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17.02.2022
Der Beruf des Insolvenzverwalters, Sachwalters und Restrukturierungsbeauftragen überschreitet in vielerlei Hinsicht die Grenzen der anwaltlichen, steuerberatenden oder wirtschaftsprüfenden Tätigkeit. Spätestens seit Einführung der Insolvenzordnung hat sich ein multidisziplinäres Tätigkeitsfeld und damit auch ein eigener Beruf entwickelt. Dem hat das Bundesverfassungsgericht bereits 2004 (Beschluss vom 03.08.2004 – 1 BvR 135/00) Rechnung getragen. Die gesetzlichen Grundlagen für das Berufsrecht der Insolvenzverwalter, Sachwalter und Restrukturierungsbeauftragen sind trotz des eigenen Berufsbildes jedoch nur fragmentarisch und lückenhaft. Dies verunsichert nicht nur die betroffenen Berufsträger, sondern auch die Rechtsanwender auf Seiten der Justiz und die am Insolvenz- bzw. Restrukturierungsverfahren beteiligten Gläubiger. Gesetzliche Abhilfe ist insoweit dringend notwendig und wird von der EU auch gefordert. Dies gilt umso mehr, als Deutschland im europäischen Vergleich in diesem Punkt nicht nur deutlich hinter fast allen übrigen Mitgliedsstaaten zurückfällt, sondern sogar weit entfernt ist von den auf europäischer Ebene für die Ausübung des Verwalterberufs erarbeiteten Standards. Diese Einschätzung wird durch eine Reihe von aktuellen Gesetzesinitiativen, europäischen Vorgaben und höchstrichterlichen Entscheidungen nachdrücklich unterstrichen.
Innerhalb der europäischen Union können 22 der insgesamt 27 Mitgliedstaaten auf ein gesetzlich ausdifferenziertes Berufsrecht verweisen. Die nachfolgende Grafik veranschaulicht deutlich, dass Deutschland weit hinter der Entwicklung der meisten europäischen Mitgliedstaaten zurückfällt. Dies ist umso unverständlicher als die europäische Restrukturierungsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 – Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz, ABl. L 172/18 vom 26.6.2019) den Mitgliedstaaten einen Handlungsauftrag zur Verbesserung der berufsrechtlichen Rahmenbedingungen erteilt hat. Die Bundesregierung hat in der 19. Legislaturperiode diesen Teil der europäischen Restrukturierungsrichtlinie entgegen eigener Ankündigung im Koalitionsvertrag nicht umgesetzt.
Besonders deutlich wird aktuell das Zurückfallen hinter europäischen Standards durch die Empfehlungen der European Bank for Reconstruction and Development, kurz EBRD, die aktuell vom Mittelmeerraum bis nach Zentralasien über 30 Volkswirtschaften bei der ökonomischen Transformation fördert. In ihren am 1.7.2021 veröffentlichen „Principles for an Effective Professional and Regulatory Framework for Insolvency Office Holders“ wurden Mindeststandards für Insolvenzverwalter entwickelt und ausformuliert (Anlage 1), beginnend von der Ausbildung und Lizenzierung über die Berufsausübung bis hin zu Regelungen über den freiwilligen oder zwangsweisen Berufsausstieg. In Deutschland fehlen entsprechende gesetzliche Regelungen zu diesen zwölf Principles der EBRD nahezu gänzlich. Was die EBRD als “best practice“ weniger entwickelten Rechtsordnungen empfiehlt, sollte als deutliche Handlungsanweisung vom deutschen Gesetzgeber beachtet, wertgeschätzt und umgesetzt werden.
