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Stellungnahme:

14.07.2023

RefE Leitentscheidungsverfahren

Stellungnahme des VID - Verband Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands e.V. zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim Bundesgerichtshof

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 A. Einleitung

Der vorliegende Referentenentwurf (nachfolgend: Entwurf bzw. RefE) soll der effizienten Erledigung von Massenverfahren im Zivilprozess dienen. Durch den Entwurf soll dem BGH die Möglichkeit eingeräumt werden, ein bei ihm anhängiges Verfahren als Leitentscheidungsverfahren zu bestimmen. Nach § 552b ZPO Ref-E kann diese Bestimmung erfolgen, wenn das Verfahren Rechtsfragen aufwirft, deren Entscheidung für eine Vielzahl anderer Verfahren von Bedeutung ist. Der Entwurf spricht in diesem Zusammenhang von Massenverfahren und erläutert, es handele sich um massenhafte Einzelklagen zur gerichtlichen Geltendmachung gleichgelagerter „(Verbraucher-)Ansprüche“.

Der Entwurf sieht für die Umsetzung eine Ergänzung und Änderung einzelner Regelungen in der ZPO vor und nimmt ausgewählte Rechtsgebiete von dem Leitentscheidungsverfahren aus. Indem der Anwendungsausschluss nicht ausdrücklich auf die Insolvenzgerichte erstreckt wird, besteht im Umkehrschluss eine Relevanz für laufende Insolvenzverfahren.

Ein Leitentscheidungsverfahren kann Insolvenzverfahren gleichermaßen betreffen wie reine zivilrechtliche Streitigkeiten. In einem Insolvenzverfahren sind einerseits massenhaft gleichgelagerte Anfechtungsklagen keine Seltenheit. Im Rahmen von Insolvenzfällen mit hoher Beteiligung von Kapitalanlegern entstehen oft massenhaft gleichgelagerte Anfechtungsansprüche gegen die Anleger zugunsten der Masse. Bestreitet andererseits der Insolvenzverwalter (oder ein Insolvenzgläubiger) im Sinne des § 179 Abs. 1 InsO eine Vielzahl gleichgelagerter Forderungen, können massenhafte Klagen auf Feststellung der Forderungen zur Insolvenztabelle erhoben werden.

 

B. Im Einzelnen

 

I. Definition

Der vom Entwurf definierte Anwendungsbereich erweist sich bereits als problemträchtig. Ein Massenverfahren wird in der Entwurfsbegründung als „massenhafte Einzelklagen zur gerichtlichen Geltendmachung gleichgelagerter (Verbraucher-)Ansprüche“[1] definiert. Nach dieser Definition bleibt offen, ob nur Leistungsklagen oder auch Feststellungsklagen von einem Leitentscheidungsverfahren umfasst werden können. Die Entwurfsbegründung lässt eine Erläuterung vermissen, inwieweit der Gesetzgeber massenhafte Feststellungsklagen als ebenfalls denkbar voraussetzt oder bewusst ausnehmen will. Hier ist eine Klarstellung erforderlich.

Darüber hinaus lässt die Entwurfsbegründung offen, ob ein Leitentscheidungsverfahren ausschließlich bei Verbraucheransprüchen möglich sein soll. Dem Wortlaut der neu gefassten ZPO-Vorschriften lässt sich eine solche Beschränkung nicht entnehmen. Es bedarf einer eindeutigen Formulierung, ob der Entwurf ausschließlich auf Verbraucherschutz abzielt oder einen breiteren Anwendungsbereich haben soll.

Dies ist notwendig, da die Einordnung eines Insolvenzverwalters als Verbraucher ungeklärt ist. Der Insolvenzverwalter handelt im Verbraucherinsolvenzverfahren als Partei kraft Amtes im eigenen Namen und nicht als Vertreter des Schuldners. Hinsichtlich der vorgenommenen Rechtshandlungen steht seitens des Insolvenzverwalters nicht der Verbraucherschutzgedanke im Vordergrund. Vielmehr strebt er eine gleichmäßige Gläubigerbefriedigung aus der Insolvenzmasse an.[2] Aus diesem Grund ist eine Verbrauchereigenschaft des Insolvenzverwalters abzulehnen. Eine unterschiedliche Anwendung des Leitentscheidungsverfahrens in Abhängigkeit von der Verbrauchereigenschaft des Schuldners bzw. des Insolvenzverwalters bei ansonsten vergleichbaren Konstellationen entbehrt einer hinreichenden Rechtfertigung. Es ist zu klären, inwieweit der Insolvenzverwalter einem Verbraucher zumindest gleichgestellt wird. Eine Ausweitung des Verbraucherbegriffes ist dem Gesetzgeber spätestens durch die Abhilfeklage nach dem VDuG nicht unbekannt.

