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Stellungnahme:
30.09.2025
Mit der vorgestellten Initiative soll nach der Beschreibung des politischen Kontextes durch die federführende GD Justiz und Verbraucher ein 28. Rechtsrahmen als Teil eines umfassenden Maßnahmenpakets zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft geschaffen werden, damit innovative Unternehmen von einem harmonisierten, EU-weiten Regelwerk profitieren können, das perspektivisch alle relevanten Elemente des Gesellschafts-, Insolvenz-, Arbeits- und Steuerrechts einschließt.
Die Initiative basiert auf Vorschlägen im Letta-Report vom 17.04.2024 (“Much more than a market”) und im Draghi-Report vom 09.09.2024 („The future of European competitiveness”), welche die Europäische Kommission in dem im Januar 2024 vorgestellten “Kompass für Wettbewerbsfähigkeit” aufgegriffen hat. Der 28. Rechtsrahmen soll insbesondere innovative Unternehmen in der Start-up-Phase und der Scale-up-Phase ansprechen und im europäischen Binnenmarkt Investitionen in solche Unternehmen attraktiver machen. Hierfür sollen geltende Vorschriften vereinfacht und die Kosten beim Scheitern eines Unternehmens reduziert werden, indem spezifische Aspekte im Gesellschafts-, Insolvenz-, Arbeits- und Steuerrecht überarbeitet werden. Zeitlich strebt die Europäische Kommission an, bereits im 1. Quartal 2026 einen Vorschlag für einen 28. Rechtsrahmen zu unterbreiten.
Der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments hat am 30.06.2025 den Entwurf eines Berichts mit Empfehlungen zu einem 28. Rechtsrahmen vorgelegt. Dieser Entwurf beschränkt sich im Wesentlichen auf gesellschaftsrechtliche Aspekte eines 28. Rechtsrahmens und verweist hinsichtlich des Arbeitsrechts auf nationales und existierendes europäisches Recht. Auf die Bereiche des Steuer- und insbesondere des Insolvenzrechts geht der Berichtsentwurf nicht ein. Dies verwundert angesichts der Tatsache, dass die Anregungen im Letta- und im Draghi-Report sowie der “Kompass für Wettbewerbsfähigkeit” eine Abdeckung auch dieser Rechtsbereiche vorsehen. Zudem wurde und wird bei den bisherigen Bestrebungen zur Harmonisierung des Insolvenz- und Restrukturierungsrechts in Europa jeweils dessen Bedeutung für grenzüberschreitende Investitionen hervorgehoben und es wird zusammen mit dem inhomogenen Steuerrecht mitverantwortlich dafür gemacht, dass bisherige Harmonisierungsbestrebungen im Sinne der Überlegungen zum 28. Rechtsrahmen nicht erfolgreich waren (vgl. die Präsentationen im Workshop des Europäischen Parlaments zum 28. Rechtsrahmen am 05.06.2025).
Die Auslassungen im Berichtsentwurf des Rechtsausschusses vom 30.06.2025 könnten dem Umstand geschuldet sein, dass angesichts der hohen Komplexität jeder einzelnen Materie und insbesondere des Insolvenz- und Steuerrechts selbst ein grober Entwurf eines umfassenden 28. Rechtsrahmens innerhalb des ambitionierten Zeitplans – 1. Quartal 2026 – realistischerweise nicht darstellbar ist. Dadurch wird ein Problem des gesamten Projekts deutlich: Einerseits heben die erwähnten Berichte von Letta und Draghi zurecht hervor, wie dringlich die Veränderung der Rahmenbedingungen für Investitionen in Europa ist. Dem versucht die Europäische Kommission mit ihrem Zeitplan wohl Rechnung zu tragen. Andererseits dürfte nur ein 28. Rechtsrahmen, der alle relevanten Rechtsgebiete umfasst, geeignet sein, die hinreichend vorhersehbaren und rechtssicheren Rahmenbedingungen zu schaffen, die für Investoren attraktiv sind. Die Schaffung eines umfassenden neuen Rechtsrahmens wird aber mehr Zeit erfordern als von der Europäischen Kommission bislang eingeplant, da mit ihm tiefgreifende Eingriffe in etablierte nationale und europäische Regelungen erforderlich werden. Dieser Zwiespalt sollte unseres Erachtens nicht zugunsten schneller Teilergebnisse gelöst werden. Denn ein erst sukzessive erstellter Rechtsrahmen birgt zum einen die Gefahr, dass er inkohärent wird. Zum anderen indiziert die unzureichende Marktresonanz z.B. bei bisherigen (Überlegungen zu) europäischen Gesellschaftsformen (SE, SPE, SUP, ECS, EEIG), das bloße Teillösungen keine hinreichende Akzeptanz erfahren, was einen Reputationsschaden nach sich ziehen kann.