Zehn Bundesländer haben sich auf Initiative der Staatssekretärin für Justiz des Landes Berlin, Frau Dr. Brückner, mit dem Führen sogenannter Vorauswahllisten für Insolvenzverwalterinnen und Insolvenzverwalter befasst und am 28.9.2021 einen ausführlichen Bericht veröffentlicht. Hierbei hat die Landesarbeitsgruppe auf Basis der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 3.8.2009 – 1 BvR 369/08, Rn. 10 ff.) konkrete Ansätze für eine bundeseinheitliche Vorauswahlliste entwickelt. Erfreulicherweise wurden dabei in vielen Teilen die Anregungen des Berufsverbandes der deutschen Insolvenzverwalter und Sachwalter, VID, und die durch die Gutachter Kästner und Amery ausgearbeiteten Vorschläge aufgegriffen.
Die Justizministerkonferenz hat in ihrer Herbstkonferenz am 11. und 12.11.2021 beschlossen (TOP I.6 – Anlage 2), eine entsprechende Bitte um Vorlage eines Gesetzesentwurfs an den Bundesgesetzgeber zu richten.
So begrüßenswert die dortige Anregung einer bundeseinheitlichen Vorauswahlliste vor allem im Interesse der Rechtsanwender auf Seiten der Justiz auch ist, so sehr stößt bereits der Bericht der Landesarbeitsgruppe bei der Frage der Ausbildung, der Beachtung von Berufsausübungsregeln, der verfahrensübergreifenden Aufsicht und vor allem dem verfassungskonformen Delisting an seine Grenzen.
Ohne die vorgenannten Themen konsequent in einer verfassungs- und europarechtskonformen Weise unter dem Dach einer beruflichen Selbstverwaltungsstruktur zu lösen, kann die Frage einer bundeseinheitlichen Vorauswahlliste nicht isoliert gesetzlich geregelt werden. Ganz im Gegenteil: der Bericht der Landesarbeitsgruppe verdeutlicht die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung, die umfassend und aufeinander abgestimmt alle zentralen Bereiche des Berufsrechts erfasst.
Bereits das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2004 (BVerfG, a.a.O.) aufgezeigt, dass der Beruf des Insolvenzverwalters Verfassungsrang genießt; für Sachwalter und Restrukturierungsbeauftragte als Funktionsträger weiter ausdifferenzierter moderner Sanierungsverfahren gilt nichts anderes. In einer Reihe weiterer Entscheidungen hat das BVerfG diese Feststellung wiederholt und aus ihr zusätzliche Maßgaben abgeleitet. Es ist dringend geboten, diesen verfassungsrechtlichen Schutz endlich auch gesetzlich zu konkretisieren. Dem hat der Bundesgesetzgeber bisher nicht entsprochen. In dieses Regelungsvakuum hat die höchstrichterliche Rechtsprechung in vielfältiger Weise eingegriffen und versucht, aus eigener Sichtweise das Berufsrecht bzw. die konkrete Ausübung des Berufes sowie dessen Vergütung zu regeln, nicht selten auch gegen den erkennbaren gesetzgeberischen Willen (BGH, Beschluss vom 22.7.2021 – IX ZB 4/21: Keine Mindestvergütung in Unternehmensinsolvenzverfahren). Schon allein in Bezug darauf wäre die Umsetzung eines Vergütungsgesetzes auf Basis des von unserem Berufsverband im Jahr 2014 ausformulierten Gesetzesvorschlags dringend angezeigt (Fundstelle Beilage 1 zu ZIP 28/2014).
Den vorläufigen Schlusspunkt setzt der BGH mit seiner Entscheidung vom 13.1.2022 (IX AR(VZ) 1/20) zu der Frage der Vorauswahllisten bei den Amtsgerichten Berlin-Charlottenburg und Hannover. Diese viel beachtete Entscheidung macht deutlich, dass gerade für die Rechtsanwender auf Seiten der Justiz, aber auch für die Berufsträger die Frage des Zugangs zum Beruf und auch die Auswahl im konkreten Fall sowie die Anforderung an ihre Tätigkeit im konkreten Verfahren nicht ansatzweise rechtssicher kodifiziert sind.
