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Stellungnahme:

13.01.2023

VID-Stellungnahme zum RefE eines Gesetzes zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik

Stellungnahme des VID - Verband Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands e.V. zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten

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I. Einleitung

Mit dem vorliegenden Entwurf sollen die Möglichkeiten des Einsatzes von Videokonferenztechnik in den Verfahrensordnungen über die geltende Rechtslage hinaus erweitert[1] und dabei „einerseits den Gerichten ein möglichst großer Gestaltungsspielraum bei der Planung, Anordnung und Durchführung von Terminen per Bild- und Tonübertragung eingeräumt werden. Andererseits sollen die Antragsrechte der Parteien und ihrer Prozessvertreter auf Durchführung einer Videoverhandlung oder Aufzeichnung einer Beweisaufnahme gestärkt werden.“[2]Die bestehenden Regelungen sollen dabei flexibler und praxistauglicher gestaltet werden und den Rechtssuchenden den Zugang zur Justiz erleichtern.

Der VID begrüßt grundsätzlich die Bemühungen um eine weitere Digitalisierung der Verfahrensführung und hat bereits 2018 mit Blick auf mehr Barrierefreiheit und Teilhabe Vorschläge für die (weitere) Digitalisierung von Insolvenzverfahren unterbreitet.[3]

Mit der Erweiterung der Möglichkeiten des Einsatzes von Videokonferenztechnik erfolgt jedoch der zweite Schritt vor dem ersten. So fehlt es in Insolvenzverfahren bis heute an einer verpflichtenden[4] elektronischen Forderungsanmeldung, durch die sich der – gerade in Verfahren mit einer Vielzahl von Gläubigern – erhebliche Personal- und Kostenaufwand von Gerichten und Insolvenzverwaltern erheblich reduzieren ließe. So betrifft die Forderungsanmeldung jeden Gläubiger.

Die Besonderheiten des Insolvenzverfahrens, das als nicht-öffentliches Verfahren ausgestaltet ist und an dem unter Umständen eine Vielzahl von Gläubigern[5] beteiligt ist, werden im vorliegenden Entwurf nicht ausreichend berücksichtigt.

 

II. Bisherige Rechtslage

Mit der Ergänzung des § 4 um Satz 2 InsO durch das SanInsFoG wurde in der vergangenen Legislaturperiode die bis dato umstrittene Frage der Zulässigkeit einer Teilnahme an Gläubigerversammlungen über Fernkommunikationsmittel geklärt und den Insolvenzgerichten die Möglichkeit eröffnet, auch in Gläubigerversammlungen und Erörterungs- und Abstimmungsterminen dem Schuldner, den Gläubigern und sonstigen Teilnahmeberechtigten die Teilnahme ohne physische Anwesenheit am Versammlungsort im Wege der Bild- und Tonübertragung zu gestatten.[6]

Zuvor lautete die Regelung des § 4 InsO lediglich, dass für das Insolvenzverfahren die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend gelten, soweit die InsO nichts anderes bestimmt (Satz 1).[7]

Durch die Verweisung auf § 128 a ZPO in § 4 Satz 2 InsO sollten sich weder für Insolvenzgerichte noch für die Teilnahmeberechtigten neue Verpflichtungen, sondern lediglich zusätzliche Optionen ergeben. So steht es bislang im Ermessen des Gerichts, ob es im Einzelfall die Möglichkeit der virtuellen Teilnahme zulässt.[8]

Bei der Ermessensausübung des Gerichts, so die Gesetzesbegründung, wird insbesondere zu berücksichtigen sein, ob dem Insolvenzgericht eine technische Ausstattung zur Verfügung steht, welche hinreichend zuverlässig arbeitet, Datenschutz- und Datensicherheitsbelangen Rechnung trägt, die effektive Leitung der Versammlung zulässt, die zuverlässige Prüfung der Identität und Teilnahmeberechtigung sowie der Stimmrechte vor jeder einzelnen Abstimmung sicherstellt und allen Teilnehmern eine effektive Ausübung ihrer Rechte einschließlich der Einsichtnahme in Unterlagen und Kommunikation mit dem Gericht und allen anderen Teilnehmern ermöglicht.“[9]