Die Fragestellung gewinnt durch die unklare Auslegung des Begriffs der „Geltendmachung“ an Bedeutung. Die ZPO nimmt in zahlreichen Vorschriften Bezug auf geltend gemachte Ansprüche, ohne den Begriff der „Geltendmachung“ zu definieren. Auch die Entwurfsbegründung enthält keine Begriffsbestimmung und setzt diese als bekannt voraus. In der Literatur wird der Versuch unternommen, die „Geltendmachung“ als Äußerung einer Person aufgrund einer rechtlichen Befugnis, die auf ein Tun, Dulden oder Unterlassen eines anderen abzielt, zu definieren.[3]

Nach dieser Definition lässt sich die Geltendmachung begrifflich nicht von dem zugrundeliegenden Anspruch im Sinne des § 194 BGB trennen. Durch Anfechtungsklagen im Insolvenzverfahren werden Ansprüche auf Beseitigung einer nachteiligen Vermögensverfügung gerichtlich verfolgt. Insofern müssen diese auch unter den Begriff der „Geltendmachung“ fallen.[4] Bei einem erfolgreichen Anfechtungsprozess kann der Insolvenzverwalter den Rückzahlungsanspruch durchsetzen und das im Vorfeld Gewährte vom Anfechtungsgegner zurückverlangen. Wird das Erlangte zurückgewährt, lebt die ursprüngliche Forderung des Anfechtungsgegners gemäß § 144 Abs. 1 InsO wieder auf. Dieser neue Anspruch kann zur Insolvenztabelle angemeldet werden und stellt eine neue Geltendmachung eines Anspruchs dar.

Allerdings meldet der Anfechtungsgegner während des laufenden Anfechtungsprozesses noch nicht seine Forderung zur Insolvenztabelle an, zumal sie ja erst mit Erfüllung des Anfechtungsanspruchs auflebt, sondern versucht im ersten Schritt zunächst ein Anfechtungsverlangen abzuwehren. Die Einwendungen werden innerhalb des Anfechtungsprozesses erhoben und stellen keine eigenständigen Leistungsklagen des Anfechtungsgegners dar. In der Literatur werden die Begriffe der „Geltendmachung“ und der „Erhebung“ einer Einwendung undifferenziert verwendet. Der Entwurf enthält keine Erläuterungen, inwiefern Einwendungen ebenfalls unter den Begriff der „Geltendmachung“ fallen können. Dies ist jedoch notwendig, um die Anwendung eines Leitentscheidungsverfahrens auf solche Anfechtungssituationen zu klären.

Sollte der Begriff des Massenverfahrens Feststellungsklagen umfassen, fallen diese unproblematisch in den Anwendungsbereich. Mit ihnen können Gläubiger bestrittene Forderungen gerichtlich geltend machen.

Es zeigt sich, dass bereits die Definition eines Massenverfahrens und der Begriff der GeltendmachungRechtssicherheitsdefizite schaffen würden. Daher ist eine genaue Bestimmung des Anwendungsbereichs geboten.

 

II. Bestimmung zum Leitentscheidungsverfahren nach § 552b ZPO Ref-E

Der Entwurf nimmt Bezug auf vergangene Massenverfahren, in denen die Parteien Entscheidungen des BGH durch eine vorherige Beendigung des Revisionsverfahrens vermieden. Aufgrund dessen sieht der Entwurf vor, dass der BGH sich auch dann „zu zentralen Rechtsfragen, deren Beantwortung für eine Vielzahl anderer Verfahren von Bedeutung ist, äußern kann, wenn die Revision zurückgenommen wird oder sich das Revisionsverfahren auf andere Weise als durch Urteil nach §§ 561 ff. erledigt.“[5] Durch den neu gefassten § 552b ZPO Ref-E soll ein Leitentscheidungsverfahren in die ZPO eingeführt werden.