Naturgemäß richtet sich die höchstrichterliche Rechtsprechung immer aus am schlechten Fall und es gilt der Grundsatz „bad case makes bad law“. Dies entspricht aber nicht einem zukunftsorientierten und auf den Erhalt von Unternehmen und Unternehmensstrukturen gerichteten Insolvenz- und Sanierungsrecht. Auf diese Weise entsteht nur Stückwerk. Der Gesetzgeber darf daher die Gestaltung des beruflichen Umfelds einschließlich der Vergütung der Berufsträger nicht der höchstrichterlichen Rechtsprechung überlassen, weil dies nicht zu einem geschlossenen und praktikablen System führen kann.
Die Bundesregierung der 19. Legislaturperiode hatte den gesetzlichen Regelungsbedarf erkannt und dies nicht nur im Koalitionsvertrag (12.3.2018, Zeile 6195) erwähnt. Schon die damalige Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hatte die Schaffung eines Berufsrechts für Insolvenzverwalter und Sachwalter als sogenannte dritte Stufe der Insolvenzrechtsreform angekündigt. (Rede zur Eröffnung des 7. Deutschen Insolvenzrechtstages am 17.3.2010 – https://www.schuldnerhilfe-direkt.de/wp-content/uploads/2011/02/Schnarrenberger.pdf). Aufgrund der pandemischen Entwicklung ist es der letzten Bundesregierung nicht mehr gelungen, dies auch umzusetzen. Daher sollte der Bundesgesetzgeber jetzt daran anknüpfen, die vielfältigen Vorschläge und Ansätze – auch die unseres Berufsverbandes – aufgreifen und allgemein verbindliche Standards für alle in Deutschland tätigen Insolvenzverwalter, Sachwalter und Restrukturierungsbeauftragte entwickeln. Mit den Berufsgrundsätzen und den Grundsätzen ordnungsgemäßer Insolvenz- und Eigenverwaltung (GOI) liegt ein seit Jahren praxiserprobtes Regelwerk vor, dessen Inhalte der Gesetzgeber ohne weiteres übernehmen kann. Nur so ist aus Sicht der Berufsträger, der Justiz und vor allem der an Insolvenz- und Restrukturierungsverfahren beteiligten Gläubiger und Schuldner gesichert, dass die von der EBRD entwickelten Grundsätze als Mindeststandards auch in Deutschland verwirklicht werden.
Die elementaren Regelungslücken im Berufsrecht für Insolvenzverwalter, Sachwalter und Restrukturierungsbeauftrage einerseits, aber auch die europäischen Standards andererseits machen die Notwendigkeit einer umfassenden gesetzlichen Regelung des Berufsrechts mehr als deutlich. Dies gilt umso mehr, als in dem seit Jahren bestehenden Regelungsvakuum die höchstrichterliche Rechtsprechung Grundsätze entwickelt, die zum Teil keine Grundlage im gesetzgeberischen Willen erkennen lassen und für die Praxis der Rechtsanwender nur schwer umsetzbar sind. In jedem Fall bleibt ein so ausgestaltetes Berufsrecht weit hinter einer umfassenden und auf einer breiten parlamentarischen Diskussion angelegten, geschlossenen Regelungsstruktur zurück. Daher hält der VID gesetzliche Regelungen in den folgenden Bereichen für dringend notwendig:
Für die Bundesregierung besteht nun die Möglichkeit die berufsrechtlichen Regelungslücken über ein umfassendes Regelwerk zu schließen und so die Rahmenbedingungen des komplexen Berufsbildes den europäischen Standards anzupassen. Bei einem weiteren Zuwarten bestünde die Gefahr, dass das deutsche Sanierungs- und Insolvenzrecht seine bisher im internationalen Vergleich hervorragende Position deutlich einbüßen könnte.
Berlin, den 17.02.2022
Kontakt:
Verband Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands e.V. (VID)
Französische Straße 13/14
10117 Berlin
Tel.: 030/ 20 45 55 25
E-Mail: info@vid.de
Web: www.vid.de
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