Eröffnet das Insolvenzgericht die Möglichkeit der virtuellen Teilnahme im Einzelfall dem Grunde nach, steht es (auch) im Ermessen des Gerichts, „ob es diese Möglichkeit allen Teilnahmeberechtigten eröffnet oder auf einen sachgerecht abgegrenzten Teil von ihnen beschränkt (z. B. bei nachgewiesenen Einschränkungen der Reisefähigkeit oder bei besonders großer Entfernung zum Versammlungsort).“[10] Auch wenn das Insolvenzgericht den Teilnahmeberechtigten die virtuelle Teilnahme gestattet, haben diese weiterhin das Recht, persönlich im Versammlungssaal teilzunehmen.

Den Besonderheiten des Insolvenzverfahrens wurde (lediglich) insoweit Rechnung getragen, als § 4 Satz 2 InsO regelt: „§ 128a der Zivilprozessordnung gilt mit der Maßgabe, dass bei Gläubigerversammlungen sowie sonstigen Versammlungen und Terminen die Beteiligten in der Ladung auf die Verpflichtung hinzuweisen sind, wissentliche Ton- und Bildaufzeichnungen zu unterlassen und durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass Dritte die Ton- und Bildübertragung nicht wahrnehmen können.“

Dass die Möglichkeiten der Insolvenzgerichte zur diesbezüglichen Überwachung eingeschränkt sind, war für den Gesetzgeber „kein tragfähiger Grund, die virtuelle Teilnahme an nichtöffentlichen Versammlungen und sonstigen Terminen gesetzlich auszuschließen, zumal die Anwendung von § 128a ZPO auch in anderen Fällen nichtöffentlicher Termine auch in anderen durchaus sensiblen Bereichen zulässig ist (…).“[11]

 

III. Exkurs: Europäische Entwicklungen

Bereits die Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz vom 20.06.2019 gab den Mitgliedstaaten auf sicherzustellen, dass in Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren die Verfahrensparteien, die Verwalter und die Justiz- oder Verwaltungsbehörde auch in grenzüberschreitenden Situationen mindestens die Geltendmachung von Forderungen, die Einreichung von Restrukturierungs- oder Tilgungsplänen, die Mitteilungen an die Gläubiger und die Einlegung von Beanstandungen und Rechtsbehelfen elektronisch vornehmen können.[12]

Die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass auf europäischer Ebene verstärkt Anstrengungen unternommen werden, die Digitalisierung von Insolvenzverfahren – auch im Bereich des Einsatzes von Videokonferenztechnik – weiter voranzubringen.

Diese Anstrengungen sollen nachfolgend überblicksartig dargestellt werden:

  1. Entwurf einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Digitalisierung der justiziellen Zusammenarbeit und des Zugangs zur Justiz in grenzüberschreitenden Zivil-, Handels- und Strafsachen, und zur Änderung bestimmter Rechtsakte im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit vom 1. Dezember 2021 – COM (2021) 759 final

Der Anwendungsbereich des Verordnungsentwurfes[13] umfasst Videokonferenzen in Verfahren, die in den Anwendungsbereich der in den Anhängen I und II aufgeführten Rechtsakte fallen, oder in anderen Zivil- und Handelssachen, wenn sich eine der Parteien in einem anderen Mitgliedstaat aufhält (vgl. Art. 1 Abs. 2 VO-E). Die EuInsVO[14] ist im Anhang I unter Ziff. 9 genannt.[15]

Art. 7 des Verordnungsentwurfes regelt die Anhörung mittels Videokonferenz oder einer anderen Fernkommunikationstechnologie in Zivil- und Handelssachen:

„(1) Unbeschadet besonderer Bestimmungen über den Einsatz von Videokonferenzen oder anderen Fernkommunikationstechnologien in Verfahren nach den in Anhang I aufgeführten Rechtsakten und auf Antrag einer Partei eines in den Anwendungsbereich dieser Rechtsakte fallenden Verfahrens oder in anderen Zivil- und Handelssachen, wenn sich eine der Parteien in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, oder auf Antrag ihres gesetzlichen oder bevollmächtigten Vertreters gestatten die zuständigen Behörden ihre Teilnahme an einer Anhörung mittels Videokonferenz oder einer anderen Fernkommunikationstechnologie, sofern

  1. a) diese Technologie verfügbar ist und
  2. b) die andere(n) Partei(en) die Möglichkeit erhielt(en), zum Einsatz einer Videokonferenz oder einer anderen Fernkommunikationstechnologie eine Stellungnahme abzugeben.[16]

(2) Ein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Anhörung mittels Videokonferenz oder einer anderen Fernkommunikationstechnologie kann von der zuständigen Behörde abgelehnt werden, wenn die besonderen Umstände des Falles mit dem Einsatz dieser Technologie nicht vereinbar sind.

(3) Die zuständigen Behörden können die Teilnahme von Parteien an Anhörungen mittels Videokonferenz von Amts wegen gestatten, sofern alle Parteien die Möglichkeit haben, zum Einsatz einer Videokonferenz oder einer anderen Fernkommunikationstechnologie eine Stellungnahme abzugeben.

(4) Vorbehaltlich dieser Verordnung unterliegt das Verfahren für die Beantragung und Durchführung einer Videokonferenz dem nationalen Recht des Mitgliedstaats, der die Videokonferenz durchführt.  (…)“ [17]

 

Der VID hat im Dezember 2022 zum Verordnungsentwurf ausführlich Stellung genommen.[18]

So stellte sich zum Verordnungsentwurf u.a. die Frage, was in der deutschen Sprachfassung aus insolvenzrechtlicher Perspektive unter einer „Teilnahme an einer Anhörung“ zu verstehen ist, da der Begriff unter Art. 2 VO-E (Begriffsbestimmungen) nicht definiert ist. Bedenken hatte der VID auch im Hinblick auf die geplante Regelung des Art. 7 Abs. 1 b) VO-E geäußert, der insbesondere in Massenverfahren kaum handhabbar sein dürfte.

  1. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts (COM (2022) 702 final)

Der am 07.12.2022 veröffentlichte Richtlinienvorschlag der Kommission zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts[19] sieht zur Arbeitsweise von Gläubigerausschüssen in Art. 63 Abs. 4 vor, dass die Mitgliedstaaten den Mitgliedern von Gläubigerausschüssen ermöglichen müssen, entweder persönlich oder auf elektronischem Weg an Sitzungen teilzunehmen und abzustimmen.[20]

Im nationalen Recht bestimmt der Gläubigerausschuss seine innere Organisation selbst[21] und kann – schon jetzt – in seiner Geschäftsordnung die Zulässigkeit von Ausschusssitzungen per Videokonferenz sowie einer dortigen Beschlussfassung vorsehen.[22]

Art. 40 des Richtlinienvorschlags sieht vor, dass in vereinfachten Liquidationsverfahren für Kleinstunternehmen[23] jegliche Kommunikation zwischen dem Gericht und dem Insolvenzverwalter (sofern bestellt) einerseits und den weiteren Verfahrensbeteiligten andererseits auf elektronischem Weg möglich sein soll, entsprechend Art. 28 der Richtlinie 2019/1023. Dies soll neben z. B. der Stellung von Anträgen sowie dem Forderungsanmeldungs- und -prüfungsverfahren offenbar auch Abstimmungen durch die Gläubiger erfassen, die zumindest in der Konstellation des Art. 54 Abs. 4 des Vorschlags – Entscheidung über zerschlagende oder betriebsübertragende Veräußerung des Vermögens – vorgesehen sind.

Die nationalen Bemühungen zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten sollten die europäischen Entwicklungen berücksichtigen, da diese nicht nur als Richtlinienvorschlag, sondern auch als Verordnungsentwurf formuliert sind.

