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Initiative:
14.05.2020
Sehr geehrte Frau Bundesministerin,
es war wichtig und richtig in einer großen Kraftanstrengung die Insolvenzantragspflichten auszusetzen und Unternehmen finanziell zu unterstützen, um die unmittelbaren Auswirkungen der COVID-19-Pandemie einzudämmen. Aber bereits heute ist absehbar, dass finanzielle Hilfen für größere Bereiche der Wirtschaft kein dauerhafter Ausgleich für rückläufige Konjunktur oder verändertes Verbraucherverhalten sein können und dürfen. Marktveränderungen, die in vielen Fällen bereits vor der Coronakrise begannen, werden durch die Krise beschleunigt und verstärkt. Nach dem hoffentlich baldigen Erreichen einer „neuen Normalität“ werden viele alte Geschäftsmodelle nicht mehr tragfähig sein.
In dieser Situation sind Insolvenzgerichte, Insolvenzverwalterinnen und Insolvenzverwalter besonders gefordert, die unvermeidlichen Marktveränderungen so zu begleiten, dass die Substanz der Wirtschaft keinen Schaden nimmt. Nach unserem Eindruck wird diese Aufgabe eine Konzentration auf Qualität und Inhalt der zu leistenden Arbeit notwendig machen. Bitte lassen Sie uns deshalb mit diesem Schreiben einen Blick nach vorne richten auf die Zeit, in der die deutsche Wirtschaft die längerfristigen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie bewältigen muss.
Insolvenzverwalterinnen und Insolvenzverwalter können die erwartete höhere Anzahl von Insolvenzverfahren bewältigen; dies belegen die Höchstwerte vergangener Jahre. Spätestens seit der letzten Finanzkrise haben sich allerdings die Anforderungen an einen achtsamen Umgang mit wirtschaftlicher Substanz erhöht.
Die aktuelle Krise führt auch zu einer teilweisen Neubewertung der Insolvenz als Kriseninstrument. Unternehmen ziehen öffentlich Schutzschirm und Eigenverwaltung als eine Alternative der eigenen Restrukturierung in Betracht. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass das Insolvenzrecht in seinem Wesenskern dem Schutz der Gläubiger und nicht dem Schutz vor den Gläubigern dient.
Anders als die vorübergehende Aussetzung der Antragspflichten sollen die nachfolgenden Vorschläge deshalb über die schon geleisteten Beiträge zur Existenzsicherung hinaus einen Weg durch die Krise hin zu einem Neuanfang erleichtern und einen nachhaltigen Mehrwert schaffen.
Unsere Vorschläge lassen sich mit vergleichsweise geringem Aufwand umsetzen. Man muss das sprichwörtliche Rad nicht neu erfinden und sollte trotz der Krise nicht mit gut gemeinten Reformansätzen über das Ziel hinausschießen. Dennoch sind die nachfolgenden Maßnahmen in der Summe höchst effektiv und können ihre Wirkung bereits in der aktuellen Krisensituation entfalten.
Das Insolvenzverfahren ist immer noch geprägt von den Verfahrensvorschriften der Konkursordnung von 1877. Die Möglichkeiten der Digitalisierung, bis hin zur Einführung einer virtuellen Gläubigerversammlung, sollten deshalb jetzt genutzt werden.
Vorab sollte die Möglichkeit der schriftlichen Durchführung des Verfahrens, § 5 Abs. 2 InsO, erweitert werden, um die Anzahl der Gläubigerversammlungen sogar sofort und ohne weitere technische Voraussetzungen drastisch zu reduzieren. Das derzeit geltende Regel-Ausnahme-Verhältnis könnte umgekehrt werden. Zum Schutz der Gläubiger, welche eine präsente Gläubigerversammlung für erforderlich halten, existiert mit dem in § 75 InsO geregelten Recht, die Einberufung einer Gläubigerversammlung zu beantragen, ein adäquates Instrument. Um die schriftliche Durchführung des Verfahrens zur Regel zu machen, müsste in § 5 Abs. 2 InsO nur der Satz 1 ersatzlos gestrichen werden. Einzige Ausnahme: Entscheidungen der Gläubigerversammlung über die Wahl eines anderen Verwalters.
Angesichts der andauernden Pandemie können die nachfolgenden Vorschläge schnell zu einer deutlichen Verbesserung der Verfahrenstransparenz und eines barrierefreien Zugangs für die Gläubiger beitragen:
Die vorstehenden Vorschläge finden auch die Zustimmung der sogenannten Profigläubiger wie der Finanzverwaltung, der Krankenversicherungen, der Bundesagentur für Arbeit und der Deutschen Richterschaft, wie Sie dem Eckpunktepapier zur Digitalisierung des Insolvenzverfahrens entnehmen können, das als Anlage beiliegt.