Eine Entlastung und Ressourcenschonung der Instanzgerichte hat eine positive Auswirkung auf die allgemeine Verfahrensdauer und ist wünschenswert. Die Unbestimmtheit des neu gefassten § 552b ZPO Ref-E ist hingegen problematisch. Es fehlt an einer konkreten Vorgabe, wann eine „Vielzahl anderer Verfahren[6] vorliegt. Der Entwurf nimmt für die Bestimmung weder Bezug auf die Musterfeststellungsklage noch auf die Abhilfeklage nach dem VDuG. Einer Musterfeststellungsklage müssen sich 50 Verbraucher anschließen, eine Abhilfeklage nach dem VDuG muss Ansprüche von mindestens 50 Verbrauchern glaubhaft machen. Es ist unklar, wie viele Verfahren für die Durchführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim BGH anhängig sein müssen.

Die Ausgestaltung des Leitentscheidungsverfahrens als Ermessensentscheidung steht dem verfolgten Zweck der Entlastung und Effizienzförderung der Instanzgerichte entgegen. Nach der Entwurfsbegründung „kann der Bundesgerichtshof ein geeignetes Verfahren auswählen, das ein möglichst breites Spektrum an offenen Rechtsfragen bietet, die er, wie bisher, selbst identifizieren kann.“[7] Es drängt sich die Frage auf, anhand welcher Kriterien und innerhalb welchen Zeitraums der BGH ein geeignetes Leitentscheidungsverfahren bestimmen kann.

 

III. Leitentscheidung nach § 565 ZPO Ref-E

Hat der BGH ein Leitentscheidungsverfahren bestimmt, soll durch den geänderten § 565 ZPO Ref-E auch dann eine Entscheidung ergehen, wenn die Parteien das Revisionsverfahren beenden. Die Leitentscheidung soll – und kann – dabei keine formale Bindungswirkung und keine Auswirkung auf das zugrundliegende Revisionsverfahren entfalten.[8] Um die gewünschte Entlastung für die Instanzgerichte zu erwirken, sieht der Entwurf vor, dass die Entscheidung „den Instanzgerichten und der Öffentlichkeit als Richtschnur und Orientierung dafür, wie die Entscheidung der Rechtsfragen gelautet hätte“[9], dienen soll.

Dem BGH wird hierdurch eine Kompetenz zur hypothetischen Urteilsfindung zugesprochen, die im Spannungsverhältnis zur Dispositionsmaxime steht. Den Verfahrensbeteiligten des ausgewählten Leitentscheidungsverfahrens steht es mangels Bindungswirkung weiterhin frei, über ihren Verfahrensgegenstand zu verfügen. Die Bereitschaft zu einer gütlichen Einigung dürfte indes mit der Perspektive sinken, dass die Rechtsunsicherheit, auf die Vergleiche oftmals gestützt werden, im Nachgang beseitigt wird, die „obsiegende“ Partei also erfährt, dass es eines Nachgebens nicht bedurft hätte – was auch Diskussionen über die Haftung des Prozessvertreters auslösen kann. Unklar bleibt jedenfalls, welche Tragweite eine Leitentscheidung als „Richtschnur“ konkret haben soll. Die Entwurfsbegründung erweckt den Anschein, dass eine mittelbare Bindungswirkung der Leitentscheidung geschaffen werden soll. Um der Zielrichtung des Entwurfs – die Effizienzförderung und Entlastung der Instanzgerichte – gerecht zu werden, müssen die Instanzgerichte faktisch im Lichte der Leitentscheidung urteilen. Hierdurch begründet der Entwurf die Gefahr von vorgefassten Urteilen in der ersten Instanz, die zur Verkürzung des Instanzenzugs führen kann und die Verfahrensbeteiligten in ihren prozessualen Handlungsoptionen einschränken wird.

Die prozessuale Handlungsfreiheit – namentlich die Dispositionsmaxime – als Ausfluss der Privatautonomie ist Schutzgut des Art. 2 Abs. 1 GG.[10] Das BVerfG hat klargestellt, dass auch die Wahrung der Privatautonomie Gegenstand einer grundrechtlichen Schutzpflicht des Staates sein muss, da es die Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben betrifft.[11] Nach der aus Art. 2 Abs. 1 GG abzuleitenden Schutzpflicht müssen staatliche Stellen verhindern, dass sich für einen Vertragsteil die Selbstbestimmung in eine Fremdbestimmung umkehrt.[12] Durch die Schaffung einer mittelbaren Bindungswirkung durch eine Leitentscheidung droht den Verfahrensbeteiligten bereits in der ersten Instanz die freie Verfügung über den Verfahrensgegenstand faktisch entzogen zu werden.