Von den Mitgliedstaaten der EU nutzt zumindest die Insolvenzjustiz in Belgien bereits (landesweit einheitlich) eine sehr weit entwickelte und nutzerfreundliche Internetplattform, die eine Kommunikation unter den Verfahrensbeteiligten sowie weitgehend elektronische Verfahrensabwicklung ermöglicht.

Aus Singapur wird berichtet, dass Anhörungen in Insolvenzverfahren mit hunderten von Beteiligten erfolgreich per Videokonferenz abgehalten werden.

 

IV. Im Einzelnen

1. § 128 a ZPO-E (Videoverhandlung)

a) Verbindliche Anordnung (§ 128a Abs. 2 Satz 1 ZPO-E)

Kann das Gericht eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung per Bild- und Tonübertragung bisher gemäß § 128 a Abs. 2 Satz 1 ZPO nur „gestatten“, soll dem Vorsitzenden mit § 128a Abs. 2 Satz 1 ZPO-E künftig die Möglichkeit gegeben werden, die Durchführung der mündlichen Verhandlung als Videoverhandlung verbindlich anzuordnen. „Die Anordnung wird im Regelfall gegenüber allen Verfahrensbeteiligten erfolgen, kann sich aber bei Vorliegen sachlicher Gründe auch auf einzelne oder mehrere Verfahrensbeteiligte beschränken (hybride Videoverhandlung).“[24]

Den bisherigen praktischen Unsicherheiten insbesondere in Bezug auf (gerichts-)organisatorische Aspekte, die daraus resultierten, dass es den Verfahrensbeteiligten bisher freistand, auch bei Terminierung einer Videoverhandlung im Sitzungszimmer zu erscheinen,[25] wurde teilweise Rechnung getragen. So wurde bislang aus insolvenzrichterlicher Perspektive kritisiert, dass, anders als bspw. bei Aktionärsversammlungen, im Insolvenzverfahren i.d.R. keine abschließenden Erkenntnisse des Insolvenzgerichts u. a. zur Gläubigeranzahl vorliegen und es in der Praxis zu signifikanten Erfahrungen mit zu großen oder zu kleinen Sälen kam. [26] Kritisiert wurde ferner, dass bei zwei getrennten Teilnehmerkreisen der verfahrensleitende Rechtspfleger seine Aufmerksamkeit nicht auf Saal und Bildschirm verteilen könne.[27]

 

b) Ermessensentscheidung (§ 128a Abs. 2 Satz 1 ZPO-E)

Die geplante Neufassung sieht vor, dass die Entscheidung zur Anordnung der Videoverhandlung im pflichtgemäßen Ermessen des Vorsitzenden steht, wobei eine Zustimmung der Parteien nicht erforderlich ist. Die Entscheidung kann von Amts wegen oder auf Antrag eines oder mehrerer Verfahrensbeteiligter getroffen werden.

Zu Recht stellt der Entwurf darauf ab, dass sich die zu treffenden Ermessenentscheidung am Zweck der Videoverhandlung, d. h. der Ermöglichung einer nachhaltigen und effizienten Verfahrensführung, orientieren soll.[28] Die Entwurfsbegründung führt beispielhaft auf, in welchen Fällen die Videoverhandlung ungeeignet sein kann. An diesen Beispielen wird (erneut) deutlich, dass der Entwurf lediglich den zweiseitigen Austausch im Zivilprozess berücksichtigt. So könne eine Videoverhandlung bereits ungeeignet erscheinen, wenn schwierige Vergleichsverhandlungen zu erwarten seien.[29] Übertragen auf das Kollektivverfahren könnte der Vorsitzende eine Videoverhandlung danach bereits ablehnen, wenn eine kontroverse Gläubigerversammlung zu „befürchten“ wäre. Die Gläubigerversammlung bleibt im eröffneten Verfahren jedoch das zentrale Organ der insolvenzrechtlichen Selbstverwaltung der Gläubiger,[30] so dass es in Gläubigerversammlungen durchaus auch sehr lebendig zugehen kann. Sie entscheidet durch ihre Beschlüsse zum Teil über das Schicksal des Insolvenzverfahrens.[31]

 

c) Einschränkung des Entscheidungsermessens (§ 128a Abs. 2 Satz 2 ZPO-E)

