollte der Entwurf zumindest anregen, dass Planungen regelmäßig mehr als nur Liquiditätsaspekte enthalten und auch andere wesentliche Parameter berücksichtigen.
4. Zu Abschnitt 4.3 (Prozess der Krisenfrüherkennung)
– In Tz. 48 sollte die Risikokommunikation explizit die Unterrichtung der nach Gesetz oder Satzung bestehenden Überwachungsorgane umfassen.
– In Tz. 50–52 sollte ein Soll-Ist-Abgleich nicht nur für Liquiditätsgrößen, sondern für alle wesentlichen Planungsparameter erfolgen.
5. Zu Abschnitt 6 (Skalierung)
– In Tz. 63–65 sollte klargestellt werden, dass die Skalierung für KMU nicht bedeutet, dass weitergehende Planungen entfallen können, wenn die Unternehmenssituation dies erfordert. Eine isolierte Liquiditätsplanung ist nur in stabilen „Schönwetter“-Phasen ohne Krisenindikatoren vertretbar.
IV. Fazit
Der VID unterstützt die Zielrichtung des IDW ES 16, regt jedoch an, die Anforderungen an die Unternehmensplanung im Rahmen der KFE punktuell zu konkretisieren. Ein Hinweis darauf, dass in vielen Fällen – insbesondere bei erhöhter Risikolage – Planungen über die reine Liquiditätsbetrachtung hinausgehen sollten, würde den Standard praxistauglicher und rechtssicherer machen.
Berlin, 12.08.2025
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Mit der Einführung der elektronischen Akte an den Gerichten der Ziviljustiz verbinden sich immer noch zahlreiche Probleme. Der vorliegende Entwurf führt dazu in seiner Begründung aus:
“Trotz Aktivierung aller Kräfte und Ressourcen der aktenführenden Behörden und Gerichte besteht nach derzeitigem Sachstand auch nach dem 1. Januar 2026 das Risiko des Auftretens etwaiger Digitalisierungslücken in den vorgenannten Verfahren. Um etwaige negative Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und die Durchführung von Verfahren nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz zu vermeiden und den Bürgerinnen und Bürgern weiterhin einen leistungsfähigen Zugang zur Justiz zu gewährleisten, soll dieser Entwurf über den 1. Januar 2026 hinaus bis zum 1. Januar 2027 eine papiergebundene Aktenführung in den vorgenannten Verfahrensarten ermöglichen, ohne jedoch die grundsätzliche Verpflichtung zur elektronischen Aktenführung ab dem 1. Januar 2026 zu suspendieren.”
Die hier eröffnete Flexibilität ist ein Gebot der Stunde. Sie wirft jedoch eine Reihe von Fragen auf, zu denen insbesondere der landesrechtliche Umgang mit der Aktenführung an den Insolvenzgerichten bisher nicht überall überzeugende Antworten gefunden hat.[2]
Im Folgenden sollen dieser Umgang dargestellt und die Probleme insbesondere bei der hybriden Aktenführung im Insolvenzverfahren kurz beleuchtet werden.
II. Zum Referentenentwurf
1. Grundsätzliches
Der Referentenentwurf soll sowohl für die ordentliche Gerichtsbarkeit als auch für die Fachgerichtsbarkeiten neben der bereits erwähnten Verlängerung von Einführungsfristen eine transparente Konzentration der Regelungen zur zulässigen Weiterführung einer Papierakte und Fortführung einer Papierakte in elektronischer Form (Hybridakte) ermöglichen.
Dies soll durch eine Vereinfachung und Konzentration der Regelungssystematik für Ausnahmen von der Pflicht zur elektronischen Aktenführung sowohl in der ordentlichen Gerichtsbarkeit als auch in den Fachgerichtsbarkeiten umgesetzt werden. Dabei soll auf die Notwendigkeit des Erlasses einer Rechtsverordnung oder einer öffentlich bekanntzumachenden Verwaltungsvorschrift für die bereits gesetzlich verankerten Möglichkeiten der elektronischen Weiterführung einer in Papierform angelegten Akte (Hybridaktenführung) sowie der papiermäßigen Weiterführung einer zulässigerweise in Papierform angelegten Akte verzichtet werden.
Eine Reihe von Bundesländern hat bereits entsprechende Rechtsverordnungen erlassen, die auch rechtliche Rahmenbedingungen für die Hybridaktenführung an den Insolvenzgerichten schaffen.
Neben Niedersachsen und Rheinland-Pfalz haben u.a. auch Schleswig-Holstein (Landesverordnung über die elektronische Aktenführung in der Justiz (ElektAktFVO SH)[3] vom 11. März 2019), Brandenburg (Verordnung zur elektronischen Aktenführung bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften (elektronische-Akten-Verordnung – eAktV)[4] vom 30. September 2022), Nordrhein-Westfalen (Verordnung zur elektronischen Aktenführung bei den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit im Land Nordrhein-Westfalen in Zivil- und Familiensachen / eAkten-Verordnung in Zivil- und Familiensachen – eAktVOZivFam)[5] und Bayern (Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr bei den ordentlichen Gerichten /E-Rechtsverkehrsverordnung Justiz – ERVV Ju vom 15. Dezember 2006[6]) entsprechende Regelwerke geschaffen.
2. Tabellen und Verzeichnisse
Zu den im Insolvenzverfahren bedeutsamen und im Einzelfall sehr umfangreichen Tabellen und Verzeichnissen enthält § 5 Abs. 4 Satz 3 und 4 InsO besondere Vorgaben:
“Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung nähere Bestimmungen über die Führung der Tabellen und Verzeichnisse, ihre elektronische Einreichung sowie die elektronische Einreichung der dazugehörigen Dokumente und deren Aufbewahrung zu treffen. Dabei können sie auch Vorgaben für die Datenformate der elektronischen Einreichung machen. Die Landesregierungen können die Ermächtigung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen.”
Die hier nur als Beispiele hervorgehobenen Länder Niedersachsen und Rheinland-Pfalz haben von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht und die Führung von Tabellen und Verzeichnissen gesondert geregelt.
Rheinland-Pfalz regelt in den §§ 6-9 der Landesverordnung über die elektronische Aktenführung bei den Gerichten in Rheinland-Pfalz:
§ 6 Anordnung der maschinellen Tabellenführung
(1) Soweit bei einem Amtsgericht die Insolvenzakten elektronisch geführt werden, sind die Tabellen und Verzeichnisse nach § 5 Abs. 4 der Insolvenzordnung (InsO) maschinell zu führen.
(2) Das für die Angelegenheiten der Rechtspflege zuständige Ministerium kann durch Verwaltungsvorschrift, die im Justizblatt bekanntzumachen ist, anordnen, dass Insolvenzakten, die vor dem 1. Januar 2026 in Papierform angelegt wurden, abweichend von § 1 Abs. 1 Satz 2 ab einem bestimmten Stichtag oder Ereignis in elektronischer Form weitergeführt werden. Die Zulassung der Weiterführung in elektronischer Form kann dabei auf einzelne Gerichte oder auf bestimmte Verfahren beschränkt werden. Soweit die Insolvenzakten nach Satz 2 hybrid geführt werden, sind die Insolvenztabellen und -verzeichnisse in Papierform weiterzuführen.
§ 7 Niederlegung der maschinell geführten Tabelle
Werden die Tabellen und Verzeichnisse bei einem Amtsgericht maschinell geführt, so erfolgt die Niederlegung nach § 175 Abs. 1 Satz 2 InsO durch Speichern einer lesbaren Form der von der Insolvenzverwalterin oder dem Insolvenzverwalter eingereichten Tabelle einschließlich der dazugehörigen Dokumente in der elektronischen Akte.
Werden Tabellen maschinell geführt, so hat das Insolvenzgericht für die Eintragung nach § 178 Abs. 2 Satz 1 InsO Rang und laufende Nummer der jeweiligen Forderung in einer Textdatei aufzulisten. Die Textdatei ist mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen. Berichtigungen von Tabellen sind gesondert qualifiziert elektronisch zu signieren. Die qualifizierte elektronische Signatur ist unverzüglich zu validieren. Die Validierung ist durch ein Signaturprüfprotokoll zu dokumentieren. Die Textdatei, die Signaturdatei und das Signaturprüfprotokoll werden Bestandteile der maschinell geführten Tabelle.
§ 9 Unveränderlichkeit
Es ist sicherzustellen, dass die Tabelle nach dem Signieren nach § 8 auf Dauer inhaltlich unverändert in lesbarer Form wiedergegeben werden kann.
Niedersachsen regelt in der Verordnung über die maschinelle Führung und die elektronische Einreichung der Tabellen nach § 175 Abs. 1 der Insolvenzordnung (Nds. InsOeTabVO):
§ 2 Einführung des maschinellen Führens der Tabellen
Bei den in der Anlage 1 bezeichneten Amtsgerichten werden die Tabellen nach § 175 Abs. 1 InsO in Verfahren, die ab dem in der Anlage 1 angegebenen Zeitpunkt eröffnet werden, maschinell geführt.
§ 3 Elektronische Einreichung der Tabellen und der dazugehörigen Dokumente
(1) Werden die Tabellen bei einem Amtsgericht maschinell geführt, so haben die Insolvenzverwalterinnen und Insolvenzverwalter die Tabellen gemäß der „Schnittstellenbeschreibung für die Datenübernahme von Insolvenzverwalterinnen und Insolvenzverwaltern in gerichtliche Systeme“ nach der Anlage 2 und die dazugehörigen Dokumente elektronisch wie folgt einzureichen:
auf einem sicheren Übermittlungsweg nach § 130 a Abs. 4 der Zivilprozessordnung oder
an das für den Empfang elektronischer Dokumente eingerichtete Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach des Gerichts über eine Anwendung, die auf OSCI oder einem diesen ersetzenden, dem jeweiligen Stand der Technik entsprechenden Protokollstandard beruht.
Bei einer Übermittlung nach Satz 1 Nr. 2 müssen die Tabellen mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sein.
(2) Für die Übermittlung nach Absatz 1 hat die Insolvenzverwalterin oder der Insolvenzverwalter die angemeldeten Forderungen nach der Reihenfolge ihres Ranges und der laufenden Nummer, die nach der Schnittstellenbeschreibung nach der Anlage 2 zu vergeben ist, zu sortieren. Die Forderungen gleichen Ranges sind in einem elektronischen Dokument im Dateiformat PDF wiederzugeben. Jede Forderung ist in dem elektronischen Dokument mit der laufenden Nummer zu versehen und mit einem elektronischen Lesezeichen zu markieren. Für den Fall, dass mehrere Forderungen dieselbe laufende Nummer haben, ist die Forderung in dem elektronischen Dokument zudem mit einer Unternummer zu versehen. Unternummer sind fortlaufend anhand der Reihenfolge der Nummern der Forderungen nach Feldnummer 2 der Entität „Forderungsanmeldung“ in der Schnittstellenbeschreibung nach der Anlage 2 zu vergeben. Das Lesezeichen hat den Rang, die laufende Nummer und die Unternummer wiederzugeben und muss auf jeder Seite des elektronischen Dokuments rechts am oberen Dokumentenrand sichtbar sein. Das Dokument ist mit einem Dateinamen zu versehen, der den Rang sowie die erste und die letzte laufende Nummer der in dem elektronischen Dokument wiedergegebenen Forderungen zu beinhalten hat. 8 Abweichend von Satz 2 sind die angemeldeten Forderungen eines Ranges in mehreren elektronischen Dokumenten wiederzugeben, wenn das Datenvolumen des elektronischen Dokuments sonst die technische Höchstgrenze für die Einreichung bei dem Amtsgericht überschreitet.
(3) Gehen bei der Insolvenzverwalterin oder dem Insolvenzverwalter die zu den Tabellen gehörenden Dokumente in Papierform ein, so hat sie oder er diese in ein elektronisches Dokument zu übertragen. Die Dokumente sind dazu in schwarz-weiß mit einer Auflösung von mindestens 200 dpi und höchstens 300 dpi und der Kompression Fax Gruppe 4 zu scannen. Ist das Dokument mit dieser Auflösung nicht lesbar, so ist eine höhere Auflösung zu wählen. Die Dokumente in Papierform sind ebenfalls beim Insolvenzgericht einzureichen.
§ 4 Ersatzeinreichung
Ist eine elektronische Einreichung nach § 3 Abs. 1 aus Gründen, die die Insolvenzverwalterin oder der Insolvenzverwalter nicht zu vertreten hat, nicht möglich, so können die Tabellen und die dazugehörigen Dokumente auf einem Datenträger bei dem Gericht eingereicht werden. Die Unmöglichkeit der elektronischen Einreichung ist darzulegen.
§ 5 Niederlegung der maschinell geführten Tabelle
Bei maschinell geführten Tabellen erfolgt die Niederlegung nach § 175 Abs. 1 Satz 2 InsO durch Speichern einer lesbaren Form der von der Insolvenzverwalterin oder dem Insolvenzverwalter nach § 3 Abs. 1 Satz 1 eingereichten Tabelle einschließlich der dazugehörigen Dokumente in der elektronischen Akte. Wird eine elektronische Akte nicht geführt, so ist die Tabelle einschließlich der dazugehörigen Dokumente auszudrucken und nach § 175 Abs. 1 Satz 2 InsO niederzulegen.
