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Initiative:

14.10.2019

Eckpunktepapier zur ESUG-Evaluation

A. Vorbemerkung

Am 10.10.2018 veröffentlichte das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) erstmals den „Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen mit der Anwendung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG)“. Der Online-Veröffentlichung folgte die Präsentation der wesentlichen Studienergebnisse im BMJV. In Erinnerung bleibt das Postulat der denknotwendigen gemeinsamen Behandlung der Ergebnisse der ESUG-Studie einerseits und der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsmaßnahmen (RLE) andererseits. Eine solche Behandlung sei inhaltlich geboten und dränge sich zeitlich auf.

Nachdem die Richtlinie[1] am 26.06.2019 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde, können die Bewertung der ESUG-Studie und die Entwicklung von Lösungsmöglichkeiten im Lichte der Inhalte der Richtlinie erfolgen.

Die weiter bestehende Aktualität und unbestrittene Qualität der Studienergebnisse gebieten indes eine schnellstmögliche Befassung. Eine Orientierung an der Frist zur Umsetzung der Richtlinie würde den Verlust von bis zu zwei Jahren bedeuten – verlorene wertvolle Zeit, nicht nur im internationalen Wettbewerb. Sofern die Komplexität der Richtlinie solche Zeiträume erfordert, sind eine vorgelagerte politische Diskussion zur ESUG-Studie und die Entwicklung von Lösungsansätzen unerlässlich und auch möglich. Aus gutem Grund empfiehlt die Studie, „jedes vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren nur als eigenständige Option anzubieten, die folgerichtig auf das vorinsolvenzliche Stadium beschränkt ist“.

Angesichts der erwarteten Rechtsverbindlichkeit im Allgemeinen und bezüglich nationaler Spielräume bei der Implementierung des Verfahrens durch Öffnungsklauseln im Besonderen ist über die politische Diskussion hinaus sogar eine Tätigkeit des Gesetzgebers nur zu den Inhalten des ESUG denkbar.

 

B. Allgemeine Rezeption des ESUG

Die Neuerungen des ESUG haben sich aus Sicht des VID grundsätzlich bewährt. Die beabsichtigte Stärkung der Schuldner- und Gläubigerrechte, insbesondere im Hinblick auf die Auswahl des Insolvenzverwalters und Sachwalters wird nach wie vor für richtig und maßgeblich gehalten. Dies gilt ungeachtet von bekannt gewordenen Missbrauchsfällen. Da diese Ausdruck von einer grundsätzlich erkannten Missbrauchsgefahr sind, muss zum Schutz des Reformgedankens Missbrauchsfällen ausdrücklich begegnet werden.

Vor diesem Hintergrund sieht der VID gezielten – aber dringenden – Reformbedarf, insbesondere zu(r)

  •  den Anforderungen an die Eingangsvoraussetzen der Eigenverwaltung (Ziff. C.I.)
  • Vereinbarkeit von Vorschlagsrechten und Unabhängigkeit des Sachwalters (Ziff. C.II.),
  • stärkeren Verantwortlichkeit der Verfahrensbeteiligten, insbesondere des (vorläufigen) Gläubigerausschusses (Ziff. C.III.),
  • Modernisierung einzelner Verfahrensregeln (Ziff. C.V.)

 

C. Reformvorschläge im Einzelnen

 

I. Die Eigenverwaltung

 

1. Schaffung eines einheitlichen vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens

1. 1. Die Parallelität von §§ 270a, 270b InsO ist zugunsten eines einheitlichen Eigenverwaltungsverfahrens aufzugeben.

1.2. Diese auch in der ESUG-Studie (S. 107) empfohlene Verschmelzung sollte unter Verzicht auf die Besonderheiten des § 270b InsO bei gleichzeitiger Erhöhung der Eingangshürden (s. Ziff. 2) erfolgen.