Wenn die Parteien ihre Teilnahme per Bild- und Tonübertragung übereinstimmend beantragen, soll sie angeordnet werden (§ 128 a Abs. 2 ZPO-E). Das Gericht kann in diesen Fällen nur noch ausnahmsweise in den aus seiner Sicht ungeeigneten Fällen von einer Videoverhandlung absehen.[32] Ausweislich der Entwurfsbegründung bedeutet die „Soll-Vorschrift“, „dass den Ablehnungsgründen im Einzelfall ein so besonderes Gewicht zukommen muss, dass diese gegenüber den Gründen, die für eine Videoverhandlung sprechen, deutlich überwiegen.“[33]

Übereinstimmende Parteianträge dienen danach als starkes Indiz dafür, dass die Verhandlung grundsätzlich für eine Bild- und Tonübertragung geeignet ist. Diese Indizwirkung, die in einem zweiseitigen Prozessverhältnis bereits mit zwei übereinstimmenden Parteianträgen eintritt, kommt in Insolvenzverfahren jedoch unter Umständen – trotz Geeignetheit der Videoverhandlung – nicht ausreichend zum Tragen. In Verfahren mit mehreren bis hin zu einer großen Zahl von Verfahrensbeteiligten dürfte die virtuelle „Verhandlung“ häufig daran scheitern, dass nicht alle Verfahrensbeteiligten, bzw. potentiellen Versammlungsteilnehmer einen solchen Antrag stellen.

 

2. Teilnahme ausländischer Verfahrensbeteiligter

Der vorliegende Referentenentwurf führt zur Vereinbarkeit mit dem oben unter Ziff. III.1. vorgestellten Verordnungsentwurf aus, dass er lediglich Videoverhandlungen adressiert, bei denen sich alle Verfahrensbeteiligten im Inland aufhalten und die Videokonferenzzuschaltung von Verfahrensbeteiligten aus dem Ausland nicht Gegenstand des Entwurfs ist.[34]

Die Durchführung virtueller Gläubigerversammlungen dürfte aufgrund der dann ersparten Anreise jedoch insbesondere für ausländische Gläubiger von Interesse sein.

Nachdem der vorliegende Entwurf ausschließlich Videoverhandlungen adressiert, bei denen sich alle Verfahrensbeteiligten im Inland aufhalten,[35] bedarf es einer Klärung, ob und wie ausländischen Verfahrensbeteiligten eine virtuelle Teilnahme an Gläubigerversammlungen und Erörterungs- und Abstimmungsterminen ermöglicht werden kann.

 

IV. Besonderheiten des Insolvenzverfahrens

Das Insolvenzverfahren folgt als Kollektiverfahren zwar vielen Vorgaben des Zivilprozesses, jedoch basieren die traditionellen Verfahrensmuster des Insolvenzverfahrens wesentlich auf Kommunikation und Interaktion der Beteiligten. Dieser Aspekt prägt das regelmäßig nur zweiseitige Austauschverhältnis eines Zivilprozesses nicht in gleicher Weise. Eine rein digitale Abbildung der Reaktionsmuster des Zivilprozesses genügt den Ansprüchen eines Kollektivverfahrens, insbesondere in Verfahren mit einer großen Zahl von Gläubigern, nicht.[36]

Die Erleichterung des Zugangs zur Justiz für die Gläubiger geht zudem nicht nur mit technischen Fragen einher, sondern auch mit der Frage, wie sichergestellt werden kann, dass die digitale Verfahrensführung seitens der Gerichte personell leistbar ist.

Ergänzend zu den vorgenannten Ausführungen sollen die besonderen Anforderungen in Insolvenzverfahren[37] nachfolgend anhand einiger Beispiele dargestellt werden:

 

1. Prüfung der Identität und Teilnahmeberechtigung

Nachdem der Gesetzgeber bereits mit der Einführung von § 4 Satz 2 InsO die virtuelle Teilnahme (auch) an nichtöffentlichen Versammlungen und Terminen als zulässig erachtete,[38] wurde die Frage der „(…) zuverlässige[n] Prüfung der Identität und Teilnahmeberechtigung (…)“[39]der Teilnehmer bei der Ermessensausübung des Gerichts lediglich erwähnt, ohne jedoch eine weitere Ausgestaltung zu erfahren.