Werden Tabellen maschinell geführt, so hat das Insolvenzgericht für die Eintragung nach § 178 Abs. 2 Satz 1 InsO Rang und laufende Nummer der Forderungen in einer Textdatei aufzulisten. Die Textdatei ist mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen. Berichtigungen von Tabellen sind gesondert qualifiziert elektronisch zu signieren. Die qualifizierte elektronische Signatur ist unverzüglich zu validieren. 5Die Validierung ist durch ein Signaturprüfprotokoll zu dokumentieren. 6 Die Textdatei, die Signaturdatei und das Signaturprüfprotokoll werden Bestandteil der maschinell geführten Tabelle.
§ 7 Unveränderlichkeit
Es ist sicherzustellen, dass die Tabelle nach dem Signieren nach § 6 auf Dauer inhaltlich unverändert in lesbarer Form wiedergegeben werden kann.
§ 8 Übergangsregelung
Insolvenzverwalterinnen und Insolvenzverwalter können in Verfahren, die vor dem 1. April 2025 eröffnet werden, an Amtsgerichten, bei denen die Tabellen maschinell geführt werden, die zur Tabelle gehörenden Dokumente abweichend von § 3 Abs. 1 Satz 1 in Papierform einreichen, wenn sie dies dem Insolvenzgericht zuvor in Textform mitgeteilt haben.
Diese Beispiele belegen die umfangreichen und in ihrer Regelungsdichte sowie einer Reihe von Details voneinander abweichenden Landesvorschriften zur hybriden Führung von Tabellen und Verzeichnissen.
3. Vereinfachung und Konzentration der Regelungssystematik für Ausnahmen von der Pflicht zur elektronischen Aktenführung
Die durch den RefE angestrebte Vereinfachung und Konzentration der Regelungssystematik für Ausnahmen von der Pflicht zur elektronischen Aktenführung ist vor diesem Hintergrund zu begrüßen.
Den Ländern soll mit der vorgeschlagenen Neufassung von § 43 Abs. 2 EGZPO die Möglichkeit eröffnet werden, jeweils für ihren Bereich durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass Akten abweichend von § 298a Abs. 1a ZPO bis einschließlich 31. Dezember 2026 in Papierform angelegt sowie Akten, die elektronisch angelegt wurden, bis zu diesem Zeitpunkt in Papierform weitergeführt werden. Die Bestimmung kann auf einzelne Gerichte oder Verfahren beschränkt werden Wird von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, kann in der Rechtsverordnung bestimmt werden, dass durch Verwaltungsvorschrift, die öffentlich bekanntzumachen ist, geregelt wird, in welchen Verfahren Akten in Papierform angelegt oder elektronisch angelegte Akten in Papierform weitergeführt werden.
Die spezialgesetzliche Ermächtigung des § 5 Abs. 4 InsO ist vom Regelungsbereich des Referentenentwurfs ausgenommen. Die bis zum 1. Januar 2027 befristete „Opt-out“-Lösung für die Länder in Zivilverfahren bleibt damit im Insolvenzverfahren unbefristet obwohl dort die sehr heterogenen Regelwerke zur Führung von Tabellen und Verzeichnissen in Insolvenzverfahren dem erklärten Ziel einer Vereinfachung der bestehenden Regelungen für die Aktenführung entgegenstehen.
III. Fazit
Der Referentenentwurf unternimmt einen wichtigen Schritt zur Vereinfachung und Konzentration der Regelungssystematik für Ausnahmen von der Pflicht zur elektronischen Aktenführung in der Zivilgerichtsbarkeit. Leider bleibt die Insolvenzgerichtsbarkeit von diesem Schritt ausgenommen. Dies ist mit Blick auf die dort bereits existierenden Unterschiede und Eigenheiten, die bis auf die Gerichtsebene reichen und sogar innerhalb von Gerichten anzutreffen sind, eine unverständliche Ausnahme. Der VID empfiehlt deshalb auch für die spezialgesetzliche Ermächtigung in § 5 Abs. 4 InsO eine Befristung landesrechtlicher Ausnahmeregeln zur hybriden Aktenführung bei Tabellen und Verzeichnissen. Eine Einschränkung ist in diesem Bereich auch schon durch Art. 28 der Richtlinie (EU) 2017/1132 über Restrukturierung und Insolvenz angezeigt, der den Mitgliedstaaten bei Mitteilungen an Gläubiger (wie etwa der Erteilung eines Tabellenauszugs) den Einsatz elektronischer Kommunikationsmittel vorschreibt.
Berlin, 31.07.2025
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Verband Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands e.V. (VID)
Am Zirkus 3
10117 Berlin
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[2] Vgl. Stellungnahme des VID zur Landesverordnung über den elektronischen Rechtsverkehr und die elektronische Aktenführung (Rheinland-Pfalz), abrufbar unter: https://www.vid.de/stellungnahmen/e-justizvo-rp/ und die Stellungnahme des VID zum Entwurf einer Verordnung über die Einreichung und Führung der Tabellen über die angemeldeten Forderungen gemäß § 175 Insolvenzordnung in maschineller Form, abrufbar unter: https://www.vid.de/stellungnahmen/nminsotabvo/, jeweils m. w. N. (zuletzt gesehen: 27.07.2025).
[4] Verordnung zur elektronischen Aktenführung bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften (elektronische-Akten-Verordnung – eAktV) (Brandenburg), abrufbar unter: https://bravors.brandenburg.de/verordnungen/eaktv (zuletzt gesehen: 27.07.2025).
[5]Verordnung zur elektronischen Aktenführung bei den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit im Land Nordrhein-Westfalen in Zivil- und Familiensachen / eAkten-Verordnung in Zivil- und Familiensachen – eAktVOZivFam, abrufbar unter: https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_bes_text (zuletzt gesehen: 27.07.2025).
[6]Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr bei den ordentlichen Gerichten (E-Rechtsverkehrsverordnung Justiz – ERVV Ju) Vom 15. Dezember 2006 (GVBl. S. 1084) BayRS 31-1-1-J (§§ 1–26), abrufbar unter: https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayERVV (zuletzt gesehen: 27.07.2025).
Der vorliegende Referentenentwurf formuliert das Ziel, die Anzahl der Aufträge und Anträge bei den Vollstreckungsorganen in hybrider Form, die seit dem 1. Januar 2022 stark zugenommen hat, deutlich zu verringern.
Dieses Ziel ist mit Blick auf die hierdurch zu erwartenden Effizienzsteigerungen ausdrücklich zu begrüßen.
Allerdings ist unverständlich, warum die erkannten Nachteile der hybriden Form nur im Rechtsverkehr mit den Gerichtsvollziehern und nicht gleichzeitig auch im Bereich der Insolvenzverfahren behoben werden.
II. Die hybride Forderungsanmeldung nach § 174 InsO
In § 174 Abs. 1 InsO werden Insolvenzgläubiger dazu verpflichtet, ihre Forderungen schriftlich beim Insolvenzverwalter anzumelden. Der Anmeldung sollen die Urkunden, aus denen sich die Forderung ergibt, in Abdruck beigefügt werden. Zur Vertretung des Gläubigers sind dabei auch Personen befugt, die Inkassodienstleistungen erbringen (registrierte Personen nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Rechtsdienstleistungsgesetzes).
Nach § 174 Abs. 4 InsO kann die Anmeldung durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments erfolgen; der Insolvenzverwalter kann einen gängigen elektronischen Übermittlungsweg sowie ein gängiges Dateiformat vorgeben. Der Insolvenzverwalter muss daneben einen sicheren Übermittlungsweg im Sinne des § 130a der Zivilprozessordnung für die Übermittlung anbieten[1]. Als Urkunde im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 kann in diesen Fällen auch eine elektronische Rechnung übermittelt werden. Auf Verlangen des Insolvenzverwalters oder des Insolvenzgerichts sind Ausdrucke, Abschriften oder Originale von Urkunden einzureichen.
Diese gesetzlichen Rahmenbedingungen führen aktuell zu erheblichen praktischen Problemen, die in der Literatur bereits ausführlich beschrieben sind[2] und deren Bewältigung auch den Rechtsverkehr mit den Insolvenzgerichten belastet.[3] Dies hat insbesondere im Zusammenhang mit der Einführung elektronischer Gerichtsakten zu einer Reihe von landesgesetzlichen Sonderregeln für Insolvenzgerichte geführt.[4]
In der Praxis der Insolvenzverwaltung führt § 174 Abs. 4 InsO zu einer Verschärfung dieser Probleme, weil der Insolvenzverwalter einerseits dazu verpflichtet ist, zumindest einen sicheren Übermittlungsweg im Sinne des § 130a ZPO anzubieten, andererseits aber keinen Insolvenzgläubiger auf die Nutzung dieses (oder eines anderen) elektronischen Übermittlungswegs verweisen kann. § 174 Abs. 1 Satz 2 i. v. m. Abs. 4 Satz 4 InsO indiziert, der entsprechende Verlangen nach Ausdrucken, Abschriften oder Originalen von Urkunden zulässt, motiviert weiter die Papierform.
1. Die überzeugende Lösung des Referentenentwurfs für die Zwangsvollstreckung
Diese Rechtslage steht im Gegensatz zu der im Referentenentwurf entwickelten Lösung für die weitere Digitalisierung in der Zwangsvollstreckung.
Hier wird das Kernproblem gleich zu Beginn der Begründung des Referentenentwurfs angesprochen:
“Seit dem 1. Januar 2022 hat sich die Anzahl der Aufträge und Anträge in hybrider Form bei den Vollstreckungsorganen stark erhöht: Einerseits sind seitdem Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts verpflichtet, zumindest Anträge an Vollstreckungsgerichte als elektronische Dokumente zu übermitteln; es ist außerdem davon auszugehen, dass sie aus Effizienzgründen auch Vollstreckungsaufträge an Gerichtsvollzieher auf diesem Weg übermitteln (vergleiche dazu die Begründung zu Artikel 1 Nummer 4 Buchstabe c, dort § 753 Absatz 4 Satz 1 ZPO-E). Andererseits wird die vollstreckbare Ausfertigung, die die Grundlage für die Vollstreckung ist, ausschließlich in Papierform erteilt und muss grundsätzlich auch in Papierform vorgelegt werden. Dies führt dazu, dass die Ausfertigung dem Vollstreckungsauftrag beim Gerichtsvollzieher beziehungsweise dem Antrag beim Vollstreckungsgericht erst zugeordnet werden muss. Die Zuordnung kostet Zeit und birgt die Gefahr des Verlusts der Ausfertigung.”
Die Lösung wird dort im Anschluss formuliert:
“Um die Anzahl der Aufträge und Anträge in hybrider Form zu reduzieren, soll der Anwendungsbereich der §§ 754a und 829a ZPO erweitert werden. Dadurch soll in weiterem Umfang als bisher erlaubt werden, anstatt der vollstreckbaren Ausfertigung und anderer Schriftstücke als elektronische Dokumente an das Vollstreckungsorgan zu übermitteln. In den §§ 754, 755, 757 und 802a der Zivilprozessordnung in der Entwurfsfassung (ZPO-E) soll geregelt werden, dass für die dort genannten Befugnisse und Pflichten des Gerichtsvollziehers die Übermittlung einer elektronischen Kopie der vollstreckbaren Ausfertigung an den Gerichtsvollzieher ausreicht, sofern er diese der Ausführung seines Vollstreckungsauftrages noch zugrunde legen darf.”
Auch wenn Satz 2 der vorstehenden Begründung in seiner Aussage unklar bleibt, so ist doch die angestrebte Lösung klar. Die in den §§ 754a und 829a ZPO angesprochene Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid, der keiner Vollstreckungsklausel bedarf, macht schon heute die Übermittlung der Ausfertigung des Vollstreckungsbescheids entbehrlich. Die Ausweitung durch die Neufassung der beiden Vorschriften ist zu begrüßen, weil sie künftig bei einem elektronischen Vollstreckungsauftrag an den Gerichtsvollzieher wegen Geldforderungen, der bislang die Übergabe oder die Vorlage
der Ausfertigung des Vollstreckungstitels,
der Vollstreckungsklausel oder
weiterer Urkunden zum Nachweis der Vollstreckungsvoraussetzungen
notwendig macht, die Möglichkeit schafft, die Schriftstücke in elektronische Dokumente zu übertragen und diese dem Gerichtsvollzieher zu übermitteln.
Diese klare und verständliche Regelung ersetzt die bisher in den §§ 754a und 829a ZPO aufgezählten Fallkonstellationen und trägt damit wesentlich zur Vereinfachung bei.
2. Dringender Bedarf für eine ähnliche Vereinfachung der Forderungsanmeldung in Insolvenzverfahren
Im Gegensatz zu der Lösung des Referentenentwurfs ist die Situation in Insolvenzverfahren aufgrund der Formulierung in § 174 Abs. 4 InsO bis heute geprägt von einer Vielzahl unterschiedlicher und teilweise sehr aufwendiger Hybridlösungen. Jedes Insolvenzgericht kann dabei eigene Anforderungen formulieren, die teilweise auch innerhalb des Gerichts nicht einheitlich gestellt oder gehandhabt werden. Die bereits erwähnten landesspezifischen Regelungen zur elektronischen Aktenführung stehen solchen Anforderungen nicht entgegen, sondern versuchen lediglich, den allgemeinen Anspruch einer elektronischen Aktenführung in möglichst schonender Weise mit dieser heterogenen Praxis in Einklang zu bringen.[5] Im Ergebnis führt diese Praxis zu erheblichem Mehraufwand bei Gläubigern, Insolvenzverwaltern und Insolvenzgerichten, dem keine entsprechenden Vorteile bei Rechtsklarheit, Transparenz oder Rechtssicherheit gegenüberstehen.