1.3  Eine Änderung der gesetzlichen Terminologie in der InsO ist nicht geboten. Der Begriff des „Schutzschirmverfahrens“ ist kein juristischer Fachbegriff. Seine weitere Verwendung für ein einheitliches vorläufiges Eigenverwaltungsverfahren kann der Praxis überlassen bleiben. Die Einführung einer neuen – auf Sanierung – ausgerichteten Begrifflichkeit sollte zur Entwertung des Regelinsolvenzverfahrens als gleichwertigem Sanierungsinstrument vermieden werden. Empfohlen wird daher die bloße Verwendung des Begriffs „Eigenverwaltung“.

 

2. Notwendigkeit erhöhter Eingangsvoraussetzungen der (vorläufigen) Eigenverwaltung

2.1. Bei Antragstellung bestehen keine fälligen Verbindlichkeiten gegenüber Sozialversicherungsträgern und Finanzämtern.

2.2. Die handels- und steuerrechtlichen Pflichten zur Buchführung und Rechnungslegung müssen erfüllt sein.

2.3. Ergebnis und Liquidität sind mittels einer bei Antragstellung fertig gestellten Ertrags- und Liquiditätsplanung mindestens für einen Zeitraum bis drei Monate nach perspektivischer Verfahrenseröffnung nachzuweisen. Die Ertrags- und Liquiditätsplanung ist unter Einschluss der insolvenzrechtlichen Besonderheiten der Eigenverwaltung, insbesondere der verfahrensbedingten Kosten (Berater, Gericht, Sachwalter, etc.) darzustellen.

2.4. Der Schuldner hat sicherzustellen, dass er oder ein beauftragter Dritter für die gesamte Dauer der Eigenverwaltung über eine den Anforderungen des § 56 InsO vergleichbare Eignung verfügt. Die Eignung ist zu vermuten, wenn eine Person, die die Voraussetzungen des § 56 erfüllt, Mitglied der Geschäftsführung ist. Die Tätigkeit dieser Person muss nachgewiesen adäquat versichert sein.

2.5. Die Haftung des Geschäftsführers in der Eigenverwaltung sowie aller weiteren zur Sicherstellung der Eignung i. S. d. Ziff. 2.4 beauftragten Personen (z. B. Generalhandlungsbevollmächtigter, CRO, etc.) ist an die Haftung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters gemäß §§ 60, 61 InsO entsprechend der Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17) anzugleichen.

2.6. Zur Eignung des Schuldners zur Eigenverwaltung gehört auch die Fähigkeit zur Organisation und Umsetzung der Insolvenzgeldvorfinanzierung durch eigenes Personal  oder einen beauftragten Dritten.

2.7. Die Regelung des § 13 InsO ist dahingehend zu ergänzen, dass zu den vorgenannten Punkten Angaben zu machen sind; die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben sind zu versichern.

2.8. Fehlen diese Angaben ist der Antrag auf Eigenverwaltung offensichtlich aussichtslos (§ 270a Abs. 1 InsO). Der Gutachter / vorläufige Sachwalter hat diese Punkte zu prüfen. Die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben ist dem Gericht unverzüglich anzuzeigen.

 

3. Die Abgrenzung der Befugnisse und das Rollenverständnis des Sachwalters

3.1. Die vorläufige Sachwaltung ist – sollte es bei zwei Varianten des vorläufigen Verfahrens bleiben – in beiden Verfahrensarten (§§ 270a, b InsO) öffentlich bekannt zu machen.

3.2. Die Möglichkeit der Kassenführungsbefugnis des (vorläufigen) Sachwalters in der Eigenverwaltung ist zu streichen.

 

4. Begründung von Masseverbindlichkeiten bei § 270a InsO

4.1. Die Betriebsfortführung in der Eigenverwaltung verlangt Rechtssicherheit durch die generelle Möglichkeit der Einzelermächtigung.

4.2. In einem einheitlichen Eigenverwaltungsverfahren sollte daher sowohl die Möglichkeit der Pauschalermächtigung i. S. d. § 270b Abs. 3 InsO als auch der Einzelermächtigung bestehen. Eine Neuregelung sollte dies angesichts der praktischen Bedeutung der Einzelermächtigung ungeachtet der gesetzlichen Grundlage in § 21 InsO klarstellen.