 

a) Identitätsprüfung

Auch im vorliegenden Entwurf finden sich nur bei der Schaffung der virtuellen Rechtsantragstelle (§ 129a ZPO-E) zur Frage der Identifizierung nähere Ausführungen. Dort heißt es, an „die Identifizierung der Antragsteller sollen keine höheren Anforderungen als bei einer physischen Rechtsantragstelle gestellt werden. Soweit sich Antragsstellende bei einer Antragsstellung vor Ort ausweisen müssen, wird ein Video-Ident-Verfahren als ausreichend angesehen, bei dem der Personalausweis zur Identifizierung über die Kamera für die Urkundsbeamtin oder den Urkundsbeamten sichtbar gemacht wird.“[40]

Im Hinblick auf die Ausgestaltung des Insolvenzverfahrens als Kollektivverfahren wäre eine solche Identifizierung (erst) unmittelbar vor Beginn der virtuellen Gläubigerversammlung, bzw. eines Erörterungs- und Abstimmungstermins mit erheblichen Rechtsunsicherheiten behaftet und bei einer größeren Anzahl von Verfahrensbeteiligten auch praktisch kaum umsetzbar. Es bedarf daher einer Klärung der Frage, wie eine zuverlässige Identitätsprüfung zu erfolgen, d. h. wie sich der Teilnahmeberechtigte digital „auszuweisen“ hat.[41]

 

b) Prüfung der Teilnahmeberechtigung

Bevor sich jedoch die Frage nach der Identitätsprüfung vor dem eigentlichen Zutritt zur virtuellen Versammlung stellt, muss sichergestellt werden, dass nur diejenigen Teilnehmer die Zugangsdaten für die nicht-öffentliche Gläubigerversammlung erhalten, deren Teilnahmeberechtigung geprüft wurde.[42] Wer zur Teilnahme an der Gläubigerversammlung berechtigt ist, regelt § 74 Abs. 1 Satz 2 InsO.[43]

Eine Prüfung der Teilnahmeberechtigung muss – will man sie nicht in die virtuelle Sitzung selbst verlagern,[44] was bereits aus datenschutzrechtlichen Gründen abzulehnen ist – daher vorgeschaltet erfolgen.

Zur Frage, wie und durch wen (Gericht, bzw. Insolvenzverwalter/Sachwalter) sie zu erfolgen hat, werden in der Literatur durchaus unterschiedliche Ansätze vertreten,[45] ebenso zur Versendung der Zugangsdaten.[46]

Notwendig ist an dieser Stelle eine gesetzliche Regelung, die die Anforderungen an eine zuverlässige Prüfung der Teilnahmeberechtigung konkretisiert.

 

2. Sicherstellung der Stimmrechte

Neben konkreten Anforderungen an eine zuverlässige Prüfung der Identität und Teilnahmeberechtigung fehlt es an konkreten Vorgaben für die in der Gesetzesbegründung zum
SanInsFoG[47] angesprochene Sicherstellung der Stimmrechte vor jeder einzelnen Abstimmung.[48] So bedarf es u. a. technischer Vorkehrungen, damit nur die stimmberechtigten Teilnehmer ihre Stimme zu einzelnen Gegenständen der Beschlussfassung abgeben können.[49]

 

3. Technische Störungen

Offen ist bislang, wie mit technischen Störungen umzugehen ist, die einerseits aus der Sphäre des Gerichts, andererseits aus der Sphäre der Teilnehmenden an virtuellen Gläubigerversammlungen, bzw. Erörterungs- und Abstimmungsterminen, resultieren.[50]

 

 

V. Fazit

 1.

Die bloße Verweisung in § 4 Satz 2 InsO auf die zivilprozessrechtliche Norm des § 128a ZPO (Videoverhandlungen) ist unzureichend, um den Besonderheiten von Insolvenzverfahren Rechnung zu tragen.