Die nach § 174 Abs. 4 Satz 4 InsO einzureichenden Ausdrucke, Abschriften oder Originale von Urkunden könnten nach dem Vorbild der vorgestellten Neufassungen von § 754a und § 829a ZPO ebenfalls in elektronische Dokumente übertragen und dem Insolvenzverwalter sowie dem Insolvenzgericht übermittelt werden.
Für Zweifelsfälle bietet sich eine Lösung an, wie sie der neu gefasste § 754a Abs.2 ZPO vorschlägt:
“Kann der Gerichtsvollzieher anhand der übermittelten elektronischen Dokumente nicht zweifelsfrei feststellen, dass die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung vorliegen, teilt er dies dem Auftraggeber mit und fordert die für die zweifelsfreie Feststellung erforderlichen Dokumente als elektronische Dokumente oder als Schriftstücke an.”
Der neue § 754a Abs.3 ZPO ergänzt dazu:
“Übermittelt der Auftraggeber Schriftstücke nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 3 als elektronische Dokumente, so hat er dem Gerichtsvollzieher zu versichern, dass
die übermittelten elektronischen Dokumente jeweils bildlich und inhaltlich mit den Schriftstücken übereinstimmen und
die Forderung in Höhe des Vollstreckungsauftrags noch besteht.
Die Versicherung ist in Textform zu übermitteln.”
Die so durch eine persönliche Zusicherung abgesicherte Nutzung elektronischer Dokumente bietet neben Effizienzgewinnen auch Vorteile im Bereich der Rechtssicherheit.
Zuletzt soll § 753 Absatz 4 Satz 1 durch den folgenden Satz ersetzt werden:
„Andere als die in § 754a Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 3 genannten Dokumente sind dem Gerichtsvollzieher als elektronische Dokumente zu übermitteln, wenn sie durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde, durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse oder durch einen der in § 79 Absatz 2 Satz 2 Nummer 4 Genannten eingereicht werden.“
Die Vorschrift des § 753 Abs. 4 Satz 1 ZPO beschreibt bisher die hier genannten Dokumente als
“schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Parteien sowie schriftlich einzureichende Auskünfte, Aussagen, Gutachten, Übersetzungen und Erklärungen Dritter”.
Die nun formulierte Pflicht zur elektronischen Übermittlung wäre für den aufgeführten Kreis der Verpflichteten auch im Insolvenzverfahren sinnvoll.
3. Erweiterung auf Inkassodienstleister und Kreditdienstleistungsinstitute
Mit dem neuen § 752b ZPO sollen auch Inkassodienstleister und Kreditdienstleistungsinstitute mit einer Erlaubnis nach § 10 Absatz 1 des Kreditzweitmarktgesetzes einer Pflicht zur elektronischen Übermittlung unterworfen werden.
Diese sinnvolle Erweiterung, die einer in der Praxis der Genannten bereits jetzt häufig anzutreffenden Übermittlungsart entspricht, sollte auch für das Insolvenzverfahren erwogen werden. Dort sind Inkassodienstleister (registrierte Personen nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Rechtsdienstleistungsgesetzes) nach § 174 Abs. 1 Satz 3 InsO zur Vertretung des Gläubigers im Verfahren befugt. Sie könnten deshalb auch im Insolvenzverfahren zur elektronischen Übermittlung verpflichtet werden.
III. Fazit
Der Referentenentwurf stellt einen wichtigen und sinnvollen Schritt zur Verringerung bislang hybrid geführter Verfahren in der Zwangsvollstreckung dar.[6] Dieser Schritt wäre auch im Bereich der Insolvenzverfahren dringend notwendig, um hybride Forderungsanmeldungen auf ein möglichst geringes Maß zu reduzieren.
Berlin, 31.07.2025
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[1] Zur Kritik an dieser Formulierung s. Stellungnahme des VID zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur weiteren Digitalisierung der Justiz (BT-Drucksache 20/10943), (https://www.vid.de/stellungnahmen/refe-eines-gesetzes-zur-weiteren-digitalisierung-der-justiz/ (zuletzt abrufen am: 31.07.2025).
[2] Zum Streitstand der Frage einer etwaigen Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs bei der Forderungsanmeldung/Anmeldung über Gläubigerinformationssysteme Kollbach in ZInsO 2023, 723 ff. (727), der sich kritisch mit dem Beitrag von Deppe/Radschuwait, InsbürO 2022, 378 ff. auseinandersetzt.
[3] Vgl. hierzu ebenfalls die Stellungnahme des VID zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur weiteren Digitalisierung der Justiz (BT-Drucksache 20/10943).
[4] Vgl. hierzu die Stellungnahmen des VID zur Landesverordnung über den elektronischen Rechtsverkehr und die elektronische Aktenführung, eJustizVO RP. (Rheinland-Pfalz), (abrufbar unter: https://www.vid.de/wp-content/uploads/2025/03/VID-StN-eJustizVORP.pdf, Stand 31.07.2025); Weiterhin die Stellungnahme des VID zum Entwurf einer Verordnung über die Einreichung und Führung der Tabellen über die angemeldeten Forderungen gemäß § 175 Insolvenzordnung in maschineller Form (Niedersachsen), (abrufbar unter: https://www.vid.de/stellungnahmen/nminsotabvo/, Stand 31.07.2025).
[6] Zum Ziel Nr. 16 der Agenda 2030 für leistungsfähige und transparente Institutionen, RefE des BMJV zum Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Zwangsvollstreckung, S. 2.
Mit dem Referentenentwurf sollen insbesondere Änderungen im Bürgerlichen Gesetzbuch sowie im Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch umgesetzt werden.
Im Erwägungsgrund 13 der Richtline wird zur Umsetzung ausgeführt:
„Eine vollständige Harmonisierung ist notwendig, um allen Verbrauchern in der Union ein hohes und vergleichbares Maß an Schutz ihrer Interessen zu gewährleisten und um einen gut funktionierenden Binnenmarkt zu schaffen. Vorbehaltlich gegenteiliger Bestimmungen dieser Richtlinie, sollte es den Mitgliedstaaten deshalb nicht erlaubt sein, von dieser Richtlinie abweichende nationale Bestimmungen beizubehalten oder einzuführen.“
Vor dem Hintergrund dieses Vollharmonisierungsansatzes kommt der Umsetzung dort besondere Bedeutung zu, wo einzelne Umsetzungsmaßnahmen mit anderen Regelwerken des nationalen Rechts in einer Wechselwirkung verbunden sind oder mit diesen konkurrieren. Dieser Aspekt soll im Nachstehenden für die Beziehung mit dem Insolvenzrecht deutlich gemacht werden.
B. Nachsicht
I. Regelungsvorgaben der Richtlinie
Mit einem neu geschaffenen § 497a Abs. 2 BGB soll eine Pflicht des Kreditgebers zur Nachsicht geschaffen werden. Diese Pflicht tritt neben die in § 497a Abs. 1 BGB ebenfalls neu geschaffene Pflicht den Kreditnehmer, der Schwierigkeiten bei der Erfüllung seiner finanziellen Verpflichtungen hat, an Schuldnerberatungsdienste nach dem Gesetz über den Zugang zu Schuldnerberatungsdiensten für Verbraucher zu verweisen, die für den Darlehensnehmer leicht zugänglich sind.
Zu der neuen Verpflichtung führt Erwägungsgrund 79 der Richtlinie aus:
„Angesichts der erheblichen Folgen des Zwangsvollstreckungsverfahrens für Kreditgeber und Verbraucher und möglicherweise für die Finanzstabilität ist es notwendig, dass Kreditgeber ein entstehendes Kreditrisiko proaktiv in einem frühen Stadium angehen und die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass sie je nach Sachlage angemessene Nachsicht walten lassen, bevor ein Zwangsvollstreckungsverfahren eingeleitet wird. Bei der Entscheidung darüber, ob es angezeigt ist, Nachsichtsmaßnahmen zu ergreifen, oder ob es gerechtfertigt ist, sie wiederholt anzubieten, sollte der Kreditgeber unter anderem den individuellen Umständen des Verbrauchers wie etwa seinen Interessen und Rechten, seiner Fähigkeit zur Rückzahlung des Kredits und seinem angemessenen Bedarf zur Deckung seiner Lebenshaltungskosten Rechnung tragen, und der Kreditgeber sollte die Kosten für den Verbraucher im Falle eines Zahlungsausfalls begrenzen. Insbesondere wenn der Verbraucher auf das Angebot des Kreditgebers innerhalb einer angemessenen Frist nicht reagiert, sollte der Kreditgeber nicht verpflichtet sein, wiederholt Nachsichtsmaßnahmen anzubieten.“
Zu ihrem Inhalt ergänzt Erwägungsgrund 80 der Richtlinie:
„Werden Nachsichtsmaßnahmen für angezeigt erachtet, so sollten sie eine Änderung der Bedingungen des ursprünglichen Kreditvertrags umfassen und könnten unter anderem eine vollständige oder anteilige Umschuldung eines Kreditvertrags umfassen. Die Änderung dieser Bedingungen könnte unter anderem Folgendes umfassen: Verlängerung der Laufzeit des Kreditvertrags, Änderung der Art des Kreditvertrags, Zahlungsaufschub für alle oder einen Teil der Rückzahlungsraten in einem bestimmten Zeitraum, Herabsetzung des Sollzinssatzes, Angebot einer Zahlungsunterbrechung, Teilrückzahlungen, Währungsumrechnung sowie Teilerlass und Schuldenkonsolidierung.“
II. Umsetzung durch § 497a Abs. 2 BGB (neu)
Die Vorschrift des § 497a Abs. 2 BGB (neu) übernimmt diese Vorgaben für das deutsche Recht:
Der Darlehensgeber muss, sofern angebracht, angemessene Nachsicht walten lassen, bevor er ein Zwangsvollstreckungsverfahren zur Durchsetzung seiner Ansprüche im Zusammenhang mit einem Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag einleitet. Die gegebenenfalls zu ergreifenden Maßnahmen der Nachsicht müssen unter anderem den individuellen Umständen des jeweiligen Darlehensnehmers Rechnung tragen. Sie können unter anderem aus einer vollständigen oder anteiligen Umschuldung des Darlehens bestehen und umfassen eine Änderung der Bedingungen des Darlehensvertrags, die unter anderem Folgendes umfassen kann:
eine Verlängerung der Laufzeit des Darlehensvertrags,
eine Änderung der Art des Darlehensvertrags,
einen Zahlungsaufschub für alle oder einen Teil der Rückzahlungsraten in einem
bestimmten Zeitraum,
eine Herabsetzung des Sollzinssatzes,
ein Angebot einer Zahlungsunterbrechung,
Teilrückzahlungen,
Währungsumrechnungen,
einen Teilerlass und eine Schuldenkonsolidierung.
In der Begründung zu § 497a Abs.2 BGB (neu) führt der Referentenentwurf aus:
„§ 497a Absatz 2 BGB-neu dient der Umsetzung von Artikel 35 Absatz 1 der Verbraucherkredit-RL-neu und schreibt vor, dass Darlehensgeber bei Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen vor der Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen verpflichtet sind, zugunsten des Darlehensnehmers angemessene Nachsicht walten zu lassen, wenn es nach der Sachlage angezeigt ist. Die Verpflichtung zur Ergreifung von Nachsichtsmaßnahmen lässt das geltende Zwangsvollstreckungsrecht unberührt. Die Umsetzung entspricht grundsätzlich den bisher bereits in § 18a Absatz 8b KWG bestehenden aufsichtsrechtlichen Vorgaben, allerdings mit dem Unterschied, dass nunmehr auch ein Anspruch des Darlehensnehmers auf etwaige angemessene Nachsicht begründet wird. Daher ist eine zivilrechtliche Regelung erforderlich. Der Wortlaut der Richtlinienvorgabe hat sich insofern im Vergleich zur Verbraucherkredit-RL-alt in der Fassung, die durch die Richtlinie (EU) 2021/2167 in der Fassung vom 24. November 2021 (vgl. ABl. L 438 vom 8.12.2021, S. 1) erhalten hat, verändert. Dem ist im deutschen Umsetzungsrecht Rechnung zu tragen.
Bei der Entscheidung, ob und welche Maßnahmen der Nachsicht ergriffen werden, hat der Darlehensgeber die individuellen Umstände des Darlehensnehmers, seine Interessen und Rechte, seine Fähigkeit zur Rückzahlung des Darlehens sowie seinen angemessenen Bedarf zur Deckung seiner Lebenshaltungskosten zu berücksichtigen. Grundsätzlich können alle denkbaren Maßnahmen ergriffen werden, unter anderem auch die explizit erwähnte vollständige oder anteilige Umschuldung des Darlehens. Nach der Vorgabe aus der Verbraucherkredit-RL-neu ist dabei zumindest eine Änderung des Darlehensvertrags erforderlich. Änderungen können konkret etwa die in § 497a Absatz 2 Satz 3 Nummern 1 bis 8 BGB-neu einzeln aufgelisteten vertraglichen Maßnahmen umfassen. Diese Maßnahmen entsprechen grundsätzlich den aufsichtsrechtlichen Vorgaben, die bereits in § 18a Absatz 8b KWG aufgeführt sind. Hierdurch wird Artikel 35 Absatz 1 Unterabsatz 3 Buchstabe b der Verbraucherkredit-RL-neu umgesetzt.
