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Stellungnahme:

23.08.2022

VID-Stellungnahme zum RefE Bürgergeld-Gesetz

Stellungnahme des VID - Verband Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands e.V. zum Referentenentwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze – Einführung eines Bürgergeldes (Bürgergeld-Gesetz)

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A. Einleitung

Ziel des Referentenentwurfs[1] (nachfolgend Entwurf) ist die grundlegende Weiterentwicklung der sozialen Sicherung in Deutschland. So sollen die Grundsicherung für Arbeitssuchende mit der Einführung eines Bürgergeldes und dazugehörigen Änderungen erneuert werden, um mehr Chancengerechtigkeit und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Die mit der Einführung des Bürgergeldes geplante sozialpolitische Reform soll Menschen im Leistungsbezug die Möglichkeit geben, sich künftig stärker auf Qualifizierung, Weiterbildung und Arbeitssuche konzentrieren zu können und die Potentiale der Menschen und die Unterstützung für eine dauerhafte Arbeitsmarktintegration stärker in den Fokus stellen.[2]

Nachfolgend sollen die mit dem Entwurf verbundenen insolvenzrechtlichen Implikationen aufgezeigt werden.

 

B. Im Einzelnen

 

I. Abschaffung des Vermittlungsvorranges

Um erwerbsfähige Leistungsberechtigte dauerhaft in Arbeitsverhältnisse zu integrieren, durch die die Hilfebedürftigkeit möglichst weitgehend vermindert, bzw. überwunden wird, soll der Vermittlungsvorrang im SGB II – zugunsten einer nachhaltigen Integration in den Arbeitsmarkt im Gleichklang mit der Regelung im SGB III – abgeschafft werden.[3] Auch wenn die bestehenden Regelungen des SGB II keinen ausdrücklichen Vermittlungsvorrang formulieren, legen die Leistungsgrundsätze in § 3 einen Schwerpunkt auf Maßnahmen, die die unmittelbare Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ermöglichen.[4]

§ 3 Abs. 1 Satz 3 und 4 SGB II-RefE sehen vor, dass vorrangig Leistungen erbracht werden sollen, „die die unmittelbare Aufnahme einer Ausbildung oder Erwerbstätigkeit ermöglichen, es sei denn, eine andere Leistung ist für die dauerhafte Eingliederung erforderlich. Von der Erforderlichkeit für die dauerhafte Eingliederung ist insbesondere auszugehen, wenn leistungsberechtigte Personen ohne Berufsabschluss Leistungen zur Unterstützung der Aufnahme einer Ausbildung nach diesem Buch, dem Dritten Buch oder auf anderer rechtlicher Grundlage erhalten oder an einer nach §  16 Absatz  1 Satz  2 Nummer  4 in Verbindung mit §  81 des Dritten Buches zu fördernden berufsabschlussbezogenen Weiterbildung teilnehmen sollen.“[5]

Im Hinblick auf erwerbsfähige Leistungsberechtigte[6], die sich in einem Insolvenzverfahren (i.d.R. mit dem persönlichen Ziel der Restschuldbefreiung) befinden, kommt es in Fällen, in denen eine andere Leistung für die dauerhafte Eingliederung erforderlich ist als die, die eine unmittelbare Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ermöglicht, zu Divergenzen im Hinblick auf die insolvenzrechtlichen Obliegenheiten des leistungsberechtigten Schuldners.

So regelt § 287b InsO, dass es dem Schuldner ab Beginn der Abtretungsfrist (d.h. ab Insolvenzeröffnung) bis zur Beendigung des Insolvenzverfahrens obliegt, eine angemessene Erwerbstätigkeit auszuüben und, wenn er ohne Beschäftigung ist, sich um eine solche zu bemühen und keine zumutbare Tätigkeit abzulehnen. Verletzt der Schuldner seine insolvenzrechtlichen Obliegenheiten, kann ihm die Restschuldbefreiung versagt werden (§ 290 Abs. 1 Nr. 7; zum Zeitraum zwischen Beendigung des Insolvenzverfahrens und dem Ende der Abtretungsfrist vgl. §§ 295, 296 InsO).