 

5. Die Bedeutung von Steuer- und Sozialversicherungsverbindlichkeiten in der Eigenverwaltung bei §§ 270a, b InsO und § 55 Abs. 4 InsO

5.1. Die Regelung des § 55 Abs. 4 InsO sollte abgeschafft werden, um die Sanierungschancen nicht zu verschlechtern.

5.2. Sollte das aus fiskalischen Gründen nicht opportun oder politisch nicht durchsetzbar sein, so sollte § 55 Abs. 4 InsO zur Vermeidung von Fehlanreizen auch in der vorläufigen Eigenverwaltung gelten. Nur durch den Steuervorteil (durch-)finanzierte Fortführungen verdienen nicht das Privileg der Eigenverwaltung.

 

II. Die Unabhängigkeit des (vorläufigen) Sachwalters und der Einfluss der Berater

 

1. Anspruch auf Vorgespräch

Zur Vertrauensbildung für den Schuldner einerseits und für die Stärkung der gerichtlichen Kontrollfunktion für die Gläubiger andererseits sollte ein gesetzlicher Anspruch des Schuldners auf ein Vorgespräch mit dem Insolvenzgericht geschaffen werden. Dieser Anspruch setzt nicht das Erreichen bestimmter Schwellenwerte (z. B. § 22a Abs. 1 InsO) voraus.

 

2. Fortbestand von Vorschlagsrechten und Unzulässigkeit einer Beratung in allgemeiner Form

Die Vorschlagsrechte von Schuldner und vorläufigem Gläubigerausschuss zur Person des (vorläufigen) Sachwalters sollten gesetzlich konkretisiert und vereinheitlicht werden:

  • Entsprechend der derzeitigen Rechtslage wird die Unabhängigkeit nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass der Schuldner oder Gläubiger einen Vorschlag zur Person des Sachwalters machen (§ 56 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 InsO).
  • Demgegenüber sollte auch eine nur (allgemeine) Beratung des Schuldners durch die vorgeschlagene Person vor dem Eröffnungsantrag die Unabhängigkeit ausschließen. Die Regelung des § 56 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 InsO sollte deshalb ersatzlos gestrichen werden.
  • Eine Bewerbung oder persönliche Vorstellung – ohne Beratung – berührt die Unabhängigkeit des potentiellen Sachwalters nicht, sondern ist Bestandteil einer professionellen Auswahl.
  • Der (vorläufige) Gläubigerausschuss hat ein Vorschlagsrecht, wenn seine Mitglieder sich einstimmig auf eine Person verständigen.
  • Die Berater des Schuldners, insbesondere die zur Sicherstellung der Eignung i. S. d. Ziff. 2.4 beauftragten Personen (C. I. 2. 5, „die Eigenverwaltung“) sollten verpflichtet werden, dem Gericht eine frühere und laufende Zusammenarbeit mit der vorgeschlagenen Person in berufsrechtlich zulässigem Umfang offenzulegen.

 

3. Notwendigkeit beruflicher Zulassung und qualifiziertes Anforderungsprofil

Es können nur vorgeschlagene Personen bestellt werden, die

  • aufgrund (noch zu schaffender) beruflicher Zulassung für die Tätigkeit als Restrukturierungs-, Insolvenz, -oder Sachwalter generell geeignet sind;
  • eine Erklärung zu allen Umständen abgeben, die keinen Zweifel an ihrer Unabhängigkeit begründen könnten;
  • auf der Grundlage einer ausführlichen Darstellung der Umstände des Einzelfalls die besondere spezifische Eignung für das jeweilige Verfahren besitzen („Anforderungsprofil“).