Konkretere Vorschläge, wie das Insolvenzrecht eines 28. Rechtsrahmens gestaltet werden könnte, unterbreiteten kürzlich insbesondere Garcimartin/Paulus (The 28th insolvency law: Reflections on a lex concursus europe, Int Insolv Rev 2025;1 20). Diese Vorschläge geben einen guten Überblick über regelungsbedürftige Themenbereiche, bewegen sich aber überwiegend noch auf hoher Abstraktionsebene und sind ausdrücklich nur als Grundlage für weitere Diskussionen formuliert. Solcher Diskussionen wird es sowohl hinsichtlich der grundsätzlichen Ausrichtung eines europäischen Insolvenz- und Restrukturierungsrechts als auch hinsichtlich der Praktikabilität noch konkreter Regelungen bedürfen. Das Insolvenzrecht ist gerade bei der Verbesserung der Aussichten von Start-up- und Scale-up-Unternehmen in der EU wichtig, weil hier regelmäßig Begleitumstände vorliegen, die im Bereich der Finanzierung und Ertragskraft von denen bereits am Markt etablierter Unternehmen signifikant abweichen. Im Bereich der Finanzierung dominiert häufig privates Kapital, das durch Business Angels oder VC-Investoren aufgebracht wird. Daneben gibt es nicht selten einen hohen Anteil öffentlicher Förderung, die in vielen Fällen mit der verpflichtenden Einhaltung detaillierter Förderbedingungen verbunden wird. Vielfach sind vor allem Start-up- und Scale-up-Unternehmen zunächst auf öffentliche Förderung angewiesen; erst mit deren Gewährung legen Business Angels oder VC-Investoren eine dem europäischen Markt eigene Zurückhaltung ab und gewähren Risikokapital. Eine Ertragskraft im Sinne der eigenständigen Fähigkeit, langfristig Gewinne zu erzielen, ist in diesem Stadium nicht vorhanden und oftmals nur als Projektion eines geplanten Umsatzwachstums darstellbar. Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft werden nur Verluste erwirtschaftet und das eingeworbene Kapital zur Verlustdeckung eingesetzt.
Vor diesem Hintergrund werden im Insolvenzrecht insbesondere zwei Aspekte bedeutsam, die leider in den jüngeren Vorschlägen zur Harmonisierung des Insolvenzrechts, namentlich dem 2022 vorgelegten Entwurf einer Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts (COM (2022) 702 final) ausgeklammert wurden:
Die europaweit anzutreffenden Unterschiede bei der Regelung von Insolvenzgründen und die Rangfolgen der Gläubigerforderungen sind gerade bei Start-up- und Scale-up-Unternehmen von besonderer Bedeutung. Auf diese Aspekte soll mit Blick auf insolvenzrechtliche Regelungen eines 28. Rechtsrahmens nachfolgend näher eingegangen werden.
Der Umstand, dass unterschiedliche und unterschiedlich definierte Insolvenzgründe nach den nationalen Regeln stark abweichende Vorgaben zur Einleitung eines Insolvenzverfahrens machen, führt zu einer europaweit uneinheitlichen Wettbewerbssituation für Start-up- und Scale-up-Unternehmen. Können solche Unternehmen in dem einen Mitgliedstaat in einem vergleichbaren Krisenstadium zunächst weiterarbeiten, während sie in einem anderen Mitgliedstaat sofort ein Insolvenzverfahren einleiten müssen, so verzerrt dies die Wettbewerbssituation und lädt zu forum-shopping ein.