Richtigerweise hat die Europäische Union die nationalen Gesetzgeber verpflichtet, europaweit einheitlich den Zeitraum des Verfahrens zur Restschuldbefreiung auf drei Jahre ohne weitere Voraussetzungen zu begrenzen. Bereits vor der aktuellen Pandemie hat das BMJV im Referentenentwurf vom 13.2.2020 einen ersten Schritt zur Umsetzung dieser Vorgabe unternommen.
Dieser erste Schritt sollte nun schnell umgesetzt werden. Die Möglichkeit einer verkürzten Restschuldbefreiung wird vielen Betroffenen nach dieser Krise einen Neuanfang erleichtern. Dies gilt gerade auch für Unternehmer im KMU-Bereich, die bei der Aufnahme von Unternehmenskrediten regelmäßig gezwungen sind, eine persönliche Mithaftung mit ihrem Privatvermögen zu übernehmen. Sie müssen bei einer Insolvenz ihres Unternehmens meistens auch für sich selbst einen Insolvenzantrag stellen, um nach einer Restschuldbefreiung die Chance eines Neustarts zu bekommen.
Im Rahmen der Umsetzung regen wir an, auch über einen Verzicht auf die bisher vorgesehene zeitliche Staffelung nachzudenken. Sie kann wegen der Pandemiefolgen für den Betrieb von Schuldnerberatungen und Gerichten nur noch eingeschränkte Wirkung entfalten und sollte deshalb zumindest verkürzt werden.
Allerdings ist die schnellere Erlangung einer Restschuldbefreiung nur ein Baustein, um den von der Insolvenz betroffenen Unternehmern und Verbrauchern einen schnellen Neubeginn zu ermöglichen. In der Umsetzung sollte auch die problematische Tendenz der letzten Jahre adressiert werden, eine steigende Zahl von Verbindlichkeiten von der Restschuldbefreiung auszunehmen und somit deren Ziel zu konterkarieren und einen Neuanfang unmöglich zu machen. Allen voran sind hier etwa nicht erfüllte Zahlungsverpflichtungen aus Steuern und Sozialabgaben zu nennen. Dies geht so weit, dass mit gerichtlicher Rückendeckung Sozialversicherungsträger wegen einer früheren Insolvenzforderung auf den regulär unpfändbaren Teil einer Rente durch Pfändung oder Aufrechnung Zugriff nehmen können. Ein verheerendes Signal für nunmehr ggfls. tausendfach ohne eigenes Zutun in die Insolvenz geratende Unternehmer. Daher muss die Umsetzung einer schnelleren Restschuldbefreiung auch beinhalten, dass solche Privilegien für einzelne Gläubiger zurückgenommen werden, oder dass zumindest der Schaffung neuer Vollstreckungsprivilegien Einhalt geboten wird.
Es ist zu erwarten, dass die Zahl der Insolvenzen im weiteren Verlauf des Jahres 2020 ansteigen wird. Bereits jetzt befürchten einige Beobachter, dass es zu Engpässen bei der Bearbeitung von Insolvenzverfahren kommen könnte. Der VID teilt diese Befürchtungen nicht: Ein Blick auf die Verfahrenszahlen der beiden letzten Jahrzehnte mit bis zu 36.000 Unternehmensinsolvenzen pro Jahr macht deutlich, dass auch wesentliche Steigerungen von Justiz und Verwalterbüros bewältigt werden können.
Höhere Verfahrenszahlen machen es aber notwendig, die Qualität der Verfahrensbearbeitung im Interesse des Schuldners wie auch der Gläubiger und Arbeitnehmer zu sichern. Die Insolvenzordnung selbst enthält bis heute nur rudimentärste Rahmenbedingungen für die Ausübung der Tätigkeit von Insolvenzverwaltern und Sachwaltern.