Es steht den Vertragsparteien außerdem – wie schon bisher – frei, zu vereinbaren, dass die Übertragung von Waren, die Gegenstand eines verbundenen Darlehensvertrags sind, oder die Weiterleitung des Erlöses aus der Veräußerung solcher Waren an den Darlehensgeber für die Rückzahlung des Darlehens ausreicht. Eine ausdrückliche Umsetzung des Artikels 35 Absatz 5 der Verbraucherkredit-RL-neu ist daher nicht erforderlich.“
§ 497 a Abs. 4 BGB (neu) schränkt die neue Verpflichtung bei Wiederholungsfällen ein:
„Der Darlehensgeber ist, außer in begründeten Fällen, nicht verpflichtet, wiederholt Maßnahmen der Nachsicht nach Absatz 2 anzubieten.“
Die Begründung von § 497a Abs.4 BGB (neu) erläutert hierzu:
„§ 497a Absatz 4 BGB-neu setzt Artikel 35 Absatz 1 Unterabsatz 1 Satz 3 der Verbraucherkredit-RL-neu um und bestimmt, dass Darlehensgeber nur in begründeten Fällen verpflichtet sind, wiederholt Maßnahmen nach § 497a Absatz 2 BGB-neu anzubieten. Insbesondere wenn der Darlehensnehmer auf das Angebot des Darlehensgebers nicht innerhalb einer angemessenen Frist reagiert, ist der Darlehensgeber nicht verpflichtet, erneut entsprechende Maßnahmen anzubieten.
Bei der Prüfung, ob es gerechtfertigt ist, eine wiederholte Maßnahme anzubieten, ist unter anderem den individuellen Umständen des Darlehensnehmers Rechnung zu tragen. Grundsätzlich kann dabei auch zu berücksichtigen sein, wie viel Zeit seit einem Angebot von Maßnahmen nach § 497a Absatz 2 BGB-neu vergangen ist. Je mehr Zeit vergangen ist, desto eher kann im Einzelfall auch ein erneutes Angebot erforderlich sein.“
C. Verhältnis der Nachsichtsmaßnahme zum außergerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahren
Diese Verpflichtung zur Nachsicht wirft mit Blick auf § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO eine Reihe von Fragen auf. Dort wird eine Pflicht des Schuldners zur Vorlage einer Bescheinigung formuliert, die von einer geeigneten Person oder Stelle auf der Grundlage persönlicher Beratung und eingehender Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Schuldners ausgestellt ist und aus der sich ergibt, dass eine außergerichtliche Einigung mit den Gläubigern über die Schuldenbereinigung auf der Grundlage eines Plans innerhalb der letzten sechs Monate vor dem Eröffnungsantrag erfolglos versucht worden ist.
Dieses außergerichtliche Schuldenbereinigungsverfahren wird ergänzt durch die gesetzliche Vermutung des § 305a InsO, nach der ein Versuch, eine außergerichtliche Einigung mit den Gläubigern über die Schuldenbereinigung herbeizuführen, als gescheitert gilt, wenn ein Gläubiger die Zwangsvollstreckung betreibt, nachdem die Verhandlungen über die außergerichtliche Schuldenbereinigung aufgenommen wurden.
Nach dem Willen des Entwurfsverfassers kann und soll dem außergerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahren künftig eine Nachsichtmaßnahme vorausgehen. § 498 Abs.1 Satz 3 BGB (neu) verpflichtet den Kreditgeber dazu, die Nachsichtsmaßnahme spätestens mit der Fristsetzung anzubieten.
Damit stellt sich die Frage, welche Wirkungen ein durchgeführtes Nachsichtverfahren auf das spätere Schuldenbereinigungsverfahren haben soll. Die Begründung zu Nummer 18 (§ 498 BGB-neu) führt in diesem Zusammenhang aus:
„Der neue, zusätzliche Satz 3 in § 498 Absatz 1 BGB-neu regelt, dass der Darlehensgeber etwaige nach § 497a Absatz 2 BGB-neu erforderliche Nachsichtsmaßnahmen dem Darlehensnehmer im Falle einer Gesamtfälligstellung bei Teilzahlungsdarlehen spätestens zum Zeitpunkt der Fristsetzung nach § 498 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 BGB anzubieten hat. Im Rahmen dieses Rechtsgrundverweises auf § 497a Absatz 2 BGB-neu gelten auch die Ausnahmen gemäß § 497a Absatz 3 und 4 BGB-neu entsprechend. Daher gilt insbesondere, dass der Darlehensgeber nur in begründeten Fällen verpflichtet ist, wiederholt Maßnahmen nach § 497a Absatz 2 BGB-neu anzubieten. Sofern der Darlehensgeber daher im Rahmen der hiesigen Vorgabe Nachsichtsmaßnahmen anbietet, ist er gegebenenfalls nicht verpflichtet, im Rahmen einer anschließend rechtswirksam erklärten Kündigung oder auch vor einer anschließenden Zwangsvollstreckung erneut entsprechende Nachsichtsmaßnahmen anzubieten.“
Die gesetzliche Vermutung des § 305a InsO (s. oben) gilt bislang nur für einen außergerichtlichen Einigungsversuch mit allen Gläubigern. In der Praxis werden jedoch Forderungen von Verbraucherkreditgebern, die eine oder sogar mehrere Nachsichtsmaßnahmen angeboten haben, einen wesentlichen oder sogar überwiegenden Teil der Verpflichtungen des Schuldners ausmachen.
Daher würde es sich anbieten, die gesetzliche Vermutung des § 305a InsO auf den Fall einer oder mehrerer erfolglos angebotener oder gescheiterter Nachsichtsmaßnahmen zu erstrecken und damit eine Beschleunigung der Verbraucherinsolvenzverfahren herbeizuführen.
Stattdessen bleiben Schuldner und Gläubiger gezwungen, auch nach einer erfolglos angebotenen oder gescheiterten Nachsichtsmaßnahme einen außergerichtlichen Schuldenbereinigungsversuch gemäß § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO durchzuführen, bevor der Schuldner schließlich ein Verbraucherinsolvenzverfahren beantragen kann. Gläubiger können dies nach § 305a InsO durch eigene Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nur insoweit verkürzen, wie es eine bereits gewährte Nachsicht gegenüber dem Schuldner erlaubt. Enthält die Nachsichtsmaßnahme einen Zahlungsaufschub oder eine Zahlungsunterbrechung, verhindert dies die Zwangsvollstreckung, obwohl die Einleitung des außergerichtlichen Schuldbereinigungsverfahrens bereits hinreichend deutlich macht, dass der mit der Nachsichtsmaßnahme bezweckte Erfolg nicht eingetreten ist.
Eine kautelarjuristische Lösung durch entsprechende Kündigungsklauseln in der Nachsichts-maßnahme wird nur dann in Frage kommen, wenn der Schuldner in seinem Bereinigungsversuch dem betroffenen Verbraucherkreditgeber einen Einigungsvorschlag macht, der über die bereits vereinbarte Nachsicht hinausgeht. Bleibt der Einigungsvorschlag dagegen in den Grenzen der gewährten Nachsicht, dürfte es gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn der Verbraucherkreditgeber den Vorschlag zum Anlass einer Kündigung bereits gewährter Nachsichtsmaßnahmen macht.
Dieses Ergebnis widerspricht dem Ziel des RefE, mit § 497a Abs. 4 BGB (neu) eine wiederholte Inanspruchnahme von Verbraucherkreditgebern einzuschränken. Leider gibt die Begründung der Vorschrift keine klare Antwort auf die Frage des zeitlichen Abstands, in dem nach einem Nachsichtangebot ein erneutes Nachsichtsangebot erforderlich ist. Das Angebot einer Nachsichtsmaßnahme wird jedoch nur in seltenen Fällen einem späteren außergerichtlichen Schuldenbereinigungsversuch um viele Monate oder Jahre vorausgehen. Die in § 497a Abs.1 BGB (neu) vorgesehene Verpflichtung des Kreditgebers, den betroffenen Schuldner an Schuldnerberatungsdienste nach dem Gesetz über den Zugang zu Schuldnerberatungsdiensten für Verbraucher zu verweisen, steht künftig einem längeren Hinauszögern entgegen. Kommt der Kreditgeber dieser Pflicht nach, so kann ihm ein individuelles Abwehrverhalten des betroffenen Schuldners nicht angelastet werden.
D. Fazit
Mit der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2023/2225 über Verbraucherkreditverträge durch den vorliegenden Referentenentwurf sind mehrere Änderungsvorschläge verbunden. Leider bleibt bei der Nachsicht nach § 497a BGBG (neu) das Verhältnis zur außergerichtlichen Schuldenbereinigung nach § 305f. InsO ungeregelt. Diese Lücke führt zu Unstimmigkeiten, die durch eine Ergänzung des § 305a InsO aufgelöst werden sollten. Dabei könnte die gesetzliche Vermutung des § 305a InsO, die bisher nur an eine nach Verhandlungsbeginn betriebene Zwangsvollstreckung eines Gläubigers anknüpft, um den Fall einer erfolglos angebotenen oder gewährten Nachsichtsmaßnahme ergänzt werden. Diese Ergänzung würde das Verbraucherinsolvenzverfahren von aussichts- und damit sinnlosen Einigungsversuchen entlasten und so zu einer Verkürzung der Verfahrensdauer führen.
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Am 18. Oktober 2023 hat die Europäische Union die Richtlinie (EU) 2023/2225 (nachfolgend auch: Verbraucherkredit-RL-neu oder Richtlinie) über Verbraucherkreditverträge verabschiedet. Die Richtlinie hat die Aufhebung der bisherigen Richtlinie 2008/48/EG zur Folge und führt zugleich eine Ergänzung bestimmter Regelungsbereiche der Richtlinie 2002/65/EG herbei. Hintergrund für die Neufassung war die Erkenntnis, dass die Vorgängerrichtlinie nur eingeschränkt wirksam war: Unklare Formulierungen führten zu einer fragmentierten und uneinheitlichen Umsetzung in den Mitgliedstaaten. Zudem wies sie in wesentlichen Bereichen, insbesondere im Hinblick auf die fortschreitende Digitalisierung, Lücken auf.
Digitale Plattformen, automatisierte Entscheidungsverfahren und neue Formen der Kreditvergabe – etwa per App oder durch sogenannte Online-Sofortkredite – prägen heute maßgeblich den Alltag von VerbraucherInnen in Europa. Die neue Richtlinie verfolgt das Ziel, dem veränderten Marktgeschehen Rechnung zu tragen und den Verbraucherschutz in einem zunehmend digitalisierten Umfeld zu stärken.
In Artikel 36 Absatz 1 der Verbraucherkredit-RL-neu werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, sicherzustellen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher, die Schwierigkeiten bei der Erfüllung ihrer finanziellen Verpflichtungen haben oder haben könnten, unabhängige Schuldnerberatungsdienste in Anspruch nehmen können. Diese Dienste dürfen nur begrenzt Entgelte verlangen.
Zur Umsetzung dieser Vorgaben hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) einen Referentenentwurf für ein „Gesetz über den Zugang zu Schuldnerberatungsdiensten für Verbraucher“ (Schuldnerberatungsdienstegesetz – SchuBerDG)[1] vorgelegt. Das Gesetz soll zum 20. November 2026 in Kraft treten und gewährleisten, dass überschuldeten Personen ein qualifizierter, unabhängiger und rechtlich abgesicherter Zugang zu Schuldnerberatungsangeboten offensteht.
Der VID begrüßt das Ziel des Entwurfs, den Zugang zur Schuldenberatung für VerbraucherInnen gesetzlich zu regeln und somit als Bestandteil der sozialen Daseinsvorsorge anzuerkennen. Gleichwohl bedarf der Entwurf an mehreren Stellen der Nachbesserung, um seinem eigenen Anspruch an Wirksamkeit und Rechtsverbindlichkeit tatsächlich gerecht zu werden und die Vorgaben der Richtlinie ins nationale Recht umzusetzen. Dies gilt insbesondere für den verpflichtenden Einsatz bereits bestehender Digitalisierungswege.
Im Folgenden wird unter II. zunächst auf das dringende Erfordernis der Digitalisierung eingegangen. Im Anschluss daran erfolgt unter III. eine detaillierte Erörterung der einzelnen Regelungsvorschläge des Referentenentwurfs.
II. Zur Digitalisierung
In einer Vielzahl von Erwägungsgründen der Richtlinie wird die Relevanz technologischer Entwicklungen betont und eine angemessene digitale Anpassung der Strukturen gefordert (s. etwa Erwägungsgründe 3, 4, 6, 33, 93, 94). Bereits in Art. 28 der Richtlinie (EU) 2019/102 (Restrukturierungsrichtlinie) forderte der europäische Gesetzgeber den Einsatz elektronischer Kommunikationsmittel für Verfahrensbeteiligte (also auch der Schuldner und Schuldnerberater) in Entschuldungsverfahren.