Die Tätigkeit ist angemessen, wenn sie „der Ausbildung, den Fähigkeiten, dem Lebensalter und dem Gesundheitszustand des Schuldners entspricht“[7]. Der teilzeitbeschäftigte Schuldner muss sich dabei grundsätzlich in gleicher Weise wie der erfolglos selbstständig tätige und der erwerbslose Schuldner um eine angemessene Vollzeitbeschäftigung bemühen.[8] Gelingt es dem Schuldner nicht, eine seiner Ausbildung, seinen Fähigkeiten, dem Lebensalter und dem Gesundheitszustand entsprechende Arbeitsstelle zu finden, muss er eine berufsfremde, eine auswärtige und notfalls eine Aushilfs- oder Gelegenheitstätigkeit annehmen.[9]

Eingliederungsvereinbarungen des Schuldners mit dem Sozialhilfeträger beeinflussen den objektiv anzulegenden Maßstab an das Bemühen um eine angemessene Erwerbstätigkeit des (erwerbslosen) Schuldners nicht. Diese sind (erst) im Rahmen des subjektiv erforderlichen Verschuldens (§ 296 Abs. 1 Satz 1 InsO) zu berücksichtigen.[10]

Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, die für einen gewissen Zeitraum zu Einkommensverlusten des Schuldners führen, sind (nur) unter bestimmten Voraussetzungen gestattet. „Zunächst muss – nicht nur die theoretische, sondern wahrscheinliche –  Möglichkeit bestehen, nach der Fortbildung ein höheres Einkommen zu erzielen. Darüber hinaus ist erforderlich, dass die finanzielle Einbuße , die durch die Fort- oder Weiterbildungsmaßnahme verursacht wird, durch die Erwartung auf höhere Einkünfte nach Ende der Fortbildung und innerhalb des eröffneten Insolvenzverfahrens oder zumindest der Wohlverhaltensperiode ausgeglichen wird.(…) Je länger die Fortbildungsmaßnahme mit Einkommensverlust andauert, umso sorgfältiger hat der Schuldner vor der Teilnahme an dieser Maßnahme zu prüfen, ob er den Verlust noch innerhalb der Zeit der Erwerbsobliegenheit ausgleichen kann.“ [11]

Mithin stünde bspw. bei einem Schuldner ohne Berufsabschluss, bei dem gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4 SGB II-RefE von der Erforderlichkeit einer dauerhaften Eingliederung auszugehen ist, aus sozialrechtlicher Sicht die unmittelbare Aufnahme der Erwerbstätigkeit – trotz der günstigen Lage am Arbeitsmarkt – regelmäßig nicht mehr im Vordergrund.  

Auch wenn der Ansatz, durch den Einsatz der Eingliederungsinstrumente des SGB II kurzfristige Beschäftigungen zu vermeiden und die Chancen auf nachhaltige Integration zu stärken[12] lobenswert ist, kann dies zugleich die Befriedigungsaussichten der Gläubiger schmälern.

 

II. Einführung einer Vertrauenszeit nach Abschluss des Kooperationsplans

Der o.g. Effekt kann sich weiter verstärken, wenn der erwerbsfähige Leistungsberechtigte in den ersten sechs Monaten der nach Abschluss des Kooperationsplans laufenden Vertrauenszeit, in der gegen den Leistungsberechtigten keine Anordnung von Maßnahmen mit Rechtsfolgenbelehrung ergeht (§ 15a SGB II-RefE[13]), Absprachen zu Mitwirkungspflichten nicht einhält, wie bspw. Bewerbungen auf Vermittlungsvorschläge, Eigenbemühungen und Maßnahmeteilnahmen. Der Umstand, dass die Mitwirkungspflichten während der Vertrauenszeit regelmäßig überprüft werden sollen und die Vertrauenszeit auch vorzeitig enden kann, wirkt lediglich für die Zukunft.

 

III. Verzicht auf das Verkürzungserfordernis bei Umschulung in besonderen Fällen

Zudem sieht der Entwurf für den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten die Möglichkeit vor, eine Umschulung im Rahmen einer geförderten beruflichen Weiterbildung bei Bedarf in drei Jahren, anstatt wie bisher in zwei Jahren, zu besuchen (§ 180 Abs. 4 SGB III-RefE).[14]

Dieser neue Zeitrahmen ist deckungsgleich mit der Gesamtdauer der Wohlverhaltensperiode im Restschuldbefreiungsverfahren. Diese wurde erst kürzlich in Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1023 über Restrukturierung und Insolvenz[15] auf drei Jahre ohne Mindestquote verkürzt[16] und hat den Zeitraum der Abführung pfändbarer Beträge aus der Erwerbstätigkeit des Schuldners ohnehin (weiter) verringert.