Unabhängig von der schon geraume Zeit andauernden berufspolitischen Diskussion über Zulassung und Berufsaufsicht müssen jetzt so schnell als möglich Berufsausübungsregelungen geschaffen werden. Mit den Grundsätzen der ordnungsgemäßen Insolvenzverwaltung des VID (GOI) oder den entsprechenden Regelungen des Gravenbrucher Kreises sind schon seit vielen Jahren vorbildhafte Regelwerke am Markt etabliert. Es handelt sich dabei bisher aber nur um selbstverpflichtende Regelungen für die Mitglieder dieser Vereinigungen. Ein Mindeststandard für die Berufsausübung, der sich an diesen sehr detaillierten und bewährten Vorbildern orientieren könnte, sollte nunmehr ohne weitere Verzögerung über eine Verordnung des BMJV für alle Insolvenzverwalter, Sachwalter, eigenverwaltende Schuldner und künftig auch für Restrukturierungsbeauftragte allgemeinverbindlich werden. Dies entspricht auch den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben und dem im Koalitionsvertrag formulierten Anspruch zum Berufsrecht der Insolvenzverwalter. Insoweit müsste § 56 InsO mit einem Absatz 3 wie folgt ergänzt werden: „Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird ermächtigt, die Ausübung der Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters und des Insolvenzverwalters sowie des vorläufigen Sachwalters und des Sachwalters, des Schuldners in Eigenverwaltung, des Treuhänders und des Verfahrenskoordinators durch Rechtsverordnung zu regeln.“
Die Qualität der Bearbeitung hat auch ihren Preis. Wenngleich in der jetzigen wirtschaftlichen Lage eine Diskussion über die Höhe der Vergütung von Insolvenzverwaltern und Sachwaltern schwierig zu führen sein dürfte, wollen wir an dieser Stelle daran erinnern, dass die Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung seit dem Jahr 1999 keine wesentliche Anpassung mehr erfahren hat. Dies steht in eklatantem Widerspruch zu der vielfach beschriebenen Tatsache, dass die Anforderungen an die Verwalter in Bezug auf die Bearbeitungstiefe und die Bearbeitungsqualität gerade auch in der überwiegenden Mehrzahl kleinerer Unternehmensinsolvenzverfahren seither ständig zugenommen haben. Das oftmals angeführte Argument, dass auch die Insolvenzmassen größer geworden seien, entbehrt offensichtlich schon deshalb jeglicher Grundlage, weil nach wie vor ein Insolvenzverfahren bereits dann zu eröffnen ist, wenn die (Mindest-)Verfahrenskosten gedeckt sind. Zudem wird der Großteil der pandemiebedingt zu erwartenden Insolvenzverfahren aufgrund des Verbrauchs der letzten Reserven massearm sein. Die Vergütungen von Steuerberatern und Rechtsanwälten sowie die Besoldung des Gerichtspersonals wurden in der Zwischenzeit mehrfach angehoben. Dem BMJV liegt seit November 2019 eine umfassende Ausarbeitung vor, welche eine moderate Anpassung der Vergütung, aber auch eine Korrektur überzogener und von der Rechtsprechung entwickelter Abrechnungsmodalitäten vorsieht. Hierdurch könnten vor allem die Insolvenzgerichte bei der zeitaufwändigen Bearbeitung von Vergütungsanträgen deutlich entlastet werden.
Die Insolvenzordnung enthält viele gute Ansätze, um den betroffenen Unternehmen auch in der aktuellen gesamtwirtschaftlichen Lage Lösungen für eine Sanierung anbieten zu können. Insbesondere die Einstiegsbedingungen in die Eigenverwaltung waren bereits Gegenstand der vom BMJV in Auftrag gegebenen ESUG-Evaluierung. Die dort formulierten Erkenntnisse sollten nun umgesetzt werden. Dabei muss heute offenbar mehr denn je daran erinnert werden, dass das Insolvenzverfahren den Gläubigern nutzen und nicht vor den Gläubigern schützen soll. Es gibt konkrete Änderungsansätze, die der VID in einem Eckpunktepapier (Anlage) vom 14.10.2019 zusammengefasst hat. Dabei ist es wichtig, Trittbrettfahrer auszuschließen und von Beginn an dem Eindruck entgegen zu treten, dass sich Unternehmen allein auf Kosten der Gläubigergemeinschaft oder einzelner Gläubiger sanieren. Ein solcher Eindruck würde die notwendige Mitwirkungsbereitschaft der Gläubiger dauerhaft untergraben und die Akzeptanzfähigkeit des Insolvenzverfahrens als Instrument seriöser Sanierungen beschädigen.