Die Übertragung der Pflichten zur Schaffung von unabhängigen Schuldnerberatungsdiensten auf die Länder allein entspricht nicht der Zielsetzung der Richtlinie. Die Intention des europäischen Gesetzgebers würde dann erfüllt, wenn die nationale Umsetzung Raum schafft für digitale Schnittstellen und vernetzte Systeme, welche die bestehenden Beratungskapazitäten effektiv koordinieren und nicht den Bundesländern mehr Last auferlegt.
Der VID plädiert mit seiner Initiative Insolvenzverfahren 4.0 seit Jahren dafür, die Digitalisierung in allen relevanten Bereichen voranzutreiben. Die Umstellung von analoger auf digitale Datenübermittlung und -speicherung sowie von PDF auf strukturierte Daten sowie die Einrichtung einer einheitlichen technischen Schnittstelle wurde in zahlreichen Erfahrungsberichten als ein wesentlicher Faktor zur signifikanten Entlastung zentraler Anlaufstellen und Verwaltungen identifiziert. Um Medienbrüche bei Verbraucherinsolvenzen zu vermeiden, sollte die Digitalisierung somit bereits bei den Schuldnerberatungsstellen beginnen, indem entsprechende Daten dort digital und nicht analog eingereicht und verarbeitet werden. Die dort gewonnen Daten könnten sodann im Fall des Scheiterns der außergerichtlichen Schuldenbereinigung im Rahmen der Antragsstellung nach § 305 InsO an die Gerichte übermittelt werden. Die Gerichte könnten die Daten effektiv weiterverarbeiten und im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens an den Insolvenzverwalter übermitteln.
Die Implementierung einheitlicher technischer Schnittstellen, elektronischer Akten und digitaler Antragsformulare bei den Schuldnerberatungsdienststellen, Gerichten und Insolvenzverwaltern würde eine Reduktion des Verwaltungsaufwands, eine Verbesserung der Kommunikationsprozesse zwischen den Verfahrensbeteiligten sowie eine signifikante Steigerung der Effizienz und Erreichbarkeit der Angebote bewirken.
Eine weitere Möglichkeit wäre die Implementierung einer digitalen Plattform, die bundesweit Kapazitäten der öffentlichen und freien Beratungsstellen gemäß § 5 SchuBerDG-E (s. u.) transparent darstellte, Zugänge für Ratsuchende – auch in ländlichen Räumen – erleichtert sowie anwaltliche, gerichtliche und soziale Akteure auf sicherem Weg vernetzte.
Ein solches System würde nicht nur dem Anspruch einer nutzerfreundlichen Digitalisierung gerecht, sondern auch den Anforderungen an ein effektives und zugängliches Schuldnerhilfesystem, wie sie die EU-Richtlinie in Art. 36 ausdrücklich fordert.
Die Digitalisierung der Abläufe sollte aber nicht erst bei den personell stark beanspruchten Schuldnerberatungsstellen, sondern bei den betroffenen Verbrauchern beginnen. Diese sollten von Beginn an verpflichtet werden, die relevanten Daten in digitaler Form vorzulegen. Eine Verpflichtung, die die Bürgerinnen und Bürger auch in anderen Bereichen, wie etwa bei der Jahressteuererklärung oder bei dem Antrag auf Arbeitslosengeld trifft. Eine digital geführte Dateneingabe entlastet nicht nur die Schuldnerberatungsstellen, sondern ermöglicht auch eine deutlich verbesserte Menüführung, die in mehreren Sprachen angeboten werden kann.
Für die Implementierung der Technik sind die Schuldnerberatungsstellen mit den erforderlichen Mitteln auszustatten und bundeseinheitliche Antragsvorgaben zu machen.
(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass den Verbrauchern, die Schwierigkeiten bei der Erfüllung ihrer finanziellen Verpflichtungen haben oder haben könnten, unabhängige Schuldnerberatungsdienste, für die nur begrenzte Entgelte zu entrichten sind, zur Verfügung gestellt werden.
(2) Zur Erfüllung der Verpflichtungen gemäß Absatz 1 verfügen die Kreditgeber über Verfahren und Strategien zur frühzeitigen Erkennung von Verbrauchern, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind.
(3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Kreditgeber Verbraucher, die Schwierigkeiten bei der Erfüllung ihrer finanziellen Verpflichtungen haben, an Schuldnerberatungsdienste verweisen, die für den Verbraucher leicht zugänglich sind.
(4) Die Kommission legt bis zum 20. November 2028 einen Bericht mit einem Überblick über die Verfügbarkeit von Schuldnerberatungsdiensten in allen Mitgliedstaaten vor, in dem bewährte Verfahren für die weitere Entwicklung dieser Dienste benannt werden. Die Mitgliedstaaten erstatten der Kommission bis zum 20. November 2026 und danach jährlich Bericht über die verfügbaren Schuldnerberatungsdienste.
2. Im Einzelnen
a) § 1: Zugang zu Schuldnerberatungsdiensten
Die Länder stellen sicher, dass Verbrauchern, die Schwierigkeiten bei der Erfüllung ihrer finanziellen Verpflichtungen haben oder haben könnten, unabhängige Schuldnerberatungsdienste zur Verfügung stehen.
aa) Anzahl der Schuldnerberatungsstellen
In Deutschland existieren derzeit rund 1.350 Schuldnerberatungsstellen[2]. Dies steht in deutlichem Missverhältnis zur geschätzten Zahl von über 5,5 Millionen überschuldeten Menschen (Stand 2024)[3], was den Bedarf an entsprechenden Angeboten verdeutlicht. Die bundesweite Überschuldungsquote beträgt 8,09 %, wobei die höchsten Quoten in Bremen (11,81 %), Sachsen-Anhalt (10,68 %) und Berlin (10,16 %) verzeichnet werden. Besonders besorgniserregend ist die Tatsache, dass in diesen Bundesländern das Beratungsangebot häufig unter dem Durchschnitt liegt.
In diesem Kontext erlangt Art. 36 Abs. 1 der EU-Verbraucherkreditrichtlinie Relevanz, welcher die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, die Zugänglichkeit zu unabhängigen Schuldnerberatungsdiensten für VerbraucherInnen sicherzustellen. Der Begriff „sicherstellen“ ist dabei wörtlich zu verstehen und impliziert die Verpflichtung, die Verfügbarkeit tatsächlich zu gewährleisten oder zu garantieren. Dies stellt somit eine rechtlich verbindliche Verpflichtung dar, die über eine reine politische Willensbekundung hinausgeht.
Dieses Verständnis wird zudem durch die Termini der anderen Sprachfassungen gestützt:
Englisch: „ensure“– to make secure or guarantee
Französisch: „veiller à“ bzw. „assurer“ – darauf achten, sicherstellen
Der Zugang gilt demnach nur als „sichergestellt“, wenn Schuldnerberatungsdienste praktisch erreichbar und nutzbar sind, insbesondere bei akutem Beratungsbedarf innerhalb weniger Tage.
Gemäß § 1 des deutschen Umsetzungsvorschlags („Zugang zu Schuldnerberatungsdiensten“) obliegt den Ländern die Gewährleistung des Zugangs zu entsprechenden Beratungsangeboten für VerbraucherInnen, die von aktuellen oder drohenden Zahlungsschwierigkeiten betroffen sind.
In vielen Regionen ist jedoch die tatsächliche Umsetzung unzureichend, wie das Beispiel Bremen verdeutlicht. Trotz der bundesweit höchsten Überschuldungsquote ist das dortige Beratungsnetz dünn, während Flächenländer wie Nordrhein-Westfalen besser aufgestellt sind. (s. Abb. 2)
Der Referentenentwurf stellt auf Seite 2 fest, dass nicht alle VerbraucherInnen, die unter die Definition von Art. 36 Abs. 1 fallen, tatsächlich Zugang zu entsprechenden Beratungsdiensten haben werden – insbesondere nicht „in überschaubarer Zeit“.[4] In Deutschland ist die Wartezeit auf einen Beratungstermin bei der Schuldnerberatung für Ratsuchende derzeit oft sehr lang.[5] In einigen Fällen beträgt sie mehrere Monate, in Einzelfällen sogar bis zu zwei Jahre. Gleichzeitig räumt der Entwurf ein, dass belastbare Daten zur regionalen Verteilung, zur Ausstattung und zu den Wartezeiten der etwa 1.350 Beratungsstellen fehlen.[6] Eine Prognose über den tatsächlichen Ausbau- oder Ergänzungsbedarf sei nicht möglich. Damit fehlt bereits die empirische Grundlage, um der Gewährleistungspflicht in § 1 nachkommen zu können.
Die Verbraucherkredit-RL-neu überlässt den Mitgliedstaaten grundsätzlich die Wahl, wie sie das „hinreichende Vorhandensein“ von Schuldnerberatungsdiensten sicherstellen. Gemäß Art. 36 Abs. 1 werden die näheren Umstände hinsichtlich der organisatorischen Form sowie der Trägerstruktur nicht explizit dargelegt. Insofern besteht ein gewisser mitgliedstaatlicher Umsetzungsspielraum, der es erlaubt, auf bestehende nationale Beratungslandschaften zurückzugreifen und diese – etwa durch Wohlfahrtsverbände, Kommunen oder private Anbieter – weiterzuentwickeln.
Allerdings findet dieser Gestaltungsspielraum klare Grenzen. Gemäß dem Gutachten Rixen[7] findet das Gebot der praktischen Wirksamkeit (effet utile) des Unionsrechts uneingeschränkt Anwendung. Die wirksame Umsetzung des Art. 36 Abs. 1 ist jedoch gefährdet, wenn die Möglichkeit des kurzfristigen und flächendeckenden Zugangs zur Beratung nicht sichergestellt ist. Der Richtliniengeber fordert nicht lediglich eine Absichtsbekundung, sondern eine konkrete Umsetzung. Es reicht demnach nicht aus, eine Garantie „ins Gesetz zu schreiben“, ohne deren Erfüllbarkeit strukturell abzusichern.
Vor diesem Hintergrund bleibt festzuhalten: Die formale Übernahme des unionsrechtlichen Anspruchs auf Schuldnerberatung in § 1 SchuBerDG-E genügt nicht. Der Entwurf lässt offen, wie der Zugang zu einem funktionierenden und flächendeckend erreichbaren Beratungsangebot konkret sichergestellt werden soll. Es fehlt an klaren qualitativen Mindestvorgaben ebenso wie an belastbaren Datengrundlagen für eine strukturierte Umsetzung. Der Anspruch droht damit ins Leere zu laufen – und verfehlt den intendierten präventiven Schutz der VerbraucherInnen vor finanzieller Verelendung.
Um dem signifikanten Bedarf zu entsprechen, ist eine gesetzliche Festlegung eines Mindestpersonalschlüssels erforderlich. Als beispielgebende Landesregelung können die bayerischen Bestimmungen für die Insolvenzberatung in Artikel 112 im Gesetz zur Ausführung der Sozialgesetze (AGSG)[8] und Artikel 104 der Verordnung zur Ausführung der Sozialgesetze (AVSG)[9] dienen. Dort ist geregelt, dass kreisfreie Gemeinden und Landkreise die Sicherstellung der Beratungsangebote und die Vorhaltung der erforderlichen Personalstellen übertragen bekommen. Dieses Modell zeigt, wie verbindliche Vorgaben auf Landesebene zu einer gesicherten und verantwortlichen Personalplanung beitragen können. Ein solch bewährtes Modell sieht mindestens zwei Vollzeitäquivalente (VZÄ) je 50.000 Einwohner vor. Dieser Personalschlüssel ermöglicht eine flächendeckende, wohnortnahe und qualitativ hochwertige Beratung, die den Anforderungen der Verbraucherkredit-RL-neu entspricht. Die Einführung eines verbindlichen VZÄ-Systems schafft zudem Transparenz und Planungssicherheit für die Träger der Schuldnerberatung und hilft, regionale Versorgungslücken zu schließen.
bb) Anwendungsbereich: tatsächliche oder potentielle Schwierigkeiten bei der Erfüllung der finanziellen Verpflichtungen
Die Vorschrift des § 1 SchulBerDG-E begründet einen Anspruch auf Zugang zu unabhängigen Schuldnerberatungsdiensten für VerbraucherInnen, die Schwierigkeiten „haben oder haben könnten“, ihre finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen. Der Begriff der „Schwierigkeiten“ ist bei richtlinienkonformer Auslegung weit zu verstehen:
„Verbraucher, die Schwierigkeiten haben, ihren finanziellen Verpflichtungen nachzukommen, können spezialisierte Hilfe beim Schuldenmanagement in Anspruch nehmen. Finanzielle Schwierigkeiten umfassen eine Vielzahl von Situationen, z. B. den Verzug mit der Rückzahlung von Schulden um mehr als 90 Tage. Das Ziel der Schuldnerberatungsdienste besteht darin, Verbrauchern in finanziellen Schwierigkeiten zu helfen und sie anzuleiten, ihre ausstehenden Schulden so weit wie möglich zurückzuzahlen und dabei einen angemessenen Lebensstandard beizubehalten und ihre Würde zu bewahren. Diese individuelle und unabhängige Unterstützung kann Rechtsberatung, Geld- und Schuldenmanagement sowie soziale und psychologische Unterstützung umfassen. […]“[10]
Gemeint sind sämtliche Umstände, die die Fähigkeit zur Erfüllung der finanziellen Verpflichtungen beeinträchtigen – von klassischen wirtschaftlichen Indikatoren (wie Mahnschreiben, Zahlungsrückständen oder Pfändungen) bis hin zu psychosozialen Faktoren, etwa fehlende Finanzkompetenz, Überforderung oder handlungshemmende Ängste im Umgang mit Schulden.