Die gesetzliche Vermutung des Art. 3 Abs. 1 Satz 3 der Verordnung (EU) 2015/84 – EuInsVO – geht bis zum Beweis des Gegenteils bei Gesellschaften oder juristischen Personen davon aus, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort ihres Sitzes ist. Da der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO auch die internationale gerichtliche Zuständigkeit für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens begründet, indiziert die Wahl des Sitzes das anwendbare nationale Insolvenzrecht und damit strengere oder nachsichtigere Insolvenzdefinitionen und -antragspflichten.
Diese unterschiedlichen Rahmenbedingungen können gerade innovative Unternehmen besonders ausnutzen, die nicht an einen konkreten Standort gebunden sind und ihre Arbeit vernetzt organisieren können. Eine digital erleichterte Gründung aus jedem Mitgliedstaat heraus wird die Hürden für ein forum-shopping weiter absenken. Wäre auch eine einfache Sitzverlegung in einen anderen Mitgliedstaat möglich, um bei Krisenanzeichen den strengeren Insolvenzkriterien im Gründungsstaat zu entgehen, würde dies mit großer Wahrscheinlichkeit die Attraktivität von Sitzverlagerungen zur Insolvenzvermeidung noch steigern.
Die als Reaktion hierauf naheliegende Gegensteuerung durch nationale Förderrichtlinien könnte wiederum die Komplexität von Gründungsprozessen steigern und widerspricht dem erklärten Ziel eines vereinfachten und harmonisierten Rahmens für die Gründung und den Betrieb von Unternehmen sowie für die Mobilisierung von Investitionen.
Der jüngst zum bereits erwähnten Richtlinienvorschlag zur Harmonisierung des Insolvenzrechts diskutierte Kompromiss für Antragspflichten im Insolvenzfall (Art. 36) wird diese Situation nicht verbessern. Er überlässt es weiterhin den Mitgliedstaaten, wie sie Insolvenzgründe gesetzlich definieren und trägt damit nicht zur Lösung des geschilderten Problems bei.
Ein eigenständiges Insolvenzverfahren nach dem Muster, wie es ursprünglich Titel VI des Vorschlags einer Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts vorsah, würde das geschilderte Problem ebenfalls nicht lösen, wenn es auf uneinheitlichen nationalen Regelungen der Insolvenzgründe und -antragspflichten aufsetzt und keine eigenständige gesetzliche Definition einführt.
Im Kontext eines 28. Rechtsrahmens sollte eine eigenständige, sektorale Definition der Zahlungsunfähigkeit und eine – notwendig damit verbundene – harmonisierte Antragspflicht entwickelt werden. Zudem sollte auch eine unionseinheitliche Regelung zur Überschuldung getroffen werden. Sie ist als Insolvenzgrund in einer Reihe von Mitgliedstaaten gesetzlich verankert (vgl. hierzu Piekenbrock, KTS 2017, S. 333-363) und erlangt gerade bei Start-up- und Scale-up-Unternehmen in Deutschland besondere Bedeutung, weil sie nach der deutschen Definition die Insolvenzantragspflicht mit einer Fortführungsprognose verknüpft, die sich nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO auf die nächsten zwölf Monate erstreckt. Sind in diesem Zeitraum absehbar neue Finanzierungsrunden notwendig und bleibt deren Ausgang ungewiss, so steht derzeit die notwendige positive Fortführungsprognose in Frage.
Losgelöst von der Frage, ob Überschuldung allgemein als Insolvenzeröffnungsgrund beibehalten werden soll, mag dies für Unternehmen, die ihre Start-up- oder Scale-up-Phase hinter sich gelassen haben, angemessen sein. Start-up- und Scale-up-Unternehmen mit Aussicht auf öffentliche Fördermittel und erst darauf aufbauend oder daran anknüpfend Finanzierungen durch Business Angels oder VC-Investoren können in dieser Phase naturgemäß aber noch nicht seriös die Ertragsfähigkeit planen. Ihnen ist mit einem EU-einheitlichen Rechtsrahmen nicht gedient, der sie in dieser Phase bereits in ein Insolvenzverfahren zwingt. Im Gegenteil: ein EU-Rechtsrahmen müsste die dargestellten, regelmäßig länger andauernden Verhältnisse ihrer Finanzierung gesondert in den Blick nehmen.