4. Bindungswirkung eines einstimmigen Gläubigerausschussvotums bei Einsetzung durch das Insolvenzgericht und Konstituierung vor Bestellung des vorläufigen Sachwalters

Der einstimmige Vorschlag des (vorläufigen) Gläubigerausschusses hat gegenüber dem Insolvenzgericht Bindungswirkung bezüglich der vorgeschlagenen Person, sofern

 

a) der Schuldner im Insolvenzantrag erklärt hat, dass für die Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses, dessen Konstituierung und für die Beschlussfassung zur Person des vorläufigen Sachwalters ein Zeitraum von einem Werktag (ohne den Tag der Antragstellung) zur Verfügung steht, ohne dass hierdurch nach seiner Einschätzung eine nachteilige Veränderung seiner Vermögenslage zu befürchten ist,

b) alle Gläubigergruppen entsprechend der Vorgaben des § 67 InsO in einem (vorläufigen) Gläubigerausschuss vertreten sind,

c) der Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses zur Person des vorläufigen Sachwalters in einem Beschluss nach seiner Einsetzung und Konstituierung schriftlich fixiert und entsprechend der Vorgaben der Ziff. 3 begründet ist und

d) die vorgeschlagene Person geeignet ist.

Liegt die Erklärung gemäß Ziff. 4 a) vor, hat das Insolvenzgericht obligatorisch einen vorläufigen Gläubigerausschuss einzusetzen, bevor es über die Bestellung des vorläufigen Sachwalters entscheidet.

Liegt eine Erklärung gemäß Ziff. 4 a) nicht vor oder scheitert die Einsetzung des (vorläufigen) Gläubigerausschusses in dem Zeitraum gemäß Ziff. 4 a) ist aufgrund der hiermit verbundenen Verzögerung von einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage des Schuldners (§ 22a Abs. 3 Alt. 3 InsO) auszugehen und wird die fehlende Eignung zur Eigenverwaltung unwiderleglich vermutet.

Das Insolvenzgericht kann von einem einstimmigen Vorschlag abweichen, wenn die Voraussetzungen der Ziff. 4 für einen bindenden Vorschlag nicht vorliegen. Dies ist u. a. dann der Fall, wenn die vorgeschlagene Person nicht geeignet ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die abstrakten und / oder konkreten Eignungskriterien der Ziff. 3 nicht erfüllt sind. Das Gericht muss in diesem Fall den bereits eingesetzten (vorläufigen) Gläubigerausschuss anhören und die Ablehnung des Vorschlags schriftlich begründen.

 

III. Bildung eines (vorläufigen) Gläubigerausschusses

  1. Die Kompetenz der Gläubigerausschussmitglieder ist zu erhöhen. So sollten die Mitglieder des (vorläufigen) Gläubigerausschusses in Insolvenzsachen erfahrene Personen sein. Dies gilt nicht für Arbeitnehmervertreter.
  1. Wie auch beim (endgültigen) Gläubigerausschuss (§ 67 Abs. 3 InsO) sollten auch solche Personen zu Mitgliedern des (vorläufigen) Gläubigerausschusses bestellt werden können, die nicht Gläubiger sind. Die Regelung des § 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO sollte durch Ausweitung der Verweisung auch auf § 67 Abs. 3 InsO geändert werden.
  1. Gibt das Vorgespräch im Hinblick auf die Auswahl der Ausschussmitglieder Anlass für eine Anhörung, so soll das Gericht die jeweiligen Ausschussmitglieder im Vorfeld der Einsetzung – mit der gebotenen Eile, d. h. im Zweifel telefonisch (vorzugsweise im Rahmen einer gemeinsamen Telefonkonferenz) – anhören.
  1. Die Vergütung und die Haftpflichtversicherung der Mitglieder des Gläubigerausschusses sind angemessen zu regeln und gegenüber der derzeitigen Regelung deutlich zu erhöhen.
  1. Die Rechte des (vorläufigen) Gläubigerausschusses sind durch Ergänzung eines § 270a Abs. 3 InsO zu stärken: „Das Insolvenzgericht hebt die Anordnung der Eigenverwaltung auf, wenn der (vorläufige) Gläubigerausschuss dies beantragt und Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass der Fortbestand der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird.“
  1. Das Gesetz sollte über die Möglichkeit der Entlassung eines Ausschussmitglieds aus wichtigem Grund (§ 70 InsO) hinaus die Möglichkeit der Amtsbeendigung vorsehen, wenn die wesentlichen Entscheidungen getroffen sind und der Verzicht auf einen Gläubigerausschuss keine Nachteile für die Gläubiger befürchten lässt.