Finanzielle Schwierigkeiten manifestieren sich in einer Vielzahl von Situationen, wobei der Verzug mit Rückzahlungen um mehr als 90 Tage als signifikantes Beispiel angeführt wird. Die Formulierungen „z. B.“ und „for example, among many others“ verdeutlicht jedoch, dass es sich um eine nicht abschließende Aufzählung handelt. Je nach individueller Lebenslage – auch unter Berücksichtigung von Alter, familiärer Situation oder mentaler Belastung – können deutlich frühere Belastungsanzeichen als „Schwierigkeiten“ im Sinne der Richtlinie gelten. Entscheidend ist dabei die subjektive Lebenserfahrung des betroffenen Verbrauchers. Die englische Fassung („experience difficulties“) verweist klar auf einen erfahrungsbasierten, also subjektiven Ansatz. Die Schwierigkeiten müssen also nicht objektivierbar sein, sondern es reicht eine persönlich erlebte Belastung. Diese Sichtweise deckt sich mit langjähriger Beratungspraxis, wonach sich Schuldenkrisen oftmals durch subjektive Überforderung, Ratlosigkeit oder Entkoppelung vom Alltag manifestieren.
Es sei zudem darauf hingewiesen, dass selbst potentielle Schwierigkeiten den Anspruch auslösen. Die Verwendung des Konjunktivs („haben könnten“), der französischen Conditionnel („pourraient“) sowie der englischen Formulierung „might experience difficulties“ zeigt deutlich, dass die Richtlinie keine gegenwärtig bestehende Krise verlangt. Eine nicht fernliegende Möglichkeit künftiger Überforderung reicht aus, um Beratung zu beanspruchen. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem Beratungsbedarf entsteht oder signalisiert wird – eine ex post Prüfung ist nicht erforderlich.
Damit wird nochmals der präventive Ansatz der Richtlinie unterstrichen. In Zusammenschau mit Art. 36 Abs. 2 der Richtlinie, der Kreditgeber zur frühzeitigen Erkennung verpflichtet, ergibt sich ein kohärentes Regelungsziel: Schuldnerberatung soll möglichst frühzeitig, niedrigschwellig und lebenslagenbezogen greifen.[11] Die in § 497a Abs. 1 BGB (neu) des Entwurfs zur Umsetzung der Verbraucherkredit-RL neu geschaffene Pflicht unterstreicht ebenso dieses Ziel. Danach ist ein Kreditnehmer, der Schwierigkeiten bei der Erfüllung seiner finanziellen Verpflichtungen hat, an Schuldnerberatungsdienste zu verweisen, die für den Darlehensnehmer leicht zugänglich sind.
cc) Zugang für alle natürlichen Personen in finanziellen Schwierigkeiten
Obwohl die Richtlinie den „Verbraucher“-Begriff im Namen trägt, bedarf es aus Sicht des VID einer ausweitenden Klarstellung hinsichtlich des persönlichen Geltungsbereichs des Gesetzes. Abgesehen von unterschiedlichen Definitionen in § 13 BGB und § 304 InsO ist der derzeit verwendete Verbraucherbegriff zu eng gefasst, um alle betroffenen Personen zu erfassen – insbesondere auch ehemals oder aktuell selbstständig tätige Personen, die keine unternehmerische Sanierung anstreben, sondern existenzielle Unterstützung benötigen. Bereits in Art. 24 der Richtlinie (EU) 2019/102 (Restrukturierungsrichtlinie) forderte der europäische Gesetzgeber dazu auf, den Zugang zu Entschuldungsverfahren für Verbraucher und Unternehmer zu vereinheitlichen.
Das SchulBerDG sollte daher explizit sicherstellen, dass alle natürlichen Personen, unabhängig von ihrer beruflichen Vergangenheit, Zugang zur sozialen Schuldnerberatung erhalten. Dies entspricht nicht nur der Zielsetzung der Richtlinie, sondern auch dem politischen Ziel des Koalitionsvertrages, eine inklusive und niedrigschwellige Schuldnerhilfe zu schaffen.[12]
dd) Exkurs: Abgrenzung zwischen Insolvenzvorbereitung (§ 305 InsO) und präventiver Beratung nach Art. 36 Richtlinie
Zwar sieht die Insolvenzordnung bereits heute mit § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO eine obligatorische Schuldnerberatung im Vorfeld eines Verbraucherinsolvenzverfahrens vor. Diese Beratung zielt jedoch ausschließlich auf die einen Insolvenzantrag vorbereitende Durchführung eines außergerichtlichen Einigungsversuchs sowie die Erstellung der Antragsunterlagen ab. Sie ist damit formal-prozedural gestaltet und erfolgt regelmäßig erst bei bereits eingetretener Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit. Demgegenüber verfolgt Art. 36 Abs. 1 der Verbraucherkreditrichtlinie ein frühintervenierendes, präventives Konzept. Der Anspruch auf Schuldnerberatung entsteht bereits dann, wenn VerbraucherInnen Schwierigkeiten haben oder haben könnten, ihren finanziellen Verpflichtungen nachzukommen. Er setzt nicht voraus, dass bereits Insolvenzreife im Sinne der Insolvenzordnung besteht oder ein entsprechendes Verfahren eröffnet wurde. Vielmehr genügt eine nicht fernliegende Möglichkeit, dass sich die finanzielle Lage verschlechtert. Damit richtet sich die Beratung nach Art. 36 an einen deutlich breiteren Personenkreis – etwa auch an Personen mit wiederholter Überziehung von Dispositionskrediten, steigenden Zahlungsverpflichtungen oder unsicherer Einkommensperspektive.
Diese Ausweitung hat signifikante Folgen für die Versorgungsstruktur. Während sich die bisherige Schuldnerberatung auf einen relativ klar definierten Kreis insolvenznaher Fälle konzentrieren konnte, verlangt Art. 36 eine deutlich breitere, präventiv zugängliche Infrastruktur. Der aktuelle Beratungssektor ist auf diese Herausforderung weder kapazitiv noch strukturell vorbereitet.
b) § 2 Schuldnerberatungsdienst
Schuldnerberatungsdienst im Sinne dieses Gesetzes ist die individuelle fachliche, rechtliche oder psychologische Unterstützung von Verbrauchern, die Schwierigkeiten bei der Erfüllung ihrer finanziellen Verpflichtungen haben oder haben könnten. § 3 des Rechtsdienstleistungsgesetzes bleibt unberührt.
Der VID begrüßt die Ausrichtung des Referentenentwurfs auf eine interdisziplinär verankerte soziale Schuldnerberatung. Nachhaltige Beratung erfordert jedoch nicht nur rechtliche Rahmenbedingungen, sondern auch terminologische und konzeptionelle Präzision, um Missbrauch entgegenzutreten. Der aktuelle Entwurf bleibt hier an mehreren Stellen hinter dem eigenen Anspruch zurück.
aa) Fehlende Legaldefinition des Schuldnerberatungsdienstes
Im Entwurf fehlt eine eindeutige Definition, was unter „Schuldnerberatungsdienst“ zu verstehen ist. Es bleibt offen, ob damit ein einmaliger Beratungskontakt oder ein fortlaufender Unterstützungsprozess gemeint ist. Diese Unklarheit erschwert zunächst nicht nur die praktische Anwendung, sondern unterminiert auch die intendierte Umsetzung der Vorgaben aus Art. 36 der Verbraucherkredit-RL-neu. Eine präzise Definition ist auch deshalb unerlässlich, um Kreditinstitute rechtsverbindlich zu einem korrekten Verweis an die zuständigen Beratungsstellen zu verpflichten und die von der Richtlinie geforderte Berichterstattung über verfügbare Dienste in den Mitgliedsstaaten zu gewährleisten.
Gleichzeitig sollte gesetzlich klargestellt werden, dass betriebswirtschaftliche Unternehmenssanierungen, insolvenzrechtliche Vertretung juristischer Personen oder strategische Geschäftsmodellberatung nicht zum Aufgabenspektrum sozialer Schuldnerberatung zählen.
Die im Entwurf verwendete Formulierung „psychologische Unterstützung“ suggeriert eine fachliche Unterstützung durch zugelassene PsychologInnen oder PsychiaterInnen. Im Rahmen der sozialen Schuldnerberatung ist eine derartige Unterstützung jedoch weder erforderlich noch flächendeckend realisierbar. Der VID empfiehlt daher, den Begriff durch „psychosoziale Unterstützung“ zu ersetzen. Diese bezeichnet praxisnäher und fachlich zutreffend den integrativen Ansatz der Schuldnerberatung, bei dem soziale, wirtschaftliche und persönliche Problemlagen interdisziplinär und gemeinsam bearbeitet werden.
c) § 3: Entgeltgrenzen für Schuldnerberatungsdienste
(1) Die Schuldnerberatungsdienste sollen Verbrauchern grundsätzlich kostenlos, höchstens jedoch gegen ein begrenztes Entgelt angeboten werden. Werden für Schuldnerberatungsdienste Entgelte erhoben, so dürfen diese maximal die Betriebskosten des Anbieters für den Schuldnerberatungsdienst decken und keine unangemessene Belastung für die Verbraucher darstellen.
(2) Verbraucher sind rechtzeitig vor Inanspruchnahme eines Schuldnerberatungsdienstes auf ein gegebenenfalls zu entrichtendes Entgelt und dessen Höhe hinzuweisen.
aa) Grundsatz der Kostenfreiheit
Der SchulBerDG-E sieht in seinem § 3 Abs. 1 vor, dass Beratungsangebote „grundsätzlich kostenlos“, gegebenenfalls aber „gegen ein begrenztes Entgelt“ erbracht werden sollen. Aus Sicht des VID ist dieser Regelung mit großer Vorsicht zu begegnen. Sie verfehlt die zentrale Anforderung aus Art. 36 Abs. 1 der Verbraucherkredit-RL-neu, wonach die Beratung nicht nur rechtlich zugesichert werden muss, sondern auch tatsächlich zugänglich zu sein hat.
Gemäß dem Gutachten von Rixen ist die Richtlinie im Lichte der Menschenwürdegarantie des Art. 1 EU-Grundrechtecharta auszulegen. Dies impliziert, dass VerbraucherInnen nicht in eine Situation extremer materieller Notlage geraten dürfen, in der ihnen der Zugang zu grundlegenden Beratungsleistungen verwehrt bleibt.
Daraus ergibt sich, dass selbst geringe Entgelte abschreckend wirken können. Schon die bloße Erwartung einer Kostenauferlegung kann dazu führen, dass Ratsuchende keine Hilfe in Anspruch nehmen. Aus Perspektive des unionsrechtlichen Effektivitätsgebots sind Schuldnerberatungsdienste jedoch lediglich dann als „leicht zugänglich“ einzustufen, wenn ein potenzielles Entgelt für die Ratsuchenden keine signifikante Barriere darstellt. Die Formulierung „begrenztes Entgelt“ ist vor diesem Hintergrund systematisch-teleologisch als „auf null reduziert“ zu verstehen, jedenfalls für einkommensschwache VerbraucherInnen. Eine dementsprechende Regelung würde nicht nur einen Beitrag zum sozialen Ausgleich leisten, sondern auch der Prävention struktureller Verletzungen der Menschenwürde dienen, wie sie der Europäische Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zum Lebensstandard postuliert.[13]
bb) Finanzierungslücke
Der Referentenentwurf bleibt zentrale Antworten zur Finanzierung schuldig. Zwar sieht § 3 Abs. 1 SchuBerDG-E vor, dass Schuldnerberatungsdienste „grundsätzlich kostenlos“ und allenfalls „gegen ein begrenztes Entgelt“ angeboten werden sollen. Eine tragfähige finanzielle Absicherung dieser Zielsetzung ist jedoch nicht erkennbar. Länder und Kommunen bleiben mit der Umsetzungspflicht und dem damit verbundenen finanziellen Aufwand allein.
Auch die Verweisung auf § 3 Abs. 1 SchuBerDG-E als mögliche Gegenfinanzierung kann nur bedingt überzeugen. Die dort vorgesehenen Entgelte sollen – zutreffend – nur in begrenzter Höhe zulässig sein und entsprechen zudem nicht der etablierten Praxis der weitgehend kostenlosen Beratung, wie sie etwa von Wohlfahrtsverbänden angeboten wird. Ein signifikanter Anteil der Finanzierung kann kaum über Entgelte erzielt werden. Der Verweis auf nicht quantifizierbare Einnahmen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Umsetzung des Gesetzes insbesondere für Länder und Kommunen einen substanziellen Planungs- und Ressourcenaufwand erfordert, der bislang nicht kalkuliert wurde.