Eine sektorale Begrenzung der Insolvenzgründe im 28. Rechtsrahmen auf den Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit könnte sich indes wieder wettbewerbsverzerrend auswirken, wenn man zulässt, dass den 28. Rechtsrahmen zur Umgehung strengerer nationaler Vorschriften Unternehmen in Anspruch nehmen, für die er nicht gedacht ist. Bei einem vereinfachten und digital beschleunigten Gründungsprozess innerhalb von 48 Stunden dürfte eine gründliche Prüfung der Gründungsvoraussetzungen durch nationale Registergerichte oder Behörden schwierig sein. Eine gründliche Prüfung der Eignung für die Inanspruchnahme des 28. Rechtsrahmens schon beim Einstieg ist aber notwendig, denn anderenfalls würde sich ein diesbezüglicher Missbrauch erst zeigen, wenn die Insolvenzgerichte befasst werden. Die Folgen wären rechtliche Unklarheiten – gelten die Regeln des 28. Rechtsrahmens auch bei missbräuchlicher Inanspruchnahme? – und ein Reputationsverlust des 28. Rechtsrahmens.
Zur Vermeidung der angesprochenen Probleme wäre eine zusätzliche sektorale Definition der Überschuldung im Rahmen des 28. Rechtsrahmens denkbar. Sie würde jedoch in Mitgliedstaaten, die diesen Insolvenzgrund bislang nicht vorsehen, eine für Gründer, Gläubiger und Gerichte neue Situation schaffen (vgl. zur komplexen Ermittlung der Überschuldung in Deutschland https://www.vid.de/initiativen/vid-empfehlungen-zum-insolvenzrecht-ermittlung-der-ueberschuldung/).
Die Möglichkeit, dass der 28. Rechtsrahmen weitergehende Insolvenzantragspflichten vorsieht als nationales Recht, spricht dafür, zur Vermeidung von Umgehungsversuchen kein Opt-out für Unternehmen zuzulassen, die sich für den 28. Rechtsrahmen entschieden haben. Die Möglichkeit, den 28. Rechtsrahmen in der Krise wieder zu verlassen, wenn seine Vorteile ausgeschöpft sind und nationales Recht den Handelnden in der Krisensituation attraktiver erscheint, würde auch dem Sinn des 28. Rechtsrahmens zuwiderlaufen, für alle Beteiligten auch und gerade für den Krisenfall Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit zu schaffen. Die vorstehenden Überlegungen deuten die Herausforderungen an, die eine sektoral begrenzte Definition von Insolvenzgründen im Rahmen eines 28. Rechtsrahmens mit sich bringen würde. Die bereits wissenschaftlich vorbereitete Harmonisierung von Insolvenzgründen (vgl. Bork/Veder/Schuijling, Definition of Insolvency, Cambridge/ Antwerp/ Chicago 2024) mag derzeit aus politischen Gründen schwer durchsetzbar erscheinen. Sie wäre einer sektoralen Definition jedoch unbedingt vorzuziehen.
Eine ähnliche Situation ergibt sich für das Problem der Rangfolge von Gläubigerforderungen in Insolvenzverfahren. Gerade bei Start-up- und Scale-up-Unternehmen treten neben private Investoren regelmäßig auch öffentliche Gläubiger, die durch die bereits erwähnten Förderprogramme unterstützend tätig werden. Diese Förderprogramme existieren in Deutschland auf vielen Ebenen (Kommunen, Länder und Bundesebene) und enthalten eine Vielzahl von teilweise sehr unterschiedlichen Förderbedingungen und Kriterien. Eine Förderung wird dabei nicht nur in Form direkter Finanzhilfen, sondern auch durch steuerliche oder abgabenrechtliche Unterstützung gewährt. Die Initiativen zum 28. Rechtsrahmen sprechen deshalb zurecht auch das Steuerrecht als einschlägigen legislativen Bereich an, der integriert werden sollte.