 

IV. Bedürfnis für ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren 

  1. Der präventive Restrukturierungsrahmen ist vom Insolvenzverfahren klar begrifflich und inhaltlich abzugrenzen. Die bei der Umsetzung der EU-Richtlinie bestehenden Gestaltungsspielräume sind insbesondere in dieser Hinsicht zu nutzen.
  1. Daher sollte die Umsetzung der Richtlinie durch ein Restrukturierungsverfahren in einem eigenen Gesetz über präventive Restrukturierungsrahmen“ (PRG) erfolgen.
  1. Aus Anlass der Umsetzung der Richtlinie sollte nicht die Überschuldung als obligatorischer Insolvenzgrund abgeschafft werden. Die Überschuldung ist als Insolvenzgrund (weiterhin) sachlich gerechtfertigt und europaweit breit verankert. Die Umsetzung der Richtlinie sollte indes zum Anlass genommen werden, den Überschuldungsbegriff zu modifizieren. So sollte die Nutzung der Instrumente des präventiven Restrukturierungsrahmens bei Vorliegen einer Überschuldung die negative Fortführungsprognose ausschließen (können).

 

V. Das Insolvenzplanverfahren

1. Präklusions- oder Ausschlussklauseln für Nachzügler, §§ 259a, 259b InsO

Gläubiger, die ihre Forderungen nicht bis zum Abstimmungstermin angemeldet haben – so genannte Nachzügler – gefährden die Sanierung. Die durch das ESUG geschaffenen Regelungen der § 254b und § 259a, b InsO entschärfen diese Gefahr nicht hinreichend. Die Insolvenzpraxis behilft sich mit Rückstellungen und verzögerten Quotenauszahlungen nach Eintritt der besonderen Verjährung, was weder im Sinne des Schuldners noch der Gläubiger ist.

 1.1. In Übereinstimmung mit der ESUG-Studie sollte § 259b InsO jedenfalls insoweit plandispositiv sein (vgl. Option 3, S. 162), als dass der nicht am Verfahren teilnehmende (Nachzügler-)Gläubiger nachweislich über die Insolvenzeröffnung informiert und zum Erörterungs- und Abstimmungstermin geladen worden ist. In diesem Fall könnte – abgesichert durch eine Wiedereinsetzungsmöglichkeit – an die Stelle der Verjährungsfrist eine für angemeldete aber bestrittene Forderungen anerkannte Ausschlussfrist treten (BGH IX ZB 65/10 in ZInsO 2010, 1448 ff.).

1.2. Die Wiedereinsetzungsmöglichkeit sollte – in Anlehnung an § 259b InsO – zeitlich begrenzt werden und ein Jahr nach Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses entfallen. Anders als nach der derzeitigen Fassung des § 259b InsO sollte es hierbei nicht auf die Fälligkeit der Forderung ankommen.

 

2. Vergütungsregelungen

In Übereinstimmung mit der ESUG-Studie ist festzuhalten, dass der Insolvenzplan nicht das geeignete Instrument ist, verbindlich die Verwalter-/Sachwaltervergütung zu regeln. Der Vorbehalt der gerichtlichen Festsetzung sichert die notwendige Neutralität.

2.1. Gleichwohl muss dem Wunsch der Beteiligten nach Planbarkeit zur Durchsetzung verholfen werden. Dies sollte weder durch die gesetzliche Zulassung von Vergütungsvereinbarungen noch durch die Disponibilität der §§ 63-65 InsO erfolgen. Erklärungen des Insolvenzverwalters/Sachwalters nach § 230 Abs. 3 InsO zu Maximalbeträgen auf der Grundlage eines Entwurfs des Vergütungsantrages sind schon nach geltender Rechtslage geeignet, (i) den Vorbehalt der gerichtlichen Festsetzung zu wahren und (ii) sehr weitgehende rechtsverbindliche Planbarkeit herbeizuführen. Erwägenswert wäre eine diesbezügliche gesetzgeberische Klarstellung.

2.2. Zur Schließung der vom BGH (21.07.2016 – IX ZB 70/14, 22.09.2016 – IX ZB 71/14) erkannten Lücken im Vergütungsrecht sollte ein eigenständiger gesetzlicher Vergütungsanspruch des vorläufigen Sachwalters geschaffen werden.