Die Richtlinie sah zugleich Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren vor.[17] So sollten die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass solche Verfahren im Interesse zügiger Bearbeitung auf effiziente Weise geführt werden.[18] Eine Bearbeitung auf effiziente Weise ist jedoch fraglich, wenn ein Schuldner, wie im o.g. Beispielfall, faktisch ohne die Obliegenheit zur Abführung pfändbarer Beträge eine dreijährige Wohlverhaltensperiode durchläuft.

 

IV. Berücksichtigung von Vermögen

Gemäß § 35 Abs. 1 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). Unpfändbare Gegenstände sowie Ausnahmen regelt § 36 InsO.

Bei den in § 12 SGB II-RefE getroffenen Regelungen zur Berücksichtigung von Vermögen ist mithin zu beachten, dass es hier aufgrund zwangsvollstreckungsrechtlicher Normen durchaus zu einer unterschiedlichen Handhabung im Insolvenzfall eines erwerbsfähigen Leistungsberechtigte kommen kann. 

Beispielhaft sei hier auf § 12 Abs. 3 Nr. 2 SGB II-RefE verwiesen, wonach ein Kraftfahrzeug für jede in der Bedarfsgemeinschaft lebende erwerbsfähige Person nicht als Vermögen zu berücksichtigen ist. Die Angemessenheitsprüfung für das Kraftfahrzeug soll – aus Gründen der erheblichen Verwaltungsvereinfachung für die Jobcenter – künftig entfallen.[19]

Im Insolvenzverfahren kann der Insolvenzverwalter durchaus gehalten sein, hier eine Verwertung durchzuführen, ggf. im Wege der Austauschpfändung nach § 811 a ZPO, wenn ein gem. § 811 ZPO unpfändbarer PKW einen entsprechenden Wert hat, auch wenn er aus sozialrechtlicher Sicht unerheblich wäre.

 

 

C. Fazit

Die Abwägung der Interessen erwerbsfähiger Leistungsberechtigter mit den Eigentumsrechten der betroffenen Gläubiger im Insolvenzverfahren obliegt dem Gesetzgeber.

Wertungswidersprüche zwischen sozialstaatlichen Regelungen und dem Vollstreckungsinteresse der betroffenen Gläubiger werden durch den Referentenentwurf verschärft. Dieser Umstand wird insbesondere bei den Erwerbsobliegenheiten deutlich und kann ohne Eingriffe in das Insolvenzrecht dazu führen, dass insolventen Beziehern des Bürgergeldes eine beantragte Restschuldbefreiung versagt bleibt.

 

 

Berlin, 23.08.2022

Kontakt:
Verband Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands e.V. (VID)
Französische Straße 13/14
10117 Berlin
Tel.: 030/ 20 45 55 25

E-Mail: info@vid.de
Web: www.vid.de

 

[1] Bearbeitungsstand 21.07.2022; 18:17 Uhr.

[2] RefE, S. 2.

[3] Begründung RefE, S. 51.

[4] Vgl. § 3 Abs. 1 Satz 3 SGB II, RefE S. 69.

[5] Vgl. RefE, S. 10.

[6] Ausweislich des Entwurfs unterstützen die Jobcenter derzeit rund 3,7 Millionen erwerbsfähige Leistungsberechtigte bei der Arbeits- und Ausbildungsmarktintegration.

[7] Sternal in Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl. 2019, § 287b, Rz. 6.

[8] BGH IX ZB 32/17.

[9] BGH IX ZB 32/17, Rz. 10.

[10] Streck in HK-InsO, 9. Aufl. 2022, § 295, Rz. 7 mit Verweis auf BGH IX ZB 191/11 vom 13.09.2012 (ZInsO 2012, 1958); auf BGH IX ZB 191/11 bezugnehmend auch BGH IX ZB 32/17.

[11] Sternal in Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl. 2019, § 287b, Rz. 11 und 12 m.w.N.

[12] Vgl. RefE, S. 3.

[13] Vgl. dazu auch RefE, S. 3, 45.

[14] Vgl. RefE, S. 4, 52.

[15] Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz).

[16] Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht vom 22. Dezember 2020, abrufbar unter.

[17] Vgl. Art. 1 Abs. 1c) der RL (EU) 2019/1023.

[18] Art. 25 (b) der RL (EU) 2019/1023.

[19] Vgl. Begründung RefE, S. 77.

 

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