Zwar kann ein grundrechtlicher Eingriff gerechtfertigt sein, jedoch erfüllt der Entwurf in seiner Ausgestaltung nicht die Vorgaben des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Aufgrund der sprachlichen Unschärfe und Unbestimmtheit sind die neu gefassten ZPO-Vorschriften zur Zielerreichung nicht geeignet. Eine Entlastung der Instanzen kann erst mit der Entscheidung über die Bestimmung eines Leitentscheidungsverfahrens eintreten. Insofern obliegt es dem BGH aufgrund der vorgesehenen Ermessensentscheidung selbst, ob und inwieweit eine Entlastung erwartet werden kann.

 

IV. Aussetzungsmöglichkeit nach § 148 Abs. 4 Ref-E

Der Entwurf strebt die Entlastung der Instanzgerichte durch eine Erweiterung des § 148 ZPO um einen Absatz 4 Ref-E an.[13] Den Gerichten soll ermöglicht werden, „mit Zustimmung der Parteien solche Verfahren auszusetzen, deren Entscheidung von Rechtsfragen abhängt, die den Gegenstand eines bei dem Revisionsgericht anhängigen Leitentscheidungsverfahrens bilden.“[14]

Es verwundert, dass der Entwurf keine eigenständige Aussetzungskompetenz der Instanzgerichte vorsieht. Aus prozesstaktischen Gründen kann eine Aussetzung durch die Parteien verhindert werden. Diese Abhängigkeit der gewünschten Entlastung der Gerichte von dem Parteiwillen scheint als Korrektiv zur eingeschränkten Dispositionsmaxime gedacht zu sein.

Nach der Entwurfsbegründung soll die Anwendung des § 148 Abs. 1 ZPO jedoch unberührt bleiben.[15] Hiernach ist die Aussetzung des Verfahrens unabhängig von dem Parteiwillen möglich, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet. Die in einem Leitentscheidungsverfahren zu klärenden Rechtsfragen können gleichzeitig für das Bestehen und Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses entscheidend sein. In diesen Fällen wird den Gerichten die Möglichkeit eröffnet, über den Parteiwillen hinweg, die Aussetzung eines Verfahrens zu erreichen. Damit kann die durch § 148 Abs. 4 ZPO Ref-E eingeräumte Dispositionsbefugnis der Verfahrensbeteiligten unterlaufen werden.

Dabei bleibt offen, inwieweit eine nach § 565 ZPO Ref-E zu treffende Leitentscheidung ein anhängiges Verfahren im Sinne des § 148 Abs. 1 ZPO sein kann. Der BGH darf erst dann über ein bei ihm anhängiges Verfahren eine Leitentscheidung treffen, wenn dieses ohne Urteil durch die Parteien beendet wurde.[16] Ab diesem Zeitpunkt ist der Streitgegenstand der Verfahrensbeteiligten nicht mehr anhängig. Inwieweit ein Leitentscheidungsverfahren die fehlende Anhängigkeit des zugrundeliegenden Verfahrens ersetzen kann, erschließt sich aus der Entwurfsbegründung nicht.

 