Die Rangfolge der Forderungen öffentlicher Gläubiger aus der Zeit vor Verfahrenseröffnung ist im Insolvenzrecht der europäischen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich geregelt. Während einige Mitgliedstaaten (darunter Deutschland) einen Vorrang öffentlicher Forderungen (sog. Fiskusprivileg) weitgehend abgeschafft haben, ist ein solcher Vorrang in anderen Mitgliedstaaten weiterhin gesetzlich verankert (vgl. zum Stand der internationalen Rechtsentwicklung Fries, Fiskusprivilegien, Eine rechtsvergleichende Betrachtung der Behandlungen von Steuerforderungen in der Unternehmensinsolvenz, Diss. München, Köln 2020).
Ähnlich divers ist die Situation in Bezug auf die Forderungen von Arbeitnehmern, inklusive der Forderungen von Sozialversicherungsträgern. Auch hier reicht die Bandbreite in den Mitgliedstaaten von einem Gleichrang mit den Forderungen sonstiger, nicht am Vermögen des Schuldners besicherter Gläubiger, bis hin zu mehrfach abgestuften Rangfolgen.
Gläubigern, deren ungesicherten Forderungen in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Rangprivilegien eingeräumt werden, stehen insbesondere Gesellschafter gegenüber, deren Darlehensforderungen z.B. in Deutschland im Insolvenzverfahren ein Nachrang auferlegt wird. Auch hier ist die Behandlung in den Mitgliedstaaten uneinheitlich.
Die im Rahmen der Harmonisierungsbestrebungen immer wieder betonte Bedeutung des Insolvenzrechts für Investitionsentscheidungen, wird, sofern diese Prämisse zutrifft, auch durch das Bestehen und den Umfang von Privilegien anderer Gläubiger und der Einstufung der eigenen Forderungen von Investoren maßgeblich beeinflusst. Denn der Vorrang anderer Gläubigerforderungen reduziert die Quotenaussichten der Gläubiger nicht vorrangiger oder gar nachrangiger Forderungen.
Die angestrebte Mobilisierung von Investitionen für Unternehmen nach dem 28. Rechtsrahmen wäre vor diesem Hintergrund problematisch, weil Investoren im Insolvenzfall je nach Mitgliedstaat auf sehr unterschiedliche Bedingungen treffen würden. Dies könnte, wie schon bei den oben geschilderten Insolvenzgründen, zu Wettbewerbsverzerrungen führen oder Investitionsentscheidungen grundsätzlich in Frage stellen. Der Vorteil eines europaweit einheitlichen 28. Rechtsrahmens wäre erneut durch fehlende Harmonisierungsmaßnahmen im Insolvenzrecht in Frage gestellt.
Die Europäische Kommission erwähnt die Option, neben der Gründung von Unternehmen nach dem 28. Rechtsrahmen auch andere Verfahren – darunter auch die Schließung solcher Unternehmen – durch digitale Lösungen und Instrumente schneller und effizienter zu gestalten. Ein erster Vorschlag mit ähnlicher Zielsetzung war das im Rahmen der Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts als Titel VI vorgestellte vereinfachte Liquidationsverfahren für Kleinstunternehmen. Dieser Vorschlag stieß in der Insolvenzpraxis auf erhebliche Kritik (vgl. u.a. https://www.vid.de/stellungnahmen/proposal-for-a-directive-of-the-european-parliament-and-of-the-council-on-the-harmonisation-of-certain-aspects-of-insolvency-law-com-2022-702-final/) und fand in Rat und Parlament keine Zustimmung.
Eine Übertragung des Vorschlags auf den 28. Rechtsrahmen wäre problematisch, weil hier einer vereinfachten Liquidation regelmäßig Umstände entgegenstehen, die bei Kleinstunternehmen mit überschaubaren Vermögenverhältnissen nicht anzutreffen sind.
Unternehmen im Start-up- oder Scale-up-Bereich planen regelmäßig mit hohen Wachstumszielen. Sie verbinden diese Ziele oft schon in einer frühen Phase mit hohem Ressourcenwachstum, insbesondere im Bereich Personal, um die geplante Geschwindigkeit ihres Wachstums umsetzen zu können. Eine Einordnung als Kleinstunternehmen würde dem nicht gerecht und ggf. zu vorschnellen Liquidationen führen.
Gerade bei Start-up- und Scale-Up-Unternehmen sollte eine vorschnelle Liquidation vermieden werden, denn wenn das Produkt an sich zukunftsfähig ist und die Krise z.B. nur auf strategischen Fehlentscheidungen oder Unstimmigkeiten im bisherigen Gesellschafter- oder Investorenkreis beruht, kann ein Insolvenzverfahren das geeignete Instrument zur Sanierung darstellen.