In Regionen mit strukturellen Herausforderungen ist die Sicherstellung einer angemessenen Beratungsinfrastruktur sowie die Gewährleistung der Qualität bestehender Angebote ohne eine gesicherte Finanzierung problematisch. Dies gefährdet nicht nur gleichwertige Lebensverhältnisse im Bundesgebiet, sondern konterkariert auch den unionsrechtlich geforderten „leicht zugänglichen“ Zugang zur Schuldnerberatung nach Art. 36 Verbraucherkredit-RL-neu. In Anbetracht dessen ist eine bundesrechtliche Regelung der Finanzierung zwingend erforderlich, um sowohl Planungssicherheit für die Trägerschaft zu gewährleisten als auch eine verlässliche Unterstützung durch Bund und Länder zu sichern.
d) § 4: Anforderungen an Anbieter von Schuldnerberatungsdiensten
(1) Schuldnerberatungsdienste nach § 2 darf nur erbringen, wer unabhängiger professioneller Anbieter ist. Eine Unabhängigkeit ist insbesondere dann nicht gegeben, wenn es sich um folgende Arten von Anbietern handelt:
einen Kreditgeber oder einen Kreditvermittler im Sinne des Artikels 3 Nummer 2 beziehungsweise 12 der Richtlinie (EU) 2023/2225 in der Fassung vom 18. Oktober 2023,
einen Kreditkäufer oder einen Kreditdienstleister im Sinne des Artikels 3 Nummer 6 beziehungsweise 8 der Richtlinie (EU) 2021/2167 in der Fassung vom 24. November 2021,
einen Anbieter, der auch zu Kredit-, Finanz- oder Versicherungsdienstleistungen, Dienstleistungen, die der Vermögensverwertung des Verbrauchers dienen, oder zu ähnlichen Dienstleistungen gewerblich berät oder diese erbringt oder vermittelt, oder
einen Anbieter, bei dem ein anderer als einer der in den Nummern 1 bis 3 genannten Interessenkonflikte vorliegt.
(2) Unabhängige professionelle Anbieter von Schuldnerberatungsdiensten sind insbesondere Einrichtungen in der Trägerschaft von
Wohlfahrtsverbänden, Verbraucherzentralen, kreisfreien Städten, Landkreisen oder Gemeinden,
eingetragenen Vereinen, die Mitglied in einem Wohlfahrts- oder Verbraucherverband sind, oder
sonstigen juristischen Personen des privaten Rechts, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige oder mildtätige Zwecke verfolgen und bei denen kein Interessenkonflikt im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 vorliegt.
Die Regelung des § 4 SchuBerDG-E formuliert ausschließlich Negativvoraussetzungen in Bezug auf die Unabhängigkeit von Anbietern von Schuldnerberatungsdiensten. Zwar ist die gesetzliche Klarstellung begrüßenswert, wonach Anbieter mit wirtschaftlichen Eigeninteressen – insbesondere Kreditinstitute, Finanzvermittelnde oder mit Vermögensverwertung betraute Akteure – aufgrund struktureller Interessenkonflikte ausgeschlossen sind. Aus der Perspektive des VID ist diese Regelung jedoch nicht ausreichend, um die Zielsetzung einer qualitativ hochwertigen, wirksamen und flächendeckend zugänglichen Schuldnerberatung zu gewährleisten.
Der Entwurf enthält keinerlei positive Anforderungen bezüglich der fachlichen und personellen Ausstattung der AnbieterInnen. Er macht keine Vorgaben bezüglich der erforderlichen Qualifikation des Beratungspersonals und formuliert keine Mindeststandards hinsichtlich des Umfangs, der Tiefe und Methodik der Beratung sowie keine Zielvorgaben in Bezug auf Erreichbarkeit, Wartezeiten oder strukturelle Ausstattung. Auch Fortbildungs-, Dokumentations- oder Qualitätssicherungsmaßnahmen bleiben unberücksichtigt.
Diese Leerstelle birgt das Risiko einer heterogenen Beratungslandschaft mit regional stark variierenden Standards, was dem unionsrechtlichen Anspruch auf Vereinheitlichung und einen effektiven, niedrigschwelligen Zugang widerspricht. Ratsuchende haben – unabhängig von ihrem Wohnort oder der örtlichen Trägerstruktur – Anspruch auf fachlich fundierte, rechtlich korrekte und psychosozial kompetente Beratung. Die Gewährleistung dieser Beratungsqualität stellt eine Aufgabe des Gesetzgebers dar, wenn er der Verpflichtung aus Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie und dem Schutz der Menschenwürde aus Art. 1 EU-Grundrechtecharta gerecht werden will.
e) § 5: Berichtspflichten
(1) Die Länder berichten jeweils dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz bis zum 20. September 2026 und danach jährlich bis zum 20. September schriftlich über die Zahl der verfügbaren Einrichtungen für Schuldnerberatungsdienste nach § 1. Die Angaben sind zum Stand 31. August des Berichtsjahres zu ermitteln.
(2) Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz erstattet der Europäischen Kommission bis zum 20. November 2026 und danach jährlich bis zum 20. November Bericht über die Zahl der verfügbaren Einrichtungen für Schuldnerberatungsdienste nach § 1.
aa) Monitoring-System
Die in § 5 SchuBerDG-E geregelte Berichtspflicht reduziert sich auf eine reine Erhebung der Zahl verfügbarer Schuldnerberatungsstellen. Sowohl die Länder gegenüber dem Bundesministerium als auch der Bund gegenüber der Europäischen Kommission sind hiernach lediglich dazu verpflichtet, jährlich quantitative Angaben zur Zahl der Einrichtungen zu übermitteln.
Aus Sicht des VID greift diese Regelung zu kurz. Zentrale Steuerungsgrößen – etwa Wartezeiten, Beratungsvolumina, Bedarfsdeckung nach regionalen Indikatoren, Personalressourcen sowie Nutzerzufriedenheit – bleiben unberücksichtigt. Die Zielsetzung der Richtlinie eines wirksamen Ausbaus sowie einer bedarfsgerechten Versorgungssteuerung wird durch die vorliegenden Maßnahmen nicht erreicht. Ein solcher Minimalansatz genügt nicht, um Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie umzusetzen. Die vorgesehene Zählstatistik ermöglicht es weder Bund noch Ländern, strukturelle Versorgungslücken, Qualitätsdefizite oder regionale Ungleichgewichte verlässlich zu identifizieren und gezielt zu beheben.
Ein effektives, auf Steuerung ausgerichtetes Berichtssystem muss zentrale Versorgungsindikatoren abbilden, wie etwa tatsächliche Nutzung, Zugänglichkeit, Versorgungsdichte, Personalressourcen und Nutzerzufriedenheit. Die Identifizierung sowie die zielgerichtete Bearbeitung von strukturellen Versorgungslücken oder regionalen Ungleichgewichten sind nur unter dieser Prämisse möglich.
Daher ist eine Erweiterung des § 5 SchuBerDG-E um ein strukturiertes, auf Indikatoren gestütztes Monitoring-System geboten. Die Einrichtung eines strukturierten Monitoring-Systems ist nicht nur sinnvoll, sondern auch realistisch umsetzbar, sofern auf bestehende Infrastrukturen zurückgegriffen wird. Die Statistik nach dem ÜSchuldStatG sowie länderspezifische Förderberichte stellen bereits eine erste Evaluationsgrundlage dar. Eine einheitliche Nutzung und methodische Weiterentwicklung dieser Datenquellen wäre ein kosteneffizienter Weg, um Transparenz, Vergleichbarkeit und gezielte Steuerung zu ermöglichen – ohne die Beratungsstellen zusätzlich zu belasten. Zudem würde die oben bereits angesprochene Digitalisierung den Aufwand der Datenerfassung verringern.
In Anbetracht der unionsrechtlichen Verpflichtung zur Sicherstellung der Verfügbarkeit von Schuldnerberatung nach Art. 36 der Richtlinie wäre ein Minimalbericht zur Zahl der Einrichtungen unzureichend. Die Finanzierung eines erweiterten Monitorings sollte demnach nicht isoliert als Mehrbelastung betrachtet, sondern als Bestandteil der Infrastruktur zur Umsetzung europäischer Mindestanforderungen eingeplant werden.
bb) Evaluationspflicht
Die Entwurfsbegründung führt zur Evaluierung des Gesetzes Folgendes aus:
„Laut Beschluss des Staatssekretärsausschusses Bürokratieabbau vom 23. Januar 2013 sind alle wesentlichen Regelungsvorhaben zu evaluieren. Als wesentlich gelten danach Regelungsentwürfe, bei denen ein jährlicher Erfüllungsaufwand von mindestens a) 1 Million Euro Sachkosten oder 100 000 Stunden Aufwand für Bürgerinnen und Bürger oder b) 1 Million Euro für die Wirtschaft oder c) 1 Million Euro für die Verwaltung aufgrund der Ex ante-Abschätzung zu erwarten ist. Da diese Schwellen nicht erreicht werden, ist für den Entwurf keine Evaluierung vorzusehen.“[14]
Diese Begründung des Referentenentwurfs, auf eine Evaluierung zu verzichten, greift zu kurz und verfehlt die unionsrechtlich gebotene Steuerungsperspektive. Zwar mögen die Schwellenwerte des Staatssekretärsausschusses Bürokratieabbau nicht überschritten sein, doch ergibt sich bereits aus § 9 ÜSchuldStatG eine regelmäßige Evaluation der Datenerhebung durch das Statistische Bundesamt. Diese Evaluationspflicht dient der Verbesserung der statistischen Grundlage und ist gerade vor dem Hintergrund von Art. 36 Abs. 1 der Verbraucherkredit-RL zwingend erforderlich. Bereits in Art. 29 der Richtlinie (EU) 2019/102 (Restrukturierungsrichtlinie) forderte der europäische Gesetzgeber ein Verfahren zum Monitoring von Entschuldungsverfahren. Ein strukturiertes, qualitätsbasiertes Monitoring kann nicht mit dem Verweis auf Bürokratieabbau abgelehnt werden, wenn ein bereits geltendes Gesetz selbst eine Evaluationspflicht für zentrale Steuerungsdaten vorsieht.
IV. Fazit
Es ist zu begrüßen, dass der vorliegende Referentenentwurf zum Schuldnerberatungsdienstegesetz die zentralen Vorgaben der Richtlinie (EU) 2023/2225, insbesondere zur Einrichtung unabhängiger Beratungsstrukturen und zum Grundsatz einer begrenzten Entgeltfreiheit, berücksichtigt. Der Entwurf beschränkt sich in weiten Teilen jedoch auf unverbindliche Regelungen, denen es sowohl an einer ausfinanzierten Umsetzungsstrategie als auch an substanziellen Qualitäts- und Steuerungsmechanismen mangelt.
Vor allem in Bezug auf die dringend notwendige Digitalisierung der Abläufe, welche für die Verbraucher einen barrierefreien Zugang zur Schuldnerberatung erst ermöglicht und zudem die Arbeitsbelastung auf Seiten der Schuldnerberatungsstellen signifikant reduzieren würde, bleibt der Referentenentwurf weit hinter den schon heute bestehenden Möglichkeiten zurück.
Die Tatsache, dass der Entwurf sich ausschließlich auf nachgelagerte Interventionen bei bereits eingetretenen finanziellen Schwierigkeiten fokussiert, ist besonders gravierend. Es mangelt an strukturellen Instrumenten zur Prävention, wie etwa niedrigschwellige Informationsangebote, zielgerichtete Frühinterventionen in Risikogruppen oder eine systematische finanzielle Grundbildung. Es besteht ein allgemeiner Konsens darüber, dass präventive Maßnahmen nicht nur eine höhere soziale Wirksamkeit aufweisen, sondern auch volkswirtschaftlich deutlich ressourcenschonender sind als spät einsetzende Kriseninterventionen. Die fehlende gesetzliche Verankerung präventiver Infrastruktur stellt somit ein zentrales Defizit des Entwurfs mit Blick auf Nachhaltigkeit und Wirkungsorientierung dar. In diesem Zusammenhang sollte auch über Maßnahmen zur Stärkung der finanziellen Allgemeinbildung in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen nachgedacht werden, da deren präventive Wirkung geeignet wäre, den Bedarf und damit die Kosten der Schuldnerberatungsinfrastruktur zu reduzieren.
Insbesondere in komplexen Überschuldungsfällen ist eine qualifizierte fundierte Beratung erforderlich. Ein gesetzlicher Rahmen, der derartige Strukturen vernachlässigt oder marginalisiert, würde nicht nur die Beratungsqualität gefährden, sondern auch dem unionsrechtlich geforderten Verbraucherschutz widersprechen.
Es besteht die Gefahr, dass das Gesetz hinter seinem grundrechtlich begründeten Anspruch zurückbleibt, sofern verbindliche Standards, eine flächendeckende Zugänglichkeit, eine gesicherte Finanzierung und strategische Prävention nicht gewährleistet werden können. Für eine effektive Umsetzung der Richtlinie ist ein integriertes Gesamtkonzept erforderlich, das die Aspekte soziale Teilhabe, ökonomische Selbstbestimmung und Menschenwürde wirksam schützt.
Berlin, 18.07.2025
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[1] RefE BMJV zum Gesetz über den Zugang zu Schuldnerberatungsdiensten (SchuBerDG).