V. Vorabentscheidungsverfahren

Vorsorglich soll auf den vom Deutschen Richterbund (nachfolgend DRB) erarbeiteten Lösungsansatz[17] eingegangen werden, welcher in der Literatur[18] bereits Zuspruch findet. Plädiert wird dort für die Einführung eines Vorabentscheidungsverfahrens beim Bundesgerichtshof, welches sich an dem Verfahren nach Art. 267 AEUV orientieren soll. Im Hinblick auf eine notwendige vergleichbare Interessenslage ist die Einführung eines Vorabentscheidungsverfahrens auf nationaler Ebene kritisch zu hinterfragen. Dem EuGH wurde durch den Vertrag von Lissabon die Kompetenz zugesprochen, über Auslegungs- und Gültigkeitsfragen des Unionrechts zu entscheiden, um u.a. eine einheitliche Auslegung des Unionsrecht zu gewährleisten.[19] Während der EuGH nach der Vorlage einer entscheidungserheblichen Frage abstrakt über dieses in einer Art des Zwischenverfahrens entscheidet, bleibt das nationale Gericht weiterhin Herr des Verfahrens.[20] Der Vorschlag des DRB zielt vermeintlich auf eine konkrete Entscheidungskompetenz des BGH für vorgelegte entscheidungserhebliche Fragestellungen ab, für die nach nationalem Recht die Instanzgerichte zur Entscheidung berufen sind. Dies stellt den gesetzlichen Richter als Teil der Rechtsstaatsgarantie in Frage. Durch eine zusätzliche Aussetzungsmöglichkeit – unabhängig vom Parteiwillen der Verfahrensbeteiligten – soll eine Ressourcenschonung der Instanzgerichte erreicht werden.[21]

Auch durch ein Vorabentscheidungsverfahren kann die angestrebte Entlastung der Instanzgerichte nicht dauerhaft erreicht werden, sie tritt nur temporär für die Zeit des Vorabentscheidungsverfahrens ein. Nach einer Entscheidung des BGH werden – wie vom DRB selbst erkannt – die Massenverfahren an den Instanzgerichten verbleiben, weshalb eine Entlastung nur hinsichtlich der Revisionsinstanz nachhaltig eintreten kann.

 

C. Fazit

Obgleich ein Massenverfahren vorliegt, sind die Verfahrensbeteiligten weiterhin angehalten, bis in die Revisionsinstanz zu prozessieren. Die Instanzgerichte erfahren dadurch keine Entlastung. Dem BGH wird neben seiner Zuständigkeit als Revisionsgericht zusätzlich die Auswahl eines Leitentscheidungsverfahrens aufgebürdet.

Die Möglichkeit einer hypothetischen Urteilssetzung entgegen dem Parteiwillen stellt einen nicht gerechtfertigten Grundrechtseingriff dar. Der Referentenentwurf ist daher nicht geeignet, um die erforderliche Entlastung und Ressourcenschonung der Instanzgerichte herbeizuführen.

In insolvenzrechtlichen Massenverfahren bleibt seine Reichweite und Wirkung unklar. Dies sollte im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens unbedingt behoben werden, da ansonsten die angestrebte Effizienz bei der Erledigung von Massenverfahren nicht erreicht werden kann.

 

Berlin, 14.07.2023

 

Kontakt:

Verband Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands e.V. (VID)
Am Zirkus 3
10117 Berlin
Tel.: 030/ 20 45 55 25
E-Mail: info@vid.de / Web: www.vid.de

 

[1] Begründung RefE S.7.

[2] DNotI-Report, 4/2009, 25.

[3] Regenfuß, JURA 2022, 527.

[4] Borries/Hirte in: Uhlenbruck, § 129 Rn. 1; Grothe, in: MüKo-BGB, § 194 Rn. 40; Piekenbrock in BeckOGK, § 194 Rn. 45.

[5] Begründung RefE S. 7.

[6] Vgl. § 552b ZPO-RefE.

[7] Begründung RefE S. 7.

[8] Begründung RefE S. 7.

[9] Begründung RefE S. 7.

[10] Rauscher in MüKo-ZPO, Einl. Rn. 316.

[11] BVerfG, NJW 1994, 2749; BVerfG, NJW 1994, 36.

[12] Di Fabio in Dürig/Herzog/Scholz, 99. EL Stand September 2022, Art. 2 GG Rn. 101, 105.

[13] Vgl. § 148 Abs. 4 RefE.

[14] Begründung RefE S. 10.

[15] Begründung RefE S. 10.

[16] Vgl. § 565 RefE.

[17] Abrufbar unter: https://www.drb.de/fileadmin/DRB/pdf/Stellungnahmen/2022/Loesungsvorschlaege_AG_Massenverfahren.pdf

[18] Heese/Schumann, NJW 2021, 3023; Rapp, JZ 2020, 294.

[19] Ehricke in Streinz, 3. Aufl. 2018, Art. 267 AEUV Rn. 5.

[20] Ehricke in Streinz, 3. Aufl. 2018, Art. 267 AEUV Rn. 7.

[21] Deutscher Richterbund, Lösungsvorschläge, S. 15.

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