2.

Für die virtuelle Durchführung von Gläubigerversammlungen und Erörterungs- und Abstimmungsterminen bedarf es eigenständiger Regelungen in der Insolvenzordnung.

3.

Die Regelungen sollten – auch unter datenschutzrechtlichen Aspekten – insbesondere zum Inhalt haben, wie eine zuverlässige Prüfung der Identität und Teilnahmeberechtigung der Verfahrensbeteiligten bei einer Teilnahme an Gläubigerversammlungen und Erörterungs- und Abstimmungsterminen sichergestellt werden kann.

4.

Es ist zu gewährleisten, dass den Insolvenzgerichten die notwendige (Konferenz- und Abstimmungs-) Technik zur Verfügung steht, die den jeweils aktuellen Anforderungen an die Datensicherheit entspricht.

 

Berlin, 13.01.2023

 

Kontakt:

Verband Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands e.V. (VID)
Am Zirkus 3
10117 Berlin
Tel.: 030/ 20 45 55 25
E-Mail: info@vid.de / Web: www.vid.de

[1] Vgl. Entwurfsbegründung, S. 1, Ziff. B.

[2] Verbändeanschreiben vom 23.11.2022, S. 2.

[3]Vgl. VID-Eckpunktepapier „Insolvenzverfahren 4.0“ vom 11.07.2018, abrufbar unter https://www.vid.de/wp-content/uploads/2018/07/eckpunktepapier-insolvenzverfahren-4.0.pdf.

[4] Vgl. § 178 Abs. IV InsO („kann“).

[5] Dass Softwareanwendungen regelmäßig an ihre Grenzen stoßen, wenn diese nicht nur für den „Normalbetrieb“, sondern für eine Vielzahl von Anwendungen benötigt werden, zeigt sich bspw. beim e-Banking im Insolvenzbereich, wenn für jedes Verfahren ein eigenes Konto notwendig ist.

[6] Gesetzesbegründung zum SanInsFoG, BT-Drs. 19/24181, S. 191.

[7] Jedoch wurde der Anwendungsbereich des § 128a ZPO für das Insolvenzverfahren (§ 4 InsO) bereits im Gesetzentwurf zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren (BT-Drs. 17/1224 vom 24.03.2010, S. 1) angesprochen.

[8] Gesetzesbegründung zum SanInsFoG, BT-Drs. 19/24181, S. 191.

[9] Gesetzesbegründung zum SanInsFoG, BT-Drs. 19/24181, S. 191.

[10] Gesetzesbegründung zum SanInsFoG, BT-Drs. 19/24181, S. 192.

[11] Gesetzesbegründung zum SanInsFoG, BT-Drs. 19/24181, S. 192.

[12] Vgl. Art. 28 der RICHTLINIE (EU) 2019/1023 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 20. Juni 2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz), abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32019L1023; der ursprüngliche RL-Vorschlag ging noch darüber hinaus und sah vor, dass auch die Abstimmung über Restrukturierungspläne auf elektronischem Weg vorgenommen werden kann (vgl. Art. 28 d) des RL-Vorschlags COM(2016) 723 final)

[13] resource.html (europa.eu).

[14] Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren.

[15] Vgl. Anhang I zum Verordnungsentwurf, abrufbar unter: resource.html (europa.eu).

[16] Hervorhebungen durch die Verfasser.

[17] resource.html (europa.eu)

[18] Die Stellungnahmen des VID ist hier abrufbar: Anmerkungen-des-VID-zur-EU-Initiative-zur-elektr.-Forderungsanmeldung-Art.-53-EuInsVO.pdf.

[19] resource.html (europa.eu)

[20] Der VID wird sich in Kürze zum Richtlinienvorschlag umfangreich äußern. Stellungnahmen des Verbandes können grundsätzlich unter Stellungnahmen – VID eingesehen werden.

[21] Frind in HK-InsO, 9. Aufl., 2022, § 72, Rz. 6.

[22] Frind in HK-InsO, 9. Aufl., 2022, § 72, Rz. 8.