Auch eine marktgerechte Verwertung der Insolvenzmasse durch ein Gericht oder eine Behörde ist im Bereich innovativer Unternehmen schwer vorstellbar. Die in diesem Bereich geschaffenen Werte sind oftmals immaterieller Natur. Entwicklungsleistungen, Patente, Urheberrechte oder ähnliche geistige Eigentumsrechte entziehen sich standardisierten Verwertungen und bedürfen der Möglichkeit einer hinreichenden Due Diligence. Elektronische Auktionssysteme, deren Verwertungserfolg an eine Mindestzahl von Kaufinteressenten geknüpft ist, würden an der Komplexität der Materie und der geringen Zahl von Interessenten scheitern. Da Ideen und Konzepte in vielen Fällen den Kern des Unternehmenswerts bilden, müsste in jedem Einzelfall sichergestellt werden, dass sie nicht im Zuge eines Verkaufs von Konkurrenten kopiert werden, die nur an ihrem Inhalt aber nicht am Erwerb interessiert sind.
Die bereits erwähnte Präsenz öffentlicher Förderungen bei vielen innovativen Unternehmen bedingt einen besonders sorgfältigen Umgang mit den ausgereichten Fördermitteln. Im Insolvenzfall führt dies zu der Notwendigkeit, die Gründe für den Verlust eingesetzter öffentlicher Gelder in einem geordneten Verfahren aufzuklären und alle Instrumente für eine zumindest teilweise Rückgewinnung einzusetzen. Ein pauschaler Verzicht auf Anfechtungsklagen, wie ihn das vereinfachte Liquidationsverfahren des ursprünglichen Richtlinienvorschlags als Option zur Verfahrensbeschleunigung vorsah, wäre hier kontraproduktiv.
Die geschilderten Umstände machen deutlich, dass ein vereinfachtes Liquidationsverfahren untauglich wäre für einen 28. Rechtsrahmen, der auf Start-up- und Scale-up-Unternehmen ausgerichtet ist. Die Idee, es in diesem Bereich als singuläre Verfahrensform einzuführen, würde nicht nur die nationalen Justizbehörden überfordern. Sie wäre auch nicht durch eine Verbesserung der Verfahrenseffizienz oder höhere Verwertungserfolge zu rechtfertigen.
Die von der Europäischen Kommission angestoßene Diskussion zur Einführung eines 28. Rechtsrahmens für Start-up- oder Scale-up Unternehmen ist grundsätzlich zu begrüßen. Ein solcher Rechtsrahmen muss aber konsequenterweise umfassend und aus einem Guss von Beginn an alle adressierten Rechtsbereiche umfassen: Neben dem Gesellschaftsrecht auch das Arbeits-, Steuer- und insbesondere das Insolvenzrecht. Ein Rechtsrahmen, der keine umfassende und rechtssichere Perspektive für Investoren zulässt, sondern sich auf Teilbereiche beschränkt, trägt, wie ähnliche Ansätze der Vergangenheit zeigen, u.a. das Risiko ausbleibender Marktakzeptanz.
Die Diskussion lenkt den Blick aber auch erneut auf Lücken in der europäischen Harmonisierung des Insolvenzrechts, die sich gerade bei den Unternehmen, die Zielgruppe des 28. Rechtsrahmens sein sollen, deutlich bemerkbar machen. Insbesondere die Lücken bei der Definition von Insolvenzgründen und -antragspflichten sowie eine fortbestehende Privilegierung der ungesicherten Forderungen bestimmter Gläubiger im Insolvenzverfahren stellen die erfolgreiche Etablierung eines 28. Rechtsrahmens für Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen. Werden diese Lücken nicht zuvor geschlossen, droht dem 28. Rechtsrahmen das gleiche Schicksal wie früheren Ansätzen zur Etablierung europäischer Gesellschaftsformen. Von der Schaffung eines vereinfachten Liquidationsverfahrens für Unternehmen des 28. Rechtsrahmens nach dem Muster der Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts sollte abgesehen werden.
Berlin, 30.09.2025
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