[2] Statistisches Bundesamt, Überschuldungsstatistik 2023, erschienen am 17. Juli 2024, https://www.destatis.de/DE/Methoden/Qualitaet/Qualitaetsberichte/Einkommen-Konsum-Lebensbedingungen/ueberschuldungsstatistik.pdf?__blob=publicationFile&v=10 (zuletzt abgerufen am 13.07.2025).
[3] Vgl. SchuldnerAtlas Deutschland | Überschuldung in Deutschland, https://schuldnerberatungsatlas.destatis.de/ (zuletzt abgerufen am 13.07.2025).
[4] RefE BMJV zum Gesetz über den Zugang zu Schuldnerberatungsdiensten (SchuBerDG), S. 2.
[5] Vgl. Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg e.V., https://infodienst-schuldnerberatung.de/beratung/lange-wartezeiten-in-der-schuldnerberatung-eine-zumutung-fuer-ratsuchende-und-beratungskraefte/ (zuletzt abgerufen am 13.07.2025); Caritasverband Straubing-Bogen e.V. (2025): Jahresbericht 2024 – Soziale Schuldner- und Insolvenzberatung. „Schöne Worte sind zu wenig“, https://www.caritas-straubing.de/cms/contents/caritas-straubing.de/medien/dokumente/jahresberichte/soziale-schuldner-un2/jahresbericht_schuldnerberatung_2024.pdf?d=a&f=pdf (zuletzt abgerufen am 16.07.2025).
[7]Rixen, Zur Umsetzung von Art. 36 Verbraucherkreditrichtlinie, insbesondere zum Rechtsanspruch auf kostenfreie Schuldnerberatung, https://www.schuldnerberatung-sh.de/fileadmin/bilder/aktuelles/2024_Rixen_Gutachten_zu_Art._36_Verbraucherkreditrichtlinie.pdf (zuletzt abgerufen am 13.07.2025).
[10] Richtlinie (EU) 2023/2225 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Oktober 2023 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 2008/48/EG, S. 14.
[11] Vgl. Rixen, Zur Umsetzung von Art. 36 Verbraucherkreditrichtlinie, insbesondere zum Rechtsanspruch auf kostenfreie Schuldnerberatung, S. 14 ff., https://www.schuldnerberatung-sh.de/fileadmin/bilder/aktuelles/2024_Rixen_Gutachten_zu_Art._36_Verbraucherkreditrichtlinie.pdf (zuletzt abgerufen am 13.07.2025).
[13] Vgl. Rixen, Zur Umsetzung von Art. 36 Verbraucherkreditrichtlinie, insbesondere zum Rechtsanspruch auf kostenfreie Schuldnerberatung, S. 26, https://www.schuldnerberatung-sh.de/fileadmin/bilder/aktuelles/2024_Rixen_Gutachten_zu_Art._36_Verbraucherkreditrichtlinie.pdf (zuletzt abgerufen am 13.07.2025).
Der VID begrüßt das BMF-Schreiben zur sog. Sanierungsklausel (§ 8c Abs. 1a KStG), welches in der Praxis Rechtssicherheit bei einem Beteiligungserwerb zum Zweck der Sanierung vermitteln sollte. Denn die Verlustabzugsregelung des § 8c KStG kann in Krisen- und Insolvenzsituationen erhebliche Bedeutung erlangen und ist für alle an der Sanierung beteiligten Stakeholder relevant, die häufig in kurzer Zeit wesentliche Entscheidungen treffen müssen, welche für Gesellschafter und Markteilnehmer u.U. signifikante mittel- bis langfristige Folgen haben können.
Steuerliche Auswirkungen sind in nahezu jeder Unternehmenskrise/-sanierung von besonderer Wichtigkeit und mitunter entscheidender Parameter einer Restrukturierung, gleich ob es sich um eine „außergerichtliche“ Sanierung, ein Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG oder ein Insolvenzverfahren nach der InsO handelt. Insofern begrüßt es der Verband Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands e.V. (VID) generell, wenn die Finanzverwaltung durch den Erlass allgemeiner Verwaltungsvorschriften (wie insbesondere BMF-Schreiben) für steuerliche Planungssicherheit in Sanierungs-/Insolvenzszenarien sorgt. Das gilt im Besonderen auch für ein BMF-Schreiben zur sog. Sanierungsklausel (§ 8c Abs. 1a KStG), um in der Praxis verlässliche Leitlinien zu haben, ob steuerliche Verluste im Fall eines schädlichen Beteiligungserwerbs (§ 8c Abs. 1 Satz 1 KStG) bei einem Beteiligungserwerb zum Zweck der Sanierung erhalten bleiben. Ein verlässliches und kooperatives Verwaltungshandeln ist in der konkreten Sanierungs-/Insolvenzsituation aber auch in späteren Betriebsprüfungen (insbesondere im Zusammenhang Fragen zur Steuerfreiheit von Sanierungserträgen, vgl. § 3a EStG, § 7b GewStG) von herausgehobenem Interesse.
Der Entwurf eines BMF-Schreibens zur Sanierungsklausel des § 8c Absatz 1a KStG („BMF-Schreiben-Entwurf“) ist insgesamt begrüßenswert. Er umfasst einige der in der Praxis diskutierten und in der Fachliteratur umstrittenen Fragen und sorgt insofern für „Rechtssicherheit“, als die Auffassung der Finanzverwaltung erkennbar ist. Gerade die Einführung von Vermutungsregeln (BMF-Schreiben-Entwurf, Rz. 6: „Die Sanierungsabsicht wird vermutet, […]“) sowie von Erleichterungen der Nachweisführung (etwa BMF-Schreiben-Entwurf, Rz. 7: „Indizien für das Vorliegen der o.g. Voraussetzungen“, „[…] so kann von einer drohenden oder eingetretenen Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung ausgegangen werden.“) ist ein wichtiges Element und sollte – auch im Sinne der Verwaltungsvereinfachung und Entbürokratisierung – generell für den Bereich des Sanierungs- und Insolvenzsteuerrechts gestärkt werden. Auch der abschließende Hinweis auf § 8d KStG in Rz. 86 und das BMF-Schreiben vom 18.03.2021 ist konsequent und zielführend.
B. Anmerkungen
Zu den einzelnen Randziffern des BMF-Schreiben-Entwurfs merken wir an:
1. Rz. 5
Nach dem BMF-Schreiben-Entwurf sind zur Beurteilung der Sanierungsbedürftigkeit die „insolvenzrechtlichen Grundsätze der §§ 17 bis 19 InsO heranzuziehen“. Ein unterschiedliches Verständnis der Eröffnungsgründe sollte verhindert werden. An dieser Stelle sollte daher klar formuliert werden, dass nur die insolvenzrechtlichen Auslegungsgrundsätze Anwendung finden.
In der Rz. 5 wird außerdem jeweils eine knappe Definition von Zahlungsunfähigkeit, drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung gegeben. Zur Vermeidung von Missverständnissen sollte wenigstens der Prognosezeitraum der drohenden Zahlungsunfähigkeit von 24 Monaten gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 InsO genannt werden. Gleiches gilt für den Prognosezeitraum bei Überschuldung von 12 Monaten gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO.
Rz. 7
Nach dem BMF-Schreiben-Entwurf können ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag in der Überschuldungsbilanz oder eine Bestätigung der Hausbank über die fehlende Bereitschaft weiterer Finanzierungen (zu marktüblichen Konditionen, ohne Sicherheiten Dritter) Indizien für das Vorliegen der Voraussetzungen eines Beteili-gungserwerbs zum Zweck der Sanierung sein, die gemeinsam mit an-deren Merkmalen (wie z. B. einer Liquiditätsplanrechnung) den Nachweis für eine eingetretene Krise führen. Falls beide Indizien vorliegen, so kann nach dem BMF-Schreiben-Entwurf von einer drohenden oder eingetretenen Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung ausgegangen werden.
Der Begriff „Hausbank“ mag in der Praxis gängig sein. Er führte indes zu Auslegungs-/Anwendungsfragen. Daher können und sollten alternative Finanzierer genannt werden, etwa „Banken“ (im Allgemeinen), private und öffentliche Finanzierer und/oder Institutionen von Finanzierungsgebern (etwa: sog. Debt-Funds). Denn allein eine Bestätigung über die fehlende Bereitschaft weiterer Finanzierungen von der „Hausbank“ als Indiz anzuerkennen, ist nicht ausreichend.
Darüber hinaus sollte, falls „beide Indizien“ (Überschuldungsbilanz und Bestätigung über fehlende Bereitschaft weiterer Finanzierungen) vorliegen, aufseiten des zuständigen Finanzamts nicht nur von einer drohenden oder eingetretenen Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung ausgegangen werden können. Das (offene) „kann“ im BMF-Schreiben-Entwurf sollte an dieser Stelle aus Vereinfachungsgründen und zur Sicherstellung eines einheitlichen Verwaltungsvollzugs durch ein (zwingendes) „ist“ ersetzt werden, damit für den Rechtsanwender (Steuerpflichtiger einerseits, Finanzamt andererseits) hinreichend Planungssicherheit besteht.
Rz. 8 und 9
Nach dem BMF-Schreiben-Entwurf ist ein „für insolvenzrechtliche Zwecke erstellter Sanierungsplan (§§ 217 ff. InsO) […] als Nachweis ausreichend, sofern der Beteiligungserwerb Teilmaßnahme des Sanierungsplans ist.“ (Rz. 8). Es sollte klargestellt werden, dass sich der „Nachweis“ darauf bezieht, dass die bzw. alle „Sanierungsvorausset-zungen“ (s. Überschrift in Tz. II.2. des BMF-Schreibens-Entwurf) erfüllt sind, um Auslegungszweifel auszuschließen. Das ließe sich beispielsweise durch eine textliche Ergänzung nach „Nachweis“ in Form von „für das Vorliegen der Sanierungsvoraussetzungen“ umsetzen. Eine solche Ergänzung wäre auch entsprechend bei den Ausführungen zum Sanierungsgutachten (Rz. 9) zweckmäßig.
Darüber hinaus sollte ergänzt werden, dass die „Nachweiserleichterung“ auch bei Restrukturierungsverfahren auf Grundlage des Gesetzes über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen („StaRUG“) gelten. Das könnte durch eine Ergänzung in Rz. 8 (hinter den Ausführungen zum Sanierungsplan gem. §§ 217 ff. InsO) umgesetzt werden, die etwa wie folgt lauten könnte: „Das Gleiche gilt für einen Restrukturierungsplan nach dem StaRUG (vgl. §§ 5 ff. StaRUG)“.
Rz. 34
Nach dem BMF-Schreiben-Entwurf ist die Lohnsummenregelung nach § 8c Abs. 1a Satz 3 Nr. 2 KStG „nicht anwendbar, wenn die Ausgangslohnsumme 0 Euro beträgt oder die Körperschaft nicht mehr als 10 Arbeitnehmer hat (§ 13a Absatz 1 Satz 4 ErbStG i. d. F. des ErbStG vom 24. Dezember 2008, BGBl. I S. 3018)“. Diese Auslegung ist im Schrifttum umstritten. Die Finanzverwaltung hat sich derzeit dafür entschieden, eine Anwendung von § 8c Abs. 1a Satz 3 Nr. 2 KStG in den Fällen kleiner Betriebe abzulehnen[1]. In der Literatur wird u.a. unter Verweis auf den Vereinfachungszweck der Norm angeführt, dass die vorliegende Variante „Nr. 2“ zum Erhalt der wesentlichen Betriebsstrukturen in diesen Fällen per se einschlägig ist[2]. Das ist vor-zugswürdig. Wir bitten daher – auch in Kenntnis des derzeit beim Bundesfinanzhof anhängigen Revisionsverfahrens mit dem Az. I R 9/24 – um eine Überprüfung, um auch die Sanierung von Kleinbetrieben attraktiver zu machen.
C. Fazit
Der VID begrüßt generell Leitlinien im Steuerrecht, etwa durch BMF-Schreiben, weil die steuerliche Planungssicherheit in Sanierungs-/Insolvenzszenarien für Entscheidungen der Stakeholder von maßgeblicher Bedeutung sein kann, mitunter hängen davon auch Investorenentscheidungen ab. Insofern würdigt der VID auch das BMF-Schreiben zur sog. Sanierungsklausel (§ 8c Abs. 1a KStG), welches in der Praxis Rechtssicherheit bei einem Beteiligungserwerb zum Zweck der Sanierung vermitteln kann. Einzelheiten sollten klargestellt und geschärft werden, wozu ausgeführt wurde.
Berlin, 05.05.2025
Kontakt:
Verband Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands e.V. (VID)
Am Zirkus 3
10117 Berlin
Tel.: 030/ 20 45 55 25
[1] So bereits OFD NRW v. 20.12.2018 – S 2745a-2015/0011-St 135 (zuletzt aktualisiert am 22.5.2020), juris, Rz. 18, vgl. auch FG Düsseldorf v. 15.1.2024, 6 K 2095/22 K, G ,F, EFG 2024, 697, = juris, Ls. 1 (nrkr., Rev. I R 9/24).
[2] Vgl. etwa Suchanek, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8c KStG, Rz. 85 (Nov. 2021); Suchanek/Herbst, Ubg 2019, 146, 151 mwN auch zur Gegenauffassung.