[23] Nach Erwägungsgrund 35 Satz 3 ausweitbar auf kleine und mittelgroße Unternehmen.

[24] Entwurfsbegründung, S. 35 (zu § 128a Abs. 2 Satz 1).

[25] Entwurfsbegründung, S. 35 (zu § 128a Abs. 2 Satz 1).

[26] Vgl. Frind in ZInsO 2020, 1743 ff. (1744).

[27] Vgl. Frind in ZInsO 2020, 1743 ff. (1749).

[28] Entwurfsbegründung, S. 35 (zu § 128a Abs. 2 Satz 1).

[29] Entwurfsbegründung, S. 35 (zu § 128a Abs. 2 Satz 1).

[30] Knof in Uhlenbruck, InsO-KO, 15. Aufl. 2019, § 74, Rz. 1-4.

[31] Vgl. auch Pleister/Palenker in ZRI 2020, 245 ff. (247); zu den Aufgaben der Gläubigerversammlung vgl. Knof in Uhlenbruck, InsO-KO, 15. Aufl. 2019, § 74, Rz. 13.

[32] Entwurfsbegründung, S. 36 (zu § 128a Abs. 2 Satz 2).

[33] Entwurfsbegründung, S. 36 (zu § 128a Abs. 2 Satz 2).

[34] Entwurfsbegründung, S. 26.

[35] „Die Videokonferenzzuschaltung von Verfahrensbeteiligten im Ausland, die grundsätzlich die territoriale Souveränität des ausländischen Staates berührt und daher nur im Rahmen der Rechtshilfe möglich ist, ist nicht Gegenstand dieses Entwurfs.“, so die Entwurfsbegründung weiter (S. 26).

[36] Niering/Bergner in FS für Godehard Kayser, RWS-Verlag, 2019, S. 613 (615f.)

[37] Zu rechtlichen Einzelfragen bei virtuellen Gläubigerversammlungen Preuß in ZIP 2020, 1533 ff.

[38] Siehe S. 1 unter Ziff. II.

[39] Gesetzesbegründung zum SanInsFoG, BT-Drs. 19/24181, S. 191; Hervorhebungen durch die Verfasser.

[40] Entwurfsbegründung, S. 42 (und 24).

[41] Vgl. auch Preuß in ZIP 2020, 1533 ff. (1537).

[42] Rüther in HK-InsO, 9. Aufl. 2022, § 4, Rz. 67.

[43] Zu etwaig weiteren Teilnahmeberechtigten (z.B. Beistände, Vertreter, Presse etc.) siehe Knof in Uhlenbruck, InsO-KO, 15. Aufl. 2019, § 74, Rz.6 und 8; zur Problematik „spontan“ teilnehmender Gläubiger u.a. Frind in ZInsO 2020, 173 ff. (1745 f.)

[44] Vgl. auch Preuß in ZIP 2020, 1533 ff. (1537).

[45] Pleister/Palenker, ZRI 2020, 245 ff. (252 ff.), Kollbach in INDat Report, 04_2020, S. 13 ff. (19), Horstkotte in ZInsO 2020, 1820 ff. (1822), Blankenburg/Godzierz, ZInsO  2020, 1285 ff. (1287), grds. kritisch zum „Akkreditierungsverfahren“ Frind in ZInsO 2020, 1743 ff. (1745 f.).

[46] Denkhaus in HK-InsO, 9. Aufl. 2022, § 29, Rz. 4; Blankenburg/Godzierz, ZInsO  2020, 1285 ff. (1287).

[47] BT-Drs. 19/24181, S. 191.

[48] Vgl. BGH 17.12.2020 – IX ZB 38/18. Zu den Herausforderungen bei Stimmrechtsfestsetzungen in virtuellen Gläubigerversammlungen vgl. Frind in ZInsO 2020, 1749 ff.

[49] Rüther in HK-InsO, 9. Aufl. 2022, § 4, Rz. 67.

[50] Zu den Einzelheiten möglicher technischer Störungen vgl. Blankenburg/Godzierz, ZInsO  2020, 1285 ff. (1288).

 

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