2.4. Die Kosten der Eigenverwaltung sind Gegenstand der Auftragsbeziehung mit der Schuldnerin. Eine Ausweitung des gerichtlichen Kostenfestsetzungsverfahrens auf die Kosten der Eigenverwaltung erscheint weder zulässig noch erstrebenswert. Entscheidend ist der transparente Umgang mit der Vergütung der Eigenverwaltung. Dies verlangt für die Zulassung zum Verfahren die Darstellung sämtlicher Kosten der Eigenverwaltung in der Planung (vgl. Ziff. C.I.2.2.3) und im gesamten Verfahren die Offenlegung gegenüber dem (vorläufigen) Gläubigerausschuss und dessen Zustimmung. Die Anlehnung der Vergütungsvereinbarung an die InsVV setzt die Definition von Zuschlagstatbeständen voraus. Dabei sind im Fall einer übertragenden Sanierung oder Liquidation auch Abschläge zu berücksichtigen, wenn das Insolvenzverfahren nicht bis zur Aufhebung nach § 200 InsO in Eigenverwaltung geführt wird, sondern ins Regelverfahren übergeleitet werden soll.

 

3. Gezielter Nachbesserungsbedarf für einzelne Regelungssituationen

3.1. Der (vorläufige) Gläubigerausschusses sollte berechtigt sein, den Sachwalter oder den Schuldner mit der Erstellung eines Insolvenzplans zu beauftragen (Ausweitung des § 284 InsO).

3.2. Die von Gesetzes wegen notwendigen Stellungnahmen gegenüber dem Insolvenzgericht sollten bereits bei Vorlage des Insolvenzplans vorliegen und nicht erst nach gerichtlicher Prüfung (Anpassung der §§ 218 Abs. 3, 232 InsO) eingeholt werden.

3.3. Es sollte verpflichtend sein, bis zum Berichts- und Prüfungstermin einen Planentwurf mit den Inhalten des § 220 Abs. 2 InsO (Gruppenbildung, Vergleichsrechnung, etc.) vorzulegen. Unterbleibt die Vorlage, ist dies schriftlich zu begründen und eine neue Vorlagefrist zu benennen.

3.4. Es bedarf erhöhter Anforderungen an die Vergleichsrechnung, insbesondere einer aktuellen Vermögensübersicht im Sinne der §§ 151, 153 InsO („nicht älter als 3 Monate“) und der ausdrücklichen Erwähnung insolvenzspezifischer Ansprüche. Weitergehende Vorgaben (Verpflichtung zum Dual Track) sind nicht sinnvoll und sollten der Prüfung im Einzelfall vorbehalten bleiben.

3.5. Aufgrund der geringen praktischen Bedeutung des Debt-Equity-Swaps wird kein Änderungsbedarf im Hinblick auf § 225a Abs. 2 InsO erkannt.

3.6. Sinnvoll wäre die Definition einer Mindestschwelle zur Annahme eines Eingriffs in die Rechte der Anteilseigner zur Vermeidung einer obligatorischen Gruppe für Planregelungen von geringer oder fehlender Eingriffsintensität (z. B. Fortsetzungsbeschluss) und nicht gewollter Obstruktions- und Transaktionsrisiken.

 

VI. Gerichtsorganisation oder Ergänzung von Rahmenbedingungen zur Zuständigkeitsprüfung

  1. Für die Insolvenz größerer Unternehmen sind die Insolvenzgerichte am Sitz des Landgerichts zuständig. Die Möglichkeit durch kurzfristige Sitzverlegung das zuständige Gericht zu umgehen („Forum Shopping“) ist generell einzuschränken.
  2. 102c § 4 Satz 2 EGInsO sollte wie folgt ergänzt werden: Die §§ 574 bis 577 der Zivilprozessordnung sowie § 6 Abs. 3 InsO gelten entsprechend.

 

Berlin, den 14.10.2019

[1] RICHTLINIE (EU) 2019/1023 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 20. Juni 2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz)

 

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