Ein gesetzlicher Rahmen für präventive Restrukturierungen, wie er nunmehr europaweit eingeführt werden soll, wäre ein nützliches, aber voraussichtlich nur für einen kleinen Kreis von Unternehmen anwendbares Sanierungsinstrument. Es wird aller Voraussicht nach aufgrund seiner Komplexität und Kostenintensität nur einem überschaubaren Kreis von Unternehmen zugänglich sein, nicht jedoch in erster Linie den KMU. Es greift zudem je nach seiner konkreten Ausgestaltung weitreichend in verfassungsrechtlich geschützte Rechte der Gläubiger ein und kann deshalb nur mit entsprechenden rechtsstaatlichen Sicherungen eingeführt werden. Die Umsetzung des präventiven Restrukturierungsrahmens kann deshalb nur Teil einer größer angelegten Initiative des Gesetzgebers sein. Eine intensive Diskussion mit der Praxis und der Fachöffentlichkeit hat noch nicht stattgefunden. Einen bereits geplanten Gesprächstermin musste das BMJV Corona-bedingt absagen. Die notwendige Diskussion darf jetzt nicht unter Zeitdruck geführt werden, da sonst die Akzeptanzfähigkeit dieses neuen Sanierungsinstruments leidet. Als eigenständiges Verfahren zur Prävention einer Insolvenz ist die Einführung des Restrukturierungsrahmens auch nicht notwendig mit den übrigen geschilderten Maßnahmen im Insolvenzrecht verbunden. Sie kann aber durch diese Maßnahmen unterstützt und vorbereitet werden.
Bekanntermaßen sind die steuerlichen Rahmenbedingungen in vielen Fällen mitentscheidend für das Gelingen oder Nichtgelingen einer Sanierung. Spätestens seit dem Abschlussbericht der Seer-Kommission zur Harmonisierung des Steuer- und Insolvenzrechts aus dem Jahr 2014 hat sich gezeigt, wie wichtig für den Sanierungserfolg eine Harmonisierung von Steuer- und Insolvenzrecht ist. Viele betriebswirtschaftlich und volkswirtschaftlich sinnvolle Sanierungen werden erschwert und zum Teil sogar ausgeschlossen, weil das deutsche Steuerrecht sich nicht konsequent genug der Sanierung innerhalb und außerhalb der Insolvenz öffnet. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs tut insoweit ihr Übriges. Es wäre hier mehr als sinnvoll, zumindest schrittweise – und hier wäre schon jeder kleine Schritt in die richtige Richtung ein großer Erfolg – das Steuerrecht zu öffnen für die Sanierung von Unternehmen. Mit dem als Anlage beigefügten Positionspapier hat unser Berufsverband auf Bitten des Bundesministeriums der Finanzen entsprechende Vorschläge unterbreitet, die nun der baldigen Umsetzung harren.
Mit den vorstehenden Vorschlägen wollen wir die Politik und das BMJV zu echten Reformschritten auffordern, welche sich von kleinteiligen und temporär begrenzten Detaillösungen absetzen. Gleichzeitig wollen wir aber auch nachdrücklich davor warnen, in guter Absicht den „Reformbogen“ zu überspannen. Denn bereits zum jetzigen Zeitpunkt der Coronakrise zeigt sich, dass unser Insolvenz- und Sanierungsrecht, das nach Einschätzung der Weltbank zu den besten der Welt gehört, dieser Einordnung auch tatsächlich gerecht wird. Selbst die besten Systeme bedürfen aber auch eines ständigen Verbesserungsprozesses, um sie an bestehende Marktveränderungen anzupassen.
Die Einführung neuer Sonderinsolvenzverfahren oder weitere Eingriffe in die Privatautonomie halten wir nicht für sinnvoll, da sie die notwendige Anpassung an eine „neue Normalität“ nach dem hoffentlich nahen Ende der unmittelbaren Einschränkungen des Wirtschaftslebens eher hemmen als befördern. Sie vergrößern die Gefahr eines Dominoeffekts, der die gesunde Substanz vieler Unternehmen beschädigen und damit die negativen Folgen der Krise sogar vergrößern könnte.
Die umfangreichen Vorbereitungsarbeiten der vergangenen Jahre können und sollten jetzt ohne Verzögerung umgesetzt werden. Sie haben mit Blick auf die Coronakrise neue Aktualität gewonnen. Ihre unterschiedlichen Themenfelder ergänzen sich gegenseitig zu einer umfassenden Modernisierung und Ertüchtigung des nun besonders wichtigen Restrukturierungs- und Insolvenzrechts.
Wir haben uns erlaubt, den aufgrund ihrer Ausschussarbeit mit dem Thema befassten Abgeordneten im Deutschen Bundestag ein gleichlautendes Schreiben zukommen zu lassen.
Gerne stehen wir Ihnen für weitere Gespräche und Informationen zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Christoph Niering
Vorsitzender